Polenherzog Boleslaws Feldzug zum Ukerlande

Nach der Einnahme Stettins hielt der Polenherzog Boleslaw seine Aufgabe keineswegs schon für beendet. Die Eroberung einer einzelnen Feste, die er doch wieder aufgeben musste, tat es allein nicht, sobald er nicht auch das Hinterland traf, von wo sie ihre Stärke bezog, und wo die Landgüter ihrer Edlen lagen. Erst wenn er sie hier in ihren letzten Schlupfwinkeln aufgesucht, mochte er darauf rechnen können, sie dauernd seiner Herrschaft und seinem Willen zu beugen. Von jeher aber haben die Edlen Stettins in dem gesegneten Lande, das sich zum Ukerlande erstreckt, und in seinen überwiegend wendischen Ortsnamen eine uralte Kultur bekundet, ihren Grundbesitz gehabt*). Ein reger Verkehr verband dabei Stettin wahrscheinlich schon seit der grauesten Vorzeit mit dem Ukerlande, einer Handelsstraße folgend, die von Stettin durch die Ukermark nach Magdeburg ging. Ein Jahrhundert später sehen wir auf demselben Wege aus der Umgegend von Magdeburg und aus der Altmark das deutsche Element mit seinen Rechtsverhältnissen in die Ukermark und in die Stadt und das Land Stettin eindringen, während die mehr niederdeutsche Bildung Westfalens, Braunschweigs, Holsteins mit ihren in Lübeck ausgebildeten Rechtsnormen über Demmin und Anklam in die Küstenstriche Pommerns einzog.

*) Von dem Edlen Domizlaw in Stettin wird 1124 berichtet, dass seine zahlreichen Verwandten im ganzen Lande Stettin zerstreut wohnten ...


Um also den Trotz der Oder-Wenden für immer zu brechen, machte sich Boleslaw mit seiner Polnischen Streitmacht von Stettin auf, verfolgte die Flüchtigen bis zur Ukermark, damals jedenfalls schon eine Pertinenz des Herzogs Wartislaw von Pommern, drang in die Ukermark selber vor, und unterwarf sich das ganze Land bis zum Müritzsee in Mecklenburg-Strelitz, überall seinen Weg durch Brand und Zerstörung bezeichnend. Als Bischof Otto 1127*) auf seiner zweiten Bekehrungsreise von Magdeburg über Havelberg an den Müritzsee kam, fand er dort einen Fischer, der sich bei der Einnahme des Landes der Morizzaner durch Boleslaw mit seinen Angehörigen auf eine kleine Insel des Sees gerettet hatte und hier seitdem schon im siebenten Jahr (septennio) in sicherer Verborgenheit lebte. Auf diesem Zuge von Stettin nach dem Müritzsee traf Boleslaw auf eine starke Feste Nadam**), eroberte und zerstörte sie, und verwüstete die ganze Umgegend. Über die Lage der Feste Nadam, die man nach schlechten Ausgaben der Biographen des Bischofs Otto nur unter dem Namen Vadam kannte, ist viel gestritten. Wenn wir aber die oben geschilderte, sich aus der Natur der Verhältnisse von selbst ergebende Richtung des Siegeszuges Boleslaws von Stettin bis an den Müritzsee festhalten, so kann sie gar nicht zweifelhaft sein. Sie liegt in der Ukermark an der Uecker zwischen Pasewalk und Prenzlau, hieß 1320 noch Nedam*), im Landbuche Karls IV. von 1375 Nydam, und heißt heute Nieden. Offenbar bildete jene Feste Nadam die alte Burg des Ukerlandes, an deren Stelle nach ihrer Zerstörung Prenzlau und Pasewalk emporkamen. Ganz scheint sie indes nicht verschwunden, und noch immer der Sitz des Hauptkastellans der Ukermark (provincia Ucra) geblieben zu sein, unter dem die Szupane oder Unterkastellane in den Unterbezirken Prenzlau und Pasewalk fungierten. Mehrere Male kommt am Ende des XII. Jahrhunderts (1182—1189) der Kastellan Stephan des Ukerlandes als Urkundenzeuge vor. Da nun aber neben ihm 1187**) Zulislaw und Pribislaw als oberste Burgbeamte von Prenzlau und Pasewalk genannt werden, so muss seine Residenz doch wohl von der ihrigen verschieden gewesen sein. Noch 1320 bestand eine fürstliche Burg zu Nieden, wurde aber von den Pommerschen Herzogen Otto I. und Wartislaw IV. in Vertretung des Brandenburgischen Erben an die Städte Prenzlau und Pasewalk übergeben***).

**) Die zweite Bekehrungsreise des Bischofs Otto fällt nicht, wie früher angenommen wurde, 1128, sondern 1127. ... Der Verfasser, welcher diese Stelle, ebenfalls zitiert, hat das Nadam ... des Herausgebers, einer Hypothese zu Liebe, in Naclam verkehrt. Die Eroberung Nadams wird von Herbord mit Stettin in enge Verbindung gesetzt. Hier wurden die Stettiner selber besiegt. Denn als bei der anfänglichen Zögerung Stettins 1124, das Christentum anzunehmen, ihre Gesandten vom Herzog Boleslaw den Bescheid zurückbrachten, er werde, sobald sie sich zum christlichen Glauben bekehrten, ihren Tribut ermäßigen, wurden sie mehr erfreut als damals, als man ihnen, nachdem sie bei Nadam mit Gewalt der Waffen unterworfen, das Leben schenkte. Es ist hiernach deutlich, dass die bei der Einnahme Stettins entwichenen Edlen sich nach Nadam geflüchtet, und dort am Widerstande Teil genommen hatten. Ein zweiter Sammelpunkt der Streitkräfte des Landes Stettin konnte nur Oderaufwärts die Burg Garz oder landeinwärts die Burg des Ukerlandes bilden. Die Gegend von Anklam bleibt außer Frage, da sie durch die weite und öde Ueckermünder Heide von allem Zusammenhange mit dem Lande Stettin ausgeschlossen war. Die Burg Garz war zu klein und unbedeutend. Es blieb also nur die Feste des Ukerlandes als Rückhalt für die Stettiner übrig, und dass hierher Flucht und Verfolgung sich wendete, beweist die Richtung des Zuges Boleslaws an den Mürizsee.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Städte der Provinz Pommern