Vestris, der Gott des Tanzes, hat in der Tat das getan, was unsere Weltleute ein Ende machen nennen ...

Vestris, der Gott des Tanzes, hat in der Tat das getan, was unsere Weltleute ein Ende machen nennen: das heißt — er hat sich verheiratet. Das Fräulein Heinel 1) trug ihn seit langer Zeit im Herzen. Tat es das, weil er es, vor mehreren Jahren, im Theater vor aller Welt geohrfeigt hatte? Geschah es, weil er sich deshalb verschmäht gesehen hatte? Wie dem auch sei: Vestris konnte das Fräulein nicht in den Armen eines Rivalen liegen sehen. Dieser Rivale war Fierville 2), der zweite französische Tänzer. Er wurde seit geraumer Zeit in London zurückgehalten, und dort haben sein Talent, besonders aber seine exaltierte Art, ihm Ansehen und Reichtum eingebracht. Das Fräulein Heinel, das sich auch nach London begeben hatte, erregte die Bewunderung der Engländer dermaßen, daß mehrere Lords eine Begeisterung zeigten, ihr zwei- bis dreitausend Guinees anzubieten, um mit ihr zu schlafen; das Fräulein wies das Anerbieten geringschätzig zurück. An Stelle der Guinees bot Fierville dieser modernen Lais sein Herz an, und sein Anerbieten wurde angenommen. Aber es war keine einfache Liebschaft: die Heirat wurde vor dem Altar geschlossen. Einige Jahre verfließen und die Übersättigung tritt ein. Vestris kommt nach London und macht seine Beleidigung durch die Unterwürfigkeit seiner Liebe vergessen. Frau Fierville (Fräulein Heinel) trifft ihre Anordnungen in England und kommt nach Paris, um hier mit ihrem neuen Liebhaber sich wieder zu vereinigen; und hier hat sie ihm, im Angesicht unserer Altäre, ihre eheliche Treue geschworen, ohne Zweifel erwartend, daß ein neuer Verführer sie Vestris’ Armen entreißen werde. Daß eine Frau treulos und verräterisch ist, habe nichts zu bedeuten, werden unsere Leute von Welt sagen. Aber daß sie eine Rabenmutter ist, was werden sie darauf antworten? Und so liegt der Fall des Fräulein Heinel durch ihre Scheidung von Fierville. Sie hat ein Kind verlassen, die Frucht dieser Ehe, das durch das Missgeschick dieser Umstände ohne sichere Stellung in der Gesellschaft ist. Es ist gut für dieses Kind und für seinesgleichen, daß eine kluge und wohlwollende Philosophie es in den Augen dieser freien und aufgeklärten Nation für legitim hält. O Frankreich, wann wirst du geruhen, einem so schönen Beispiel zu folgen?

Ein entsetzlicher Vorgang hat sich gegen Ende des Jahres 1783 in der rue Michel-le-Comte abgespielt. Eine Art Mönch, aus dem Orden ausgetreten, sucht einen Pförtner seiner Bekanntschaft auf, begleitet von einem jungen Savoyarden, der ihm ein kleines Paket trägt. Er bittet um die Erlaubnis, in irgendeinem Zimmer des Hauses einen Brief schreiben zu dürfen. Man gibt ihm einen Schlüssel, und sein Begleiter folgt ihm. In das Zimmer eingetreten, ist seine erste Sorge, die Tür fest zu verschließen, damit er den abscheulichen Plan ausführen kann, den er ersonnen hatte, um seine Begierde an diesem jungen Manne zu befriedigen. Er findet Widerstand, und seine Erregung wird Wut, Wahnsinn, Raserei; er bringt diesem Unglücklichen mehrere Messerstiche bei und verübt dann noch die empörende Grausamkeit, dieses blutende Opfer zu vergewaltigen. Er tut mehr: um das Maß vollzumachen, begeht er die Ruchlosigkeit, diesem Armen 38 Sous zu stehlen, die er in seiner Tasche fand. Aber solche Missetaten gehen über die menschliche Kraft. Sein Kopf wird unklar, er steigt die Treppe hinab, zu der Pförtnerin, um von seinen Händen das Blut abzuwaschen. Sein verstörtes Aussehen beunruhigt, erschreckt. Er will fliehen, aber er wird festgehalten. Man überführt ihn seiner Verbrechen, seine Strafe folgt dicht darauf. Aber, großer Gott! welche Strafen könnten dem allgemeinen Rechtsempfinden gegen solche Ungeheuer genügen und ihnen genügend Schrecken einflößen?


Es ist schwer zu sagen, ob mehr Geist oder Narrheit in dem ist, was der Doktor Graham eben in London ausführt. Jedenfalls: seine geheimnisvolle Art hat die Neugierde angestachelt, und seine Sonderbarkeit hat Lobpreiser unter allen Zeitgenossen gefunden. Man darf daher vermuten, daß dieses Unternehmen ihm ein großes Vermögen sichern wird. Hier ist die Beschreibung seiner Anstalt:

Der Doktor Graham hat mit dem Namen „Tempel der Gesundheit“ ein großes Gebäude dekoriert, das in der Pall Mall hegt, neben dem königlichen Palast. Das Gesims ist mit drei Figuren geschmückt: Venus, ihr zu Seiten Minerva und Juno. Darunter liest man die folgenden Inschriften. Der Tempel der Gesundheit, Das Heil der Monarchen, Der Reichtum der Armen. Etwas tiefer bemerkt man eine Statue, die er Äskulap geweiht hat, und endlich liest man über der Tür: Keine Wache wacht an dieser Tür, damit der Reiche wie der Arme eintrete. Trotz dieser Inschrift lassen zwei riesengroße Männer, die mit einer langen Robe bekleidet und mit einem Panzer versehen sind, auf dem geschrieben ist: Tempel der Gesundheit, niemand herein, der nicht sechs Pfund Sterling bezahlt hat.

Kaum hat man den rechten Fuß auf die erste Stufe der Treppe gesetzt, hört man, aus Blasinstrumenten, eine harmonische Musik; sie dringt aus Öffnungen, die in der Treppe verborgen angebracht sind. Die lieblichsten Düfte, die den Geruch aufs angenehmste berühren, steigen auf, bis an den Eingang zu einem prächtigen Empfangszimmer. Es ist für Vorträge bestimmt, in denen der Doktor behauptet, jede Unfruchtbarkeit aufzuheben, obgleich er selbst niemals Kinder haben konnte. Er verschleiert in keiner Weise die Worte in diesem Zweig der Wissenschaft und dennoch strömen die Damen wie die Herren in Menge zu ihm und hören ihm ohne Bedenken zu.

Das Innere der Feenpalaste hat niemals Ausgesuchteres und Majestätischeres gezeigt. Die Blumengewinde, die Spiegel, die Kristalle, die vergoldeten und versilberten Metalle sind hier im Überfluss angebracht und werfen von allen Seiten ein blendendes Licht zurück.

Musik geht jeder Sitzung voraus, von fünf Uhr bis sieben Uhr; dann stellt sich der Doktor Graham vor, in seiner Robe und in einem gelehrten Ton. Im Augenblick tritt Stille ein, die nur zu Ende der Sitzung durch einen elektrischen Schlag unterbrochen wird, der sich der ganzen Gesellschaft mitteilt (mit Hilfe der Leitungen, die unter den Tüchern, die alle Bänke bedecken, verborgen sind). Während noch die einen über das Erstaunen der anderen spotten, sieht man einen Geist, der durch den Fußboden in den Saal eintritt, erscheinen. Es ist ein magerer und leichenblasser Mann, von riesenhafter Figur, der, ohne ein Wort zu sagen, dem Doktor eine Flasche Likör überreicht. Nachdem der Doktor der Gesellschaft davon angeboten hat, verschwindet er mit dem Geist.

Auf diese seltsame Erscheinung folgt, in der Gestalt der Göttin der Musik, eine hübsche Frau, die, nachdem sie einige Stücke gesungen hat, mit einem Male unsichtbar wird. Der Doktor Graham hat damit seine Sitzung beendet, und die Bezahler ziehen sich zurück, ohne die sechs Guinees, die sie einem so außergewöhnlichen Schauspiel geopfert haben, zu bedauern.

Nach den Sitzungen bietet der Doktor dem Publikum an, die Schwermut und die übermäßige Heiterkeit verschwinden zu machen. Es ist die Elektrizität, die den Ruf des Doktors Graham seit mehreren Jahren begründet. Man kann nicht leugnen, daß er Erfolge gehabt hat.

Aber alle diese Einzelheiten sind nur Nebensachen in seiner Anstalt: eines der prächtigsten Betten, in dunklem Damast, auf vier gewundenen Säulen ruhend, überladen mit Blumengehängen aus vergoldetem Metall, bildet den Hauptbestandteil. Für fünfzig Louis versichert der Doktor Graham den jungen Leuten wie den alten Gatten, daß sie darin einen Nachkommen ihres Namens zuwege bringen werden. Von welcher Seite man auch in das Bett steigt, das das göttliche Bett genannt wird, immer hört man eine Orgel, die in Verbindung mit drei anderen steht, in einer angenehmen Musik ertönen, deren Melodien die Gatten in die Arme des Morpheus tragen. Während einer Stunde, — so lange dauert dieses Konzert, — bemerkt man in dem Bett Ströme von Licht, die abwechselnd die Säulen erleuchten. Zur Stunde des Erwachens kommt unser Zauberer, um den Puls der Gläubiger zu fühlen, gibt ihnen zu frühstücken und entlässt sie, erfüllt von Hoffnung, indem er ihnen empfiehlt, ihm Anhänger zu werben. 3)

Wenn die Leidenschaften die Quelle der Tugenden sind, so haben sie doch noch öfter schreckliche Wirkungen und verderbliche Folgen. Ein reicher Landwirt aus der Umgebung von Meaux gibt davon ein neues und sehr trauriges Beispiel. Nachdem er mehrere Jahre lang in einem besonders zärtlichen Verhältnis zu einer Frau dieser Gegend stand, haben eifersüchtige Regungen in ihm den schwärzesten und rohesten Racheplan entstehen lassen. Eines Tages lockt er die Frau in die Felder; dort bricht er einen scharfen Dornzweig ab, schneidet ihn zurecht und schärft ihn noch für seinen Zweck. Die Einsamkeit, in der er sich mit ihr fand, und die Willfährigkeit, mit der sie seinen verstellten und hinterlistigen Zärtlichkeiten sich hingab, ausnützend, lässt er sie statt der Wonnen der Liebe die Qualen des grausamsten Todes fühlen und spießt sie auf. Dieses unglückliche Geschöpf hat, als man sie vier Stunden später in den letzten Todeszuckungen fand, zu keinem Beweis gegen seinen Mörder verhelfen können; aber man hegte Verdacht gegen ihn. Verhaftet und verhört, bekannte er sein Verbrechen und büßte es auf dem Schafott. Vergebens hat seine Familie große Summen angeboten, um ihn der Strafe zu entziehen; das Geld hat dieses mal weder über die Gesetze noch über das öffentliche Urteil siegen können.

Die Zeitungen von England haben, als sie den ungeheueren Zusammenbruch von Taylor, des Direktors der Oper in London, meldeten, der ziemlich kraftvollen Haltung, die unsere Theodora in dieser Lage gezeigt hat, Erwähnung getan. Sie befand sich bei der Nachricht vor; diesem unglücklichen Ereignis, das ihr in einem Augenblick jede Frucht ihrer Hoffnungen raubte, in den Kulissen: sie stieß zunächst einige Verwünschungen gegen Taylor aus, dann fasste sie den Entschluss, eine Ansprache an das Publikum zu halten, und schickte sich gerade dazu an. Der König, der anwesend war, fürchtete, daß dieses Benehmen Anlass zur Unruhe im Publikum geben könne und ließ der Tänzerin befehlen, davon abzulassen. Ihre Antwort war, „daß sie Frankreich nur verlassen habe, um den Befehlen des Königs sich zu entziehen; daß sie aber, in dem Lande der Freiheit, ihre Vorrechte genießen wolle“. „Im übrigen“, sprach sie weiter zu dem Überbringer des Befehls, „sagen Sie Georg, daß er mich bezahle, und ich verpflichte mich zu schweigen.“ Dieser Vorschlag wurde nicht angenommen; Theodora konnte zum Publikum reden, und sie bekam, obgleich sie ein sehr schlechtes Englisch sprach, viel Beifall und Zustimmung.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Sitten des Rokoko.