Die Seebäder am samländischen Ostseestrande

Aus: Rosenheyn, „Reiseskizzen aus Ost- und Westpreußen“. Danzig, 1858
Autor: Rosenheyn, Max (?), Erscheinungsjahr: 1858
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Ostpreußen, Ostseeküste, Ostseebad, Seebäder, Badeort, Samland, Warnicken, Kranz, Neukuren, Rauschen
Man hat hier und da behauptet, der Andrang zu den Seebädern habe seinen Gipfelpunkt erreicht, aber die Erfahrung widerspricht dem: denn das Bedürfnis darnach wächst mit jedem Jahre. Das Meer bleibt ein starker Magnet; seine Wellen sind eine Universalmedizin geworden. Wer noch zweifeln sollte, dass das Seebad zum Bedürfnis ward, der verfolge auf der Karte die Küste unserer deutschen Ostsee von Kiel bis Memel und zähle, wie viele Seebäder in den letzten 20 Jahren entstanden und blühen und besucht wurden. Ein neuer Industriezweig hat sich eröffnet, und wo man vor wenig Jahren noch elende Fischerhütten im Sande der Dünen sah, erblickt man nun Villen und kleine Paläste. Die Ostsee ist mit einem weiten aneinanderhängenden Gürtel von Badeorten geschmückt, wie der Goldreif eines Armringes mit Juwelen. Das zeigt selbst die samländische Ostseeküste. Von Brüsterort, dem nördlichen Küstenpunkte des preußischen Ostseebusens, bis nach dem am Anfange der kurischen Nehrung gelegenen Kranz, also in einer Ausdehnung von 6 Meilen, sieht man zur Sommerzeit in allen Stranddörfern Badezelle, und begegnet überall hier Lustwandelnden, Spazierfahrenden, Reitern und Reiterinnen. Fast von Viertelmeile zu Viertelmeile sieht man am Meeresstrande Badehütten aus Stroh, Bretterbuden und Zelte errichtet, die oft täuschende Ähnlichkeit mit einem Negerkral haben. Jeder wohlhabende Ostpreuße, namentlich aber jeder einigermaßen bemittelte Königsberger, hat hier sein Lieblingsdorf, dessen Lage, Bad oder Gesellschaft er jedem andern vorzieht.
Sobald der Juni seinem Ende naht, sieht man tagtäglich eine bunte Menge von Equipagen und Journalièren, Post- und Paketwagen von Königsberg aus dem vier Meilen weit entlegenen Ostseestrande zueilen. Der Zug teilt sich jedoch alsbald in 2 große Heeressäulen. Die eine Hälfte zieht nach Neukuren oder noch weiter westwärts hin an den Strand, die andere nach Kranz. Folgen wir dem letzteren Zuge; er führt uns auf einer guten Chaussee in das Eldorado der Königsberger, nach Kranz. Noch vor 30 Jahren lag hier an der kurischen Nehrung ein armseliges Fischerdorf mitten im Sande: „Kranzkuren“. Nur wenige Misanthropen aus der Residenz zogen zur Sommerzeit hier hinaus, um abgeschieden von der Welt hier ihren Grillen zu leben und dann und wann durch ein Seebad sich zu stärken. Allmählich aber, als man einsah, dass die Wellen der Ostsee gerade an dieser Strandecke am heftigsten gegen das Ufer anprallen, fing man an, sich bequemer einzurichten und baute sogar ein gemeinsames Logierhaus, welches das Glück hatte, zur rechten Zeit abzubrennen, um einem komfortablen Gebäude Raum zu machen. Um dieses herum erhob sich alsbald eine Menge neuer Häuser, für jede Klasse von Gästen berechnet und gegenwärtig gewöhnlich von mehr als 2.000 Fremden bewohnt. Der Häuser ziegelrote Dächer, die zwischen den Bäumen der Corsoallee und des großen Gartens hervorragen, das palaisähnliche Logierhaus, die niedlichen Schweizerhäuser, die Kirchengasse, die Plantage mit ihrer Halle und die Aussicht auf den weiten blauen Meeresspiegel bilden ein ansprechendes Ganze. Wer billig wohnen will, bezieht ein strohgedecktes Bauernhaus in der Nähe der Plantage, dessen Familie dann, auf Vorteil bedacht, sich in die Viehställe zurückzieht. Die Badegäste bestehen hier meistens aus 1/12 Kranken, 4/12 polnische Juden und 7/12 vergnügungslustigen Leuten. Glänzende Soireen, Sonnabendsbälle und Konzerte, gemütliche Kinderfeste und gemeinsame Spazierfahrten nach der nahen Sackauer Forst und den benachbarten Stranddörfern gewähren genügende Zerstreuung, so dass wohl selten ein Badegast diesen Ort unbefriedigt verlässt.

Nächst Kranz ist Neukuhren der besuchteste Badeort an diesem Strande. Der Weg dahin ist bei Weitem romantischer; er führt über den tief in einem Walde gelegenen Eulenkrug hin nach dem, seiner malerischen Umgebung wegen wohlberühmten Kirchdorfe Pobethen, welches fast schon städtische Betriebsamkeit zeigt und an Sagen reich ist.

Bald hinter Sussau senkt und verflacht sich das Ufer mehr und mehr, je weiter man sich dem Strande nähert; aber um so mehr auch überrascht wird man durch den Anblick des überaus freundlich gelegenen Badeorts Neukuhren, nächst Kranz der besuchteste Badeort der samländischen Küste. Er liegt hoch, dicht an der See, zu welcher eine 80stufige Treppe hinunterführt, und vereint alles in sich, was einen Badeort angenehm machen kann. Die Badestelle ist gleich zur Hand, bequem und sicher, die Umgebung freundlich und reich an angenehmen Lustpartien. Mit leichter Mühe können wir von hier aus die reizendsten Kostenpunkte besuchen. Deshalb kommt der Ort auch immer mehr in Aufschwung. Vor 3 Jahren waren hier noch keine Wohngebäude von besonderer Eleganz sichtbar; jetzt verleihen vier im geschmackvollen Stil erbaute Häuschen dem einfachen Stranddorfe eine hervortretende Zierde; ein fünftes derartiges Haus ist im Bau begriffen; auch hat sich die Zahl der Wohngebäude bedeutend vermehrt. Das Leben ist hier angenehmer, der Ton ungezwungener als in Kranz, und eben deshalb der Ort beliebt und besucht. Einer der nächsten Spaziergänge ist der nach dem „Borstenstein“, einem ungeheuren Steinblock, mitten in bewaldeter Uferschlucht gelegen, der durch einen Blitzstrahl in 2 Hälften zerspalten wurde.

Unweit Neukuhren liegt Rantau, auch noch ein Badeort, wenngleich 1/4 Meile vom Seestrande gelegen; doch ist der Weg dahin eben nicht beschwerlich und das Ufer vortrefflich zum Baden geeignet. Insbesondere haben sich hier solche Badegäste einquartiert, denen daran gelegen ist, in ökonomischer Hinsicht unbeschwert zu bleiben. Es lebt sich beispiellos billig in Rantau. Aber die weitere Umgebung ist öde. Gleich hinter Rantau fängt eine unabsehbare Palwe, aus Moos und Heidekraut bestehend, an, und umfangt weithin den Wanderer, bot aber gleichwohl mir Interessantes dar: Scharen von Rebhühnern, die ihren Hals scheu aus dem Kraute hervorreckten, streiften haufenweise über die öde Einöde hin, und unbeweglich schwebten Habichte mit ausgespannten Flügeln darüber hin, beutelüstern. Das Geschrei wilder Gänse, die von der Abendsonne getroffen, einem rosigen Gewölk gleich, seitab dahinflogen, hallte in den nahen Tälern und Schluchten wieder, und aus weiter Ferne ertönte der Ruf der Sumpfvögel, die einem der vielen kleinen Sümpfe oder Seen des hügelreichen Samlandes zusteuerten.

Über den Wangenkrug und Lapehnen fort gelangt man in 2 Stunden von Neukuhren aus in das große Fischerdorf Rauschen, das von der See durch hohe Dünen getrennt, dennoch eine reizende Lage hat, indem es zu Seiten eines schmalen Landsees malerisch dahingeschmiegt liegt, während viele Häuser des Dorfes auch aus den unterhalb bewaldeten Anhöhen freundlich hervoräugeln. Doch ist der Weg zur See hin beschwerlich, insofern man die hohe Sanddüne übersteigen muss, obgleich Bretterstege dem Badegaste zu Hilfe kommen. Es gibt nichts Trostloseres als diesen öden Weg.

Unstreitig der reizendste Punkt, nicht nur vom Strande, sondern von ganz Samland, ist der Badeort Warnicken. Die Natur hat hier Alles getan, um den Beschauer zu befriedigen; sie, die sonst unter unsern nördlichen Breitegraden so sparsam tut mit ihren Gaben, hat hier ihren Reichtum so üppig verstreut, dass man sich in einen südlichem Himmelsstrich versetzt wähnt. Ein enges, tiefes, dichtbewaldetes Tal, die „Wolfsschlucht“, zieht sich, von einem kleinen tosenden Wasser durchrieselt, unmittelbar an der See, so dass die äußersten Vorberge die „Jägerspitze“ und die „Fuchshöhle“ unmittelbar von den Meereswellen bespült werden. Die Aussicht von der Jägerspitze ist wahrhaft entzückend. Tief unten brechen sich bei stürmischem Wetter die Meereswogen an zackigen Klippen. Hochauf schlägt der weiße Gischt und spritzt weit in die Schlucht hinein, während die zerschellte Woge zwischen mächtigen Steinblöcken sich eiligst zurückzieht, um einen neuen, eben so erfolglosen Angriff zu machen. Terrassenförmig gruppiert hebt sich die dichte Baummasse aus der Tiefe empor. Hier und da überragt eine stolze Eiche, gleich einem mächtigen Herrscher, ihre Umgebung, und zwischen all dem Grün schimmert tief unten das Bächlein freundlich grüßend hervor. Sorglos plätschernd fließt es über Kieselgeröll dahin, ohne zu ahnen, dass sein junges Leben bald zu Ende ist und die See mit ihren Riesenarmen es vernichtet. Stundenlang kann man hier oben sitzen und auf das Rollen der Wogen und auf das Rauschen in den mächtigen Eichengipfeln aus der Schlucht her, lauschen, ohne dieser geheimnisvollen Musik müde zu werden. Eine heilige Andacht erfüllt, wie wenn wir in einem gewaltigen Dome die mächtigen vollen Orgelklänge und der Gläubigen frommen Gesang vernähmen, oder es deucht uns wohl auch, als ob Homer und Shakespeare, diese meeresvertrauten Sänger, ein Zwiegespräch mit uns hielten. Aber selbst dann, wenn die See nicht ihr Riesenhaupt brüllend erhebt, sondern lammfromm an dem Ufergestein plätschert oder wohl gar wie ein stiller Teich regungslos daliegt und gleich einem flüssigen Kristall blitzt, ist das Verweilen hier entzückend schön. Wahrlich, nichts auf der Welt füllt so ganz die Seele aus, als das Meer.

Ostpreußen, Ostseebad Kranz, Hotel Monopol

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