Die Ständige Ausstellung für Arbeiterwohlfahrt in Charlottenburg. Mit vier Bildern der Fotothek, Berlin

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1921
Autor: H. Ailerd, Erscheinungsjahr: 1921

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Arbeiterwohlfahrt, Arbeitsschutz, Unfallschutz, Handwerk, Industrie, Arbeitsplatz, Menschenkraft, Maschinenkraft, Gefahren, Unfallverhütung, Verletzungsgefahr, Arbeitgeber, Arbeitnehmer,
Nur durch gesteigerte Arbeit kann sich Deutschland aus Elend und Verschuldung allmählich wieder heraufringen. Freunde und Feinde sagen es uns, und wir wissen selbst am besten, dass die deutsche Arbeitskraft unser Stolz und der Teil des Volksvermögens ist, den uns die Bedrücker nicht rauben können, den wir nicht ungenützt lassen dürfen. Gefahren drohen ihr allerdings auch von der Seite, die an sich die stärkste Bundesgenossin bei der Bewältigung des Materials ist, von der Maschine. Schonungslos zerstört sie Menschenkraft und Menschenleben, wenn Unvorsichtige, den automatischen Arbeitsgang nicht beachtend, ihr in das Getriebe geraten. Aber auch ohne Fahrlässigkeit wäre der Arbeiter Unfällen und Schädigung seiner Gesundheit durch dauernde Beeinträchtigungen ungeschützt ausgesetzt, wenn nicht die Unfallverhütung und die Gewerbehygiene immer wirksamere Fortschritte in der Bekämpfung der Gefahren gemacht hätten. Was ist nicht alles auf diesem Gebiet erreicht, seit sich l867 der elsässische Großindustrielle Engel-Dollfuß zu dem Grundsatz bekannte: „Der Fabrikant schuldet seinen Arbeitern noch anderes als ihren Lohn. Es ist seine Pflicht, sich um ihr moralisches und körperliches Wohlergehen zu kümmern.“

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Deutschland hat allen Industrievölkern voran Unfallverhütung und Unfallversicherung durch gesetzliche Vorschriften geregelt. Dass es trotzdem keinen Stillstand in den Bestrebungen zur Sicherung an Arbeitskraft und Leben geben darf, besagt deutlich genug die Zahl der noch immer vorkommenden Unfälle; sie betrug 1913 139.633 Fälle, von denen 10.293 tödlich waren, 868 zu dauernder Erwerbsunfähigkeit führten. Dauernd müssen Arbeitgeber wie Arbeitnehmer ihr Augenmerk auf die zur Erhöhung der Sicherheit durch Verbesserungen und Neuerfindungen möglichen Schutzvorkehrungen richten. Die tätige Mitarbeit der Angestellten, zu der das Betriebsrätegesetz verpflichtet, kann Gutes dazu beitragen, wenn ein sachkundiges Urteil über die je nach der Betriebsart verschiedenen Gefahren und die Möglichkeit der Schadenverhütung abgegeben wird. Dass die Verbreitung der jeweils und irgendwo gemachten Erfahrungen über Ursachen der Unfälle und Gesundheitsschädigungen in Fabriken am besten durch übersichtlich veranschaulichende Ausstellungen gefördert werden kann, die jedermann zugänglich sind, erkannte schon der oben erwähnte Elsässer Menschenfreund. Er gründete nicht nur die erste Vereinigung von Fabrikanten zur Verhütung von Unfällen, sondern richtete auch ein kleines Museum ein, in dem die Modelle aller bis dahin bekannten Vorrichtungen zur Unfallverhütung zu sehen waren. Was dieser Versuch eines einzelnen damals an strebte, ist seither mit staatlichen Mitteln in weit vollkommenerer Weise in verschiedenen Hauptstädten, wie Berlin, München, Zürich, Amsterdam, Paris, verwirklicht. In Deutschland dient der Aufgabe am vorzüglichsten die auf Reichskosten errichtete und im Jahre 1902 eröffnete Ständige Ausstellung für Arbeiterwohlfahrt, Reichsanstalt in Charlottenburg, Fraunhoferstraße 11/12. Sie ist in einem ausgedehnten Bau untergebracht, der 1908 noch erweitert wurde. Die Kosten beliefen sich einschließlich des Grundstückes auf 1.222.500 Mark. Was nun in den großen Ausstellungssälen übersichtlich angeordnet vorgeführt wird, ist das Beste, Neueste und das Bewährteste, was auf dem Gebiet der Unfallverhütung und Schadenbekämpfung von Wissenschaft und Technik bisher geleistet worden ist. Während des Krieges haben die Räume allerdings Kriegszwecken, wenn auch ebenfalls im Dienste der Volkswohlfahrt, nämlich als Prüfstelle für Ersatzglieder, dienen müssen. Mit Hilfe der Berufsgenossenschaften und dank den Zuweisungen seitens der Industrie ist es jedoch nun gelungen, die Ausstellung wieder herzurichten. Die Zahl der ausgestellten Gegenstände betrug schon 1912 mehr als 3500 von gegen 1100 Ausstellern, und seither ist noch viel Neues hinzugekommen. Das wichtigste ist aber, dass man sich nicht begnügt, nur Modelle nebeneinander aufzureihen, sondern dass so viel wie möglich die Schutzvorrichtungen an Maschinen in natürlicher Größe und unter denselben Bedingungen wie in der Praxis mit Kraftantrieb vorgeführt werden. Ältere, von vervollkommneten Erfindungen überholte Muster sind gegen neuere und bessere ausgetauscht worden, so dass die Ausstellung mit der Entwicklung Schritt hält.

Der größere Teil der Ausstellung zeigt Einrichtungen der verschiedenen Industriezweige für Unfallverhütung, der kleinere umfasst das Gebiet der Gewerbehygiene und der mit ihr in Beziehung stehenden sozialen Hygiene, zusammen zweiunddreißig Gruppen.

In der ersten Gruppe „Dampfkessel“ findet sich eine Anlage zur Entfernung von Flugasche und zur damit zusammenhängenden Beseitigung von gefährdender Ansammlung von Gasen, die jetzt bei der aufgezwungenen erhöhten Verwendung von Braunkohle besondere Bedeutung hat. In der nächsten Gruppe „Kraftmaschinen“ sieht man unteranderem verschiedene Schutzbänder für Schwungräder und automatische Vorrichtungen zum sofortigen Anhalten der Maschinen, Dampfabsperrungen und Schutzhauben, in dem Abteil „Transmissionen“ Zahnradabdeckungen und Schutzplatten für Treibräder, Riemenabdeckungen und vieles andere mehr. Zahlreich sind in der Gruppe „Elektrotechnik“ die Schutzvorrichtungen der Reichspost für die Telegraphenarbeiter, nicht minder interessant die Apparate zum Schutz gegen Feuer und Explosionsgefahr in einer anderen Abteilung und die zur Wiederbelebung von Erstickung Bedrohter durch Sauerstoffzuführung. Zur Ausrüstung des einzelnen Arbeiters gegen Unfallgefahr, die ihm entweder durch Abspringen von Materialteilchen, umherfliegende Splitter und Trümmer, aber mich durch eigene Unvorsichtigkeit droht, sind die mannigfachsten Einrichtungen aus der Praxis heraus getroffen. Es ist eine immer wieder gemachte Erfahrung, dass der Arbeiter allmählich ein solches Sicherheitsgefühl durch sein Vertraut sein mit der Maschine bekommt, dass er sich vergisst und unwillkürlich mit der Hand oder einem anderen Körperteil zu rücken und nachzuhelfen versucht, wo nur die maschinelle Funktion am Platz ist. Wie schwer rächt sich oft solche Unachtsamkeit! Dies unmöglich zu machen, ist die Aufgabe von Abhaltevorrichtungen zum Beispiel bei Hobel- oder Säge-, Schleif- und Schneidemaschinen. Darum sind bei Holzbearbeitungsmaschinen, durch deren schnell bewegte Schneidewerkzeuge sehr leicht Verletzungen vorkommen, Sicherungen angebracht, die ein Berühren der gefährlichen Teile unmöglich machen. Bei der Pendelsäge ist das Kreissägeblatt völlig abgedeckt, nur der zur Einführung des Materials unbedingt nötige Teil ist freigeblieben. Der Arbeiter an der Holzfräsmaschine ist durch einen Drahtkorb verhindert, mit seiner Hand, die die Holzstücke anlegt, den Fräser zu berühren, der etwa fünftausend Umdrehungen in der Minute macht. Bei der Metallbearbeitung ist das Feilen längst durch Fräsen und Schleifen ersetzt worden. Die schnell umlaufenden Schleifscheiben können springen und durch fortgeschleuderte Trümmer schwere Verletzungen verursachen. Bei Schmirgelscheiben sind besonders die Augen durch bisweilen abspringende Teilchen gefährdet, wenn dies nicht durch ein Elasfenster verhindert würde. Durch Absaugvorrichtung wird der schädliche Staub entzogen. Solche Staubsauger bilden in zahlreichen Industriezweigen die wichtigsten Schutzeinrichtungen, besonders dort, wo Material verarbeitet wird, dessen kleinste Teile in den Lungen verheerende Wirkungen anrichten können.

Zum Schutz der Bauarbeiter sind Schutzgeräte erfunden, hie den Absturz an Gebäuden bei Außenarbeitern verhindern. Für das graphische Gewerbe sind verschiedene Schutzvorrichtungen an den Pressen und bei der Einführung von Papierbahnen vorgesehen. Ebenso sind die Schuhbedürfnisse der chemischen Industrie, des Hüttenwesens, der Transportarbeiter, die ja bekanntlich besonders gefährdet sind, berücksichtigt.

Da auch die Landwirtschaft immer mehr die Maschinenkraft in ihren Dienst stellt, sind auch dort Sicherheitsvorkehrungen nötig. Bei der elektrisch angetriebenen Dreschmaschine mit Strohpresse ist der Motor in einem Wagen für sich untergebracht, und die Riemenübertragungen sind so zugedeckt, dass kein Ärmel und kein wehender Rock sich darin verfangen kann. Bei Futterschneidmaschinen sind die Messer des Schwungrades durch große Metallscheiben so verkleidet, dass eine Berührung nicht möglich ist.

Der Bergbau fordert von allen Berufen am meisten Unfallopfer, deshalb sind Abwehrmaßnahmen besonders dringlich. Sehr häufig treten Explosionen von Grubengasen dadurch ein, dass der Bergmann trotz strengen Verbotes die Lampe öffnet. Diese Fahrlässigkeit wird bei der neusten Sicherheitslampe dadurch unmöglich gemacht, dass die Öffnung mit der Hand nicht gelingt, dass nur mittels eines starken Magnets die Lampe aufgemacht werden kann.

Aber auch die Apparate zur ersten Hilfe bei Unglücksfällen, die Einrichtungen zur Lüftung und Entfernung von giftigen Gasen und Staub, Wasch- und Badeeinrichtungen, Wohnungsfürsorge und sonstige Wohlfahrtseinrichtungen mannigfachster Art sind in der Ausstellung, sei es im Original, sei es als Modell, zu besichtigen. Es ist also die Möglichkeit geboten, für Fachleute wie für interessierte Laien einen genauen Einblick in die bisher erfundenen Schuhvorkehrungen der verschiedenen Industrien und Gewerbe zu gewinnen.

Vorträge, Führungen, eine reichhaltige Bibliothek und fachmännische Auskünfte kommen dem Verständnis zu Hilfe. Der Besuch der Ausstellung, zum Teil gruppenweise von Genossenschaften, Vereinen, Studienkommissionen, technischen Aufsichtsbeamten wie Arbeitern hatte in den Jahren vor dem Krieg so zugenommen, dass 1913 die Zahl der Besucher sich auf mehr als 35.000 belief. Nun ist zu hoffen, dass sie bald wieder die gleiche Beachtung findet, damit sie ihre gemeinnützige Aufgabe, zu helfen und die Arbeitskraft zu schützen, zum Besten aller, zum Besten der Arbeiter- und Volkswohlfahrt immer segensreicher erfüllen kann.

Sicherheitsvorrichtung an einer Holzfräsmaschine.
Futterschneidemaschine mit Messerschutz.
Pendelkreissäge mit Schutzvorrichtung.
Eine Grubenlampe mit Magnetverschluss.