Kuppler und Kupplerinnen

Wenn man die Kuppelei in ihrem ausgedehntesten Sinne nehmen wollte, so müsste man sich mit ihrer Klassifizierung bis in die höchsten Stände verirren. Den Leidenschaften großer und mächtiger Herren zu dienen, ist ein zu sicheres und einträgliches Gewerbe, als dass es den geringeren Klassen der Gesellschaft völlig anheim fallen sollte. Männer von Rang und Geburt, Damen aus der haute volée, haben es nicht nur in diesen, sondern in viel älteren Zeiten nicht unter ihrer Würde gesunden, durch dieses Erwerbsmittel, durch diesen schändlichen Dienst sich Ehren und Reichtümer ohne Mühe zu erwerben. Die frivolen Manieren, die grenzenlos unsittliche Denkungsart, welche in den höheren Ständen so zu sagen zum guten Ton gehören, erleichtern dieses Gewerbe außerordentlich und geben ihm zuweilen das harmlose Gepräge freundlicher Dienstwilligkeit ohne allen Eigennutz. Hier handelt es sich allerdings niemals um einen Akkord, um Versprechungen, der Lohn wird der Delikatesse, der Dankbarkeit, der Großmut anheim gestellt, und wird in einer Form verabreicht, welche niemals herabwürdigend ist.

Wir können aus Gründen nur von den niedrigeren Klassen der Kuppelei sprechen, die höhere, so zu sagen akademische Kuppelei gehört zu den Privilegien von Personen, deren soziale und — Stellungen respektiert werden müssen.


Die gewöhnlichen Kuppler und Kupplerinnen bestehen aus folgenden Klassen:

1. Kammerdiener, Privatsekretäre, Haushofmeister vornehmer und reicher Personen und deren Frauen.
2. Winkeladvokaten, verabschiedete Offiziere, auf halben Sold gestellte (quieszierte ) Beamte.
3. Kammermädchen und Kammerfrauen.
4. Juden und Jüdinnen (besonders zahlreich).
5. Lohnbedienten, Kellnern, Hausknechten in Gasthöfen.
6. Billetteuren in den Theatern.
7. Portieren und Hausmeistern sammt ihren Frauen.
8. Agenten der geheimen Polizei (zahlreich).
9. Altgewordenen Freudenmädche10. Rosskupplern (sehr zahlreich).
11. Hökerinnen, Dienstbotenvermieterinnen.
12. Sogenannten Bettfrauen.
13. Hebammen.
14. Wirtschafterinnen in gastlichen Häusern.
15. Putzhändlerinnen und Nähschuleninhaberinnen.
16. Polizeidienerinnen.

Die eifrigsten Kuppler finden sich unter der Klasse der Kammerdiener und Hausoffiziere überhaupt. Gewöhnlich handeln diese Agenten der Wollust mit Hilfe jener gutherzigen Frauen, welche unter die andern Klassen rangiert sind. Auf welche Weise diese Leute ihre Operationen einleiten, mit welcher Schlauheit sie ihre Opfer zu umgaben wissen, kann am besten durch Beispiele erläutert werden.

Betty, die Tochter eines wohlhabenden Bürgers, fand Gnade vor den Augen eines reichen Kavaliers, des Grafen N. N. kaum sechszehn Sommer zählend, ist Betty noch völlig unbekannt mit der Welt, aber Liebe ist kein Geheimnis mehr für sie, obgleich sie deren Freuden noch niemals verkostet hat. Die Familie, der sie angehört, ist eine durchaus ehrbare, aber die Beispiele, welche Betty in ihrem väterlichen Hause gesehen, sind nicht die besten gewesen, und ihre Erziehung ist so gut und so schlecht, wie sie gewöhnlich in dm Bürgershäusern der Residenzstadt ist. Ihr Vater hatte mit ihrer Mutter in einer ganz alltäglichen Ehe gelebt, das ist, sie waren viele Jahre, ehe Betty selbst denken lernte, eine kurze Zeit glücklich gewesen, dann trat Unfrieden an die Stelle des zärtlichen Einvernehmens der Flitterwochen. Der kleine Krieg der Eifersucht ging an den beobachtenden Blicken des jungen Mädchens vorüber und bald lernte sie begreifen, um was es sich in diesem Kriege handelte. Die Mutter starb und hinterließ ihr einziges Kind der Sorgfalt eines Mannes, der den Pestalozzi [Johann Heinrich Pestalozzi (* 12. Januar 1746 in Zürich; † 17. Februar 1827 in Brugg, Kanton Aargau) war ein Schweizer Pädagoge] niemals gelesen hatte und die Heranbildung eines Kindes als Viehhändler von keinem andern Gesichtspunkte auffasste, wie die Heranziehung eines Kalbes, welches er für die Viehausstellung bestimmte. Er ließ es seiner Betty; an nichts fehlen, sie aß und trank so oft sie Lust hatte, und Papa freute sich, wenn sie frisch und rot aussah, mit derselben Lust, welche er an dem Gedeihen eines Fohlen hatte. Er verachtete jede andere Bildung, und die sittliche und religiöse, welche er doch nicht vermeiden konnte, überließ er dem Katecheten der Pfarrschule, welcher sich an seinem Tische mästete und als Stichblatt der guten Laune des reichen Papa nicht geeignet war, der Tochter besondere Ehrfurcht einzuflößen. Um den geringen Grad ihres Respekts vor seiner Person und seinen Lehren noch mehr zu schwächen, kam es zuweilen beim Unterricht vor, dass die menschliche Natur des Gesalbten zuweilen auf eine Weise rege wurde, welche das Kind anfangs mit unschuldigem Erstaunen, später aber mit einem Gefühle erfüllte, welches ihr sagte, daß dieser ihr Mentor und Sittenlehrer von demselben Fleisch und Bein war, wie die mit ihr scherzenden Cousins, welche sie in unbewachten Spielen neckten und küssten. Wenn der Herr Pater das blühendlachende Gesicht des jungen Mädchens vor sich sah, wurde ihm nicht selten ganz warm, und so kam es oft, dass er, anstatt ihr wegen eines Fehlers Strafe zuzuerkennen, sie mehr liebkoste als bestrafte. Dies Alles zu merken bedurfte das junge Mädchen keines höheren Alters als zwölf Jahre, im dreizehnten neckte sie ihn statt ihn zu respektieren, im vierzehnten verspottete sie ihn heimlich, im fünfzehnten lachte sie ihm ins Gesicht. Dahin war seine ganze Autorität! Betty wurde selbstständig. Die Dienstleute schmeichelten ihr, um von ihr Geschenke, gute Kost und Stillschweigen zu erwirken, wenn sie das Hauswesen vernachlässigten oder wenn ihre Geliebten ins Haus kamen. Natürlich duldeten sie dafür alle kleinen Ungezogenheiten des Mädchens, erfüllten alle ihre Wünsche und — als die erste unschuldige Liebesintrige mit einem fünfzehnjährigen Gymnasialschüler das kleine Herz der schönen Betty bestrickte, beförderten sie die Liebesbriefe und hatten auch nichts dagegen, als Betty auch mit anderen jungen Leuten jene Tändeleien der kindischen Liebe begann, welche die Gefühle der Wollust frühzeitig zu wecken pflegen. Das junge Mädchen, von allen Männern, welche ins Haus kamen, jung und alt, vornehm und gering, gehätschelt und vergöttert, von allen Stutzern, welchen sie begegnete, belorgnettiert, wurde im höchsten Grade eitel, kokett, gefall- und putzsüchtig — kurz sie wurde durch ihre Erziehung vorbereitet zu dem Lose, welches sie treffen sollte. Der Papa war zwar in seiner Art ein strenger Mann, es gab bei Entdeckung der Liebesabenteuer seiner Tochter bedeutende Gewitter des väterlichen Zorns, der väterliche Arm fiel oft schwer auf das leichtsinnige Kind, welches bis in ihr fünfzehntes Jahr sehr häufig Züchtigungen der empfindlichsten Art unterworfen wurde. Aber Betty wußte, dass Papa selbst seine Schwächen hatte, sie bemerkte manche Zärtlichkeit desselben gegen junge Mägde, und alle Strenge konnte nicht wieder gut machen, was Mangel an kindlicher Ehrfurcht verdorben hatte. Sie stand bald mit dem Papa auf jenem in Wien so gewöhnlichen vertraulichen Fuße, welcher nichts weniger als die Zwecke der Erziehung befördert. Sie sah bald ein, dass ihr Vater es herzlich gut mit ihr meine, aber eine Sittlichkeit von ihr prätendierte, deren er selbst nicht fähig war. Sie neckte ihn bald mit seinen eigenen Schwachheiten, tat was sie wollte und nahm die Schläge, welche ihr zuweilen zufielen, als kleine Unfälle hin, welche sie vorsichtiger, aber nicht besser machten. Da sie ein hübsches Heiratsgut erhalten sollte, so lag auch dem Papa im Grunde nicht allzu viel daran, dass ihre Unschuld völlig unberührt erhalten werde.

So standen die Sachen, als eine von den vielen Schmarotzerinnen, welche die Herzensgüte des eitlen Kindes missbrauchten und ihr dazu dienten, Briefe zu befördern und einen Liebeshandel zu unterhalten, welchen Betty mit einem Akademiezögling hatte, eine jener Kupplerinnen, welche durch Kartenschlagen, Klatschereien u. Zutritt zu allen Familien zu erschleichen wissen, Betty die Nachricht brachte, dass ein junger schöner und reicher Graf sich zum Sterben in Betty verliebt habe. Der Titel Graf hat leider für die Frauen der Bürgerklasse, welche in großer Unwissenheit und blindem Respekt vor allen jenen Ständen, welche den Bürgern Brot verdienen lassen, erzogen werden, einen magischen Klang.

Das Mädchen hört mit klopfendem Herzen die hocherfreuliche Botschaft an, man sagt ihr geradezu, der Junge schöne Graf wünsche nichts sehnlicher, als sie so bald als möglich zu heiraten, man erzeigt ihr schon jede den Respekt, welcher der Braut, einer Gräfin, zukommt, denn an eine Weigerung ihrerseits denkt Niemand und sie selbst am allerwenigsten. Man küßt ihr voll Ehrfurcht die Hände, man ist vor Freude außer sich über das Glück des jungen Mädchens, welches man schon in vier Wochen als gräfliche Gnaden zu begrüßen hofft. Alle Liebschaften Bettys sind mit einem Male vergessen. Karl, der Kadett, erhält seinen Abschied, gegen Eduard den Studenten benimmt sich Betty mit unleidlichem Hochmut; sie gibt ihm zu erkennen, dass sie zu etwas Höherem geboren sei, als die Geliebte eines armen Studenten zu sein, der von ihr Almosen erhalte. Betty spricht und träumt von nichts als dem Grafen. Nachdem man sie einige Tage ihren Träumen überlassen hat, bringt die Kowerin (Wiener Ausdruck für Kupplerin) einen mit gräflichem Wappensiegel verschlossenen Brief. Sie atmet kaum, indem sie ihn voll Ehrfurcht erbricht, sie liest die plumpsten Schmeicheleien und gröbsten Lügen mit dem allervollkommensten Glauben — der Herr Graf stirbt in seinem Briefe vor Liebe, er legt ihr seinen Rang, seine Güter in Polen mit einer halben Million jährlicher Einkünfte zu Füßen — aber der Name des Grafen bleibt ihr vor der Hand noch ein Geheimnis, ein so hoher Herr kann sich nicht kompromittieren — das ist sehr begreiflich. Das gute Kind wünscht nun nichts sehnlicher, als den jungen schönen Kavalier, der sie zu heiraten wünschte, zu sehen — man verspricht ihr, er werde sich zeigen, und wirklich fährt des anderen Tags eine prachtvolle Equipage vor ihrer Wohnung vorbei und ein vornehm gekleideter Heu winkt ihr eine Kusshand zu.

Sie hat ihn gesehen. Er ist weder jung noch schön, aber die Verblendung der Eitelkeit läßt sie in dem halb verlebten Wüstling einen Adonis erblicken. Er seiht sehr übel aus, aber das kommt — wie die Kupplerin sagt — von seinem Liebesgram, der den Schlaf von seinen Kissen verscheucht und ihn hindert sich satt zu essen. Betty ist bis zu Tränen gerührt, sie liebt ihn, sie lispelt ihr Jawort, sie ermächtigt die Kupplerin, ihm zu sagen, dass sie seine Gefühle erwidere und sich sehr geehrt fühle. Betty hat nichts Eiligeres zu tun, als allen ihren Freundinnen ihr Glück zu erzählen, man lacht sie aus — aber Betty ist kein Kind, sie weiß, das ist purer Neid — wie wird sie triumphieren über diese armen Geschöpfe, welche Fleischer und Bäcker zu ihren Geliebten haben! Sie will endlich ihrem Vater erzählen, welches Glück ihrer warte, aber es wird ihr unter Androhung des Rücktritts des Herrn Grafen verboten, es muss vor dem Vater ein Geheimnis bleiben, denn noch kann der Graf wegen Familienrücksichten nicht öffentlich auftreten, es ist keine Kleinigkeit, eine solche mesalliance [Ehe zwischen Partnern ungleicher sozialer Herkunft] zu schließen, man muss da Vorbereitungen treffen. Man bringt ihr aber zum Beweise der ernstlichen Absichten des Grafen einen Schmuck von böhmischen Steinen, welche man für Diamanten ausgibt, aber — ums Himmels willen — Niemand darf den Schmuck noch sehen, der hohe Wert — 10.000 Silbergulden — würde Aufsehen erregen, und der Graf muss das vermeiden.

Endlich wird dem ganz und gar betörten Kinde ein neues hochgräfliches Schreiben hinterbracht, worin er sie in den stehendsten Ausdrücken um eine Unterredung bittet. Die Kupplerin bringt diesen Brief mit einem Gesicht voll tiefen Herzeleides. Der arme gnädige Herr Graf — er ist so schwach, die Ärzte fürchten für sein Leben — Alles aus Sehnsucht für Betty! Der Herr Graf muss in einigen Tagen auf seine Güter reisen, um alle Vorbereitungen der Hochzeit zu machen — er hat einen Hochzeitswagen aus England verschrieben, er hat für fünftausend Dukaten Einkäufe gemacht zum Brautstaat — aber er muss noch viele Familienangelegenheiten ordnen, die Sache streng geheim halten —denn eine eifersüchtige Gräfin würde seiner Betty nach dem Leben trachten, und seine Verwandten könnten bei Hofe einen Versuch machen, die Verbindung zu hintertreiben. Alles dies ist sonnenklar — aber wie, wo ihn sprechen? Öffentlich auf einer Promenade, das wäre zu gefährlich, Betty muss in den „Palast“ des Grafen kommen. Beglückt. verwirrt außer sich vor Entzücken, verspricht Betty zu kommen — aber, sagt die schlaue Kupplerin, nicht wahr, Frau Gräfin — Fräulein, wollte ich sagen, Sie sind freundlich mit ihm, Sie lassen ihn nicht verzweifeln — mein Gott, er stirbt Ihnen sonst, denn seine Leidenschaft ist grenzenlos. Bitte, gnädige Gräfin, schlagen Sie Ihrem Herrn Gemahl ja keine Bitte ab, kränken Sie ihn nicht — Sie sind ja schon seine Gattin — Sie haben ja sein Heiratsversprechen schriftlich in Händen. Betty antwortet nicht, aber sie glüht. Sie durchwacht die Nacht in Fieberträumen — sie putzt sich am Morgen wie eine Braut, der Vater ist verreist, der Zeitpunkt ist gut berechnet und gewählt. Angetan mit ihrem Diamantschmuck — ein Diadem an der Stirne, in dem Aufzug einer Königin der Coulissen, besteigt sie einen Fiaker und in einer halben Stunde hält der Wagen vor dem Palasttore des Grafen. Der Portier springt herbei, die Frau Gräfin wird von einem Lakai aus dem Wagen gehoben und — so erscheint das Opfer vor seinem Würger. Betty befindet sich in einem Taumel, in einer Aufregung, in einer Bewusstlosigkeit, welche sie ganz und gar willenlos machen. Der Graf fällt ihr zu Füßen, er küßt ihre Hände, ihre Stirne, ihren Mund, er schließt sie in seine Arme — sein Mund überströmt von Zärtlichleiten, welche sie mit seligem Schweigen hinnimmt — er nötigt sie mit sanfter Gewalt auf ein Ruhebett — ein leises halbersticktes Ach! des armen Kindes — und die Blume ist gebrochen!

Nach einer Stunde des Taumels hilft der Graf die Toilette des Mädchens in Ordnung bringen. Sie lehnt ihr Köpfchen an seine Schulter und fragt: Liebst Du mich denn, lieber Graf? Wie konnte er nein sagen! Sie umschlang ihn. Er begann von seiner Reife zu sprechen, nach seiner Rückkunft wollte er sie wiedersehen. Kein Wort von Hochzeit, kein Wort von alle dem, was die Kupplerin gesagt, kommt über seine Lippen — aber das ist ja natürlich — wozu erörtern, was schon Alles besprochen und abgemacht war. Befremdlich zwar kam ihr des Grafen Benehmen vor, und ein Instinkt sagte ihr, dass dieses Liebesfeuer des Grafen ziemlich schwach lodere, die welke Brunst des Wüstlings hat die reine Jungfrau nicht ganz befriedigt — aber sie schreibt alle diese unbestimmten Gefühle und Beobachtungen ihrer Unerfahrenheit zu.

Was ist noch weiter zu erzählen? Der Graf ließ nichts mehr von sich hören, die Kupplerin verschwand, der Argwohn erwachte in der Betrogenen, sie eilte zu einem Juwelier und fragte um den Wert der Diamanten, man sagte ihr, er betrüge drei Gulden Wiener Währung, ein wappenkundiger Student wurde um das Siegel befragt, und sagte, es sei ein altes Petschaft [Siegelstempel mit eingraviertem Namenszug] der hochfürstlich salzburgischen Wirtschaftskanzlei, sie eilte in den Palast des Grafen und erfuhr, dass allerdings hier ein Graf logiert, aber ein verheirateter, der eben zu seiner Gemahlin nach Hause gereist sei.

Aus diese Weise furchtbar enttäuscht, will die arme Betty sich ihrem Vater entdecken — aber der Weg nach Hause war lang, sie hatte Zeit zu überlegen und fand, dass ihr dieses Geständnis nichts einbringen könne als eine Tracht Schläge. Sie schwieg daher — und allmählich trösteten sie neue Liebschaften für das fatale Abenteuer — aber ihre Liebschaften blieben nicht mehr schuldlos wie vorher — sie genas bald eines Knaben durch Verschulden eines Gardelieutenants, und ihr Vater warf sie voll Verdruß einem Bäckermeister an den Hals, der über ihre Mitgabe an Geld die Mitgabe eines vor der Heirat Erstgeborenen verschmerzte.

Wie hing aber diese Geschichte zusammen? Einfach. Der Graf N. N. versprach seinem Kammerdiener 500 Fl. für die Unschuld der schönen Betty. Der Kammerdiener seinerseits versprach der Kupplerin 100 Fl. Die Kupplerin bezahlte ihrerseits einem armen Teufel 5 Fl. für die Fabrikation der hochgräflichen Briefe — das Übrige machte sich durch die Einfalt des Opfers von selbst.

Diese Geschichte ist hinsichtlich aller Situationen buchstäblich wahr. Tausend ähnliche ließen sich ihr an die Seite stellen. Die Frechheit dieser Kuppler und Kupplerinnen ist eben so groß als die Einfalt der bürgerlichen Mädchen und ihre Leichtfertigkeit. Leichtsinn und Leichtgläubigkeit sind ein hervorstechender Zug im Charakter der Wienerinnen. Es grenzt ans Unglaubliche, welche plumpe Betrügereien der Art ausgeführt werden.

Die zweite Klasse der Kuppler ist weniger zahlreich, aber es gibt unter ihnen verwegene Glücksritter, welche sich öffentlich rühmen, jedes Mädchen jeden Standes in das Bett eines reichen Mannes bringen zu wollen, welcher gut bezahlt. Die Wirksamkeit der übrigen Klassen lägt sich leicht erraten. Wir haben es nur noch mit der furchtbarsten Klasse der Kupplerinnen, den Bettfrauen, zu tun. Diese erschreckend zahlreiche Klasse ist das Hauptmagazin der Prostitution. Aus dem Kreise ihres Einflusses, ihrer mächtigen Verruchtheit ist kein Entrinnen mehr. Diese Weiber sind die Straßenräuberinnen der weiblichen Unschuld. Sie verführen nicht, sie verlocken nicht, sie erwarten ihre Opfer. Ihre Fallen sind überall ausgestellt, man kann ihnen nicht entgehen. Ist einmal ein Opfer in ihren Händen, dann versuchen sie es nicht, sie setzen ihm einfach das Messer auf die Brust und begehren die Unschuld oder das Leben — doch was sage ich — ihr Raub hat einen noch viel schrecklicheren Wahlspruch, er heißt: die Unschuld und dann — das Leben!

Auch hier wollen wir zur Charakteristik der ganzen Klasse ein Beispiel — für hundert — nein — für tausend — nein — für zehntausend — nein —-: für hunderttausend erzählen!

Cilly — ein munteres Kind von fünfzehn Jahren — frühreif, wie es in den südlichen Gegenden der Monarchie bei Mädchen von vierzehn Jahren der Fall ist — ein Mädchen von dem reinsten Blute der schönen Steiermark, mit pechschwarzen großen Augen, einem zierlichen und üppigen Wuchs, kastanienbraunen weichen Haaren — war in dem Hause ihres Vaters, eines armen Schullehrers, in eine üble Lage geraten. Ihre Mutter war gestorben, der Vater, ein noch junger kräftiger Mann, heiratete zum zweiten Male — da gab es Zänkereien zwischen Tochter und Stiefmutter — der Vater liebte beide gleich sehr und war immer zwischen zwei Feuern — kurz, Cilly musste aus dem Hause. Ohnehin stand ihr, dem armen Mädchen, nichts bevor, als der Herrendienst — ob nun ein Jahr früher oder später, das gilt in einer armen Familie nicht viel. Der Vater segnete daher unter vielen Tränen sein liebstes Kind, gab ihr fünf Scheingulden — das Ersparnis eines ganzen Jahres — in den Strickbeutel und schickte sie mit der Lehre: Arbeite fleißig und sei brav! — in die Stadt — nach der berühmten Residenzstadt Wien. Jugend ist nicht für den Gram geschaffen, Cilly trocknete ihre Tränen, sandte ein Stoßgebet für ihren Vater zum Himmel und schritt nach wenigen Stunden recht lustig und herzhaft auf der Heerstraße fort. Das arme Kind hatte fünf Nachtlager zu überstehen, aber sie hatte tüchtigen Essvorrat im Zöger und zahlte nur wenige Kreuzer Schlafgeld auf dem Wege. Sie berechnete, mit dem übrigen Gelde ungefähr vier Wochen in Wien durchzukommen — Zeit genug, meinte sie, um einen Dienst zu finden. Mit Ausnahme der gewöhnlichen Abenteuer, welche ein junges armes Mädchen von der Brutalität der Männer auf solcher Wanderung nicht anders zu erwarten hat, welche sie aber mit so siegreichem Mute bestand, dass manchem naseweisen Bürschlein noch acht Tage später die Ohren davon sausten, kam sie glücklich, wohlbehalten, nur etwas bange nach Wien. Ihr erster Weg — das war ihr eingeschärft worden — war auf die Polizei, wo man ihr sagte, sie habe sich binnen wenigen Tagen über einen Dienst auszuweisen, widrigenfalls sie in ihre Heimat zurückkehren müsste. Ihr zweiter Weg war zu einer Bettfrau. Man machte ihr eine solche namhaft, welche in dem Rufe stand, die meisten Konnexionen [Beziehungen] zu besitzen. Sie findet ein altes freundliches lächelndes Weibchen, welches sie liebevoll aufnimmt und sich zärtlich erkundigt, ob Cilly etwas Geld mitgebracht. Sie weist ihren kleinen Schatz auf, der noch in 4 Fl. Schein — ungefähr 1 Thaler — besteht, womit sie einen halben Monat sich durchzubringen hofft. Allein die menschenfreundliche Alte klärt sie auf, dass dies sehr wenig sei, sie stellt ihr die Schwierigkeit vor, einen Dienst zu finden, sie endigt damit, dass sie dem Mädchen den Thaler abnimmt und verspricht, für sie zu sorgen. Wer ist froher als Cilly, die sich aller Sorge enthoben sieht! Die gute Alte bemüht sich eifrig, ihr einen Dienst zu verschaffen, sie schickt sie hinter einander zu zehn Herrschaften, welche eine geübte Köchin brauchen, was natürlich Cilly nicht ist. Sie wird daher überall zurückgewiesen. Nach einigen Tagen erklärt ihr die Bettfrau, welche sie verköstigt, dass ihr Kapital erschöpft sei. Sie selbst sei eine alte arme Frau, welche sich kümmerlich ernähren müsse. Cilly zittert am ganzen Leibe, aber ganz zufällig kommt ein junger Mann zu der guten Bettfrau, ein wohlhabender „Herr Vetter,“ der dem guten Kinde die größten Schmeicheleien sagt, und als er von der indiskreten Alten vernommen, um was es sich handelt, ihr eine Geldaushilfe anbietet. Die alte Frau hat eben sehr notwendig in der Küche zu tun — diese Zeit benutzt der junge Mann, zu gewissen Zudringlichkeiten, welche Cilly in gewohnter Weise abweist. Das Geräusch, welches darüber entsteht, führt die Alte herein, welche dem Herrn Vetter seine Unart nachdrücklich verweist und empfiehlt, sich im Hause einer ehrbaren Witwe künftig anständiger zu betragen. Der Herr Vetter entfernt sich missmutig, indem er ganz sein Mitleid und die versprochene Aushilfe vergißt. Kaum ist er fort, so erklärt die Alte dem weinenden Mädchen, dass sie außer Stande sei, sie länger zu beherbergen. Cilly, ratlos, außer sich, verlegt sich auf Bitten und Tränen — das Herz der Alten wird gerührt. Mein Himmel — sagt sie — mein liebes gutes Kind, was quälst Du Dich, Du hast ja an Deinem Finger noch einen hübschen Goldreif — da ist ja leicht zu helfen. Aber Cilly will sich des Ringes nicht entäußern, sie hat ihn von ihrer seligen Mutter. Aber die Alte tröstet sie, nicht verkaufen, nur verpfänden soll sie das Kleinod. Cilly entschließt sich endlich hierzu und die Alte verspricht ihr auf dieses Pfand hin acht Tage Unterhalt zu gehen. Aber auch diese acht Tage vergehen ohne Erfolg.
Ein Paar schlechte Ohrringe, ein Tuch, ein Paar Hemden werden nach einander der Alten übergeben, weiche dafür Beköstigung gibt. Aber es findet sich noch immer kein Dienst! Endlich als Alles erschöpft ist, als Cilly nichts mehr zu verpfänden hat, erklärt die Alte plötzlich, sie könne ihr keine Beköstigung mehr geben. Aus Barmherzigkeit wolle man sie noch auf dem Bette lassen. Cilly hungert — sie beschließt nach Hause zu gehen, sie sagt dies ihrer Kostfrau, welche aber plötzlich einen andern Ton gegen sie annimmt. Sie macht an das Mädchen eine Forderung von fünf Gulden geltend, sie laßt sie nicht aus den Augen, sie droht, sie von der Polizei einsperren zu lassen. Das Wort Polizei macht Cilly an allen Gliedern zittern — sie steht in sich plötzlich eine Verbrecherin — ein, wie die Alte sagt, nichtsnütziges „Mensch“, welche eine arme alte Frau um ihre Ersparnisse betrogen hat, eine Landläuferin! Nun sollte man denken — eine Behörde, deren ursprüngliche Bestimmung die Beförderung der öffentlichen Wohlfahrt und Sicherheit ist — wäre für Unglückliche in solchen Situationen eine sichere Zuflucht. Mit nichten — sie steht weder in diesem Credit, noch in diesem Rufe. Sie ist der Schrecken der Armen, Unterstandlosen. Die einzige Hilfe, welche sie leistet, ist, dass sie die Unterstandlosen auf dem Schub mit Dieben und Huren in ihre Heimat bringen läßt, nachdem man sie vorher auf die roheste Weise inquiriert, vielleicht mißhandelt hat. Cilly beschließt lieber zu sterben, als ihrem alten Vater die Schande antun zu lassen.

Der Herr Vetter erscheint abermals. Er setzt sich zu Cilly, er bittet sie um Verzeihung, er ist so mitleidig und teilnehmend — die Alte hat wieder in der Küche zu tun, aber sie kehrt bald zurück, und als sie findet, dass der Vetter die Hand Cilly's in der seinigen hält — befiehlt sie ihm aus dem Hause zu gehen. Er hat nur Zeit Cilly zuzuflüstern, er wolle ihr helfen, sie solle sich um eine gewisse Stunde an einem gewissen Orte einfinden, er wolle ihr einen Dienst verschaffen, er müsse mit ihr allein sprechen.

Verwirrt, schamrot bleibt Cilly zurück. Die Alte keift und geifert. Der Mittag kommt heran, die Alte speist, die vollen Schüsseln dampfen, Cilly hat nicht ein Stück trocken Brod. Sie hungert zum ersten Male und vergießt reichliche Tränen. Sie denkt an die Hilfe des jungen Mannes, aber verschmäht sie. Sie macht tausend Entwürfe und kann keinen ausführen. Sie wagt sich nicht aus dem Hause zu gehen, um die Alte nicht glauben zu machen, sie wolle entfliehen.

Man schreitet zum zweiten Grade der Tortur. Man erzählt ihr von dem Polizeihause und dessen löblicher Hausordnung, von der Anzahl von Rutenstreichen, welche Dienstmädchen zu gewärtigen haben, wenn sie irgend einen Betrug oder Diebstahl begehen. Natürlich zweifelt Cilly nicht, dass sie selbst schon eine Betrügerin sei. Man spricht vom zur Tür hinauswerfen, von dem Zuchthause, kurz von Allem, was es für die Phantasie eines Mädchens der dienenden Klasse Schreckliches gibt. Man spricht geheimnisvoll davon, dass man ein Ende machen wolle und werde — die Bettfrau spricht heimlich mit anderen Mädchen, welche bei ihr Dienst suchen —Cilly beschließt, sich in der Nacht, wenn Alles schliefe, zu erhängen!

Die Nacht naht heran, sie harrt jeden Augenblick der Ankunft von Häschern entgegen. Sie atmet auf, als es endlich Nacht wird — sie denkt an ihren Vorsatz, an ihren armen alten Vater. Der Zufall aber will es, dass sie heute Nacht eine Schlafkameradin erhält — sie zahlt ihr Bette nicht, sie hat keinen Anspruch mehr auf dieses Bett. Es ist ein munteres lustiges Mädchen, welches mit ihr das Bette teilt. Diese hat zufällig von der Not der armen Cilly gehört, sie betrachtet sie, sie bricht in ein Gelächter aus und ruft: Nein, bist Du dumm, Mädchen!

Man begibt sich zu Bett und Cilly erfährt nun, was dieser Ausruf des Staunens zu bedeuten habe. Die Schlafgenossin plaudert gemütlich, zutraulich, teilnehmend mit ihr. Sie erklärt ihr, wie es ganz und gar unmöglich sei, in Wien fortzukommen ohne einen oder mehrere Liebhaber. Und die Liebhaber seien in Wien leicht zu finden, ein hübsches Mädchen, wie Cilly, könne zehn an jedem Finger haben. Sie dürfe nur zehn Schritte auf der Straße gehen, um einen zu haben. Aber Cilly widerspricht heftig, sie zankt mit ihrer neuen Freundin über die Begriffe von weiblicher Ehre. Sie will lieber sterben als eine liederliche Dirne werden. Darüber ist ihre Freundin sehr beleidigt. Hältst Du mich also für eine liederliche Dirne? Du bist so dumm, dass man Mitleid mit Dir haben muss. Alle Dienstmädchen leben auf diesem Fuße. Du wirst nicht die Einzige sein, welche eine Ausnahme macht. Dir wird man keine besondere Wurst braten! Ein Mädchen kann Liebhaber haben und doch brav sein, und am Ende heiraten. Wozu sind denn die Männer da, als die armen Mädchen zu unterstützen? Freilich gleich heiraten kann nicht ein Jeder. Da muss ein Mädchen Geld haben. Wer aber nichts hat, der muss Gott danken, wenn Gott ihm eine Larve gegeben hat, welche den Männern gefällt! Diese und ähnliche Reden bearbeiten das verzweifelnde Kind. Es schweigt endlich und bleibt standhaft. Die Freundin scheidet am frühen Morgen — Cilly ist wieder allein mit der Alten. Kein Frühstück, kein mitleidiges Wort, kein Rat, kein Trost.

Indessen ist Cilly ruhiger. Sie kennt nun eine letzte Zuflucht — zwar will sie lieber sterben als sie aufsuchen — aber gegenüber diesem Weibe, diesem herzlosen Scheusal, gewährt es ihr einen Trost, zu wissen, sie darf nur wollen und sie kann sich von ihrem Anblick befreien.
Kurz, Cilly ist vorbereitet für den letzten Grad der Tortur.

Die Bettfrau hat auf die Polizei geschickt und Cilly erwerb- und unterstandlos gemeldet.

Es erscheint plötzlich ein Polizeidiener! Cilly ist einer Ohnmacht nahe. Ihr Gesicht bedeckt
Totenblässe, ihr Herzschlag stockt, der kalte Schweiß steht ihr an der Stirne. Der Mann — der furchtbare — frägt nach ihr. Er ladet sie vor, in einer Stunde auf dem Polizeiamte zu erscheinen. Die alte Bettfrau wirft einen heitern lachenden Blick auf Cilly. Trotz ihrer Todesangst bemerkt Cilly diesen Blick. Die Rache vergiftet dieses schuldlose Herz mit ihren Gefühlen. Sie will sich rächen — sie will dieser Furie ihre Schuld bezahlen und über sie triumphieren. In diesem Augenblick schlägt die Stunde, welche ihr der junge Mann zum Rendezvous angezeigt. Sie springt auf und beschließt, ihren Freund zu Hilfe zu rufen.

Wie ist dieser erfreut sie zu sehen! Wie küßt er ihre Hände, nennt sie mit den zärtlichsten Namen, wie überströmen seine Lippen von freundlichen Worten! Mit Tränen in den Augen bittet sie ihn um Hilfe. Sie folgt ihm aus sein Versprechen, dass er ihr allen Beistand leisten wolle, in seine Wohnung. Sie erzählt ihm ihre ganze Lage, er ist gerührt, empört über die Alte, er wird sie rächen. Er verspricht ihr Geld, Kleider, einen Dienst. Diese verschwenderische Bereitwilligkeit gegenüber der grausamen Härte, welche sie erduldet, bewegt ihr Herz. Ihr Blut kommt in Aufruhr, als sie sich von den Armen des Freundes umschlungen fühlt, ihre Lippen bleiben an den seinigen haften, sie würde es nicht über sich gewinnen können, ihm zu widerstehen. Ihre grausame Bestimmung geht diesmal auf die süßeste Weise in Erfüllung.

Eine Stunde später bezahlt sie ihre Bettfrau und mietet sich bei einer andern ein, welche, erfahren in allen solchen Angelegenheiten, es auf sich nimmt, die Polizei zu beruhigen.

Vierzehn Tage vergehen in Lust und Hoffnung, gemischt mit Scham und Gewissensbissen. Der Freund hat noch keinen Dienst für sie gefunden, aber er sorgt für sie. Er versieht sie mit Geld und Kleidern. Sie muss sich putzen, um ihm einen Gefallen zu erweisen. Aber plötzlich bleibt der Freund aus. Sie könnte nun doch nach Hause reisen — da fühlt sie sonderbare Beschwerden, Übelkeit, Kopfschmerzen — ihre Bettfrau erklärt ihr, dass sie schwanger sei.

Diese Entdeckung, der Verlust ihres Freundes, den sie liebte, stürzen sie in neue Verzweiflung. Aber sie hat nun Geld, sie hat nun auch Freundinnen, welche sie trösten. Aber ihr Geld wird alle — die Bettfrau — nimmt eine drohende Miene an.

Was ist noch mehr zu sagen. In vier Wochen ist Cilly ein Wiener Freudenmädchen.

Das ist die Geschichte der meisten dieser Unglücklichen, welche man so sehr verachtet.

Wir haben von den übrigen Klassen der Kuppelei wenig zu sagen. Sie gleichen sich in ihrem Charakter, in ihren Kniffen, in ihrer Verworfenheit alle.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Schicksale der Frauen und die Prostitution