Niendorf

Dann endlich Niendorf! oder vielmehr die Stelle, wo dies glückliche, friedliche Fischer- und Badedörfchen gestanden hat! Die der See zunächst gelegene Reihe von Häusern ist so gut wie gänzlich zerstört; von den davor befindlichen Pavillons ist keine Spur mehr übrig und ebensowenig von dem mit großen Kosten aus festen Quadern aufgeführten Uferdamm. Gleich das erste Haus, das wohlbekannte Böbs'sche Wirtshaus, ist dem Boden gleich gemacht, und ebenso die meisten der folgenden Häuser; von einzelnen derselben ragen noch Ruinen hervor über den Seesand, von welchem sie 6 Fuß hoch wie Pompeji und Herculanum von der Lava; eingesargt sind. Wenig besser ist es der anderen, inneren Häuserreihe ergangen. Gleich von dem ersten Hause ist die Bordeifeite vollständig weggerissen, so dass das klaffende Innere des Hauses den Blicken blosgelegt ist. Das allbekannte Gasthaus von Johannsen hat das Stallgebäude gänzlich verloren und im Parterre wie insbesondere in dem Speisesaal liegen Sand und Steine noch immer mehrere Fuß hoch. Viel trauriger sieht es mit den folgenden Häusern aus; sie sind meist so gründlich zertrümmert und verwüstet, dass an den Wiederaufbau nicht zu denken ist. Noch lag in einem derselben die Leiche eines der am Mittwoch umgekommenen Männer unbegraben. Überall totes Vieh, zerstörtes oder verdorbenes Mobiliar, tief im Sande begrabene Fischerboote - und was das Schlimmsie war, die unglücklichen Leute selbst mit jener abgestumpften Miene, jenem stieren Blick des grenzenlosen Kummers, welchen der Mensch zeigt, wenn er soeben das Schrecklichste erlebt und Alles, was er sein nannte, verloren hat!

Den Schluss unserer Wanderung bildet ein Besuch des unweit von Niendorf unterhalb der kleinen Timmendorfer Mühle auf dem Strande liegenden Colberger Barkschiffs „Dritte Juli“. Kapt. G. Schulz. welches von London in Ballast nach Hause bestimmt, von dem Nordost weit ab aus seinem Cours hierher in die Neustädter Bucht geschleudert und hier im weichen Ufersande wohlerhalten gebettet wurde. Das schöne, neue Barkschiff ragt gleich dem Trojanischen Pferde hoch empor auf dem trockenen Ufer und wird gleich diesem von Neugierigen aus der Stadt viel besucht. Es wäre ein Wunder, wenn es gelänge, das Schiff wieder flott zu machen, wozu, wie uns die Schiffsmannschaft berichtete, der Kapitän die Hilfe eines berühmten Hamburger Schiffsbaumeisters in Anspruch genommen hat. Unweit davon liegt das Wrack der finnländischen Bark „Lilly“. von welchem die Wellen nur noch einen Teil des Rumpfes übrig gelassen haben.


Noch ist zu erwähnen. dass das Meer sich zu dem Himmelsdorfer See einen neuen, stellenweise ein paar 100 Fuß breiten Zugang gebahnt und denselben mit ihrer Salzflut erfüllt hat, vielleicht um damit einen Fingerzeig zu geben, dass die vielbesprochene Idee der Verwendung des Himmelsdorfer Sees zu einem Kriegshafen doch gar nicht so schwierig sein würde.

Nach allein Diesen sind die Niendorfer bei Weitem die Beklagenswertesten. In Lübeck und Travemünde haben Manche Manches verloren. Die Niendorfer aber haben so gut wie Alles verloren. Mehr als 100 Menschen, man sagte uns 140, haben aus grauser Gefahr mit genauer Not nichts als ihr nacktes Leben gerettet, sind mit einem Schlage gänzlich brotlos und obdachlos geworden, und nicht nur ihre fahrende Habe, sondern selbst der Grund und Boden, den sie bewohnten, ist gänzlich wertlos geworden. Niemand wird ihnen Geld geben, an dieser Stelle wieder Gebäude aufzuführen! Hier ist Hilfe not und Niemand, der geben kann und ein Herz im Busen hat, sollte sich diesem Liebeswerk entziehen. Wohl haben die Bewohner der umliegenden Dorfschaften Broodten und Warnsdorf bereitwillig die armen Niendorfer aufgenommen, wohl hat insbesondere ein edler Mann - mehr als Edelmann -, Herr K. in H., sofort mehr als zwanzig derselben Obdach und Unterhalt gegeben und hält noch fortwährend für alle Niendorfer offene Tafel, wohl hatten sich auch heute einige wahre Samariter aus Lübeck mit Liebesgaben eingefunden; hier aber muss mehr geschehen!"