Wichtigstes Moment bei der Städtegründung: die Wahl des Stadtrechtes

Das wichtigste Moment bei der Städtegründung war die Wahl des Stadtrechtes, das der neuen Stadt verliehen wurde, und nicht bloß Bestimmungen zivilrechtlicher Natur, sondern auch die Grundlage der politischen Verfassung in sich schloss. Anscheinend stand diese Wahl ganz in der Hand des Fürsten, allein naturgemäß stellte sich die Sache doch ganz anders. Wie gering auch die Anfänge der ersten Ansiedelung sein mochten, die Einwanderer brachten schon bestimmte Gewohnheiten und Rechtsnormen aus ihrer Heimat mit sich, nach denen sie ihren Verkehr unter einander regelten, bevor noch die staatliche Anerkennung hinzugetreten war. Tatsächlich wurde also bei der Verleihung des Stadtrechtes nur ein bereits bestehendes Gewohnheitsrecht zum Statut erhoben. Dasselbe kam auch bei der Begründung ganz neuer Städte, deren Anlage einem Unternehmer oder Possessor überlassen wurde, zur Anwendung, da dem Unternehmer und den von ihm schon zur Stelle geschafften oder dafür in Aussicht genommenen Bürgern seines eigenen Heimatlandes die Entscheidung dieser Frage zufallen musste. Das gewählte Stadtrecht konnte also nur das aus der Mutterstadt mitgebrachte Gewohnheitsrecht der neuen Bürger oder doch ihrer Mehrzahl sein.

In dieser Hinsicht gewährt uns die Wahl des Stadtrechtes die interessantesten Aufschlüsse über die Heimat der ersten deutschen Bürger einer Stadt. Wenn Stralsund und Tribsees Lübisches Recht erhielten, und zwar in der Form, wie es Rostock besaß, so dürfen wir schließen, dass Stralsund von Rostock aus gegründet worden ist, ebenmäßig Tribsees, das jedenfalls nicht lange nach Stralsund, vielleicht sogar schon früher in die Reihe der deutschen Städte eintrat. Solange die Kolonie noch nicht zur selbstständigen Stadt erhoben war, musste man naturgemäß in streitigen Fällen an die Entscheidung der Mutterstadt rekurrieren. Dies Verhältnis dauerte auch nachher ungetrübt fort, indem man teils bloße Rechtsbelehrungen daher einzog, teils an das Gericht der Mutterstadt in förmlicher zweiter Instanz appellierte. In manchen Gründungsstatuten, wie z. B. der Städte Bublitz, Kolberg und Golnow, wurde eine solche Appellationsinstanz ausdrücklich festgesetzt, während sie sich in andern unter dem Ausdruck: Recht und Gericht seien nach dem Muster der und der Stadt verliehen, verbirgt. In Stralsund galt noch im ganzen XIII. Jahrhundert die Appellation nach Rostock. Als 1295 der Hansebund festsetzte, es solle fortan die Appellation von dem erstinstanzlichen Urteil des deutschen Hofes in Nowgorod nur nach Lübeck stattfinden, stimmte Stralsund nur unter dem Vorbehalte bei, dass dadurch nichts an ihrem alten Stadtrechte geändert werde, wonach die Appellation von dem Urteil des Stralsunder Gerichts zunächst nach Rostock, und von da erst nach Lübeck gehe.


Auf dem Boden Pommerns haben sich nun fünf Stadtrechte den Rang streitig gemacht, welche uns zugleich die Gegend Deutschlands bezeichnen, von wo die Einwanderung in die einzelnen Städte Pommerns stattfand, nämlich das Lübische Recht und die Modifikation desselben, die sich in Mecklenburg ausbildete und das Schwerinsche Recht hieß, das Magdeburger Recht und seine beiden Nebenformen, welche in der Mark unter dem Namen des Brandenburgischen, und in dem deutschen Ordenslande Preußen als Culmisches Recht entstanden.

Das Brandenburgische Recht war nicht bloß Stadt-, sondern auch Landrecht. Es wurde zunächst durch die Tempelherren in das Land Bahn verpflanzt, welches jener Orden 1234 vom Herzoge Barnim in der Absicht erwarb, es von seinen Ordenshäusern in der Mark aus zu besiedeln. Zu dem Zwecke erwirkte er sich zugleich die Berechtigung, Deutsche nach Brandenburgischem Rechte darin anzusetzen. Die Ausfertigung dieser Urkunde geschah in der Mark selbst, zu Spandau, wo sich der Pommersche Herzog damals am Hofe der Markgrafen aufhielt. Da in dieser Urkunde der Flecken Bahn einen Markt erhielt, so darf man wohl voraussetzen, dass die Templer nicht lange gesäumt haben werden, ihn unter Brandenburgischem Recht zur Stadt zu konstituieren. Der nach Bahn gelenkte Zug der Brandenburgischen Einwanderung drang bald auch nach Pyritz vor, und veranlasste, dass hier schon vor 1250*) die Stadt und ein Schöppenstuhl mit Brandenburgischem Recht besetzt wurde. Der Schöppenstuhl für Brandenburger Recht verblieb in Pyritz, auch nachdem die Stadt selbst 1263 Magdeburger Recht erhalten hatte, und wurde noch 1346 ausdrücklich bestätigt. Die Stadt Bahn verließ später ebenfalls das Brandenburgische Recht und nahm Magdeburger Recht an, so dass in dem bis 1816 bestehenden Umfange von Pommern keine Stadt mehr Brandenburger Recht genoss. Dagegen wurden in denjenigen Gebietsteilen der jetzigen Provinz, welche in den letzten beiden Jahrzehnten des XIII. Jahrhunderts an Brandenburg kamen, und bis 1816 zur Neumark gehörten, die in rascher Folge dort entstehenden deutschen Städte, von denen Schievelbein jedenfalls die älteste ist, dann Dramburg 1297, Callies 1303, Falkenburg und Nörenberg vor 1312 gegründet sind, mit Brandenburgischem Rechte bewidmet, das ihre ersten deutschen Besetzer aus den Städten im Barnim mit sich brachten. Denn wie die übrigen Städte der Neumark von Strausberg aus, die als vornehmste Mutterstadt in der ersten Zeit die Appellationsinstanz für die Neumark bildete, bis 1281 und 1317 Soldin dazu erhoben wurde**), und von den Bürgern der andern Städte im Barnim besiedelt wurden, deren Name zum Teil auf ihre Kolonien Berlinchen (nova Berlin), Berneuchen (nova Bernow), Neu-Landsberg überging, so hat auch die erste deutsche Einwohnerschaft jener Pommerschen Städte einen gleichen Ursprung zu beanspruchen. So stammten die Erbauer Dramburgs, Arnold von der Goltz, und seine Brüder Conrad und Johann, welche zugleich mit dem erblichen Schulzenamte daselbst belehnt wurden, aus dem Dorfe Goltz (Goltiz, Goltz, Goltzow) beim Kloster Chorin, wo die Familie seit alter Zeit den Schulzenhof mit 4 Hufen und ein ritterliches Lehn von 12 Hufen besaß, und von wo andere Glieder dieser Familie in den Rath von Berlin, Bernau und Neustadt-Eberswald Eingang fanden.

*) Ich bin nicht der Meinung des Verfassers, dass Pyritz überhaupt erst 1263 Stadtrechte erhielt. Damals bekam es bloß das Magdeburger Recht, vorher muss es aber schon das Brandenburger Recht besessen haben, wie der Schöppenstuhl dieses Rechts in Pyritz beweist, der in ganz Pommern als Appellationsinstanz für die nach diesem Rechte geführten Prozesse diente. — **) G. W. von Raumer, Die Neumark Brandenburg, p. 57. — Riedel, Cod. dipl. Brand. I, 18, p. 440 und 444.

Aus der Altmark und den südwärts angrenzenden Gebieten Deutschlands, aus dem Halberstädtischen und aus Thüringen, für deren städtische Einrichtungen Magdeburg als Richtschnur diente, drangen vorzugsweise die deutschen Einwanderer nach der Ukermark und in die Gegend von Stettin vor. Wir erkennen dies nicht bloß aus den Namen der ersten ritterschaftlichen Geschlechter, die hier auftauchen, wie der von Blankenburg aus Thüringen, von Schöning aus dem Halberstädtischen, von Eickstedt aus der Altmark, sondern auch aus den Namen der ersten bürgerlichen Familien: von Magdeburg, von Halberstadt, von Salzwedel, von Sanne, von Brakel u. s. w. Diese brachten die Rechtsgewohnheiten der Stadt Magdeburg mit, und veranlassten, dass die von ihnen besetzten Städte Pommerns sämtlich dasselbe Stadtrecht erlangten. Nachdem Prenzlau 1235 von Stendal aus besetzt und mit Magdeburger Recht bewidmet war, wird wahrscheinlich Pasewalk nicht lange darauf gefolgt sein. Stettin wurde 1243 damit beliehen und zugleich zum Schöppenstuhl für alle Städte Magdeburgischen Rechts in Pommern erhoben. 1249 erhielten Garz a. O. und Damm, 1253 Stargard, 1254 Greifenhagen, 1260 Pölitz, 1263 Pyritz statt des bisher gebrauchten Brandenburgischen Rechts, 1268 Golnow, 1278 Massow. vor 1284 Penkun, und vor 1295 Neuwarp das Magdeburger Stadtrecht. Unbekannt bleibt, wann Bahn dasselbe annahm, doch muss es wohl erst nach 1296 geschehen sein, da Bahn in diesem Jahr den Bürgern von Schönfließ die Mitbenutzung ihres Kaufhauses einräumte, und dies noch gleiche Rechtsverhältnisse in beiden Städten voraussetzen lässt. Das Magdeburger Recht konnte indes sein in Pommern gewonnenes Gebiet ebensowenig wie das Brandenburgische Recht behaupten, und wich allmählich aus mehreren Städten vor dem Lübischen Recht zurück.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Städte der Provinz Pommern