Wie das munizipale Leben in den Wendischen Städten geartet war

Wie das munizipale Leben in den Wendischen Städten geartet war, darüber finden wir in den Urkunden keine Andeutung. Nach den Biographen des Bischofs Otto aber wurden die öffentlichen Angelegenheiten der Stadt und Provinz durch einen Rat der Adeligen (majores, primores, primates) geleitet, dessen Vorschläge die Versammlung der gesamten Bürgerschaft genehmigte oder verwarf. Der Rat verhandelte im geschlossenen Raum (in conclavi) ohne Zulassung eines Fremden*), die Bürgerschaft tagte im Freien**). In Stettin erhob sich auf dem Marktplatze eine Tribüne, von der die Herolde und der Rat (magistratus) zum Volke zu sprechen pflegten. Zu den Ratsversammlungen dienten die Tempelstätten (contina), deren es in Stettin vier gab. Eine derselben war der schön geschmückte Haupttempel des Triglaw, wo man alle Kriegsbeute, Kostbarkeiten und Trophäen aufbewahrte, sowie auch neben dem prächtigsten Tempelgeräte goldene und silberne Mischgefäße und Trinkbecher, deren sich die Edlen bei ihren festlichen Gelagen zu bedienen pflegten. Die drei andern Continen, weniger geschmückt und minder heilig gehalten, waren nur mit Sitzen und Tischen versehen, an denen zu bestimmten Tagen und Stunden entweder die Ratsversammlung tagte, oder der gesamte Adel an religiösen Festen zum Schmause und Spiel sich vereinigte. Der Rat wurde aus dem Adel bestellt, wahrscheinlich auch bloß durch die Wahl des Adels allein, indem man die älteren und durch Erfahrung hervorragenden Männer dazu erkor***).

*) Das opidum Warpis, welches bei der Landesteilung von 1295 erscheint, kann nur Neuwarp sein, da Altwarp überall bloß als villa vorkommt. Opidum und villa waren Unterscheidungszeichen genug, als dass deshalb immer novum und autiquum hinzugefügt zu werden brauchte. — **) Zu Nörenberg gibt derVerfasser p. 279 das Jahr 1300 an, nach einer bei Riedel gedruckten Urkunde. Diese Urkunde hat aber einen Datierungsfehler und kann nicht vom Jahr 1300 sein, da der darin genannte Bischof von Cammin, Heinrich Wacholtz, 1300 und auch noch 1301 bloß als Archidiacon von Demmin urkundlich vorkommt, frühestens also erst Ende des Jahres 1301, den Bischofsstuhl bestiegen haben kann. Die Urkunde ist wahrscheinlich von 1312, in welchem Jahre der Markgraf Waidemai auch für Dramburg einen gleichen Nachlass des Bischofspfennigs vom Bischof Heinrich von Cammin erwirkte.


***) Als Bischof Otto 1124 bei Pyritz erschien, sandte er seinen Polnischen Geleitsmann, den Grafen Paulus oder Paulitius von Zantoch und die ihm vom Herzog Wortislaw beigegebenen Führer (nnntii, legati) an den Rat (majores) von Pyritz, um die Erlaubnis zur Predigt zu erwirken. Nach längeren Unterhandlungen beriet der Rat zuerst unter sich im Ratszimmer, dann noch einmal mit den Abgesandten des Bischofs, und begab sich darauf in die Volksversammlung, um seinen Vorschlag zu machen. Das Volk stimmte zu und Abgesandte des Rats luden den Bischof im Namen des Adels und des Volkes ein, zu kommen und zu Predigen. Eine 1127 in Stettin tagende Ratsversammlung wird folgendermaßen beschrieben: ... Herbord, III c. 20. Pertz Mon. XIV. p. 813.


Obwohl diese Einrichtung dem, in den späteren deutschen Städten hervortretenden Ratskollegium ähnlich zu sein scheint, so ist doch der Umstand dabei nicht zu übersehen, dass jener Wendische Rat nicht bloß die Stadt, sondern die ganze Provinz oder Kastellanei vertrat, dass überhaupt die Stadt rechtlich gar kein für sich abgeschlossenes Dasein hatte. Nach der Kastellaneiverfassung waren Burg und Burgflecken so innig mit dem ganzen Burgward verwachsen, dass ihre Interessen nach keiner Seite hin getrennt werden konnten. Zur Unterhaltung und Verteidigung der Burg und des Burgfleckens waren alle Kastellaneisassen gleichmäßig verpflichtet, wie sie wiederum in Kriegszeiten für ihr Habe und Gut und ihre Angehörigen dort Zuflucht suchen durften. Es gab also damals keinen rechtlichen Unterschied zwischen Stadt und Land, sondern nur einen Unterschied in den Rechten der Personen. Dem landgesessenen Adel war ebensowenig der Zutritt zu den städtischen Convivien und Beratungen, wie den Bauern die Teilnahme an der Volksversammlung verschlossen, und umgekehrt war weder der städtische Adel von dem Rossdienste, noch das niedere Volk der Stadt von den zahlreichen Steuern und Lasten befreit, welche die Landbewohner je nach der Stufe ihrer persönlichen Freiheit bedrückte, oder von der gleichen Verpflichtung zum Heerbanne unter der Führung des Heergrafen oder Tribuns, oder von der Gerichtsgewalt des Kastellans. Erst als die Stadt (vious) Treptow a. R. 1242 an das Kloster Belbuk verkauft wurde, befreite Herzog Wartislaw III., wie das bei geistlichen Gütern immer geschah, ihre Bürger ebenfalls von allen weltlichen Lasten, die sie bisher dem Landesherrn zu leisten hatten, und behielt sich nur das Recht vor, sie bei der Landesverteidigung zum Heerbann aufbieten zu dürfen; auch sollten sie noch zum Burgdienst verpflichtet bleiben, jedoch stand es hinfort dem Abt von Belbuk allein zu, sowohl zum Heerbann, wie zum Burgdienst die Höhe der zu stellenden Mannschaft nach seinem Gutdünken festzusetzen.

Man kann daher wohl mit Grund sagen, dass nicht bloß der überwiegenden Zahl nach, sondern auch in Rücksicht auf das eigentliche Wesen eines städtischen Gemeindelebens erst die deutsche Zeit Pommerns die Städte gründende war.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Städte der Provinz Pommern