Das unbebaute Gebiet innerhalb der aurelianischen Mauern. Der dort herrschende Mangel an Trinkwasser. Die antiken Bauten und ihre allmähliche Zerstörung. Das Forum und der Palatin. Die Kaiserfora. Das Haus Michelangelos

Das unbewohnte Gebiet, das zwei Drittel des von den Aurelianischen Mauern umschlossenen Raumes einnahm, war erfüllt vom Zauber der Erinnerungen. In großartiger Einsamkeit und malerischer Zerstreuung lagen dort die gewaltigen Reste des Altertums sowie die ehrwürdigen Basiliken und Klöster aus der Frühzeit des Christentums und aus dem Mittelalter. Sie bildeten das Hauptziel der Pilger, die auch zur Zeit der Glaubensspaltung noch immer zahlreich nach dem Mittelpunkte der kirchlichen Einheit wallfahrteten. Auch den Gelehrten entgingen die Merkwürdigkeiten der alten Kirchen nicht, sie wurden aber wie die Gebildeten überhaupt doch weit mehr angezogen durch die antiken Ruinen und Bauten, für deren Studium die topographischen Werke Bartolomeo Marlianis von 1544 und Lucio Faunos von 1548 eine Menge nützlicher Fingerzeige darboten.

Die Ruinen aus der Römerzeit lagen völlig einsam; denn die Vignen, die sich viele Kardinäle und Adelige in der Hügelgegend angelegt hatten, wiesen meist nur sehr bescheidene Landhäuser auf, welche nur im Herbst bewohnt wurden. Die großen prunkvollen Villenanlagen der späteren Zeit fohlten fast noch sämtlich. Die Gegenden, welche in der republikanischen und kaiserlichen Zeit den Mittelpunkt des Lebens gebildet hatten, waren ein von Weinbergen, Gärten und Ackern erfülltes Gebiet mit durchaus ländlichem Charakter, streckenweis ein ödes Trümmerfeld, von dessen gänzlicher Verlassenheit und feierlicher Stille man sich heute kaum mehr eine Vorstellung machen kann.


Vielfach umgeben von alten Platanen, dunklen Zypressen, hohen Pinien und dichten Lorbeerbäumen, waren die antiken Ruinen das Entzücken der Maler. Die Skizzen Meemskercks (Bild 86) wie viele der später entstandenen Stiche des Étienne du Pérac (Bild 87) bieten Bilder von unbeschreiblicher Romantik.

An manchen Orten dienten die Ruinen als Magazine oder als Ställe, wie noch heute die Sette Säle. Wunderbar sei es zu sehen, sagt der venetianische Botschafter Mocenigo, wie sich über den antiken Bogen und Bauten Weinberge, Gärten und kleine Wäldchen erhöben.

Die antiken Bauten traten dem Beschauer noch in ihrer ganzen Großartigkeit entgegen. Sie waren ungleich besser erhalten als heute, denn trotz aller Verwüstungen der vorangegangenen Jahrhunderte besaßen nicht wenige dieser Monumente noch ihre alte Marmorbekleidung, ihre Säulen und andern Schmuck. Die Schlingpflanzen und das Buschwerk, die sich überall, wo die Fugen der Ziegel bloßgelegt waren, eingenistet hatten, vollführten allerdings ihr langsames, aber sicher fortschreitendes Werk der Zerstörung (Bild 87 und 89).

Große Ruinen wirken stets erhaben, weniger durch ihre Steinmassen als durch die Anregung der Phantasie, der sie einstige Größe verkünden. Nirgendwo trat dem Wanderer ein so ergreifendes Bild der Vergänglichkeit entgegen wie zu Rom im Angesichte der zusammengebrochenen Götter- und Menschenwelt. Die Melancholie, die bei einem solchen Anblick die Sterblichen ergreift, kommt wirksam zum Ausdruck in den Versen, mit denen Joachim du Bellay im ersten Buche seiner Antiquités de Rome (1558) die von ihm durchwanderten Ruinen besang.

In seltsamem Gegensatz zu dem archäologischen Kult, den man dem Altertum widmete, wurden die antiken Bauwerke während der ganzen Renaissancezeit in der rücksichtslosesten Weise ihres Marmors und ihrer Säulen beraubt und als bequeme Steinbrüche für die Neubauten benutzt. Ebenso rücksichtslos ging man beim Suchen nach Altertümern vor; vielfach zerstörte man mehr, als man wusste und beabsichtigte. So waren, nach Ausweis der Zeichnungen Heemskercks und seiner Zeitgenossen, die mächtigen Pfeiler und Wölbungen des Caldariums der Diokletiansthermen auf der jetzigen Piazza delle Terme vor dem heutigen Eingang der Kirche S. Maria degli Angeli um 1535, ja noch um 1550 wohl erhalten (vgl. Bild 88) — zwei Jahrzehnte darauf sind Mauern und Gewölbe spurlos verschwunden. In den Diokletiansthermen, dieser größten Bäderanlage der antiken Stadt, hatte zu Beginn der Regierung Julius' III. ein sizilianischer Geistlicher eine kleine Kapelle eingerichtet; das Gesindel, welches die Ruinen als bequemen Zufluchtsort benutzte, vertrieb ihn indessen bald daraus. Die Diokletiansthermen machten mit ihren gewaltigen Hallen auf Fichard den Eindruck einer Reihe von Kirchen. Als Bauwerk, meint er, seien sie bewunderungswürdig, aber nach ihrer Bestimmung nur mehr schwer erkenntlich. Große Veränderungen in der dortigen Gegend begannen mit der Anlage der Villa, den berühmten Horti Bellajani, welche dem pracht- und kunstliebenden Kardinal du Bellay ihren Ursprung verdankten.

Von den Titusthermen und dem Amphitheatrum Castrense, welches den Mönchen von S. Croce in Gerusalemme als Garten diente, war, wie die Stiche zeigen, weit mehr erhalten als gegenwärtig. Einen überwältigenden Eindruck machte auf alle Besucher Roms das Kolosseum, obgleich dessen Erdgeschoß teilweise noch bis fast an die Kapitale der Bogen verschüttet war (Bild 89). Das größte und herrlichste aller antiken Monumente nennt es Fichard; nirgendwo sei die Majestät des römischen Volkes so zu erkennen wie bei diesem Wunderwerke, an dessen Anblick man sich nicht satt sehen könne. Was muss es, fügt er bei, erst gewesen sein, als es noch mit Statuen geschmückt und unversehrt war!

Über den Zustand des Forums, dessen Ruinen und Säulen halb durch Schutt und Erde vergraben waren, geben die Zeichnungen Heemskercks eine lebendige Vorstellung. Eines dieser Blätter, das vom Jahre 1535 datiert ist (Bild 90), zeigt den Blick vom Kapitol aus. Man sieht von links nach rechts die Kolossalstatue des Marforio noch an ihrem Platze, zwei niedrige Privathäuser, hinter diesen in der Ferne den Campanile von SS. Quirico e Giuletta und die Ruinen des Minervatempels auf dem Nervaforum; dann von Privathäusern durch eine Rampentreppe geschieden die Westseite der Kirche S. Martina, hinter welcher in der Ferne der Torre dei Conti emporsteigt. Im Vordergrund folgt der Triumphbogen des Septimius Severus mit aufgesetztem mittelalterlichen Festungsturm; neben diesem schauen über der Attika des Bogens Giebel und Campanile von S. Adriano hervor. Über der rechten Ecke der Attika im Hintergrund die Konstantinsbasilika. Den Mittelpunkt der Zeichnung bilden die prächtigen drei korinthischen Säulen des Vespasianstempels, von dem Gebälk gekrönt, das mit seinem reichen Ornament so lange als eines der schönsten Vorbilder galt. Hinter diesen Säulen erhebt sich die Basilika SS. Sergioe Bacco, welche später der Zerstörung anheimfiel. Zwischen der Attika des Severusbogens und dem Campanile von S. Martina wird eine Säule des Tempels der Faustina und des Antoninus sichtbar, in dessen Cella-Resten im 17. Jahrhundert die von der Gilde der Apotheker gestiftete Kirche S. Lorenzo in Miranda hineingebaut wurde. Zwischen den Säulen des Vespasianstempels erblickt man in der Ferne die gewaltige Masse des Kolosseums, davor eine niedrige Säulenhalle mit Pultdach, eine etwas ungenaue Andeutung der Vorhalle von SS. Cosma e Damiano, endlich noch näher auf dem Campo Vaccino einen viereckigen Festungsturm. Rechts vom Vespasianstempel erscheint die Phokas-Säule, dahinter der Campanile der Kirche S. Maria Nuova, welche damals noch die Fassade Honorius' III. hatte. Das Gebäude neben der Kirche war mit dem Palatin durch die mittelalterliche Festung der P>angipani verbunden, wobei der Titusbogen benutzt wurde. Im Durchblick durch diesen Triumphbogen lässt die Zeichnung Heemskercks den Konstantinsbogen erscheinen, daneben die Torre Cartularia und mehr im Vordergrunde die drei Säulen des Castortempels, sowie mittelalterliche Privatgebäude. Einen wirkungsvollen Abschluß der Zeichnung nach rechts bilden ganz im Vordergrunde die acht großen Säulen des Saturntempels. Hinter diesen erscheinen am Bildrande in der Ferne die großen Ziegelmauern des Templum Divi Augusti.

Eine andere, überaus eindrucksvolle Zeichnung Heemskercks zeigt den entzückenden Blick, der sich durch den Titusbogen auf die Monumente des Forums und das im Hintergrund emporsteigende, zu einer Festung umgestaltete, turmbewehrte Kapitol darbot (Bild 91).

An der Basilika des Maxentius, die damals Templum pacis hieß, bewunderte Fichard noch eine jener acht riesigen weißen Marmorsäulen korinthischer Ordnung, die einst an den Mittelpfeilern standen. Er erklärt diese später vor S. Maria Maggiore aufgestellte Säule als die schönste in Rom. Im Circus Maximus, der als Gemüsegarten diente, waren nur noch die Unterwölbungen für die Sitzreihen gut erhalten; die damaligen Römer hatten dort Magazine und Schenken angelegt, in denen sie sich während der heißen Sommermonate an kühlem Wein erquickten.

Hinsichtlich der Kaiserpaläste auf dem Palatin, damals Palazzo Maggiore genannt, gesteht Fichard, dass er sich kein rechtes Bild der Anlage habe machen können. Der noch mit gewaltigen Ruinen bedeckte Hügel befand sich teils im Besitz von Klöstern und Privaten, teils war er völlig herrenlos. Alles war dort dicht mit Sträuchern und Bäumen bewachsen, zwischen denen man an günstigen Stellen Weinberge angelegt hatte. An einigen umfriedeten Plätzen hielt man Rinder- und Schafherden (vgl. Bild 87 S. 104). Ein köstliches Blatt Heemskercks gibt eine wertvolle Gesamtansicht der südwestlichen Abhänge des Palatins und der Fläche des Circus Maximus. Heeniskerck hat auch das entzückende Panorama, das sich dem Besucher des Palatins von der Plattform des Belvedere gegen das Kolosseum hin eröffnet, sowie die malerischen Ruinen des Velabrums gezeichnet.

Bereits unter Leo X. und dann in umfassenderer Weise unter Paul III. hatte man auf dem Palatin Ausgrabungen unternommen, die unter Julius III. fortgesetzt wurden. Pirro Ligorio beschrieb sie als Augenzeuge. Mit dem Namen des Nepoten des Parnesepapstes ist die Umwandlung verknüpft, die einem großen Teil des Palatins ein neues Aussehen gab, indem Alessandro Farnese seine dort liegende Vigna zu einer großartigen Villa umschuf. Welchen Wert der Kardinal auf diesen Besitz legte, erhellt daraus, dass er in der zu Gunsten des Ottavio Farnese ausgestellten Schenkungsurkunde über seine Vigna beim Palazzo Maggiore vom 17. April 1548 bestimmte, diese solle stets bei der Familie Farnese bleiben.

Von einem Hauptschmuck des Palatins, dem berühmten Septizonium — es war die Prachtfassade eines der Fontana Trevi oder Paola vergleichbaren Wasserwerkes — , konnte man damals noch einen kleinen Rest, die aus drei Stockwerken mit Säulenhallen bestehende Ostecke, bewundern (Bild 92). Heemskerck hat diese Ruine wiederholt gezeichnet und dabei, gewissenhaft wie immer, auch die kleinen Zutaten nicht vergessen, welche die Frangipani im 12. Jahrhundert dem Bauwerke beigefügt hatten.

Die Gegend der Kaiserfora, die unter Pius V. durch Anlage der Via Alessandrina wesentlich verändert wurde, bot bis dahin ein überaus eigentümliches Bild. In wirrem Durcheinander erhoben sich dort über armseligen Häusern und dem im 14. Jahrhundert erbauten festen Sitz der Johanniter die Türme der Conti, Colonna und Caetani. Von dem Forum Nervas war bedeutend mehr erhalten als jetzt (Bild 93 — 94); von dem Trajans, das alle andern an Pracht und Ausdehnung übertraf, waren noch die Ruinen der am südlichen Abhang des Quirinals befindlichen großen Exedra völlig sichtbar. Das Postament der Triumphsäule des Kaisers hatte Paul III. freigelegt, wobei das dort im 12. Jahrhundert errichtete Kirchlein S. Nicolai ad Columnam abgerissen wurde. Eine Reihe von Häusern, deren Niederlegung erst 1812 erfolgte, umstanden den Platz. Die von der Bäckerzunft errichtete Kirche S. Maria di Loreto war noch nicht vollendet. In der Nähe am Macel de' Corvi befand sich die einfache Wohnung und Werkstatt Michelangelos; später wurde der Bau modernisiert, aber erst im Jahre 1902 ist der letzte Rest des Hauses verschwunden, welches der Meister dreißig Jahre lang bewohnte.

Der Wanderer, der auf einsamen Wegen zwischen friedlichen Vignen die Reste des antiken Rom besuchte, wurde durch uralte Klöster und Kirchen (Bild 95) auf Schritt und Tritt an die Macht erinnert, welche das Heidentum überwunden hatte. Das Buch der Weltgeschichte lag hier gleichsam aufgeschlagen: eine ergreifende Predigt irdischer Vergänglichkeit und göttlichen Waltens, die um so eindringlicher wirkte, je mehr diese Region in tiefem Schweigen hingebreitet lag, welches nur mittags und abends durch den Ton der Aveglocken unterbrochen wurde. Der überwältigende Eindruck wurde noch verstärkt, wenn der Pilger die ehrwürdigen, sämtlich durch wirkungsvolle Eigenart ausgezeichneten Heiligtümer betrat, in denen die Märtyrer und Heiligen der Urzeit des Christentums ruhten. Alle diese waren von den späteren, oft so gewaltsamen Umänderungen und Restaurationen noch unberührt; mit ihren meist antiken Bauten entnommenen Säulen, glänzenden Marmorfußböden und ernsten Mosaikbildern durften sie als beredte Apologeten für die eine, unwandelbare Kirche gelten, die hier seit mehr als tausend Jahren unbekümmert um alle äußeren Wechselfälle betete und opferte wie zur Zeit der Apostel.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Stadt Rom zu Ende der Renaissance
103 o Bild 86 Tarpejischer Felsen. Skizzenbuch des M. van Heemskerck, nicht eigenhändig

103 o Bild 86 Tarpejischer Felsen. Skizzenbuch des M. van Heemskerck, nicht eigenhändig

104 o Bild 87 Die Ruinen des Dioskurentempels auf dem Forum und der Palatin. Stich des Etienne du Perac

104 o Bild 87 Die Ruinen des Dioskurentempels auf dem Forum und der Palatin. Stich des Etienne du Perac

106 o Bild 88 Die Thermen des Diokletian. Stich des Giambattista Cavalieri nach Zeichnung des Giovan Antonio Dosio

106 o Bild 88 Die Thermen des Diokletian. Stich des Giambattista Cavalieri nach Zeichnung des Giovan Antonio Dosio

107 Bild 89 Das Kolosseum um die Mitte des 16. Jahrhunderts. Stich des H. Cock Direkte Wiedergabe des Originals in der Kgl. Graphischen Sammlung zu München.

107 Bild 89 Das Kolosseum um die Mitte des 16. Jahrhunderts. Stich des H. Cock Direkte Wiedergabe des Originals in der Kgl. Graphischen Sammlung zu München.

109 o Bild 90 Ansicht des Forums. Zeichnung des M. van Heemskerck. Vgl. Hülsen in den Amtlichen Berichten der preußischen Kunstsammlungen 1914.

109 o Bild 90 Ansicht des Forums. Zeichnung des M. van Heemskerck. Vgl. Hülsen in den Amtlichen Berichten der preußischen Kunstsammlungen 1914.

111 o Bild 91 Blick durch den Titusbogen auf das Forum. Skizzenbuch des M. van Heemskerck

111 o Bild 91 Blick durch den Titusbogen auf das Forum. Skizzenbuch des M. van Heemskerck

113 Bild 92 Das Septizonium. Zeichnung des M. van Heemskerck. Königliches Kupferstichkabinett zu Rom. Hermanin, Die Stadt Rom im 15. und 16. Jahrhundert XXIX, Leipzig 1911, E. A. Seemann.

113 Bild 92 Das Septizonium. Zeichnung des M. van Heemskerck. Königliches Kupferstichkabinett zu Rom. Hermanin, Die Stadt Rom im 15. und 16. Jahrhundert XXIX, Leipzig 1911, E. A. Seemann.

0115 o Bild 93 — 94 Das Nervaforum mit dem Tor de Conti. Skizzenbuch des M. van Heemskerck (wohl eigenhändig). (Die beiden auseinandergeschnittenen Blätter gehören zusammen)

0115 o Bild 93 — 94 Das Nervaforum mit dem Tor de Conti. Skizzenbuch des M. van Heemskerck (wohl eigenhändig). (Die beiden auseinandergeschnittenen Blätter gehören zusammen)

0116 Bild 95 Die Basilika S. Giovanni e Paolo. Photographie von P. II. Grisar S. J. Vgl. Grisar, Rom beim Ausgang der antiken Welt I 43 und 828.

0116 Bild 95 Die Basilika S. Giovanni e Paolo. Photographie von P. II. Grisar S. J. Vgl. Grisar, Rom beim Ausgang der antiken Welt I 43 und 828.

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