Die Schweizer im russischen Feldzug von 1812.

Autor: Büdinger, Max (1828-1902) Professor in Zürich und Wien, Geschichtsforscher, Autor und Publizist
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Napoleon I. Russland, Russlandfeldzug 1812, Schweizer Regimenter, Schlechte Versorgung der Armee, Rückzug, Russischer Winter, Kälte, Hunger
Abraham Roesselet, Souvenirs publiés par R. de Steiger. (XXI u. 327 S.) Neuchâtel 1857.
Thomas Legler, Denkwürdigkeiten aus dem russischen Feldzuge von 1812. Jahrbuch des historischen Vereins des Kantons Glarus. Viertes Heft. S. 7—59.) 1868.


Es wird immer ein schwer zu lösendes historisches Problem bleiben, wie weit das Unternehmen des russischen Krieges von Seiten Napoleons I an sich fehlerhaft war oder nicht. Während der Diskussionen über sein Leben auf St. Helena hat er selbst sich freilich auf die Seite der Tadler gestellt, welchen der unglückliche Ausgang des Feldzuges noch heute als ein Hauptbeweis dient. Der Verbannte erklärte sich seinen angeblichen Fehler wesentlich aus dem Mangel eines hervorragenden Ministers der auswärtigen Angelegenheiten in jener Zeit — er meinte Talleyrand, den er so gröblich von sich gescheucht hatte und dessen heller Blick vielleicht einige von den schreienden Gewalttaten gehindert haben würde, welche zum Bruche mit Russland treiben mussten; aber sehr fraglich ist denn doch, wie sein schließlicher Rat gelautet haben würde, wenn er sich während der Vorbereitung des Unternehmens im Amte befunden hätte.
Denn die im Spätherbste 1811 zu Napoleons Verfügung stehenden Kräfte reichten in der Tat völlig aus, um neben dem lästigen, aber keineswegs gefährlichen spanischen Kriege, auch noch einen russischen vorzubereiten — vorausgesetzt, dass es militärisch möglich war, den letzteren gleich dem österreichischen von 1809 in einem Sommer zu Ende zu bringen. Und wie es unzweifelhaft ist, dass eben dies des großen Kriegskünstlers leidenschaftliche Hoffnung und Absicht war, so ist auch völlig klar, wie nahe er wiederholt seinem Ziele stand. Denn wie er selbst, so waren die russischen Feldherren — Barklay wie Kutusow — vollkommen überzeugt, dass mit der Vernichtung der russischen Armee das Ende erreicht war. Diese Vernichtung, die er ein paar Male gleichsam in Händen hatte, ist ihm allerdings trotz aller Virtuosität seiner Pläne misslungen, zum Teil durch Versäumnis seines Bruders Hieronymus, mehr noch durch eigene Versehen, am Meisten durch die pünktliche Gewissenhaftigkeit und zähe Ausdauer einiger russischen Generale und Truppenteile*). Aber man wird doch billiger Weise zugeben müssen, dass jene militärische Möglichkeit des Gelingens in einem Sommerfeldzuge keineswegs bestritten werden kann.

Das Gelingen zu erleichtern, wäre der lebhafteste Fortgang des Türkenkrieges der Russen erwünscht gewesen und eine schärfere und gewandtere Geschäftsleitung von Paris aus, eben die Tallyrands etwa, würde trotz der Künste des schlauen Unterhändlers der Russen, des Fürsten Kutusow, den türkischen Friedensschluss wohl verhindert haben; auch hätte dieselbe voraussichtlich den Schleier des schwedisch-russischen Bündnisses früher gelüftet. Die Hauptsache aber war natürlich nächst der richtigen Zusammensetzung der Armee die Vorsorge für deren Unterhalt im Skütenlande.

*) Le sort nous y a favorise (à Smolensk); car contre toute probabilité la jonction des deux armées s'y est faite, meinte Kaiser Alexander I, aber entschieden mit Unrecht. Vgl. v. Smitt, zur nähern Aufklärung über den Krieg von 1812, S. 380 ff., 414, 546.

Und eben für die geeignete Ernährung der einrückenden Armee ist trotz der geräuschvollen Vorbereitungen und der neuen lockenden Prachtuniform der Trainsoldaten ganz erstaunlich wenig geschehen. Es gehört ja schon zu den Absonderlichkeiten dieses Feldzuges, dass derselbe mit der wilden Ausplünderung eines befreundeten Grenzlandes wie Ostpreußen von Seite der Franzosen eröffnet wurde*). Soweit überhaupt Verproviantierung stattfand, bestand sie in Fleischrationen, deren Gefährlichkeit als ausschließliche Truppennahrung schon die Römer kannten**). Regelmäßig aber geschah die Versorgung durch einen mehr oder weniger gut organisierten Raub (Marode), der bald ganze Heeresteile auflöste und andere bis zur Unbrauchbarkeit entsittlichte. Napoleon ist eben für die Versorgungsfrage von einer irrigen Analogie dieses neuen zu seinen früheren Feldzügen ausgegangen; er hat deshalb gefährliche Experimente zugelassen, wie die Anschaffung neuer schwerer Transportmittel, die sich in der Tat ganz unbrauchbar erwiesen, und Zufuhren nach Lithauen auf der Wilia, die sich als unmöglich herausstellten. Alle die hastigen Befehle, welche er dann erließ, um den geschehenen schweren Fehler mindestens vor seinem eigenen Gewissen wieder gut zu machen, mussten aber ganz vergeblich bleiben um der ungemeinen Raschheit des Vorrückens willen, zu welcher ihn Natur und Absicht dieses Krieges nötigten.

Selbst wenn Napoleon sein Ziel erreicht, wenn er die russische Armee vor Sommersende vernichtet hätte, so würde sein Andenken ein Vorwurf der Fahrlässigkeit und des Versäumnisses treffen***), weit schwerer als der, welcher den Ruhm des mazedonischen Alexanders wegen seines irrigen Wüstenzuges durch Beludschistan verdunkelt.

*) On ordonna enfin d’enlever tout ce qu'il y avait de mieux dans le pays en ne laissant aux pauvres que les yeux pour pleurer et des expressions pour nous maudire. Roesselet 158.
**) — per inopiam et labores fatiscebant carne pecudum propulsare famem adacti. Tacitus.
***) Das sagt sogar Bignon (XI 69): la prévoyance — — avait sous plus d'un rapport été eu défaut au commencement de la guerre de Russie, und auch die nächsten Bemerkungen Bignons sind so wahr als gefühlvoll.


Denn nicht ohne Grauen findet man bei einem solchen Lobredner wie Thiers den Nachweis*), dass die Armee ohne ein einziges größeres Gefecht in den ersten sechs Wochen, nachdem sie den Niemen überschritten, sich um 129.000 Mann verminderte oder auf zwei Drittel ihres Bestandes zusammenschmolz! Sollte man in der Tat das Entsetzliche für möglich halten, was er selbst, sich zur Entschuldigung, einmal verächtlich im Gespräche mit Caulaincourt hervorhob, dass ihm die große russische Todesernte nicht so beklagenswürdig erscheine, da unter den Umgekommenen so viele Deutsche gewesen wären?**)

Klar genug ist, dass für die Versorgung der Armee Ungenügendes geschah und damit der eine wesentliche Faktor des Gelingens mangelte. Umso höheres Interesse gewinnt die Frage nach dem anderen, nach der geeigneten Zusammensetzung der Heeresmassen.

Die nationalen Bestandteile derselben zu sondern, wird nun allerdings durch den Umstand sehr erschwert, dass in den Listen als Franzose gilt, wer unmittelbar zu dem sogenannten Kaiserreiche gehörte, mochte er unzweifelhaft Deutscher oder Niederländer sein. Aber lassen wir einmal die gewiss nicht erfundene***) Berechnung des so ehr- als streitliebenden Generals Gourgaud, d. h. die für Napoleons Sache bei Weitem günstigste gelten, nach welcher der Präsenzstand

*) XIV, 159 ff. und daraus tabellarisch zusammengestellt bei Smitt 398. Trotz seiner Rüge gegen die ungenaueren Vorgänger scheint aber Thiers nur den Solletat der Einrückenden zu geben. S. u. Anm. 3. Immerhin la vieille garde était la seule troupe, qui n'eût rien perdu!
**) Mais il y avait là beaucoup d'Allemands. Guizot mémoires I 65.
***) Thiers XIV 160 Note behauptet doch nur, die von ihm benutzen Listen habe Napoleon gesehen, während Gourgaud (examen critique 1826) S. 90 versichert, seine Angaben ruhen auf des documens officiells que nous possédous, surchargés mème de notes de la main de Napoléon und die Richtigkeit des an Tschernitscheff verratenen Solletats von 414.600 M. besonders wegen der großen Verluste bis an die russische Grenze zugibt. Diese Zahlen darf man denn doch nicht auf eine Linie mit der schüchternen évaluation réelle faite à cette époque (S. 503) in Bezug auf die auf dem Feldzuge Zurückkehrenden stellen. Was Fain (manuscrit de 1812) I 168 ff. gibt, ist interessant als befohlenes Bulletinmaterial.


der einrückenden Armee mir 170.500 Nichtfranzosen aus 155.400 Franzosen betragen habe. Es leuchtet doch auf der Stelle ein, dass die Nationen, denen eher an einem Misslingen des Feldzuges gelegen sein musste, als an dessen günstigem Ausgange, ganz unverhältnismäßig stark vertreten waren. Die Preußen konnten nur als eben so viele Geiseln für die Ruhe eines zornerfüllten Alliierten gelten, die Österreicher standen unter einer besonderen Rührung, die nach allseitiger Überzeugung dem eigentümlich österreichischen Staatsinteresse ausschließlich treu war; die mitgeschleppten portugiesischen und spanischen Bataillone konnten nicht eben als eifrige Mitstreiter betrachtet werden, wenn sie sich auch als gute Marodeurs zeigten, und wie manches rheinbündische Kontingent verwünschte die Kriegsqual unter den französischen Fahnen! Aus solchen Elementen war aber vielleicht der fünfte Teil der Invasionsarmee gleich von Anfang gebildet. Und darf man 45.000 Italiener auf dem unwirtlichen russischen Boden für eine erhebliche Stärkung des französischen Angriffes halten?

Auf einen anderen Mangel der Zusammensetzung hat man oft aufmerksam gemacht, am nachdrücklichsten mag es von Thiers geschehen sein: auf die Verschlechterung des Armeebestandes durch die großen Verluste der unaufhörlichen Kriege des Kaiserreiches. Ich denke jedoch, dass die Kriege der nächsten Jahre nach dem russischen Feldzuge, auf deutscher wie französischer Seite, eine solche Verschlechterung keineswegs erkennen lassen.

Immerhin darf man sich neben der so ungenügenden Vorsorge für die Truppen, welche ein Drittteil derselben noch vor den ersten eigentlichen Kämpfen zu Grunde gehen ließ, auch die Zusammensetzung eines Heeres, in welchem unfreundliche Elemente so stark vertreten waren, als eine keineswegs Glück verheißende vorstellen.

Über die Gesinnungen, welche gegen Frankreich und seinen Kaiser in den Hilfskontingenten der kleineren Staaten herrschten, wird man unter diesen Umständen zuverlässige Nachricht mit Interesse empfangen.

Es versteht sich von selbst, dass mehrere rheinbündische Truppenteile, welche seit einer Reihe von Jahren an Napoleons Waffenglück teilgenommen hatten, seiner Führung auch jetzt mit vollem Vertrauen folgten *). Über die Gesinnungen der Schweizertruppen lässt sich aber jetzt mit Sicherheit urteilen.

Es bedarf hierbei keiner Erwähnung, dass diejenigen einzelnen Schweizer, welche als Offiziere in der französischen Armee dienten, auch die Gesinnungen ihrer Kameraden völlig teilten. Aber als einen Spiegel dieser Gesinnungen darf ich die Worte anführen, mit welchen ein in der Garde dienender Rittmeister es bei seinen Angehörigen entschuldigte, dass er, obwohl fieberkrank, es durchgesetzt habe, an dem Kriege teilnehmen zu dürfen. Denn „wer in einem Feldzuge wie der russische nicht gegenwärtig sei, werde vergessen und übersehen“**). Dass, wie so vielen Gleichgesinnten, auch ihm das erwünschte Avancemittel den Tod brachte, tut dabei nichts zur Sache.

Auch der Umstand will im Voraus bemerkt sein, dass die unter Napoleons Fahnen dienenden Schweizer gemäß ausdrücklicher Kapitulationen mit Frankreich***) geworbene, nicht, wie die der meisten anderen Kontingente, konskribierte Truppen waren. Unter allen Feldzügen des Kaiserreiches treten sie aber nur in diesem als eine nationale Masse auf: alle vier kaputilierten Schweizerregimenter haben in einer Gesamtstärke von etwa 10.000 Mann an demselben teilgenommen — einen Maximalsatz von 2.000 für die zurückgebliebenen Depots berechnet****). — In dem zweiten Armeecorps, dem des Marschalls Oudinot, bildeten sie bei einem Bestande von etwa 40.000 Mann eine stattliche Zahl, auf bereit Gesinnungen etwas ankam.

*) Doch wird von der württembergischen Division versichert, dass deren „Stimmung in Bezug auf jenen abenteuerlichen Feldzug im allgemeinen eine gedrückte war“. Suckow Soldatenleben 147.
**) Fischer, Erinnerung an Wattenwyl 280.
***) Letzte Regulierung: 28. März 1812 (Fischer a. a. O. 200).
****) Das erste Regiment zählte 2.310 Wann beim Einmarsche. Rösselet 190.


Nun sind uns die Aufzeichnungen zweier Offiziere des ersten Regimentes erhalten, des Berners Rösselet und des Glarners Legler, von denen der erstere damals Hauptmann, seine Soldatenlaufbahn als Oberstlieutenant durch die Julirevolution geschlossen fand und erst 1850 in Frieden starb, der letztere mit demselben Range in holländischem Dienste 1835 endete.

Beide Autoren, obwohl in so nahen dienstlichen Verhältnissen, hatten aber von ihren keineswegs für die Öffentlichkeit bestimmten Aufzeichnungen gegenseitig keine Kunde und gestatten eben hierdurch die beste Kontrolle ihrer Mitteilungen. Ja sie erwähnen einander kaum. Legler gedenkt Rösselets gar nicht und dieser des jüngeren Kameraden nur (S. 144) bei Aufzählungen des Regimentsstandes und dann bei Gelegenheit eines prächtigen Festes, welches das Regiment unweit Reggio in Calabrien Truppenabordnungen und Behörden der Nachbarschaft veranstaltete: Beide, Rösselet mit der Sorge für Fische und Blumen, wie Legler mit der für Gemüse, Obst und Nachtisch betraut, entledigten sich damals, wie die Anderen, ganz wohl ihrer friedlichen Aufgabe. Aber bei keiner der grauenhaften Verfolgungen und Exekutionen süditalienischer Banditen durch schweizerische Streifkolonnen, bei keinem Küstenkämpfe mit den Engländern, von denen Rösselet erzählt, erinnert er sich Leglers. Man muss annehmen, dass die Verschiedenheit ihres Alters und vielleicht noch mehr die ihres Bildungstandes beide Kameraden trennte, ohne weitere unfreundliche Beziehungen zwischen ihnen hervorzurufen.

Für ihre Glaubwürdigkeit empfehlen sich beide Memoiren unmittelbar durch ihre einfache und fachgemäße Haltung; man sieht sofort, wie die Verfasser sich bemühen, treu die Eindrücke wiederzugeben, welche ihre eigenen Gemüter von den Begebenheiten empfangen haben. Sie gleichen hierin und in der gänzlichen Freiheit von Anwandlungen der Eitelkeit — wie man sie bis zum Überdrusse häufig in den Denkwürdigkeiten dieser Jahre findet — den Berichten mancher Kreuzfahrer des zwölften Jahrhunderts und in dieser ihrer strengen Haltung liegt vielleicht der Hauptreiz, den sie dem Leser zu bieten haben.

Im Übrigen treten beide Individualitäten scharf auseinander — schon nach ihrer Erziehung. Von der Leglers wird uns freilich nichts Näheres mitgeteilt; da er aber schon siebzehnjährig (1799) Lieutenant wurde und, was er bitter genug empfand, während eines wechselvollen Kriegsdienstes auf Korsika, in Italien, Deutschland und Russland blieb, so ist bei ihm weder an eine rechte wissenschaftliche Ausbildung, noch an den Ersatz derselben zu denken, welchen bei jungen Militärs zuweilen ein rasches Avancement bringt. In der Tat zeigt er sich in seinem Stile durchaus ungelenk und im Ausdruck inkorrekt, wie die Ansbert oder Tageno.

Rösselet hatte das Glück, in der schweizerischen Kadettenschule seines Regimentes in Ludwigs XVI Zeiten, trotz seines, wie er versichert, sehr geringen Eifers, eine ausreichende Schulbildung zu erhalten. Seine Souvenirs sind mit Anmut und Gewandtheit, mit der natürlichen Freude eines gebildeten Geistes an gewähltem Ausdruck abgefasst. Er beobachtet in jedem Lande — noch in hohem Alter selbst in dem seiner Heimat — seine Eigentümlichkeit und seine Hilfsquellen, die Natur seiner Bewohner und bildet sich ein Urteil über die beste Art, sie zu behandeln; diesem Urteile gemäß richtet er sein Verfahren ein: allemal freut er sich dabei der Gelegenheit gebildeten Umganges; verlässt er ein Land, so trägt er den empfangenen Gesamteindruck in sein Tagebuch. Noch heute wird sein Urteil über die verschlagenen und rachsüchtigen, schwer zu fassenden Calabresen, über das städteerfüllte fruchtreiche Italien gern gelesen werden und immer wird man mit Heiterkeit die Soldatenkunststücke Vernehmen, mit denen er verstand, betrügerische neapolitanische Brot- und Fleisch-Lieferanten schwer zu züchtigen, ohne es mit ihnen und ihren gefährlichen Familienverbindungen ganz zu verderben. Der verständige Rösselet ist sich vollkommen bewusst, für ein großes Kommando wohl geeignet zu sein — wie denn der Leser aus seinen Aufzeichnungen ganz den Eindruck eines zum Gebieten geborenen Geistes empfängt. Es entfällt ihm darüber einmal ein Wort, das um seines Anlasses wie seiner Fassung willen wiederholt zu werden verdient.

Im Greisenalter erinnert er sich mit herzlichem Danke der hochherzigen und gefühlvollen Haltung der Beamten des Nationalkonvents bei Auflösung der noch in französischem Dienste stehenden Schweizertruppen im September 1792 *). Als er damals den ihm mit einer Beförderung angetragenen Dienst der Republik ablehnte, rief ihm der betreffende General zu: „Sie verschließen sich ihren Beruf!“ Da meint nun unser Veteran, mit seinem milden Einwande habe der vielleicht doch Recht gehabt, denn gar manche seiner damaligen schweizerischen Waffengefährten seien eben Generale und dazu Barone und Grafen geworden.

*) La conduite des autorités chargées par la Convention — fut admirable soit par les sentiments qu'elles exprimèrent, soit par la manière délicate dont elles remplirent leur mission. 41.

Über das ist bei dem treuen Manne nur eine flüchtige Idee; ganz vergeblich haben ihm der aus Elba zurückgekehrte Napoleon und später die Regierung Ludwig Philipps Anerbietungen gemacht, in französischen Dienst zu treten. Er setzte seine Ehre darin, nichts sein zu wollen, als ein schweizerischer Offizier in einem kapitulierten Schweizerregimente; von allen seinen Kriegswunden war er nur stolz auf die im Dienste seines Vaterlandes gegen die französischen Republikaner gewonnenen. Und bei aller Milbe seines Urteiles, wie bei aller Missachtung von Karls X Regimente, kann er ein scharfes Wort über die Schwäche seiner Vorgesetzten gegenüber dem siegreichen Juliaufstande von 1830, nicht unterdrücken *). Wie schon 1815 hatte er auch jetzt in vollen Kriegsehren mit seinem Regimente den vaterländischen Boden wieder zu erreichen gewünscht, und voraussichtlich hätte in der Tat ein Charakter von Rösselets Metall von den neuen Gewalten einen rühmlichen Abzug erwirkt.

Wie er sich überall besser auszudrücken weiß, so füllen seine Worte gleichsam die Umrisse aus, die uns Seglers Aufzeichnungen von dessen eigenem Charakter gestatten. Allgemeinere Bemerkungen über Land und Leute, welche Rösselet selbst aus Polen und Lithauen in anziehender Weise gibt, wie die ungemeine Einfachheit der Bedürfnisse, welche diesen nur noch ehrwürdiger macht, sucht man bei ihm vergebens. Er hat sich sorgsam aufgezeichnet, wie ihm ein Kommisssack wohlriechender Würste gestohlen wird (S. 26). Aber das warme patriotische Herz haben Beide mit einander gemein. Mit Freuden erwähnt er, wie von seinen Kameraden bei Polozk Einige vor dem Schlachtbeginne riefen: „Schweizertreu ist all' Tag neu!“ Er meint, da seine Landsleute in dieser Schlacht vom Morgen (28. Oktober) bei Tagesanbruch bis 5 Uhr Abends immer im heftigen Feuer ohne Reserve „gestanden und ausgehalten haben“, so zeige das, „was beträchtliche Schweizercorps unter guter Anführung noch heute im Stande wären auszuführen“.

*) Je me permets de dire, que c'était manquer à leur devoir envers le monarque, appréhension et faiblesse. 302. Aus den auch sonst bemerkenswerten Nachrichten über die Julitage hebe ich heraus, dass die Dauphine (Herzogin von Angoulême), deren Abneigung gegen die Ordonnanzenpolitik ohnehin bekannt ist, den Schweizern beim Abschiede wiederholt zurief: Soyez heureux et croyez bien, messieurs, croyez bien que je n'ai ete pour rien dans ce qui s'est fait pendant mon absence (nämlich während ihrer pfiffigen Wegsendung in die Bäder von Vichy).

Für die Bedeutung und Glaubwürdigkeit unserer Quellen ist nach so allgemeiner Orientierung zunächst die Unmittelbarkeit ihrer Aufzeichnung in Betracht zu ziehen. Davon findet sich nun freilich keine Notiz, dass dieselbe so rasch und regelmäßig stattgefunden habe, wie bei dem gemütsstarken Schwaben, der einmal die flammen Moskaus für einen Eintrag in sein Tagebuch verwendet hat. Aber auch Seglers Journal ist doch, nach der Genauigkeit seiner Mitteilungen zu schließen, bis zur Beresinaschlacht, in leidlicher Ordnung gehalten worden; spätere Ergänzungen nach jener Schlacht unterscheiden sich sichtlich in ihrer allgemeinen Fassung. Rösselet hat zwar die ursprüngliche Aufzeichnung seiner Denkwürdigkeiten eben in Russland durch einen Lagerbrand verloren, aber mit ungemeiner Sorgfalt den Verlust bald aus gutem Gedächtnisse und später mit Vergleichung anderer Quellen auszugleichen gesucht. Beide Tagebücher dürfen trotz viel jüngerer Redaktion als im Wesentlichen gleichzeitig angesehen werden.

Die Redaktion hat natürlich nach dem Gesamteindrucke stattgefunden, den der Feldzug bei beiden Männern zurückgelassen hatte, und diese Wirkung war ihrerseits bedingt von dem ganz verschiedenen Maße von Strapazen und Entbehrungen, dem Beide ausgesetzt wurden. Rösselet erhielt in einem Kampfe vom 19. Oktober 1812 zwei, wenn auch leichte Wunden, so dass er sich nach Wilna zur Heilung begeben musste. Er langte dort freilich erst nach manchen Gefahren und einer vierwöchentlichen Irrfahrt an und wurde später in die Flucht der Heerestrümmer nach Kowno und Preußen fort gerissen. Immerhin konnte er sich berühmen, auf derselben Calabreser Stute, die ihn nach Russland getragen hatte, nach Frankreich zurückgekehrt zu sein. Er hat die kleinen Reste seines Regimentes mit dem Adler desselben (S. 186) auf Marschall Neys Befehl nach Berlin gebracht — es war eben das Feldzeichen, von welchem Legler erzählt (S. 30), wie er es durch einen Zufall während blutiger Schlacht inmitten der gefallenen Fahnenwache entdeckte und mit Bravour davon führte.

*) Gerade hierin hat sich der wackere Kriegsmann nicht genügt: si une chose manque à ce travail, c'est l'exactitude des dates. XXII.

Nicht wie Rösselet gewöhnliche Soldatenbeschwerde, sondern die vollen Schrecken des Rückzuges von der Beresina hatte Legler zu erfahren. Nur mit Mühe hat er sich einmal mit anderen Offizieren retten können, als deren eigene Bediente, aus Rache für die Wegweisung von einem warmen Platze, das schützende Haus anzündeten, in welchem man Erquickung gehofft hatte. Drei Jener Herren kamen in den Flammen um, Legler entkam freilich, aber in einem solchen Aufzuge, dass ihn „sein Elend weinen“ machte „wie ein Kind“. Er bringt zu den vielen Schilderungen der Grässlichkeiten des Rückzuges noch einige bestätigende Belege: an seinem eigenen Leibe habe er die Wirkungen desselben durch eine mehrtägige Blindheit erfahren. Begreiflich genug, wenn seine Erinnerungen ihn zu eingehender Schilderung der mannigfachen Leiden veranlasst, während Rösselet sie nur mit einigen Worten erwähnt, meint er auch diesen Rückzug für schlimmer als alles Andere hielt, was er in einem langen Kriegerleben gesehen hatte.

Nach allem bisher bemerkten wird man beide Offiziere für treue Organe der in den Schweizertruppen herrschenden Stimmung halten dürfen. In ihren Aufzeichnungen klingt keine Empfindlichkeit über die Demütigungen nach, welche der „hohe Mediateur der Schweiz“ eben in den letzten Jahren durch die Abreißung von Wallis und die Besetzung von Tessin derselben auferlegt hatte. Sie sind vielmehr mit richtigem Takte für die verhältnismäßig ungemein günstige und glückliche Lage der Schweiz unter dem ersten Kaiserreiche abgefasst und speziell mit angenehmer Erinnerung an die günstige Stellung ihrer Regimenter in der französischen Armee.

Wie zugetan auch Rösselet der Sache der Bourbonen schon von seinen Vorfahren her gewesen ist, in wie glänzender Weise er die Treue für dieselben sowohl 1815 als 1830 bewahrte — er ist doch zu gerecht und wahrhaft, um sich über die günstige Lage der schweizerischen Kriegshaufen unter dem Kaiserreiche zu täuschen. Er findet die ohne sein Zutun nach den persönlichen Restaurationswünschen Ludwigs XVIII. abgefasste Kapitulation der Schweizerregimenter vom Sommer 1816 unklug und aufreizend (238 ff.) im Gegensatz zu der verständigen uns befriedigenden der Napoleonischen Zeit. Seine Bemerkungen sind nicht frei von Unrichtigkeiten, wie denn das französische Kommando, welches er der Gleichheit halber lobt, nach seinem eigenen Berichte (S. 155) erst im Februar 1812 eingeführt worden ist. Aber vollkommen einleuchtend bleibt doch, dass neben Einhaltung der eigenen hohen Gerichtsbarkeit für diese Regimenter eine der französischen möglichst konforme Einrichtung und Kleidung wünschenswert und die Möglichkeit raschen Avancements in der kaiserlichen Armee überaus förderlich war. In der Tat entstanden die unsäglichen Schwierigkeiten der Schweizertruppen unter Karl X. besonders seit dem Oppositionsministerium Martignac von 1828, ganz wesentlich aus dem augenfälligen Gegensatze der fremden zu den einheimischen Truppen — ein Gegensatz, welcher weder in der napoleonischen noch in der ganz anders zusammengesetzten königlichen Armee vor der Revolution vorhanden gewesen war.

So fühlen denn unsere beiden Gewährsmänner mit den französischen Kameraden: fremd und wahrscheinlich unverständlich ist ihnen der tiefe Gegensatz gegen Frankreich und sein „System“, wie er unter so vielen anderen Hilfstruppen, vor Willem unter den preußischen bestand. Als Legler mit seinem Korps vor Napoleon über die Beresinabrücke marschierte, „da“, sagt er, „ließen auch wir mit mannhafter Stimme den Kaiser hoch leben“. Mit Genugtuung berichtet er (S 40), wie derselbe ihre Sympathie neu zu steigern wusste: „General“, fragte er den sie kommandierenden Grafen Merle, „sind sie mit den Schweizern zufrieden?“ „Ja, Sire, wären sie so lebhaft beim Angriffe, als sie sich zu verteidigen wissen, so würde Ew. Majestät mit ihnen zufrieden sein“, „Ja, ich weiß wohl, es sind tapfere Leute“. Gelegentlich spricht wohl auch Legler einmal davon, dass der Kaiser jetzt im Unglücke so viel gefügiger gewesen sei, Auszeichnungen zu verleihen; aber das ist Lagergerede, wie es in jeder Armee über den Feldherrn vorkommt. Auch ein anderer Offizier der Schweizertruppen, dessen sonst unergiebige Relation die wegen seiner frühern Verwundung nicht miterlebte schreckenvollste Partie des Feldzuges bei Rösselet ausfüllt, erzählt eine diesen ergebenen Gesinnungen entsprechende Tatsache (S. 78). Trotz des Verbotes, die Truppen zu verlassen, konnte er der Versuchung nicht widerstehen, sich den Kaiser an der Beresina zu betrachten; er hatte den Genuss, ihn lange Zeit an einem Brückenkopf gelehnt zu sehen, persönlich die Arbeiten der Pontonntiers beobachtend, und mit Erstaunen bemerkte der Lauscher, dass Napoleon eine scharfe Erwiderung des Leiters dieser Arbeiten, auf seine Mahnung zur Eile, ruhig hinnahm.

Ein Offizier der Yorkschen Division hätte vermutlich weder gegen Befehl sich entfernt, noch auch Lust empfunden, in solcher Weise den verhassten Zwingherrn zu beobachten.

Und so gänzlich teilten die Schweizertruppen die militärischen Empfindungen der französischen, dass Legler nicht den leisesten Vorwurf über den Unheilstifter einfließen lässt. Er gibt nur den trüben Eindruck wieder, den er mit seinem ganzen zweiten, noch zu einem Drittel wohlerhaltenen Armeecords von dem Anblicke empfing, welchen die aus Moskau im tiefsten Verfalle heimkehrenden Armeetrümmer in Borisav bei der Vereinigung machten.

In einem sehr ehrenhaften Punkte hielten sich aber die Schweizertruppen frei von den Anschauungen der französischen und vieler Hilfskontingente. Mit natürlicher Befriedigung vergegenwärtigen sich unsere Gewährsmänner*) die würdige und humane Weise, in welcher sie sich der traurigen Pflicht gewaltsamer Einbringung von Lebensmitteln entledigten. Die durch Vernachlässigung aller Art herbeigeführte Notwendigkeit dieser sogenannten Marode trägt, wie bereits früher bemerkt, nicht am Wenigsten Schuld an der Vernichtung der in Russland eingebrochenen Armee.

*) Rösselet, 160 ff. Legler 9 14.

Wenn aber Legler (S. 57) die liebevolle Behandlung rühmt, welche die Schweizer zum Unterschiede von den Franzosen auf ihrem Rückzuge in Preußen fanden, so wird man aus der guten Haltung der Bevorzugten während des Hinmarsches sich das nicht am Wenigsten zu erklären haben*).

*) Rösselet erzählt S. 158, wie er mit Mühe eine Witwe in Ostpreußen vom gänzlichen Ruin errettete.

Von einem allgemeineren Gesichtspunkte aus darf man nun wohl sagen, dass Napoleon, bei allen Fehlern in Bezug auf Vorsorge für die Truppen und Zusammensetzung derselben, sich doch keiner Täuschung hingab, wenn er auf die volle Ergebenheit der Schweizer in seiner Armee bei dem russischen Feldzuge von 1812 zählte und dieselben in erheblicher Zahl an demselben teilnehmen ließ.

3. Husaren-Regiment unter Napoleon I.

3. Husaren-Regiment unter Napoleon I.

Elb-National-Husaren-Regiment. Preußen. 1813-1815

Elb-National-Husaren-Regiment. Preußen. 1813-1815

Pommersches National-Kavallerie-Regiment. Preußen.

Pommersches National-Kavallerie-Regiment. Preußen.

Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 4

Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 4

Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 1

Die Trümmer der französischen Armee bei ihrer Rückkehr ins Vaterland. 1

Schlesisches National-Kavallerie-Regiment, Preußen

Schlesisches National-Kavallerie-Regiment, Preußen

Ostpreußisches National-Kavallerie-Regiment, Preußen

Ostpreußisches National-Kavallerie-Regiment, Preußen

Napoleon auf St. Helena

Napoleon auf St. Helena

Schlacht an der Moskwa bei Borodino am 7. September 1812.

Schlacht an der Moskwa bei Borodino am 7. September 1812.

Kosaken überfallen einen Verwundetentransport.

Kosaken überfallen einen Verwundetentransport.

Die Große Armee auf dem Rückzug.

Die Große Armee auf dem Rückzug.

Französiche Soldaten.

Französiche Soldaten.

Napoleon 1769-1821 & Alexander I. 1777-1825.

Napoleon 1769-1821 & Alexander I. 1777-1825.

Das Handwerkszeug eines französischen Soldaten.

Das Handwerkszeug eines französischen Soldaten.

Bei Borodino 7. September 1812

Bei Borodino 7. September 1812

Napoleon in Angesicht Moskaus im Jahre 1812

Napoleon in Angesicht Moskaus im Jahre 1812

Die Franzosen auf dem Rückmarsch 1813

Die Franzosen auf dem Rückmarsch 1813

Napoleon in Moskau

Napoleon in Moskau

Russische Grenadiere 1812/13

Russische Grenadiere 1812/13

Napoleon mit seinen Generalen: Bertier, Murat, Rapp

Napoleon mit seinen Generalen: Bertier, Murat, Rapp