Die umfassendere Bedeutung des liber-Begriffes. — Der Minderfreie.

Der Terminus liber hat noch einen umfassenderen Inhalt als den eben angegebenen. Er umschließt unter Umständen neben dem rechtlich vollkommenen Freien auch die tiefer stehende Schicht der Minderfreien, den Freigelassenen.3)

An einer einzigen Stelle der lex — auch hier handelt es sich wieder um Schutz von Leib und Leben dieser liberi, qui per manum dimissi sunt liberi, quod frilaz vocant 4) — tritt der Minderfreie in augenfälligen Gegensatz zum vollfreien liber. Insofern ihm das auf 40 solidi herabgesetzte Wergeld und ein eigenes Bußenschema für Verstümmelungen seines Körpers zusteht, repräsentiert er einen für sich abgeschlossenen rechtlichen Stand. Das Wergeld ist dem dominus zu entrichten. Dieser führt über ihn eine Vormundschaft.


3) Vgl. Heck, Die Gemeinfreien der karolingischen Volksrechte. 1900. pag. 62.
4) L. Baj. V.

Der Frilaz bildet somit in der Begrenzung der umfangreichen Liberi-Klasse nach unten ein Analogon zu den fünf adeligen genealogiae, die sich, ebenfalls nur hinsichtlich der Bewertung der Persönlichkeit, über die normale Linie der Vollfreiheit emporheben.

Das Wort liber kann demnach einen vierfachen Sinn bergen. Es kann, dies ist jedoch die Ausnahme, nur den Freien in engster Bedeutung, den Vollfreien, bezeichnen wollen, mit Ausschluß des Adels und der Freigelassenen. Beispielsweise ist dies der Fall bei Festsetzung des Vollfreienwergeldes gleich 160 solidi. 1) Unter liber kann ferner die Stufe der Freien im engeren Sinn zu verstehen sein. Liber geht dann auf die durch die genealogiae verstärkte Masse aller volles Recht genießenden Freien. 2) In einer dritten, besonders umfassenden Bedeutung sind unter liberi alle diejenigen Elemente inbegriffen, die Rechtssubjekte, also nicht unfrei sind: Adel, Vollund Minderfreie. Ein viertes Mal ist liber wiederum restriktiv gemeint und bezieht sich einzig und allein auf den minderfreien Frilaz.

Die Ursache dieser vielgestaltigen Biegsamkeit des Liber-Begriffes ist in der Art zu suchen, wie das Volksrecht in seiner letzten Gestalt entstanden ist. Der Vollfreie, noch an der gesetzgeberischen Tätigkeit der tassilonischen Landtage beteiligt, hat das Recht für sich selbst aufgestellt. Das Nebeneinanderleben vollberechtigter Genossen soll durch Bindung der Willkür geordnet werden. Die Strafen werden dem Ereien angedroht, ne praesumptio crescat in plebe. 8) Er selbst ist im Gericht der lebendige Träger des Gewohnheitsrechtes. Dann wird das Gesetz auch schriftlich niedergelegt, aber nicht in der germanischen Muttersprache, sondern im gelehrten Latein der Kirche und Kanzlei. Diesem fehlen die entsprechenden prägnanten Bezeichnungen für die der germanischen Standesgliederung eigenen Schattierungen. So kommen die rechtlichen Klassengegensätze gewöhnlich nur in grober Scheidung zum Ausdruck. Uns ist damit die unfehlbare Bestimmtheit des im Einzelfall durch den liber gegebenen Begriffes innerhalb der lex überhaupt verloren gegangen. Den Zeitgenossen blieb sie durch die tätige Überlieferung der gerichtlichen Praxis von selbst erhalten.

Wir müssen uns daher nach einem Mittel umsehen; das uns das Wesen des lateinischen Terminus jeweils erkennen läßt Ein solches scheint in der Vergleichung der auf die Delikte gelegten Strafarten, sowie in der besonderen Natur der den Gesetzesbestimmungen innewohnenden Tatbestände zu liegen.

1) L. Baj. IV, 28.
2) Vgl. Rudhardt, Älteste Geschichte Bayerns. 1841. pag. 487.
3) L. Baj. I, 9.

Der Satz, in welchem die Tatbestandsmerkmale für ein Vergehen oder einen anderen rechtserheblichen Vorgang aufgestellt werden, wird in der lex gewöhnlich mit den. Worten und der Konstruktion: si quis . . . eingeleitet. Zunächst wird dabei überhaupt keine oder wenigstens scheinbar keine Rücksicht genommen auf den juristischen Rang derjenigen Personen, für welche die Rechtsfolgen des gegebenen Tatbestandes eintreten. Die Definition der rechtlichen Voraussetzungen ist eine Tätigkeit für sich, eine abstrahierende Zusammenfassung der Rechtsbegriffe, ihrer Kennzeichen und ihres Inhalts. Was jedoch die Bezeichnung der verschiedenen Personenkategorien angeht, die durch die gesetzlichen Wirkungen der im Vordersatze statuierten Rechtsmerkmale betroffen werden, so wird hierbei in wechselnder Weise verfahren. Es kann eine Zweiteilung eintreten: Je nach der juristischen Beschaffenheit der delinquierenden Person soll eine differenzierte Form der Strafe in Anwendung kommen. Dabei wird aber immer nur zwischen Freien und Unfreien schlechthin, zwischen liber und servus unterschieden. Z. B. si quis res ecclesiae igne cremaverit . . . : ... si servus est, tollatur manus eius et oculos eius, ... Et si liber homo hoc praesumpserit facere, . . . inprimis donet XL solidos . . . 1). — si quis in exercitu aliquid furaverit, . . .: si servus est, perdat manus suas, . . .: si autem liber homo hoc f ecerit, cum XL solidis redimat manus suas . . . 2) — si quis in curte ducis scandalum commiserit, . . . : . . . in publico conponat solidos XL ; si servus alicui est, qui haec commiserit, manus perdat . . . . 3) —

1) L. Baj. I, 6. 2) Ibid. II, 6.
3) Ibid. II, 10; vgl. ferner ibid. II, 5; II, 11; II, 12; XII, 1, 2.

Das zuletzt angeführte Beispiel erinnert in seiner Konstraktion an einen anderen, den am öftesten vorkommenden Fall. Auf den Vordersatz mit si quis folgt die Normierung einer einzigen, immer gleichen Buße. Nichts weist auf eine verschiedenartige Behandlung von Subjekten einander fremder Rechtssphären hin. — Die dritte Möglichkeit ist die, daß schon im Vordersatz als wesentliches Moment für die Rechtswirkung die Standesqualität der als handelnd angenommenen Person bestimmt bezeichnet wird. Die Art der Buße ist notwendig eine einheitliche. Auch hier stehen sich nur liber und servus gegenüber: ... si quis liber persona voluerit et dederit res suas. . .1) — si quis liber liberam uxorem suam . . . dimiserit, . . . 2) — si servus cum libera fornicaverit, . . . . 3)

Es bleibt demnach ein Doppeltes zweifelhaft Auf welche Rechtsklassen beziehen sich die nur mit si quis eingeführten Voraussetzungen und deren rechtliche Konsequenzen? Zielen diese auf alle Personen der Rechtsgliederung ab oder nur auf einzelne Teile derselben, und wenn letzteres zutrifft, auf welche? Die zweite Frage geht dahin, ob der Minderfreie, für den nur hinsichtlich der für seine Verletzung zu zahlenden Strafgelder eine qualifizierte Behandlung vorliegt, zum Stande des liber oder zu dem des servus zu rechnen ist? Denn es wird regelmäßig nur zwischen diesen beiden Klassen eine Unterscheidung gemacht.

Knüpft sich an einen nur mit si quis eingeleiteten Tatbestand eine einzige Rechtsfolge, so kann diese auf sämtliche Subjekte der Rechtsgliederung Bezug haben. In den meisten Fällen wird aber doch nur der liber zu berücksichtigen sein. Aus den Stellen der lex nämlich, an denen sich eine differentielle Art der Sühnung für liber und servus durchgeführt zeigt, ist ersichtlich, daß für jede der beiden Klassen ein prinzipiell verschiedenes Strafensystem Anwendung findet. Der Freie zahlt seine Bußen in solidi. Der Sklave erleidet Verstümmelungen und Züchtigungen an seinem Körper. 4) Der Vollfreie ist nur ausnahmsweise in seiner Freiheit antastbar, unter Bedingungen, die sich selten genug erfüllen mochten. Entstellungen seines Leibes braucht er nicht zu ertragen. 5) Es ist daher anzunehmen, daß alle jene Verbrechen, die nur eine Geldbuße nach sich ziehen, in ihrer Wirkung nicht auf den servus gehen.

1) Ibid. I, 1. 2) Ibid. Vm, 14; vgl. VIII, 15; IX, 4; XII, 6. 3) Ibid. VIII, 9; vgl. VIII, 2; XII, 7; XVIII, 2. 4 ) Vgl. L. Baj. I, 6; II, 5; II, 6; II, 10; II, 11; II, 12; VIII, 18; XII, 1, 2; Text. leg. prim. append. I. 5 ) Bezl. L. Baj. II, 4; VII, 3; VIII, 18; text. leg. prim. append. I. an anderem Orte.

Umgekehrt wird dann da, wo nur einseitig eine Leibesstrafe vorgesehen ist, allein der servus von ihr betroffen.

Der Dieb, der Gold, Silber, Zug- oder Kleinvieh oder andere Gegenstände bis zum Werte von zehn solidi und darüber hinaus entwendet, soll erst dann zum Tode verurteilt werden, wenn er dem Bestohlenen den einfachen Schaden ersetzt hat. 1) Wie erwähnt, darf der Vollfreie nur im Falle eines Kapitalverbrechens seines Lebens beraubt werden. Ein solches ist der Diebstahl nicht. Der genannte Strafansatz kann also nicht für einen Freien gelten. Von dem Diebe, der juristisch über ist, und von seiner Bestrafung ist auch tatsächlich schon in den ersten Kapiteln des gleichen Titels die Rede: si quis liber aliquid furaverit, qualecumque re, niungeldo conponat . . .2) Aber auch wenn der Wert der heimlich genommenen Gegenstände zehn solidi übersteigt, trifft den Freien lediglich die ebengenannte Vergeltungspflicht. Sollte der Dieb nämlich die Tat leugnen, so bestimmt das Gesetz die Zahl der Eideshelfeir auch für den Fall, si maiorem pecuniam furatus fuerit, hoc est 12 solidorum valentem vel amplius. . . 3)

In Handschrift B 1. 3. 6. wird der sub XVI, 7 aufgestellte Rechtssatz lediglich durch si quis eingeleitet. Da hier aber Bestimmungen über den unregelmäßig bewirkten Loskauf des servus gegeben werden, so ist unter quis zweifellos eben nur ein servus gemeint. Der nur auf die eine Klasse passende Tatbestand übernimmt die Deutung des scheinbar neutralen quis.

Dieser Gesichtspunkt eignet sich auch zur Prüfung der Annahme, daß bei einseitiger Festsetzung einer Geldbuße der unbestimmte „jemand“ nur mit dem liber identisch sei: Die hinter quis verborgene Person hat gesetzlich anerkannte Rechte: Eigentum, 4) Erbrecht, 5) Anspruch auf Eideshelfer 6) oder Zweikampf, 7) Sitz in der Volksversammlung 8). Sie qualifiziert sich als Standesgenosse einer Person, die solche Rechte aus übt 9) oder sogar direkt als über bezeichnet wird. 10) Es ist dann klar, daß sie nie ein servus sein kann.

1) Ibid. IX, 8. 2) Ibid. IX, 1. 3) Ibid. IX, 3. 4) Ibid. I, 1; I, 4; I, 5; I, 7; VII, 2. 5) Ibid. I, 2.
6) Ibid. I. 3; IX, 2; IX, 3; X, 19. 7) Ibid. II, 1. 8) Ibid. II, 14. 9) Ibid. VI, 1; VIII, 12. 10) Ibid. VIII, 1; VIII, 3; VIII, 17.

Für die nämliche Auffassung des quis spricht auch L. Baj. X, 15: si curtem dissipaverit aut inrumperit liber liberi, cum 3 conponat et restituet damnum. Auch hier wieder keine Trennung der Strafart und nur eine Fixierung der Straftaxe in Schillingen. Statt des si quis wird aber, jedenfalls ganz unabsichtlich, dieses Mal eine unzweideutige Ausdrucksweise gewählt und der liber allein zur Verantwortung gezogen für eine Tat, die man ohne genauere Kenntnis der sozialen Verhältnisse vielleicht auch einem servus zutrauen würde. — L. Baj. VTII, 2 handelt vom Ehebruch des servus mit einer Vollfreien. Das vorausgehende Kapitel entscheidet den Fall, daß ein Freier sich desselben Deliktes schuldig gemacht hat. Der zwischen den beiden Tätern herrschende rechtliche Standesgegensatz wird nun nicht durch die Gegenüberstellung von liber — servus vermittelt. Der fürs erste indifferent erscheinende quis des ersten Kapitels, mit dem ausschließlich ein Freier gemeint ist, erhält eine einfache Deutung durch den servus des zweiten Kapitels.

Es wäre von besonderem Werte für die soziale Seite unserer Theorie, könnte man die Frage, welcher Rechtsstufe der in L. Baj. XII, 3 mit quis bezeichnete Täter angehört, durch eine bündige Textkritik beantworten. Es heißt hier: si quis dum arat vel plantat vineam, terminum casu non voluntate evellerit, vicinis praesentibus restituat terminum, et nullum damnum patiatur. Die fahrlässigerweise begangene Grenzverletzung wird nicht geahndet, sondern einfach rückgängig gemacht. Mithin fehlt der die Rechtspersönlichkeit bestimmende Faktor der Strafform. Da auch sonst kein Hinweis auf die juristische Eigenschaft des Täters quis gegeben wird, so kann dieser dem strengen Wortlaut des Textes nach sowohl Freier wie Leibeigener sein. —

Zur Entscheidung des Bedenkens, in welcher der beiden großen ständischen Gruppen der manumissus liber 1) inbegriffen ist, muß vor allem die Stelle II, 3 der lex herangezogen werden.

1) Vgl. Pez. Thes. anecdot. T. 1. P. 3 pag. 275, 284.

Steht er nach dem Willen des Gesetzes unter dem Rechte des liber oder des servus? Si quis seditionem suscitaverit contra ducem suum, quod Baiuvarii carmulum dicunt: per quem inprimis fuerit levatum, conponat duci 600 solidos; alii homines, qui eum secuti sunt, illi similes, et consilium cum ipso habuerunt, unusquisque cum 200 solidis conponat; minor populus, qui eum secuti sunt et liberi sunt, cum 40 solidis conponant; ut tale scandalum non nascatur in provincia.

v. Luschin sieht im minor populus die „gewöhnlichen Freien“ zusammengefaßt, die sich von den adeligen Geschlechtern abheben sollen. Die Konsequenz wäre, daß der vollfreie liber in die Lage eines unansehnlichen Gemeinfreien herabgedrückt würde, der innerhalb der liberi-Klasse eine dem Adel gegenüber prinzipiell minderwertige Stellung als „gewöhnlicher Freier“ einnimmt. Seine soziale Geltung würde sich unter diesen Umständen mehr auf die große Zahl der Standesgenossen als auf persönliche Wertschätzung stützen. Die das Recht erzeugende Volksversammlung betrachtete sich in ihrer Mehrheit selbst als minor populus. Für den Minderfreien aber, der doch Rechtssubjekt ist, wäre nicht einmal in den untersten Schichten des Volkes, im minor populus, Platz und jede Berührung mit dem liber wäre ausgeschlossen. Nun ist aber der Vollfreie nach Wert und Einfluß gerade das Element, das den populus bildet. Es muß demnach im minor populus ein unter ihm befindlicher Bestandteil der rechtlichen Gliederung gesucht werden. Dieser ist der liber qui per manum dimissus est.

Diese Interpretation bedeutet keinen Widerspruch mit der Entstehung und dem Verlauf der Revolte. Der Anstifter derselben verfällt der härtesten Strafe. Die anderen homines, die ihn mit Rat und Tat unterstützten, werden milder behandelt. Ob der Rädelsführer und seine Helfer nur Adelige oder auch andere wehrhafte Vollfreie sind, darüber ist nichts ausgesagt. Der Ausdruck homines ist, an der Höhe der Bußsumme gemessen, auf alle Vollfreien anwendbar. Die Androhung der Strafe wird demgemäß auch allen Vollfreien gelten 1). Sie sind, wie sich aus ähnlichen Bestimmungen der lex ergibt, in der Lage solch eigenmächtige Störungen des Friedens zu verüben, um wieviel eher, wenn viele ihrer Genossen zusammen den gleichen Plan betreiben. Minderfreie sind weder durch den Besitz von Streitmitteln, noch durch gesellschaftliches Ansehen zu Führern einer derartigen Erhebung befähigt. Dagegen können sie in ihrer Masse als minor populus zu gefährlichen Gefolgstruppen werden. Es ist sogar nicht ausgeschlossen, daß bei einem weitgreifenden Aufstand auch servi als Mitläufer eine Rolle spielen. Diesen wird dann in einer für sie angemesseneren Weise der Prozeß gemacht Denn es wird ausdrücklich betont, daß nicht der ganze minor populus qui eum secuti sunt, sondern nur soweit er aus liberi besteht, zur Zahlung von 40 solidi verurteilt werden solle. 2) 3)

Als minores sind auch an anderen Stellen des Rechtsbuches stets Leute bezeichnet, die in ihrem juristischen Range tiefer stehen als die vollkommen rechtsfähigen Personen.

Nach L. Baj. X, 4 z. B. wird der Brandstifter, wenn er ein servus ist, im Gegensatz zum über mit Abhauen der Hände bedroht: de servorum vero firstfalli uniuscuiusque, ut manus recisa conponat. Der textus legis secundus 4 ) ersetzt diese Fassung am korrespondierenden Orte durch die Lesart: de minorum vero firstfalli uniuscuiusque, ut manus recisa conponat. —

1) Die Angehörigen eines Rechtsstandes scheinen in der Hauptsache das Wergeld ihrer Klasse zahlen zu müssen. Nur der Anstifter hat eine potenzierte Buße zu entrichten. Similis scheint sich ebenfalls auf die Rechtsqualität der Person zu beziehen. Es geht auf den Vollfreien und ist offenbar in Gegensatz gebracht zum über des minor populus. —

2) Ähnlich aufzufassen ist L. Baj. II, 4. Die minores, die in Feindesland ein scandalum erregen, unterstehen beliebiger Bestrafung durch den Herzog. Ein solcher Aufruhr pflegt besonders zu entstehen beim Requirieren von Fourage und Holz durch die als Bedienungsmannschaft mit ausrückenden Minderfreien und servi. Vgl. ibid. II, 6, 6. —

3) Im Edictus Rothari c. 279 (Mon. Germ. Tom. IV. pag. 67) wird der Tatbestand eines Aufstandes geschildert, in dem ein über die Führung, diesmal über servi, hat. Der liber muß 900, jeder servus 40 solidi Buße leisten.
4) L. Baj. XXXVIII, 2.

Das Dingolfinger Dekret 1) rechnet unter die minores die adalscalhae und Leute ihres Standes.

Der Begriff der minor persona wird besonders verständlich im siebenten Titel der lex. Im ersten Kapitel werden allgemein die ehelichen Verbindungen aufgezählt, die als blutschänderisch verboten sind. Wer (si quis) gegen diese Vorschrift sich verfehlt, geht seines Vermögens verlustig. (2. Kapitel.) Das dritte Kapitel wendet sich mit der Festsetzung einer härteren Strafe an einen neuen Rechtsstand: si minores personas sunt, quae se inlicita coniunctione polluerunt, careant libertatem, servis fiscalibus adgregentur. Die Glieder dieser Klasse sind im Besitze der libertas, der sie durch ihr Verbrechen nicht mehr würdig sind. Außer dem frilaz kennt das Volksrecht kein Rechtssubjekt, das neben dem Vollfreien, und doch im Rang ihm nachstehend, als liber betitelt wird und demgemäß zur Preisgabe der libertas gezwungen werden könnte. Die minor persona ist also hier der Minderfreie. Über Heiraten der servi entscheidet das Belieben ihrer Herren. Das vierte Kapitel: ut nullum liberum sine mortali crimine liceat inservire. . ., enthält die Erklärung, weshalb nicht alle Angehörigen der großen LiberiKlasse einer einheitlichen Vergeltung unterworfen sind, — zugleich ein instruktives Beispiel für den Fall, daß sich liber nur auf Adel und Vollfreie bezieht. Nun wird auch klar, daß mit dem quis des zweiten Kapitels allein der Vollfreie gemeint ist. — Die Auffassung, die im minor populus qui. . . et liberi sunt, ähnlich wie dies eben für die minor persona bewiesen wurde, den Minderfreien erblickt, wird bekräftigt durch die entsprechende Lesart zweier Manuskripte der lex. Cod. A. 2. setzt an der bewußten Stelle minor populus qui eum secuti sunt et liberi sunt für liberi das Wort liberati ein. Handschrift G. 2. des text. leg. tert. enthält die offenbar teilweise korrumpierte, aber nichtdestoweniger klärende Fassung: .... minores populi, qui non secuti sunt ei et liberti . . . 2) Dieser libertus ist niemand anderer als der frilaz, der liber qui per manum dimissus est des ersten Textes der lex, der in Cod. Gr. 1. und 2. des text. leg. tert. den terminus libertus führt; z. B. IV, 1. si quis libertum percusserit. 3) — 9. De interfectione liberti hominis.4)

In den Begriff liber kann somit auch der Minderfreie einbezogen sein. Es kann darunter auch nur der Minderfreie verstanden sein. Das Gleiche gilt für die Interpretation der mit si quis konstruierten, nur die Freien betreffenden Sätze der lex.

Der Minderfreie ist eigentumsfähig; der Priesterstand steht ihm wie dem Vollfreien offen. 5) Manche der rechtlichen Bestimmungen, in denen Vermögensbesitz vorausgesetzt wird, werden daher auch auf ihn anwendbar sein, öfters wird dann wieder die Höhe der Straftaxe oder der Charakter eines Tatbestandes, der der öffentlichrechtlichen und sozialen Stellung des Minderfreien widerspricht, seinen Ausschluß wahrscheinlich machen. Andererseits kann gerade der letzterwähnte Punkt eine Auslegung verlangen, die im liber bezw. in dem diesen vertretenden abstrakten quis nur den Minderfreien sieht. 6) Im Diplom Ludwigs des Frommen an den Erzbischof von Salzburg vom Jahre 823 wird ein freigelassener Unfreier, der durch die Priesterweihe in den Stand eines civis Romanus liberae potestatis aufgerückt ist, liber genannt 7) Ohne Vollfreier zu sein, figuriert er doch unter der eigentlich dieser Klasse eigenen Bezeichnung, die in diesem Fall ausschließlich seinen Rechtsstand terminiert.

Mit der Kenntnis der sozialen Struktur des bajuwarischen Volksstammes bietet sich reiche Gelegenheit, diese wechselnde Bedeutung des Liber-Begriffes zu beobachten. Der liber, der für ein Vergehen körperliche Mißhandlung erdulden muß, 8) wird sich, — eine derartige Form der Vergeltung ist ja eines Vollfreien unwürdig, — als Minderfreier erkennen lassen.

1) L. Baj. Add. V. I, 7. Mon. Germ. Tom. in. p. 460. 2) Mon. Germ. Tom. III. pag. 387. —
3) Mon. Genn. Tom. III. pag. 362. — 4) ibid. 363. —
5) Vgl. Pez, Thes. anecdot. T. 1. P. 3. pag. 275. 284.
6) Vgl. L. Baj. IX, 4. 7) Vgl. Oberbair. Archiv I, pag. 374. Anm. 2.
8) L. Baj. Text. leg. prim. Append. I.

Damit werden die innerhalb der Freienklasse existenten sozialen und rechtlichen Gegensätze in scharfe Beleuchtung gerückt. Der Minderfreie, mit dem seinem Berufe entnommenen sozialen Terminus ausgestattet, steht bald dem mit liber homo bezeichneten Vollfreien gegenüber, 1) bald trägt er selbst den Titel eines liber homo, 2) dessen Geltung dann auf ihn selbst beschränkt ist. An den dem Westgotenrecht entlehnten Stellen der lex wird liber durch den ihm synonymen Ausdruck ingenuus 3) abgelöst. 4) Auch in anderem Zusammenhang ist zur rechtsständischen Charakterisierung ein und derselben Person abwechselnd liber und ingenuus im Gebrauch. 5) Alles, was vom liber und seiner Universalität gesagt wurde, trifft daher in analoger Weise auch auf den ingenuus zu. — 6)

1) Meichelbeck, Hist. Frising. 1724. P. J. (= Mb.) 120.
2) Mb. 481. 3) Vgl. L. Baj. VIII, 18; XII, 1; XVI, 5.
4) Vgl. v. Luschin, Lehrbuch pag. 68. 5) Z. B. Mb. 1003.
6) Vgl. Heck, Gemeinfreie, pag. 62.