Die ernsthaftesten Leute von Rang vergnügen sich in Paris damit, ein Gesellschaftsspiel zu veranstalten, das man Mystifikationen nennt, ...

Die ernsthaftesten Leute von Rang vergnügen sich in Paris damit, ein Gesellschaftsspiel zu veranstalten, das man Mystifikationen nennt, seitdem Poinsinet 4) unschuldigen Andenkens das Ziel davon gewesen ist. Der Abbe Arnaud von der Akademie hat verbreitet, daß ein junger Mann aus der Provinz, mit dem er in Briefwechsel stehe, nach Paris kommen würde, um hier seine literarischen Kenntnisse zu vervollkommnen; daß er sich demgemäß vornehme, die bedeutendesten Künstler kennen zu lernen, unter anderen den Chevalier de Mouhy, Die Chronique Scandaleuse denn er habe von ihm den größten Eindruck bei der Lektüre seiner Romane empfangen. Sie kennen, dem Namen nach, den Chevalier de Mouhy 5); er ist, nach dem Chevalier Coudray, als Autor das lächerlichste Wesen. Der vorgebliche junge Mann habe, um die Bekanntschaft einzuleiten, dem Abbe Arnaud Strophen zum Lobe des Chevaliers geschickt. Sie folgen hier. Der Abbe Arnaud selbst hat sie natürlich verfasst und sie dem vergötterten Idol vorgelesen.

Eine der allergrößten Gaben,
die uns diese Zeit gewährt,
ist, gelesen zu haben
die Werke des Herrn Mouhy.


(Hierin findet der Chevalier eine gewisse Leichtigkeit des Ausdrucks.)

Aus ihm strömet die Noblesse.
O, wie blendend ist sein Geist!
Nein, kein Autor flößt Interesse
ein wie Chevalier Mouhy.

„Ah!“ sagt der Chevalier, indem er sich bescheiden in die Brust wirft, „Ihr junger Mann ist sehr, sehr begabt!“

Man nimmt an, es gäbe keinen,
der des öfteren nicht log.
Aber niemals hört man einen
lügen wie Herrn de Mouhy.

„Wie? Was soll das heißen? Spottet er über mich?“ — „Geduld, Herr Chevalier!“ — „Nein, Herr Abbe, ich will diese Unverschämtheit nicht weiter anhören.“

Sein Geschmack, und sein Gebahren,
das ein jedes Wort erfüllt,
lassen vorziehn selbst dem Wahren
diese Lügen von Mouhy.

„Was höre ich? Das ist entzückend! Welches ausgesuchte Lob und welche Geschicklichkeit, es auszudrücken! Das Ansehen zu haben, eine Beleidigung zu sagen und ein Kompliment zu machen ...“

Land, das mich zuerst gesehen,
niemals noch verließ ich dich;
aber jetzt nun muss ich gehen
zu dem Chevalier Mouhy.

„Ah, er soll sich keine Mühe machen. Er kennt mich von Renommé — das genügt. Ich werde dennoch entzückt sein, diesen jungen Mann kennen zu lernen. Er verspricht zu kommen?“

Edle Haltung, schlanke Beine,
Augen glänzend und entzückt!
So muss aussehen, wie ich meine,
Der Herr Chevalier Mouhy.

(Hier sagt der Chevalier kein Wort, denn er ist alt, lahm und bucklig.)

Seine Schönheit macht Alarm
bei dem Liebsten und dem Gatten.
Denn wer widersteht dem Charme
Des Herrn Chevalier Mouhy?

Hier endet die Mystifikation, über die auf Kosten dieses guten Herrn von Mouhy viel gelacht wurde.

Der Chevalier Receveur 6) kam im März des Jahres 1783 in London an und glaubte aus dem Geist der Einigkeit, der aller Köpfe an den Ufern der Themse sich bemächtigt hatte, Nutzen ziehen zu können: er wendet sich an einen, den er hatte vor zehn Jahren in Haft nehmen wollen (an den Autor des „Gazetier cuirassé“). „Reichen wir uns die Hand,“ sagte er zu ihm, „es gibt hier Schlingel von Schreibern, die Ihr Beispiel verlockt hat. Spannen wir unsere Netze gemeinsam aus, damit alle diese sauberen Vögel, die uns jetzt belästigen, sich darin fangen!“ „Ich bin gern bereit dazu,“ antwortet der Gepanzerte, „aber ich muss Ihnen zuvor mitteilen, daß man im Begriff ist, mich zu verhaften, weil ich einem Tapetenhändler sechzig Guinees schuldig bin.“ „Das soll uns nicht aufhalten,“ sagt der andere, „gehen wir zu meinem Bankier. Wir werden auf meinen Kreditbrief das nehmen, was diesen Lästigen schweigen macht. Aber vor allem: sagen Sie mir, wer ist der Autor dieser Zoten: ,Petits soupers im Hause de Bouillon‘? 7) Dieser Kerl hat zwei Briefe nach Paris geschrieben; ich habe diese Briefe gesehen. Man muss sich Schriftstücke verschaffen von allen französischen Verdächtigen hier, um zu vergleichen.“ Der erste, den man festnahm, war ein Mann namens Mauriçon, der, nachdem er verschiedenen Behörden in Paris Streiche gespielt hatte, nach London gekommen war, um die Leute zu einer Art von komischen Oper zu einer halben Guinee für die Person einzuladen. Der „gepanzerte Zeitungsschreiber“, der nicht wußte, wie er es anfangen sollte, seine Handschrift zu bekommen, sagte zu einem gewissen La Fite, einem gewissen Jombert zu sagen, daß es fünf Guinees zu verdienen gäbe für denjenigen, der Antwort zurückbrächte auf einen Brief, den man ihm für Mauriçon geben würde. Jombert erzählt den Fall einem gewissen Dupuis, der es sich in den Kopf setzt, die fünf Guinees zu verdienen und das gewünschte Schriftstück ohne Bedenken selbst anfertigt. Der alte Goudar, der Begleiter Receveurs, argwöhnt den Betrug; als eines Tages der berühmte Philidor, ein Freund Mauriçons, zurückkehrt, schlägt er das Geschäft ihm vor, überzeugt, daß dieser Weg der sicherste sei. „Gern“, sagt der Musiker zu ihm, „ich werde Mauriçon suchen; er wird nach meinem Diktat schreiben.“ — „O nein,“ erwiderte Goudar, „es ist nicht nötig, daß Mauriçon weiß, worum es sich handelt.“ „Lassen Sie mich nur machen,“ sagt Philidor und macht sich im stillen über ihn lustig, „ich werde es Ihnen herbeischaffen.“ In dieser Zeit verteilte man in den Straßen Londons Blätter und schlug sie überall an, um das Volk auf die besonderen Kennzeichen des Polizeiinspektors von Paris aufmerksam zu machen. Dieses Blatt war so ab- gefaßt: ,Gift gegen die französischen Spione und Ankündigung für die Fremden, die nicht gern auf die Bastille gehen wollen, um dort zu verfaulen. Die tapferen und edlen Briten seien benachrichtigt, daß es hier Inspektoren der Pariser Polizei gibt, die sich in der Stadt festgesetzt haben; einige ihrer Leute sind einquartiert in der Gegend von Saint James. Sie stehen dort Wache, Tag und Nacht, versehen mit Knebeln, Handschellen und Dolchen, in der Absicht, die Autoren und Herausgeber der drei folgenden Werke zu ergreifen und nach Frankreich zu transportieren . . .

Nachdem einige Zeit erfolglos vorübergegangen war, kam der Graf d’Adhémar nach London und ließ Receveur rufen. „Hast du gefunden, was du suchtest?“ fragte ihn der Botschafter. „Nein, Herr Graf.“ —“Dann sieh zu, daß du übermorgen nicht mehr in London bist!“

Der Marschall von Richelieu wohnte einem dieser kleinen Abendessen bei, die jetzt in Paris so häufig sind. Er fängt an laut zu lachen. Die vier Damen, die dabei waren, wollten die Ursache des Gelächters wissen: Der sollte sie erfahren, der sie erraten würde. Man hatte tausend Vermutungen und alle waren falsch. Der Marschall lehnte durchaus ab, sich zu erklären; er habe schon wiederholt erfahren, daß diese Damen ihm die Vertraulichkeit niemals verziehen hätten. Die weibliche Neugier wird um so größer. Der Herzog gibt endlich nach, indem er um Gnade für sich bittet, die die Damen ihm versprechen. — „Also,“ sagt der Achtzigjährige, „man muss Ihnen gehorchen: die Galanterie geziemt jedem Alter. Eine entzückende Erinnerung reizte mein Lachen; ich erinnerte, daß ich einstmals die Ehre gehabt habe, von einer jeden von Ihnen im Bett empfangen zu werden. Heute kann ich zu Ihnen nur davon sprechen.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Sitten des Rokoko.