Die Schneestürme in den Prärien Nordamerikas

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 20. 1886
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Nordamerika, Prairie, Prärie, Farmer, Büffelgras, Blizzard, Schneestürme, Rinder, Viehzucht, Tierverluste
Ziemlich die Mitte des nordamerikanischen Kontinentes nimmt jene ungeheure Region der Grasfluren (Prärien) und Steppen (Plains) ein, die sich vom Mississippi bis zu den Felsengebirgen und von den großen kanadischen Seen bis in das Innere von Texas ausbreitet. Diese Region enthält keine Gebirgszüge, sondern nur zahlreiche, zum Teil weit ausgedehnte Erdanschwellungen, zwischen denen weite Strecken vollkommen ebener, kaum leicht gewellter Bodenfläche vorkommen, und während die Prairie noch hier und da Baumgruppen und Gebüsche, sowie prächtiges Gras und einen dichten Blumenteppich zeigt, sind die Steppen ganz und gar baumlos, oft kaum mit kurzem, struppigem Büffelgras bedeckt und daher ausschließlich nur zur Viehweide geeignet. Als Viehweide wird auch meistens noch die Prairie benutzt, obgleich man seit zwei Jahrzehnten große Strecken davon unter den Pflug genommen und, bei der Fruchtbarkeit des Bodens, reiche Erträge erzielt hat.


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Was jedoch dem Gedeihen der Farmer in diesen Regionen die größten Schwierigkeiten entgegensetzt, das ist im Sommer die Heuschreckenplage, im Winter der „Blizzard“, d. h. jener diesen Regionen eigentümliche, von Nordwesten kommende, bis nach Texas hinunterstreichende und von einer plötzlichen, ganz enormen Temperaturerniedrigung begleitete Schneesturm, der in jedem Winter ein- oder auch mehrere Male aufzutreten pflegt und zumal unter den auf den freien Ebenen ihm ungeschützt preisgegebenen Viehherden große Verheerungen anrichtet. Besonders der letzte Winter hat sich in dieser Hinsicht den Farmern und Viehzüchtern im Westen der vereinigten Staaten furchtbar gemacht. Mehrere „Blizzards“ traten auf, die Tage lang anhielten, die Verbindung zwischen den einzelnen, zerstreut liegenden Farmen vollständig unterbrachen und die Bewohner in große Not brachten. Wer keine Vorräte an Lebensmitteln hatte, war dem Verhungern ausgesetzt, denn während des Sturmes bis zum nächsten Städtchen vorzudringen, war nur unter höchster Lebensgefahr möglich. Tatsächlich sind denn auch bei solchen Versuchen zahlreiche Menschen erfroren, während das Vieh zu Zehntausenden, vielleicht Hunderttausenden — der Gesamtverlust ist noch nicht geschätzt worden — zu Grunde gegangen ist. Ungefähr 4.000.000 Stück Rindvieh weiden auf diesen Ebenen, und man rechnet als jährlichen unvermeidlichen Durchschnittsverlust infolge von „Blizzards“ 2,75 Prozent oder etwa 11.000 Stück. Im letzten Winter jedoch haben die Schneestürme fürchterliche Verheerungen angerichtet, und mancher kleine Farmer hat all' sein Vieh verloren. Unsere Illustration auf S. 473 zeigt uns eine solche vom Schneesturm überfallene Rinderherde. Die Mehrzahl der Tiere hält noch, mit gesenktem Kopfe und brüllend vor Angst, dem Unwetter Stand, aber die immer schneidender werdende Kälte, die Erschöpfung, der Nahrungsmangel haben bereits viele niedergeworfen und nur noch wenige Stunden wird es dauern, so sind sie erstarrt und tot. Auch dem Rest der Herde steht, wenn nicht bald der Sturm nachlässt, ein ähnliches Schicksal bevor.

Glücklicherweise sind so harte Winter, wie der letzte, selten, sonst wäre es mit der Viehzucht in jenen Gegenden bald ganz vorbei. Übrigens wird von Jahr zu Jahr mehr von dieser Prärieweide in fruchttragendes Ackerland verwandelt, und in je größerem Maßstabe dies geschieht, umso geringer werden die den Farmern aus den Schneestürmen erwachsenden Verluste und Gefahren.

Vom Schneesturm überfallene Vieherde im Westen der USA

Vom Schneesturm überfallene Vieherde im Westen der USA