Die Sisalagave, eine wertvolle Faserpflanze.

Autor: Dr. Karl Max Gnadler, Erscheinungsjahr: 1921

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Landwirtschaft, Bambusart, Sisalagave, Faserpflanze, Kulturpflanze, Mexiko, Spanier, Blattfaser, Tauwerk, Seile,
Unter den mannigfaltigen exotischen Pflanzen sind viele, die nicht nur wegen ihrer seltsamen Erscheinung, sondern oft mehr noch ihrer Verwendungsmöglichkeiten halber Staunen erregen. So bieten die Bambusarten fast unerschöpfliche Ausnützung, und die Palmen liefern nicht nur Wein und „Brot“ — alles an der Palme dient irgendwelchen Zwecken. Kann man nun auch die verschiedenen Agaven der Agavoidengruppe, die „Wunderbaren“, wie ihr griechischer Name besagt, weder mit den Bambussen noch den Palmen gleichsehen, so führen sie diese Benennung doch mit Recht.

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Von den vielen Arten dieses eigenartigen Gewächses gehören etwa fünfzig, darunter americana L. und Agave mexicana Lam. als die bekanntesten der Neuen Welt an. Die Pflanze ist von den Angehörigen der altmexikanischen Kultur vor der Entdeckung Amerikas durch die Spanier wegen ihrer hohen Nutzbarkeit angebaut worden. Man bereitete aus dem Bast der Agave eine Art Papyrusbeschreibstoff, worauf die alten Mexikaner ihre Hieroglyphen aufzeichneten, und im Kalkputz mexikanischer Bauten fand man die Faser der Pflanze als Bindemittel.

Die Eingeborenen deckten die Dächer ihrer Hütten mit den ein bis zwei Meter langen Blättern der Agave; die langen, harten Dornen der Blattränder dienten als Nägel oder Pfeilspitzen, und die Blütenschäfte benützte man zu Lanzen. Die Spanier lernten aber auch die Verwendung der Blattfasern zu Seilen und groben Tüchern kennen. Unter den vielen fremden Gewächsen, die nach der Eroberung Mexikos durch spanische Vermittlung in die Alte Welt gelangten, befand sich die Agave, die sich seit etwa 1561 allmählich über die Mittelmeerländer, besonders Sizilien und Nordafrika und ganz Südeuropa, nördlich bis Bozen reichend, verbreitete, wo sie teilweise kultiviert, aber mehr noch verwildert angetroffen wird. In Italien, Dalmatien, Istrien, Südtirol und der Südschweiz bürgerten sich die Fremdlinge so ein, dass sie dort zu Charakterpflanzen im Landschaftsbilde geworden sind. Man hat sie sogar im südlichen Deutschland, in den Main-, Rhein- und Neckargegenden zu Freilandpflanzen gemacht. Womit allerdings nicht gesagt sein soll, dass sie in den letztgenannten Gegenden hochgradig kulturfähig wären.

Die Agaven, zur Familie der Amaryllidazeen gehörig, sind stammlose Gewächse mit ein bis zwei Meter langen fleischigen, rosettenförmig gestellten, am Rande dornigen Blättern, wovon an einer Pflanze etwa vierzig wachsen. Zur Zeit der Blüte erhebt sich innerhalb weniger Wochen aus dem Herzen der Rosetten ein Schaft, der, ästig, kandelaberartig gebildet, bis über zwölf Meter hoch wird. Die gelben, glockenförmigen, angenehm duftenden und honigreichen Blüten sind so zahlreich, dass man an einer Pflanze bis zu viertausend zählt. In sechs bis zehn oder fünfzehn Jahren erreichen diese Gewächse ihre volle Entwicklung; nach der Blüte und erfolgter Reife ihrer dattelartigen Früchte stirbt die Pflanze ab, und neue Schösslinge treiben aus den Wurzelausläufern hervor.

Sobald die Blütezeit herankommt, schneidet man die auf dem Schaft ansetzende Gipfelknospe heraus, und dann erlebt man eines der Wunder der Agave. Bei großen Pflanzen bildet sich an der Schnittfläche ein „Kessel“ von etwa einem halben Meter Durchmesser, dem nun ein aromatisch süßer Saft entquillt; er enthält hauptsächlich Zucker, Apfelsäure, Gummi und Eiweiß. Auf die Dauer von vier Wochen bis zu sechs Monaten gibt eine große Agave täglich vier bis fünf Liter, insgesamt gegen tausend Liter dieses Saftes. Die Mexikaner bereiten daraus durch Gärung den Pulque; dieses in ledernen Säcken aufbewahrte, berauschende Nationalgetränk ist eine Art Wein, an dessen eigenartigen Geschmack der Fremde sich allerdings erst gewöhnen muss. Durch Destillation wird daraus ein stark berauschender Branntwein bereitet; man nennt ihn Meskal oder Merikal nach der Stadt Meskal. Das Mark der Blätter ist essbar; es wird frisch, aber auch in verschiedener Zubereitung genossen. Der eingedickte Saft der Blätter wird als Seife gebraucht. Blatthaut und Faserstoffreste dienen der Papierbereitung. Der vertrocknete Blütenschaft wird statt des Korkes der Korkeiche in mannigfaltiger Weise benutzt, unter anderem auch dessen äußere Teile als Streichriemen für Rasiermesser. Die Wurzeln der Agave schätzt man als Heilmittel, und sie gelangen oft statt der berühmten Sarsaparille in den Handel.

Das wertvollste aber sind die Faserstoffe der Pflanze. Trotzdem die Güte dieses Materials früh bekannt war, geriet es doch zeitweilig wieder in Vergessenheit. So schickte man im Jahre 1760 aus Spanien Sachverständige nach Südamerika, um die Zubereitung dieses Rohstoffes kennenzulernen, und die spanischen Schiffe wurden von da an mit Tauwerk aus dem fast unverwüstlichen Material versehen. Kriege und Unruhen hatten zur Folge, dass der Anbau der Agave stark zurückging. Im mexikanischen Yukatan, der Hauptkulturstätte, war um 1877 die Jahresausfuhr an Rohstoffen und Fertigware auf 450.000 Dollar gestiegen. Nach dem kleinen Hafenplatz Sisal erhielt der Faserstoff die Bezeichnung Sisalhanf.

Unter den harten Pflanzenfaserstoffen, die in neuerer Zeit zur allgemeinen Verwendung gelangten, schätzte man den sogenannten Manilahanf besonders; es ist dies ein aus den Blattscheiden einer Bananenart, Musa textilis Louis Née genannt, gewonnener Rohstoff. Diese Art ist auf den Philippinen heimisch und wurde fast ausschließlich dort kultiviert.

Dann verwendete man immer mehr die Faserstoffe verschiedener Agavenarten, die in Süd- und Mittelamerika, Ost- und Westindien und seit 1893 in Deutsch-Ostafrika angebaut wurden. Damals wurde aus Mexiko die Agave sisalana in tausend Exemplaren eingeführt, und gegen Ende 1908 waren unter mehr als vierzig Millionen Pflanzen fast acht Millionen erntereif und lieferten vorzüglichen Sisalhanf; im Jahre 1909 wurden bereits 5.000 Tonnen Sisalhanf gewonnen, und die Anlage und die Produktion steigerten sich zusehends. Bei der Ernte werden die Blätter der Agave von der äußeren Rosette bis auf die beiden inneren Kreise der jüngsten Blätter am Grunde abgeschnitten und in besonderen Maschinen gequetscht und geschabt. Die Maschinen für Deutsch-Ostafrika wurden fast ausschließlich von der Firma Grusonwerk Friedr. Krupp A.G. in Magdeburg geliefert. Die gewonnenen Fasern befreit man durch Spülen in klarem Wasser von den noch anhaftenden grünlichen Blatteilen; dann hängt man sie zum Trocknen in der Sonne auf. In Maschinen mit rotierenden Bürsten werden die getrockneten Fasern nochmals gründlich gereinigt. Die einzelnen Stränge sind bis zu zwei Meter lang.

Besondere Vorzüge dieser Gespinststoffe gegenüber Hanf und anderem Material sind bei schöner gelblichweißer Farbe und hohem Glanz das geringe Gewicht und die außerordentliche Zähigkeit und Festigkeit bei hoher Elastizität. Härter und in geringerem Maße biegsam als Manilahanf, leidet diese Faser nicht unter der Nässe, sie wird sogar unter Wasser noch widerstandsfähiger; hochgradig haltbare Seile, Taue und Stricke, die daraus hergestellt werden, haben den nicht geringen Vorzug, gegen Nässeeinwirkung nicht geteert werden zu müssen. Vortrefflich eignen sich daraus gefertigte grobe Packtücher zur Versendung von Überseegütern, Kaffeesäcken, Matten und Wandbespannungsstoffen. Die Abfälle werden zu Polsterungen verwendet und zur Papierfabrikation gebraucht.

Trotzdem wir mit den Erzeugnissen unserer Kolonie erst spät in Wettbewerb mit anderen Völkern traten, übertraf kaum eine zu Gespinstzwecken angelegte Agavenkultur die Qualität unseres Sisalhanfes. Schon 1908 hat man in England mit Besorgnis vorausberechnet, dass nach zehn Jahren unsere Jahresausfuhr dieses begehrten Rohstoffes und seiner Fabrikate auf 30.000 Tonnen anwachsen würde, bei einem schätzungsweisen Werte von 25 Millionen Mark. Kurz vor dem Kriege waren unsere Kolonien die Hauptproduzenten; ein Drittel der Exportmenge des Weltmarktes in dieser Ware fiel auf deutschen Anteil. Es war höchste Zeit für England, die Welt in Brand zu setzen, die Früchte unseres Fleißes auf dem ganzen Erdball zu vernichten und unsere Kolonien zu rauben. Unter allen Umständen sollten wir den Platz an der Sonne verlieren. Und jetzt sucht man die völlige Verelendung unseres Volkes mit „friedlichen“ Mitteln gar zu Ende zu bringen. Blut soll künftig zur Verwirklichung imperialistischer Gewalt nicht mehr vergossen werden, erklären die Heuchler mit frömmelndem Augenverdrehen und rüsten dabei weiter bis an die Zähne, aber Entbehrung, Not und verzweifelte selbstzerfleischende Handlungen sollen unsere letzten Kräfte gänzlich zermürben. Deutschland soll das Los Irlands treffen.

In Blüte geschossene Sisalagaven.
Bei der Sisalernte in Ostafrika.
Das Trocknen der Sisalfasern in der Sonne.
Rohprodukt und Fertigfabrikate aus ostafrikanischem Sisalhanf.

Sisalagaven, in die Blüte geschossen

Sisalagaven, in die Blüte geschossen

Sisalagaven, Bei der Sisalernte in Ostafrika

Sisalagaven, Bei der Sisalernte in Ostafrika

Sisalagaven, Das Trocknen der Sisalfasern in der Sonne

Sisalagaven, Das Trocknen der Sisalfasern in der Sonne

Sisalagaven, Rohprodukt und Fertigfabrikate aus ostafrikanischem Sisalhanf

Sisalagaven, Rohprodukt und Fertigfabrikate aus ostafrikanischem Sisalhanf

Abbildung 6. Amerikanischer Sechsmast-Schoner „George W. Wells“.

Abbildung 6. Amerikanischer Sechsmast-Schoner „George W. Wells“.

Abbildung 10. Kreuzmast eines großen Segelschiffes mit allem stehenden und laufenden Gut.

Abbildung 10. Kreuzmast eines großen Segelschiffes mit allem stehenden und laufenden Gut.

Abbildung 11. Deck eines großen Segelschiffes mit Rahefall- und Brassenwinden.

Abbildung 11. Deck eines großen Segelschiffes mit Rahefall- und Brassenwinden.

Abbildung 14. Ozeanwettfahrt der Teeclipper 1866. links „Taeping“, rechts „Ariel“

Abbildung 14. Ozeanwettfahrt der Teeclipper 1866. links „Taeping“, rechts „Ariel“

Abbildung 15. Vollschiff „Großherzogin Elisabeth“ des Deutschen Schulschiffvereins.

Abbildung 15. Vollschiff „Großherzogin Elisabeth“ des Deutschen Schulschiffvereins.

Abbildung 16. Fünfmast-Bark mit Dampfhilfsmachine „R. C. Rickmers“.

Abbildung 16. Fünfmast-Bark mit Dampfhilfsmachine „R. C. Rickmers“.