Lieblingsplatz des Getreide- oder Sumpfrohrsängers

Lieblingsplatz des Getreide- oder Sumpfrohrsängers

Der Volksmund nennt diesen Platz nach einer versiegten Quelle „Bocksborn“, weil nachts um zwölf Uhr, nach der Meinung abergläubischer Leute, ein schwarzer Bock dort die Vorübergehenden erschrecken soll.


Die hier abgebildete Stelle ist in diesem Sommer ein Lieblingsplatz des Getreidesängers, des sog. Sumpfrohrsängers gewesen. Bald in dem hohen Roggen, bald auf den Telefondrähten, bald auf den kleinen Pflaumenbäumchen im Vordergrunde, bald auf den weiter entfernten Eschen saß der eifrig singende Vogel. Das Nest hier zu suchen, ist schwierig. Ich fand es weiter links in Nesseln an einem Graben zwischen den dort befindlichen Viehweiden, wohin sich die Vögel bei der zunehmenden Trockenheit zurückgezogen zu haben scheinen.

In andern Jahren, wenn rechts statt des Getreides Rüben und Kartoffeln stehn, wird vielleicht die Schaf stelze oder der braunkehlige Wiesenschmätzer da brüten oder nur der alltägliche Grauammer. Aber wenige Ackerbreiten weiter klingt des Getreidesänges Lied aus den Halmen. Auch im Winter herrschte hier oft ein buntes Vogelleben. Vier Stieglitze belebten regelmäßig den Wegrand, und vorübergehend gesellten sich Leinzeisige oder Bergfinken zu ihnen, um die Unkräuter abzuernten, die der ausgereckte Hals der umfriedigten Rinder und Pferde im Sommer nicht erreicht hatte. Die zahlreichen Käferlarven und Puppen in dem Viehdünger auf den Weideplätzen bilden für viele Vögel die begehrte Erdmast, so daß sich Scharen von Wacholderdrosseln und Staren hier zusammenfinden, und die von einem „scheuen Waldvogel zum Gartenvogel gewordene“ Schwarzamsel — wie es schier sprichwörtlich in allen Büchern steht — hier sogar zum Feldvogel wird.*) An Raubvögeln und Krähen fehlt es gleichfalls nicht. Der Wanderfalke ist hier oft täglicher Wintergast.

Ich bilde die schlichte Aufnahme als Trost für ängstliche Vogelfreunde hier ab, zum Beweise, dal) auch inmitten intensivsten Landwirtschaftsbetriebes reiches Vogelleben vorkommt. Daß man auf dem Bildchen davon nichts sieht, ist ganz natürlich. Ohne Kenntnis der Vogelstimmen wird man wohl von all den Vögeln, die hier ihr Wesen treiben, nicht viel gewahr.

*) 1921 fand ich an dieser Stelle am 10. Juni ihr Nest dicht über dem Erdboden in einem kleinen, einzelstehenden Weidenbusch.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Singvögel der Heimat
Tafel 98 Ein Lieblingsplatz des Getreidesängers

Tafel 98 Ein Lieblingsplatz des Getreidesängers

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