Der Ziele der Sozialdemokratie und der Krieg.

Jeder Mensch, der sich eine bestimmte Anschauung gebildet hat, muss, wenn er die Anschauung in die Wirklichkeit umsetzen will, derselben entsprechende Einrichtungen zu scharfen, oder von den vorhandenen diejenigen zu benutzen versuchen, die im Rahmen seiner Anschauung liegen, also denselben entsprechen. Er muss ferner zur Erreichung dieses seine Zieles bestimmte Wege einschlagen, auf denen er, langsamer oder schneller, der Verwirklichung seines Wollens näher rücket. Seine Anschauung hat bestimmte Formen des zu erreichenden Zieles zur Folge, wie diese wieder bestimmte Unternehmungen zu ihrer Verwirklichung nötig machen.

Was für den einzelnen Menschen gilt, gilt aber mit gleicher Notwendigkeit für eine Zusammenfassung von Menschen mit gleichen Anschauungen — für eine Partei. Sie sammelt ihre Anhänger unter gewissen Grundprinzipien. Diese Grundprinzipien über die Gestaltung des Gesellschaftsleben erfordern eine ihnen entsprechende Form der Organisation der Beziehungen der Menschen unter einander, also des wirtschaftlichen und öffentlichen Lebens. Liegen nun in den gegenwärtigen gesellschaftlichen Einrichtungen derartige Organisationsformen, die den Grundprinzipien der Partei entsprechen, so muss sie dieselben benutzen für die Durchführung ihres Zieles. Ist dies nicht der Fall, so muss sie bestehen da Organisationsformen entweder ihrem Zukunftswollen entsprechend umzuändern versuchen, oder die Schaffung neuer Organisationen unternehmen. Desweiteren muss eine Partei eine dem Ziel entsprechende Richtung für ihren Kampf einschlagen. Sie muss eine dementsprechende Betätigung gegenüber den heutigen bestehenden Einrichtungen ausüben, wie auch ihre Taktik darnach einrichten.


Diese Konsequenzen gelten mit gleicher Notwendigkeit auch für die sozialdemokratische Partei. Sie muss zur Verwirklichung ihres Zieles Organisationsformen wollen, die ihren Prinzipien entsprechen. Sie muss ihr Verhalten gegenüber allen heutigen Einrichtungen nach gleichen Prinzipien einrichten. Die Taktik, die Form ihres Kampfes ergibt sich aus ihren Prinzipien, ihrem Ziele.

Ist nun die jetzige Haltung der Sozialdemokratie die logische Folge ihres ganzen Wesens? Untersuchen wir ohne Parteileidenschaft diese Frage, so werden wir sie bejahen müssen. Gleich dem kommunistischen Anarchismus ist die Sozialdemokratie durchdrungen von der Notwendigkeit der Beseitigung des Privateigentums an Grund und Boden, Bergwerken, Fabriken, Maschinen u. s. w., da sie im Privateigentum die Ursache der Ausbeutung der schaffenden Bevölkerung, den Grund also für das Elend des Volkes, erblickt. Doch ist man Gegner des Privateigentums, so erhebt sich die weitere Frage, wer soll, nach Aufhebung desselben, der Besitzer sein? Wer soll die Herstellung der Produkte, die Verteilung der Gebrauchsgüter in der neuen Ordnung leiten? Kurz gesagt, wer, welche Körperschaft, welche Organisation soll den Gang des wirtschaftlichen und öffentlichen Lebens bestimmen? Die Sozialdemokratie löst diese Frage in Konsequenz ihrer demokratischen Anschauunigen dadurch, dass sie dem Staat, als der Verkörperung der Gesamtheit, diese Aufgaben überträgt. Durch eine repräsentative Körperschaft, bestehend aus vom Volke gewählten Vertretern, werden alle Fragen der weit möglichst zentralisierten Produktion bestimmt. Die Sozialdemokratie gebraucht also zur Verwirklichung ihres Zieles den Staat. Ist es da nicht selbstverständlich, dass sie die bestehenden Staaten benutzen will, um aus ihnen Träger ihrer Zukunftsorganisation zu machen? Deshalb in allen Ländern nationale Parteien, die im Rahmen ihres betreffenden Staates ihren Kampf führen. Und die heutigen Staaten sind zumeist ausgesprochene Nationalstaaten. Dort aber, wo dies nicht der Fall ist, tritt ein Teil der Sozialdemokraten ein für eine Autonomie (Selbständigkeit) der betreffenden Nationen, für einen Nationalstaat also, wie in Böhmen u. s. w. Während der andere Teil nur die jetzt bestehenden Staaten als Organisationen zur Durchführung des sozialdemokratischen Zukunftszieles gelten lässt, sich also im zentralistischen Eifer gegen den mehr föderalistischen Charakter der nationalistisch-sozialdemokratischen Bewegung wendet. (Siehe Österreicher Sozialdemokratie gegen die böhmischen Separatisten, deutsche Sozialdemokratie gegen die polnische Sozialdemokratie. (P. P. S.). In beiden Fällen aber ist die treibende Kraft die Erkenntnis von der Notwendigkeit selbständiger Staaten als Vorbedingung für den demokratischen Sozialismus.

Aus dieser Erkenntnis der Notwendigkeit freier, selbständiger Staaten ergibt sich aber nun die Pflicht, alles zu: unterstützen, oder zu unternehmen, was die Selbständigkeit derselben schützen kann, wenn dieselbe bedroht ist, von irgend einer Seite. So musste die Sozialdemokratie in Friedenszeiten mit für die Ausgestaltung des Militarismus eintreten, soll doch Heer und Flottenwesen, der Verteidigung; des Vaterlandes dienen.

Nun kommt die Stunde, wo die Unabhängigkeit des eigenen Staates in Gefahr kommt, sei es durch einen direkten Angriff, sei es durch andere feindliche Maßnahmen seitens einer fremden Macht. Da ergibt sich für die Sozialdemokratie dann die bittere Notwendigkeit, ebenfalls; den Krieg mit zu wollen, um nicht die Vorbedingung für ihr Ziel, den selbständigen Staat, schwächen oder unterdrücken zu lassen. Dasselbe Gebot, die Unabhängigkeit de& Vaterlandes zu schützen., das den Patrioten an die Grenze treibt, gebietet auch den Sozialdemokraten, zur Armee zu; eilen, um die nationale Selbständigkeit verteidigen zu helfen. Es hilft in solchen Momenten alles frühere Friedensgeschwätz nichts, da diesem Friedensgeschwätz die prinzipiellen Unterlagen in dem Zukunftswollen der Partei fehlen.

Doch sehen wir weiter. Will die Sozialdemokratie den Staat als Organisator für das Wirtschaftsleben der Zukunft, so will sie die Verwaltung der Staatsorganisation, nach demokratischen Prinzipien durchführen. Das Volk als solches soll (in der Theorie wenigstens) die Gesetze geben, die für das Volksganze gültig sind. Dass diese Volksgesetzgebung auf Grund eines repräsantiven Systems, also von gewählten: Vertretern, ausgeübt werden muss, ist dann ein selbstverständliches Gebot des praktischen Lebens. Ist es doch ausgeschlossen, dass das Volk in Wirklichkeit selbst zu allen Fragen des staatlich-wirtschaftlichen Lebens Stellung nehmen kann, um dieselben gerecht und gut entscheiden zu können.

Nun haben alle modernen Staaten, der eine mehr, der andere weniger, schon Ansätze in der Entwicklung zu einer derartigen sogenannten Volksgesetzgebung. Die Ausgestaltung derselben in mehr freiheitlichem Sinne ist also die Aufgabe der Sozialdemokratie. (Wenn wir hier von einer Ausgestaltung in mehr freiheitlichem Sinne sprechen, so meinen wir damit selbstverständlich die sozialdemokratische Auffassung von der Möglichkeilt freiheitlicher Staatsorganisationen. Als Anarchisten wissen wir, dass im Grunde genommen alle freiheitlichen, demokratischen Einrichtungen die Freiheit des Einzelmenschen eben so unterdrücken, unter Umständen noch mehr, als sogenannte reaktionäre Staatseinrichtungen.) Werden nun, in, für die Existenz der Staaten schwierigen Lagen, von Seiten der Herrschenden den Oppositionsparteien Versprechungen in Hinsicht auf eine bessere Ausgestaltung dieser demokratischen Einrichtungen gemacht, so kann man verstehen, dass diese Oppositionsparteien sich einfangen lassen und als Gegengabe dem Staat in Gefahr zur Seite stehen. Und Versprechungen sind bei dem Kriege von allen Staaten gemacht worden. Dass auch seitens der deutschen Regierung den Sozialdemokraten Versprechungen gemacht wurden, wird die Zukunft lehren.

Doch nicht nur die bessere Ausgestaltung demokratischer Einrichtungen ist die Aufgabe der Sozialdemokratie, sie muss alles abwehren, was die schon bestehenden Einrichtungen verschlechtern könnte. Und dieses wurde durch einen Sieg Russlands über Deutschlands von den deutschen Sozialdemokraten befürchtet. Die belgischen und französischen Arbeiter glaubten das gleiche von einem Siege Deutschlands über ihre „Vaterländer“. Deshalb zogen die Deutschen gegen Russland zum Schutze ihrer politischen Freiheiten, die Franzosen und Belgier gegen die Deutschen ebenfalls aus dem Grunde, um ihre politischen Freiheit vor dem deutschen Militarismus zu bewahren. Dass es der Hohn der Geschichte will, dass selbst die Russen (darunter auch der ehemalige Anarchist Fürst Peter Krapotkin) ihr Knutenreich gegenüber Deutschland verteidigen wollen, sei nur nebenbei erwähnt.

Fügen wir einen dritten Grund hinzu, der die Sozialdemokratie mit Notwendigkeit zu ihrer kriegsfreundlichen Haltung veranlasste. Die Sozialdemokratie will die Regelung aller Angelegenheiten in ihrem Zukunftsstaat auf Grund ihres demokratischen Prinzips durchführen. Ins Leben übersetzt heißt dies, die Majorität, die Mehrheit der Volksgenossen, hat die Gesetze zu schaffen, die für alle, auch für die damit nicht einverstandene Minderheit, gelten. (Ob dieser Mehrheitswille durch tatsächliche Volksabstimmung oder durch Beschluss gewählter Vertreter festgesetzt wird, ist hier nebensächlich.) Nun ist es doch ausgeschlossen, dass eine Minderheit sich freiwillig jedem Beschluss der Mehrheit fügen wird. Sie wird immer versuchen, auch ihren Willen zur Geltung zu bringen, und sich nicht widerstandslos einem Gesetz der Mehrheit unterordnen. Dann, ergibt sich für die Mehrheit die Notwendigkeit, ihren Willen der widerstrebenden Minderheit aufzuzwingen. Sie gebraucht dazu eine Organisation nach Art unserer heutigen Polizei, unserer Justiz, unseres Militärs. Man möge diese Sicherheitsgarde oder sonst wie nennen, im Wesen ist es dasselbe, nämlich eine Einrichtung, um widerstrebende Volksgenossen zum Gehorsam zu zwingen. Braucht die Sozialdemokratie eine solche Einrichtung zur Durchsetzung des Mehrheitswillens, rechnet man ferner hinzu, dass sie ebenfalls eine ähnliche Einrichtung gebraucht zum Schutze ihrer staatlichen Unabhängigkeit, so wird man es begreifen, dass sie dem Militarismus nicht als prinzipieller Gegner gegenübersteht, sondern nur das heutige System umändern will, im übrigen aber ebenfalls nach Kräften bemüht ist, das Heer (ob Volks-, ob stehendes Heer ist hier gleich) zu einer möglichst guten Waffe auszugestalten. Hat die Sozialdemokratie das Heerwesen nun mit ausgestalten helfen, und es kommt die Stunde, wo dasselbe gebraucht wird, so ist es doch nur logisch, dass für die Anwendung des Heeres auch die Kredite u. s. w. bewilligt werden müssen. Schafft man sich eine Waffe, so will man dieselbe in der Gefahr auch gebrauchen. Schafft das Land sich eine Waffe im Heerwesen, so muss es dieselbe in der Not als letztes Mittel zur Anwendung bringen. Hilft die Sozialdemokratie an der Ausgestaltung des Heerwesens mit, so muss sie ebenfalls für die Ausnützung dieser geschaffenen Waffe gegen feindliche Widersacher sich ins Zeug legen.
Wk1 abgestürzter deutscher Zeppelin L-49 in Frankreich

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Wk1 Angriff italienischer Infantrie

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Wk1 Artilleriebeobachter, Feuerleitung

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Wk1 Beobachtungsballon

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WK1 Bernhardiner Hunde im Einsatz für das Rote Kreuz

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Wk1 Blick auf einen alliierten Flugplatz

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Wk1 Bombenabwurf aus einem Flugzeug

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WK1 Bomber mit 600 PS

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Wk1 Britische Infantrie im Angriff beim Verlassen der Schützengräben

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Wk1 Britische Truppen beim Angriff am 07.01.1916 bei Boiselle

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Wk1 Britischer Panzer im Einsatz

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Wk1 Captain George Guynemer, gefallen auf dem Feld der Ehre

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