Ein Schöngeist, der Herr Palissot 12), dessen lebhafte Spottsucht seine Talente überwiegt, hatte gegen den Abbé ...

Ein Schöngeist, der Herr Palissot 12), dessen lebhafte Spottsucht seine Talente überwiegt, hatte gegen den Abbé de Voisenon eine Satire voller Haß gerichtet. Bevor er sie zur Presse gab, wünschte er sich zu vergewissern, wie der Abbe selbst sie aufnehmen würde, um sich über den Eindruck, den sie auf ihn machen würde, klar zu werden.

Er geht eines Tages zum Abbe und sagt zu ihm in heuchlerischem und spielerischem Ton, daß es doch in der Welt viel schlechte Menschen gäbe, und daß ihm eine ungeheuerliche Satire in die Hände gefallen sei, deren Autor er nicht kenne, und daß, obgleich man keinen Namen genannt, sich Züge darin fänden, die direkt auf den Abbé hinzuzielen schienen.


„Ich werde Ihnen noch mehr sagen“, fährt er fort; „da man sich zweifellos unserer Verbindungen nicht bewußt ist, hat man sie mir vor der Drucklegung meiner Kritik vorlegen wollen.“ Ohne sich weiter bitten zu lassen, zieht der Spötter das Schriftstück aus seiner Tasche und liest ohne jede Scheu die Verse vor, in denen der Abbe nicht besser wegkommt als seine Intelligenz. Keinen einzigen Vers erspart er ihm und betont mit Vergnügen alles, was besonders giftig klingt. Der Abbe de Voisenon hört ihn geduldig bis zum Schluß mit an. Darauf ergreift er das Manuskript, lobt die besten Verse, kritisiert einzelne Redewendungen und sagt zum Dichter: „Wollen Sie mir erlauben, einige Korrekturen zu machen?“

Der Dichter meint, nun würde er zum mindesten das Manuskript ins Feuer werfen; aber jener nähert sich seinem Bureau, korrigiert ein Dutzend Verse, füllt die leeren Stellen mit seinem Namen aus, reicht die Satire dem Autor, der keinen Augenblick vermutet, daß er erkannt sei, mit demselben Phlegma zurück und sagt: „Jetzt, lieber Freund, können Sie die Arbeit drucken lassen, meine ich; es waren da einige kleine Mängel, die der Arbeit geschadet hätten; sie ist voller Geist und Schärfe, und ich glaube, daß sie vom Publikum günstig aufgenommen werden wird.“ Der Dichter war von dieser Kaltblütigkeit derart überrascht, daß er seine Epistel zerriß, sie verbrannte, den Abbe umarmte und ihm schwur, daß er auf immer vom Gelüst, Satiren zu schreiben, geheilt sei. Man weiß, wie er seitdem Wort gehalten hat.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Sitten des Rokoko.