Fortsetzung (1)

Es war eine wenig beneidenswerte Erbschaft, die das neue Ministerium antrat. Schon die Art seiner Ernennung — während der Vertagung und ohne dass ein Votum der Kammer mitgewirkt hätte — bereitete ihm eine schwierige Stellung. Es hatte die undankbare Aufgabe, die Tatsache der erneuten Besetzung Roms hinzunehmen, während im Übrigen die aus dem Septembervertrag fließenden Verpflichtungen in Kraft blieben und namentlich in Betreff der Zahlung der päpstlichen Schuld Frankreich unerbittlich war. Die extremen Parteien, die so eben ihre Unfähigkeit glänzend bewiesen hatten, beeilten sich, dadurch Rache zu nehmen, dass sie die Minister als Vasallen des Tuilerienkabinetts herunterrissen, obwohl die Erklärungen Menabreas zeigten, dass er um keinen Fußbreit von der Linie des nationalen Programms abwich und die später veröffentlichte diplomatische Korrespondenz urkundlich erwies, dass das Ministerium, sobald es sich fest fühlte und Vertrauen in seine Loyalität beanspruchen zu können glaubte, sofort Versuche gemacht hatte, die Wiederräumung des Kirchenstaats zu erwirken und Frankreich zum Rückzug auf die Stipulationen des Septembervertrags zu bewegen, was freilich Napoleon schon aus dem Grund nicht zugestehen konnte, weil er es angesichts der bevorstehenden Wahlen in Frankreich nicht mit der klerikalen Partei verderben durfte. Das neue Ministerium sollte vor Allem ein Ministerium der Loyalität sein, und dies war nach der Amtsführung Ratazzis auch das Allerdringendste. Es galt, den Kredit der Regierung wiederherzustellen, nach außen ebenso wie nach innen. Dabei kam ihm die konservative Nuance zu Statten, die es durch den Namen des neuen Ministerpräsidenten erhielt, welcher einst im subalpinischen Parlament entschieden zur Rechten gehört aber sich dann allerdings ganz der Cavourschen Politik angeschlossen hatte, die er nun nach allen Beziehungen fortzusetzen entschlossen war. Denn was von reaktionären Tendenzen der neuen Minister alsbald in der Presse der Opposition zu lesen stand, war eitel Parteierfindung; niemals konnte dafür der Schatten eines Beweises beigebracht werden, obwohl bis in die neueste Zeit und in immer verstärkter Weise eine liebenswürdige Lokalpresse sich in Verbreitung abenteuerlicher Gerüchte gefiel, als ob das Ministerium mit freiheitsmörderischen Staatsstreichgedanken umgehe und nach dem Blut der Bürger dürfte.

Die Frage war. wie das Ministerium Menabrea sich zu einer Kammer stellen werde, die eben noch eine Stütze Ratazzis gewesen war. Der Anfang verhieß wenig Gutes. Als die Kammer, die am 20. August vertagt worden war am 5. Dezember wieder zusammentrat, stürzte sie sich — wie dies nach Mentana zu erwarten stand — in eine jener unfruchtbaren Debatten über die römische Frage, deren Mittelpunkt diesmal die Erörterung von Ratazzis Haltung bildete. Vierzehn Tage dauerte dieses Wortgefecht, und am Ende wurde die Tagesordnung, die das Ministerium als ein Vertrauensvotum zu akzeptieren bereit war, mit geringer Mehrheit verworfen. Menabrea reichte seine Entlassung ein, wurde jedoch sofort mit der Neubildung des Ministeriums beauftragt und trat, nachdem die Versuche, mit den frondierenden Parteien anzuknüpfen, gescheitert waren, mit nicht erheblichen Veränderungen am 11. Januar 1868 wiederum vor die Kammer. Neben Menabrea blieb der Finanzminister Cambray-Digny, der vormalige Gonsaloniere der Stadt Florenz, der nunmehr seine Finanzpläne vor dem Lande zu entwickeln hatte.


Am 20. Januar legte der Minister sein Exposé vor. Die Hauptpunkte seines Programms, um das Defizit der Jahre 1866—1868 zu decken, das er aus 630 Mill. anschlug, und das Gleichgewicht der Einnahmen und Ausgaben herzustellen, waren folgende: zunächst die Einführung neuer Steuern, darunter besonders der Mahlsteuer, die schon von Sella versucht und von Ferrara beabsichtigt war; ferner die Reform einiger bestehenden Steuern, damit zusammenhängend Änderungen in der Tabaksregie; dann Reformen in der Zentral- und Provinzialverwaltung. durch welche der Dienst vereinfacht und dezentralisiert, und andererseits die Autorität der Behörden gehoben werden sollte; sodann Übergang des Dienstes der Staatskasse an die Nationalbank und endlich die Betrauung der Gemeinden mit der Erhebung der direkten Steuern. Nicht mit großen Erwartungen hatte man der Amtsführung des neuen Finanzministers entgegengesehen, der kein eigentlicher Finanzmann war. Dennoch gelang es ihm, durch rückhaltlose Offenheit und den Ernst seiner wiederholten Darlegungen bald eine gewisse Autorität zu erlangen. Die Notwendigkeit, entscheidende Maßregeln zu ergreifen, wenn der Bankerott abgewendet werden sollte, machte sich allgemein geltend. Man war der ewigen Ministerveränderungen müde und war auch davon überzeugt, dass der Weg der fortgesetzten Anleihen durch Ausgabe von konsolidierter Rente verlassen werden müsse, wenn der Kredit des Landes nicht immer tiefgeschädigt werden sollte. Im Lande regte sich endlich die gemäßigte Partei, in mehreren oberitalienischen Städten wurden Versammlungen veranstaltet, welche das Parlament an die Pflicht erinnerten, das Land vor der Schmach des Bankerotts zu bewahren und zugleich die opferwillige Mitwirkung des Volkes beteuerten. In der Kammer selbst gewann das Ministerium sichtlich an Boden, und wirklich waren die Verhandlungen des Jahres 1868 — sie dauerten vom 11. Januar bis zum 31. August und wieder vom 25. November bis 22. Dezember — verhältnismäßig reich an Ergebnissen. Es war die fruchtbarste Session, deren ein Finanzminister des neuen Königreichs sich rühmen konnte.

Die Debatte über die Mahlsteuer nahm dadurch eine glückliche Wendung, dass im Laufe derselben die sogenannte dritte Partei unter Führung von Bargoni, Mordini, Correnti u. A., eine weniger durch ihre Zahl als durch ihre Talente einflussreiche Partei und bei dem Verhältnis der Parteien immerhin ein erheblicher Zuwachs, ihren Übergang zur ministeriellen Partei vollzog, unter der Bedingung, dass das Ministerium auf ihre Ideen in der Verwaltungsorganisation einging. Am 21. Mai wurde die Mahlsteuer und mit ihr zwei andere neue Steuern genehmigt und später ein Zuschlag von 10 % zu den direkten Steuern votiert. Wurde auch das Projekt einer allgemeinen Einkommensteuer wieder aufgegeben, und der Vorschlag des Ministers, die auswärtigen Staatsgläubiger von der Couponsteuer auszunehmen, verworfen, so wurden doch im Übrigen seine Steuerpläne gutgeheißen. Im Ganzen hatte die Kammer 140—150 Mill. neuer Steuern bewilligt und damit ihren entschiedenen Willen, für Herstellung des Gleichgewichts mitzuwirken, dokumentiert. Und kaum hatte der Minister diesen Triumph errungen und damit seine Stellung befestigt, so wandte er sich den anderen Teilen seines Programms zu. Die Basis seines Finanzplans bildete das Tabaksgeschäft. Hatte eine Operation auf die Kirchengüter immer das Missliche, dass man hier einem schwer zu schätzenden Objekt gegenüberstand, so bot dagegen eine Operation auf das Tabaksmonopol den Vorteil. dass der Ertrag fast bis auf Heller und Pfennig sich berechnen ließ. Man hatte hier einen soliden, sicheren Gewinn und der Gewinn musste sich zugleich fortwährend steigern, wenn das Geschäft, wie dies auch volkswirtschaftlich sich empfahl, in die voraussichtlich rationellere Behandlung durch Privathände überging. Schon wenige Tage nach jenem günstigen Votum über die Steuergesetze schloss Cambray-Digny mit einer Anzahl italienischer und ausländischer Handelshäuser einen Vertrag über die Bildung einer Aktiengesellschaft ab, welche für 20 Jahre die Ausnutzung des Tabaksmonopols (Anfertigung, Kauf und Verkauf) in Pacht nehmen und der Regierung sofort 180 Mill. als Vorauszahlung und 50 Mill. als Entschädigung für die vorhandenen Vorräte zur Verfügung stellen sollte. Und am 8. August wurde, nachdem einige von den Abteilungen der Kammer gewünschte Modifikationen angebracht waren, der Vertrag genehmigt, jedoch nicht ohne lebhafte Bekämpfung von Seiten der Consorterie sowohl als der Piemontesen, und nur mit geringer Mehrheit. Auch der Gesetzentwurf, der die Erhebung der direkten Steuern nach dem sogenannten lombardischen System den Gemeinden überträgt, wurde von der Kammer genehmigt, und ferner der Beschluss gefasst, den mit Zwangskurs umlaufenden Banknotenbetrag auf 750 Mill. zu reduzieren. So konnte man, als die Kammern am 31. August vertagt wurden, auf eine geschäftsreiche und fruchtbare Session zurückblicken. Ministerium und Kammer hatten sich an gemeinsame Arbeit gewöhnt und es war nicht bloß für die finanziellen Bedürfnisse des Augenblicks gesorgt, sondern ebenso waren eingreifende Maßregeln, die eine allmähliche Besserung der Finanzlage überhaupt versprachen, durchgesetzt. Am 25. November trat die Kammer wieder zusammen und nichts schien im Wege zu stehen, dass nunmehr der Entwurf der Verwaltungsreorganisation energisch in Angriff genommen würde. Wirklich konnte am 20. Dezember die Generaldebatte über den Entwurf geschlossen werden; aber die Anträge der Opposition wurden mit starker Mehrheit verworfen und eine von der Regierung akzeptierte Tagesordnung angenommen. Zuvor noch hatte die Hinrichtung der beiden politischen Verbrecher in Rom, Monti und Tognetti, eine kleine politische Episode veranlasst. Als aber trotz der hierdurch veranlassten Aufregung der Antrag der Linken, die Zahlung der päpstlichen Schuld zu suspendieren, am 21. Dezember nach lebhafter Debatte verworfen wurde, schien das Ministerium fester denn je zu stehen, und das Jahr 1868 schloss mit den günstigsten Aussichten für die Zukunft.

Umso schlimmer ließ sich gleich der Anfang des neuen Jahres an. Der 1. Januar war der Tag der Einführung der Mahlsteuer. Zum Unglück waren an diesem Termin die mechanischen Zähler, die zu diesem Zweck in den Mühlen anzubringen waren, noch nicht fertig geworden. Und doch wollte der Minister die Erhebung einer Steuer nicht hinausschieben, die mit ihrem mutmaßlichen Ertrag von 70—80 Mill. einen wesentlichen Teil seines Finanzplans bildete. Man half sich mit provisorischen Anordnungen, es gab Irrungen, die Behörden verfuhren mit Ungeschick und dadurch wurde im Volk die alte Abneigung gegen diese Steuer wieder lebendig, die noch überdies von den staatsfeindlichen Parteien nach Kräften ausgebeuet wurde. Die Folge waren mehr oder weniger ernste tumultuarische Auftritte in einer Reihe oberitalienischer Städte, zumal in den Provinzen Parma und Bologna. Im Süden war die Einführung der Steuer auf keinen Widerstand gestoßen, weil man hier seit alten Zeiten an die Mahlsteuer gewöhnt war, die zwar von Garibaldi abgeschafft, seitdem aber meistens von den Gemeinden für ihre eigene Rechnung wieder eingeführt worden war.

Diese Unruhen wären indessen bald wieder vergessen gewesen, wenn sie nicht ihr unvermeidliches Nachspiel im Parlament gehabt hätten. Als die Kammer am 21. Januar wieder zusammentrat, war das Erste eine Interpellation der Linken, die sich die Gelegenheit nicht entgehen ließ, wieder eines jener mehrtägigen Wortgefechte aufzuführen, die nun einmal einen ungleich größeren Reiz für sie besitzen, als die Behandlung von Geschäften, und die, was schlimmer ist, durch die unvermeidliche Nachwirkung des Parteigezänks auf geraume Zeit die Behandlung von Geschäften unmöglich machen. Übrigens fehlte es auch von Seite der Rechten nicht an scharfem Tadel. Denn an jenen Tumulten entzündete sich auch in der Kammer wieder die ganze Opposition gegen die Mahlsteuer überhaupt, unversöhnlich zeigte sich besonders die Gruppe der Piemontesen unter Lanza und Sella. Und wenn auch schließlich am 27. Januar hauptsächlich durch die Unterstützung der dritten Partei eine Tagesordnung angenommen wurde, welche Cambray-Digny als eine Indemnitätsbill akzeptierte, so war doch mindestens viel Zeit verloren, die Unlust an positiven Arbeiten gesteigert, die günstige Stimmung des vorigen Jahres verflogen. Die Sitzungen waren leerer als je, und als die unvermeidlichen Karnevalsferien eintraten, war nichts als lediglich jene Debatte über die Mahlsteuertumulte fertig gebracht worden.

Am 16. Februar trat die Kammer wieder zusammen. Es sollte jetzt mit Energie gleichzeitig an die Beratung des Budgets und an die Spezialberatung des Verwaltungsgesetzes gehen. Abwechselnd sollten die Sitzungen dem einen und dem andern Gegenstand gewidmet sein. Aber langsam rückten die Debatten vor, und je näher man den Hauptpunkten der Verwaltungsreform kam, um so zweifelhafter wurde es, ob überhaupt eine Mehrheit für eine so bedeutende Gesetzesarbeit zu Stande kommen werde. Das Ministerium hatte den Entwurf von Bargoni (dritte Partei) adoptiert, dessen wesentlichster Punkt die Aufhebung der Unterpräfekturen war. An Stelle dieser sollten nach dem Muster der vormaligen Verwaltung im lombardisch-venetianischen Königreich Regierungsdelegationen für kleinere Bezirke von 40—50.000 Seelen treten, mit denen auch die bisherigen kostspieligen Finanzämter verbunden werden sollten. Zu diesem Entwurf stellte nun Peruzzi (von der Consorterie) noch einen eingreifenden Antrag, der dahin zielte, die Provinzialräte von den Präfekten unabhängig zu machen, und dadurch ein praktischer Anfang der Dezentralisation sein sollte. Aber obwohl Decentralisation hier wie überall längst ein von allen Parteien im Munde geführtes Wort war, so scheute man doch jetzt vor dem ersten ernsten Versuch der Verwirklichung zurück, und nach langen fruchtlosen Verhandlungen gelang es der Linken, einen Antrag auf Vertagung des Vorschlags durchzusetzen, was geradezu einer Bankerotterklärung der Kammer gleich kam. Schon in diesem Augenblick konnte der Ernst der Lage Niemand entgehen. Die Kammer hatte ihre gänzliche Unfähigkeit bewiesen; sie hatte weder den Willen noch das Selbstvertrauen, eine solche Gesetzesarbeit durchzuführen, sie wusste überhaupt nicht, was sie wollte. Die wichtigen Fragen zu vertagen, hatte sich als ein überaus bequemes Mittel empfohlen. Als die Verhandlungen fortgesetzt wurden und man an den Punkt der Delegationen kam, vertagte man diesen Punkt ebenso wie man es mit dem Antrag Peruzzis getan hatte, und am 12. April wurde die Beratung des ganzen Gesetzes abgebrochen, und zwar auf den Wunsch des Ministers Cambray-Digny, der, müde des grausamen Spiels, daran verzweifelte, mit dieser Kammer etwas in Stand zu bringen.