Noblesse der Prostitution

Diese ist der österreichischen Kaiserstadt ganz eigentümlich! Selbst die Prostituierten streben nach Rang, Ehre, Auszeichnung! Die lächerliche Sucht nach Noblesse — ein Wort, welches alle Stände im Munde führen, ein Irrwisch, nach dem Aller Wünsche trachten — ist in dem österreichischen Volksleben ein charakteristisches Merkmal der hier herrschenden verkehrten Gesittung. Noblesse richtet hier manche Familie zu Grunde, Noblesse führt zu Schande und Bankrott, Noblesse bringt manche Mutter dahin, ihre Tochter an die Schande zu verkaufen, um mit einem lächerlichen und verächtlichen Staate von Livreebedienten, kostbaren Kleidern und Schmuck prahlen zu können. Es ist in dem österreichischen Volke eine Ader von Aristokratismus, welche noch lange das dem Staate allein nützliche Bürgertum hintanhalten will. Kaiser Joseph hat dieser eitlen Sucht weise entgegengearbeitet. Jede Beamtenfrau, jede Bürgersfrau läßt sich und ihre Tochter Euer Gnaden, gnädige Frau, Fräulein betiteln, sich von den Mägden die Hände küssen und — niemals, wenn es ihnen das Vermögen erlaubt — werden sie sich des Gebrauchs einer Equipage mit Livreebedienten entschlagen können. Nur nobel! das ist das Losungswort des guten Tons. Alle Spöttereien der Volkstheater über diese schimpfliche Sucht, sich über Andere zu erheben, waren bisher vergeblich. Dieser Sucht opfert man Ehre, Vermögen, Sittlichkeit — und diese Sucht ist eine große Quelle der Prostitution, denn nicht selten geschieht es, dass die Töchter eines Beamten oder Generals, gewohnt in Sammt und Seide zu gehen und überall hin von Lakaien begleitet zu werden, wenn sie verwaist und auf dürftige Pensionen angewiesen sind, lieber ihren Leib und ihre Ehre preisgeben, als der gewohnten Noblesse entsagen. Daher gibt es in Wien Komtessen, Tochter von Staatsmännern und Marschällen mit großen und berühmten Namen, welche die Industrie der Prostitution ergreifen, um nur Glanz, Reichtum, Noblesse zur Schau zu tragen, obwohl sie tausend andere Gelegenheiten gehabt hätten, bei minder großen Ansprüchen in der Wahl eines bescheidenen Loses glücklich zu werden und ihre Frauenehre zu Bewahren. In den zwanziger Jahren lebte in Wien eine solche vornehme Hure, welche, eine geborene Gräfin*****,, durch Geist und außerordentliche Schönheit ausgezeichnet, die besten Partien ausgeschlagen hatte, um nicht auf eine Equipage, auf große Dienerschaft und kostbare Gewänder Verzicht leisten zu müssen. Diese Gattung von Prostituierten verdient vor allen übrigen die obige Bezeichnung, da sie nicht durch Not, sondern nur durch ihre unsittliche Gesinnung der Schmach zugeführt werden. Eine solche Dirne, oft aus adeligem Geschlechte entsprossen, oft aber auch aus der tiefsten Klasse der Gesellschaft, bedarf zu ihrem .Haushalt einiger Papageien und Affen, galonierte {langhaarige}Bediente, ein Paar Pferde, eine Equipage, ein kostbar meubliertes Appartement — Besitztümer, welche, wenn sie sich derselben entäußerte, sie auf Zeit Lebens vor Mangel schützen könnten. Wo die Equipage fehlt, da fehlt doch der Affe nicht, wenigstens aber muss ein Papagei und ein englischer Wachtelhund die Noblesse der Dame ankündigen. Sie hat ihr Vorzimmer, sie läßt sich Euer Gnaden betiteln, sie geht selten zu Fuß und muss im Theater ihre Loge haben. Aber alle diese Herrlichkeiten sind in der Regel von kurzer Dauer und dienen nur dazu, leichtsinnige Männer zu Grunde zurichten, ohne der Dame dauernd zu nützen. Man darf diese Klasse durchaus nicht mit den Maitressen verwechseln. Jedermann hat zu ihnen Zutritt, der Geld genug hat, so vornehme Bedürfnisse zu befriedigen. Die Nächte, Stunden, Wochen, Monate haben ihre bestimmten natürlich sehr hohen Preise, und es gibt immer Narren und gewissenlose Schurken, welche sie bezahlen, indem sie ihre Familien zu Grunde richten. Eine Dame dieses Schlages hieß in Wien lange Zeit das Tausendguldenkraut, weil es bekannt war, dass man diese Summe für eine Nacht bezahlen musste. Natürlich reichte eine Woche des Leichtsinns hin, manchen Mann an den Abgrund des Elends zu bringen. Fälle dieser Art sind bei der außerordentlich starken Sinnlichkeit des männlichen Geschlechts nichts Seltenes und es vergeht kein Jahr, wo nicht Tausende auf solche Weise ihr ganzes Vermögen verschwenden. Erbschaften von 10.000 bis 100.000 Fl. werden von den jungen Erben, sobald sie großjährig geworden, binnen Jahresfrist und oft noch viel früher vollständig verschleudert. Diese Klasse von Prostituierten ruiniert auch den Bürgerstand und ist ein bedeutendes Hindernis des Aufkommens der Kaufleute und Fabrikanten, welche viel Geld unter den Händen haben müssen. Der Verdienst eines ganzen Jahres wird in einer wollüstigen Minute hingeworfen!


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Schicksale der Frauen und die Prostitution