Das Weib — in seiner Herabwürdigung

Prostitution! Dieses Wort hört man jetzt überall — es ist eines der Losungsworte des Kommunismus — man weist darauf hin als auf einen Beweis der Notwendigkeit ihrer Prinzipien. Aber warum spricht man nur von der Prostitution, deren hergebrachter Begriff nur dasjenige umfasst, was wir in unserer deutschen Sprache die Hurerei nennen? Warum spricht man nicht von der Herabwürdigung des Geschlechts im Allgemeinen? Warum beschönigt man mit einem ausländischen Worte eine Ausartung der Geschlechtsverhältnisse und übergeht alle jene Zustände, welche nicht minder traurig als die Prostitution sind, mit Stillschweigen? Der Kommunismus ist so vielfach verleumdet worden, dass es uns hart dünkt, ihn zu beschuldigen, er wolle, um die Prostitution zu heilen, sie zur gesellschaftlichen Regel machen; er wolle nur die Schmach der Prostitution, nicht sie selbst vernichten, sondern vielmehr in einer legalen Gemeinschaft der Weiber sanktionieren. Es ist nicht zu verkennen, der Kommunismus hat edle menschenfreundliche Motive; er geht von der Erkenntnis des großen Unheils aus, welches die Menschheit betroffen und von welchem nur Jene keinen Begriff haben, welche nicht mit der Menschheit gelitten haben. Aber man missbraucht diese Motive, um der gesellschaftlichen Anarchie das Wort zu reden. Auch dieser Missbrauch ist eine Erscheinung für sich. Wir werden im Verlaufe unserer Untersuchung zu beweisen Gelegenheit haben, dass diese Erscheinung nur eine Frucht des Grundübels ist, welches wir ins Auge fassen, indem zwei Drittteile des menschlichen Geschlechts ein Interesse haben, die gesellschaftliche Anarchie der despotischen Niederhaltung aller Naturgefühle vorzuziehen. Der Kommunismus — in seinen Motiven rein und vorwurfsfrei, ist nur durch die Sorglosigkeit der Macht in Bezug auf die Schicksale der Menschheit in eine staatsgefährliche Konsequenz verfallen. Es ist sehr natürlich, dass man einen Staat verfolgt, der jenes Fundamentalübel ignoriert und den Menschen in ihrer unsäglichen Not, in ihrem grenzenlosen Massenelend keine Hilfe zu leisten Willens oder vermögend ist.

Wir huldigen weder einer Partei, noch einem nationalen Vorurteil. Wir desavouieren die sozialen Theorien von der Gemeinschaft aller Güter und — als solcher — der Weiber. Bei gleichmäßig verteilten Gütern würde nicht minder ein großer Teil der Menschen im Elende zu Grunde gehen. Eine Kasernenregierung, ein Hospitalregiment müsste in Despotismus (System der Gewaltherrschaft) ausarten. Eine Verteilung aber würde dem Fleißigen, dem Betriebsamen und dem guten Ökonomen immer unermesslichen Vorteil gegen die Schwachen gewähren. Eine Gemeinschaft der Weiber würde blutig Unheil stiften, und niemals würde man im Stande sein, allen Menschen, gegen die Gebote der Natur, jenen Abscheu gegen eine solche Gemeinschaft zu benehmen, welcher die Grundlage jeder sittlichen Ordnung ist. Nie würde man es dahin bringen, dass das Weib ein teilbares Gut werde, außer in Augenblicken wilder Zügellosigkeit, welche nur in Kriegen und Revolutionen eintreten können.


Wenn wir von Österreich hier sprechen, so wollen wir nicht sagen, dass Österreich allein so tief gesunken sei in seinem Menschheitsleben, wir wollen nicht behaupten, dass es ausschließlich von moralischen und physischen Seuchen verheert werde, aber eben so wenig wollen wir sagen, dass Österreich darum zu entschuldigen, oder zu beschönigen, dass seine Regierung zu beloben sei, weil die schrecklichen Erscheinungen, welche wir zu würdigen im Begriffe stehen, auch in anderen Ländern eingetreten sind.

Nicht bloß das Weib ? von welchem wir hier allein sprechen wollen - die ganze Gesellschaft ist in Frankreich, England, zum Teile in Deutschland und in Italien aus einer gleichen Stufe des Elends. Diese Länder haben in sozialer Hinsicht vor Österreich nichts voraus, aber Österreich hat auch nichts voraus vor ihnen. Wir sprechen weder für noch gegen die Nationalität — und wenn Vorliebe auf diese Untersuchungen einen Einfluss übt, so ist es bloß in der einzigen Hinsicht, dass wir zuerst von einem Lande und seinem Elend sprechen, welches unseren Verachtungen am nächsten liegt und uns die meisten praktischen Erfahrungen gewährt.

Demzufolge können wir nicht leugnen, dass Österreich hinsichtlich der weiblichen Schicksale furchtbare Beispiele darbietet, — aber wir können auch nicht zugeben, dass irgendwo, außer vielleicht im Orient ? in einigen Teilen des protestantischen Deutschlands, das Schicksal des Weibes ein wesentlich besseres sei als hier.

Österreichs eigentümliche geographische und politische Lage zwischen der westeuropäischen Zivilisation und der orientalischen sogenannten Barbarei, welche zum großen Teile nichts weniger als dieß, sondern ein geregelter Naturzustand ist, hat diese Monarchie seltsamer Weise in das Unglück gestürzt, von beiden Extremen manches Unheil in sich aufzunehmen. Um hier nur vom Weibe zu sprechen, so ist dieses häufig so frei, frech und frivol in Österreich wie in Frankreich, zugleich aber häufig so feig, hinterlistig und sklavisch wie im Orient. Man ist gegen dasselbe so galant und zuvorkommend (mit Heuchelei) wie in Frankreich, und zugleich so tyrannisch und roh wie im Orient. Es besitzt einen Schatz von natürlichen guten Eigenschaften, welche aber durch jene verderbliche Zwischenlage meist im frühen Alter ausgerottet werden.

Wir müssen jedoch hier nationale Unterscheidungen machen, obwohl die Gesittung fast in der ganzen österreichischen Monarchie eine gewisse Gleichartigkeit angenommen hat.

In den österreichischen, steyerschen, deutsch-illyrischen, Tirolischen Provinzen ist das Weib von Natur aus meist sehr heiter, etwas leichtfertig, sehr gemütlich und voll Zärtlichkeit und glühender Leidenschaft ? dabei schwärmerisch hingebend ? hoch wankelmütig und launenhaft. Mit diesen Eigenschaften, in einem vernünftigen gesellschaftlichen Zustand durch charakterfeste und tugendhafte Mannheit beherrscht und gezügelt, würde dieses Weib das Ideal aller Weiblichkeit erreichen ? denn es ist eben so empfindsam als tief, eben so leichtmütig als lenksam — wenn es nicht durch schlechte gesellschaftliche Institutionen und die Degradation des männlichen Geschlechts herabgewürdigt und oft in Grund und Boden verdorben würde. In den böhmischen, mährischen und polnischen Teilen der Monarchie fehlt den Frauen jene Lebhaftigkeit und Zartheit der Gefühle, sie sind von etwas sprödem Stoffe, sie nähern sich in ihrem natürlichen Temperamente mehr den norddeutschen Frauen, ohne jedoch so nervös zu sein, sie schließen sich aber in ihren Lebens-Gewohnheiten so gern den süddeutschen und illyrischen [Die Illyrer waren ein Volk der Antike] Frauen an, daß nicht jedes Auge ihre Charakterverschiedenheit entdeckt. Da sie nun so ziemlich einerlei Schicksale zu dulden haben, da das männliche Geschlecht in allen Provinzen an gemeinsamen eingeübten und angewohnten Rohheiten laboriert, da überall ein Sittengesetz (vielmehr ein und dieselbe sittliche Anarchie), überall dieselbe Mode — welche mehr als Alles die sittlichen Gefühle tyrannisiert — herrschend sind, so zeigen sich in allen benannten Provinzen fast dieselben Schicksale des weiblichen Geschlechts. Wir wollen versuchen, in wenigen Zügen ein Gemälde dieser Schicksale zu entwerfen ? nicht ohne Furcht, der Übertreibung beschuldigt zu werden. Vieles Unheil dieser Welt ist so entsetzlich, dass Niemand daran glauben will. Der Mensch — mag er noch so schwer erkrankt sein — er glaubt niemals an den hohen Grad seines Elends. Die Weiber, welchen wir diesen Spiegel vorhalten, durch Gewohnheit mit ihrem Lose vertraut, finden es nicht so hart, als es ist, und abgestumpft gegen das feinere Gefühl ihrer Würde, sind sie weit entfernt, den ganzen Grad der Verachtung zu fühlen, unter welcher sie erliegen. Aber diese Stumpfsinnigkeit — die Folge ihrer Sklaverei ? kann uns nicht abhalten, die Wahrheit ohne Rückhalt und Schmeichelei zu sagen.

Die Prostitution ist nur ein Zweig der allgemeinen Herabwürdigung des Weibes. Der Grund dieser Herabwürdigung ist jene Gesittung, welche man unmöglich die christliche nennen kann und welche doch mit keinem andern Namen zu bezeichnen ist. Das männliche Geschlecht sieht in Folge dieser Gesittung — oder besser gesagt, sittlichen Anarchie — in dem Weibe nichts mehr als ein Werkzeug der Wollust. Nicht die Zeugung, nicht die Glückseligkeit des Familienstandes ist der Zweck des Umganges mit dem weiblichen Geschlecht, nur der sinnliche Rausch des Moments der Begattung. Die Folge dieser Objektivierung — welche in allen Ständen gewohnt ist — kann nicht anders sein, als sie es ist. Man hat gegenüber dem Weibe in der Regel keinen anderen Gedanken, als den an die Befriedigung der sinnlichen Triebe. Der Wert des Weibes wird daher einzig und allein von seiner Befähigung, Vergnügen zu gewähren, abgeschätzt. So lange diese Befähigung da ist, so lange hegt man gegen sie eine im Grunde verächtliche Zärtlichkeit, ist sie verschwunden, so wirft man die Schale, das Gefäß des Genusses, hinweg. Heiraten sind unter solcher Gesittung nur ein Opfer, welches man sich auferlegt, und wofür man Entschädigung verlangt: Mitgift oder die Protektion eines mächtigen Schwiegervaters. Und die Väter selbst sehen sich genötigt, auf diese gewohnte Objektivierung einzugehen und ihren Töchtern Gatten zu kaufen, welche ihre Gattenpflichten als einen Solddienst betrachten.

Die Behandlung der Frauen und Mädchen ist ganz diesen Ansichten entsprechend. So lange sie jung sind und die Sinne reizen, huldigt man ihnen — auf eine eben so unwürdige als heuchlerische Weise. Die Art und Weise, wie man in Österreich jungen Mädchen zu begegnen pflegt, die Vergötterung ihrer Reize, wodurch man sie maßlos eitel und gefallsüchtig macht, der sklavische unmännliche Dienst, welchen man ihnen erweist, wodurch sie herrschsüchtig, launenhaft, kokett und gefühllos gegen zarte Äußerungen eines tiefen Gefühls werden, untergraben gleichzeitig die weibliche Tugend, deren Verlust man hinterdrein zum Vorwande nimmt, um die bald darauf folgende Gleichgültigkeit und Verachtung zu rechtfertigen. Es wird nichts verabsäumt, um ein junges Mädchen zum Fall zu bringen, Schmeicheleien, Geschenke, Schwüre, Torheiten aller Art; allein sobald der Zweck erreicht, sobald die sinnliche Laune befriedigt ist, gibt man sie der Verachtung preis. Den Ehefrauen geht es um nichts besser als den gefallenen Mädchen — nach kurzen Flitterwochen vergißt man ihrer; man erinnert sich nur, dass man verheiratet ist, wenn man zu Tische geht oder zur Ruhe. Man läßt sie fühlen, dass sie zur Last ist; sie ist, wenn sie ohne Vermögen ist, nur die erste Magd im Hause, und besitzt sie Vermögen, so gewahrt sie gar bald, dass sie nur ein Paradestück im Haushalte des Gemahls ist.

Die Geringschätzung des weiblichen Geschlechts ist unter den Männern so zur Gewohnheit geworden, dass man nur ihre Gespräche über dasselbe zu hören hat, um das ganze Unglück der Frauen zu begreifen. Junge Männer bereden ihre Liebesabenteuer, wie man allenfalls Jagdpartien beredet; man prahlt mit dem erlegten Wild, man spottet über seinen Widerstand, man sticht sich aus und man endigt damit, blasiert zu sein über die schmählichsten aller Triumphe, über das schwächste aller Geschöpfe!

In den italienischen Provinzen genießt die Frau durch die Gewohnheit einige herkömmliche Privilegien. Sie scheint entschieden die Tyrannin des männlichen Geschlechts zu sein. Sie arbeitet nichts, sie schmückt sich nur. Man betet sie an so lange sie schön und jung ist, ja man gestattet ihren heftigen Leidenschaften, ihrer brennenden Sinnlichkeit, die schimpflichste Gewährung. In den meisten Ehen unterstützt ein Hausfreund den Gemahl in der Kühlung südlicher Sinnesflammen. Aber um welchen Preis macht man ihr diese Zugeständnisse! Welche Verachtung erweist man dem verblühten Weibe!

In allen Provinzen aber spielt man mit der jungfräulichen Ehre und Schamhaftigkeit. Der Umgang zwischen jungen Leuten ist zügellos. Umschwärmt von einer Schar Verehrer aus allen Ständen — reich und arm, vornehm und gering — leben die unglücklichen Mädchen eine Zeit lang in der Täuschung, dass sie über ihr eigenes Schicksal nur zu gebieten hätten. Sie zögern, wählen — sie versäumen den Augenblick, und bald gewahren sie, dass man nur ein Spiel mit ihnen getrieben, dessen Opfer ihr Lebensglück geworden.

Nichts charakterisiert die herrschende Verachtung gegen das weibliche Geschlecht vollkommener als das in allen Ständen sehr beliebte Zotenreißen. Die Gegenwart einer Frau ist, anstatt eine Abhaltung, eine Aufmunterung zu jenem Wortspiele mit Zweideutigkeiten, welches in den besseren Ständen nur seiner ist — aber nicht völlig fehlt. Eine Hofdame Ihrer Majestät bekommt in ihrem Leben von Generalen, Diplomaten, Präsidenten, Kammerherren ihres vertrauten Umganges gewiß eben so viele Zweideutigkeiten zu hören, als eine Küchenmagd von Domestiken und Stallknechten. Diese Gewohnheit ist psychologisch wichtig. Man sieht also in dem Weibe nur noch das Geschlecht. Man denkt bei ihr nur an die gegenwärtigen oder vergangenen Freuden der Wollust. Eine alte Frau ist daher in hohen und niederen Ständen nur ein Gegenstand der geringschätzendsten Gleichgültigkeit. Im Umgange von den Männern mit einer Art Ekel gemieden, werden sie gewöhnlich deren erbittertste Feindinnen.

Da nun die Männer solcher Weise selbst nichts von weiblicher Tugend zu wissen scheinen, da ihnen die schönsten Gemüts- und Geisteseigenschaften eines Weibes vollkommen gleichgültig sind, so ist es sehr natürlich, dass das Weib in Österreich in der Regel nichts an sich selber schätzt, als ihre körperlichen Vorzüge und — den Wert der Jungfräulichkeit aus Klugheitsrücksichten, daß es sich wenig Mühe gibt sich Vorzüge anzueignen, welche ohne Werth sind. Eine gute Köchin, eine gute Wirtin, eine Dame von gutem Ton zu sein, ist Alles was sie neben ihrer körperlichen Pflege zu erstreben haben. Da die Sinnlichkeit den einzigen Maßstab für ihren Wert gibt, so streben sie danach, sie allein zu erregen.

Wirklich ist die Geistesbildung der österreichischen Frauen aus eine traurige Weise vernachlässigt. Sie bestreben sich — Mutter wie Töchter — nur jene oberflächliche Bildung sich anzueignen, welche die Kunst zu gefallen unterstützt. Ein geistreiches Geschwätz über die neuesten Romane und Theaterstücke zu soutenieren, ist der Gipfel ihrer geistigen Bravour in den höheren Ständen. Die französische Literatur ist ihnen mit Recht in Bezug auf unsere sozialen Zustände das Bedeutendste — aber nicht aus gründlicher Erkenntnis dieser Bedeutung, sondern weil es Mode ist davon zu sprechen — weil die Männer immer davon sprechen und man ihnen zu antworten im Stande sein muss. Übrigens zieht die außerordentliche Ähnlichkeit der französischen und österreichischen Sitten unbewusst zu dieser Lektüre hin. In den Mittelständen begnügt man sich, eine Humoreske von Saphir andächtig zu deklamieren. Das Gesinde liest den Spieß und Cramer ? aber alle Frauen in hohen und niederen Ständen wissen in der Regel wenig mehr von der Geschichte und Geographie ihres Vaterlandes, außer dass Maria Theresia die Kaiserin der österreichischen Urzeit gewesen und dass Wien die schönste Stadt in der Welt ist. Die Gewächse des Bodens, aus dem sie wandeln, die Gerüchte, welche sie nicht essen können und die Tiere, womit sie nicht in den Prater fahren können, sind ihnen vollkommen gleichgültig.

Diese traurige Unwissenheit, welche manches Weib in der Tat zum Halbtiere macht, ist eine Anklage mehr gegen die schändliche Gewissenlosigkeit der Männer. Denn sie sind es ja, welche die Bildung ihrer Töchter, Schwestern, Gattinnen leiten, sie sind es ja, welche das ganze Geschlecht zu sich heraufziehen sollten! Aber nichts ist ihnen gleichgültiger. Ich habe im vorigen Buche meinen pflichtmäßigen Eifer gegen geistige Überbildung, gegen die Literatur der Blaustrümpfe erwiesen. Der Verdacht norddeutscher Sympathien für Berliner Frauengeist kann mir nichts anhaben. Aber so widerlich mir eine solche Berliner Geistreiche sein mag, so erbarmungswürdig und fast ekelhaft ist ein dummes Weib von der Gattung, wie man sie in Wien in den höchsten Ständen findet — ein Weib, welches nichts weiß als die Namen der berühmtesten Schneider in Paris und der beliebtesten Tanzfrösche des Kärntnertortheaters. Gibt es denn eine größere Herabwürdigung des Menschen, als tierische Unwissenheit? Den Planeten nicht zu kennen, worauf man wohnt — keinen richtigen Begriff zu haben von den Sternen, welche den Abendhimmel erleuchten? — Da aber die Männer in dem Weibe nichts mehr sehen als ein Stück Fleisch für den Hunger ihrer unersättlichen Wollust, so denken sie nur daran, ihre Reize zu mästen und ihr herausforderndes und erregendes Talent auszubilden: das ist sie tanzen, fremdländisch schwatzen, singen und Klavierspielen zu lehren. Man spricht nur immer von der Prostitution der käuflichen Dirnen. Aber ist solche krasse Unwissenheit nicht auch Prostitution — eine Prostitution des Geistes, welche eine der Hauptursachen des sittlichen Verderbens der Frauen ist.

Wenn bei einer so schmählichen Vernachlässigung des weiblichen Geschlechts die Frauen einen Charakter annehmen, der sie der Geringschatzung würdig macht, welche man ihnen erweist, so ist das gewiß nicht ihre Schuld. In der Regel sind die Frauen den Männern sehr dankbar. Sie vergelten ihnen mit gleicher, wo nicht größerer Verachtung. List, Lüge, Betrug, Heuchelei — Alles scheint ihnen gerecht gegen ihre Feinde, die Männer, anzuwenden, um den möglichsten Stützen von ihnen zu erpressen. Wenn man sie als Werkzeuge des Vergnügens betrachtet, welche man wegwirft, sobald sie ungeeignet geworden, so betrachten sie hingegen die Männer als Werkzeuge des Nutzens, welche man so lange gebraucht als sie tauglich sind. Das ist nicht etwa bloß die Religion der Freudenmädchen, sondern die fast aller Stande, fast aller Mütter und Töchter. Die Ehefrau wie die Gassendirne hat in der Regel den gleichen Zweck, Geld zu erpressen, mit dem einzigen Unterschiebe, daß die letztere mehrere Männer auszubeuten sucht, während die erstere nur einen Gegenstand zum Auspressen hat. Einen wesentlichen Anteil an diesem Bestreben hat der Gedanke, es dem Gemahl unmöglich zu machen, viel von seinen Einkünften für Galanterie zu verwenden. Die Treue des Gemahls ist einer Wienerin meist sehr gleichgültig, doch das Geldausgeben darf nur sie betreffen.

Verschwendung, Putzsucht — ja auch Spielsucht, sie lassen ihnen unbedenklich die Zügel schießen. Der Wohlstand, die Ruhe, die Sorglosigkeit des Gatten sind ihr völlig gleichgültig. Und um die Rache zu vollenden, verwendet sie einen Teil der Einkünfte des Gemahls oft dazu, einen jungen Menschen studieren zu lassen, unter welchem Vorwand besonders in den Bürgershäusern Wiens das Cicisbeo [vom Ehemann akzeptierter Liebhaber der Ehefrau] kultiviert wird. Natürlich vermehrt diese Rache nicht die Achtung der Männer. Vergessend, dass ihr Geschlecht allein die Schuld trägt an dem moralischen Untergange des anderen, betrachten sie ihre Weiber meist als unflätige und boshafte Tiere, welchen sie ausweichen und von welchen sie sich nach Entblätterung des Ehefrühlings um jeden Preis wieder loskaufen.

Diese Zustände sind natürlich am weitesten gediehen in Wien, in Pest, in Venedig, Mailand, in Prag, in Grätz, Lemberg. Weniger auffallend sind sie in kleineren Provinzialstädten. Auf dem Lande finden jedoch sehr große Verschiedenheiten statt. In Dalmatien und Illyrien scheint es einer dunklen Sage nach noch männliche Keuschheit und weibliche Tugend zu geben. In Böhmen ist es ungewiss, ob sich die Weiber auf dem Lande mehr selbst geringschätzen und wegwerfen oder mehr von den Männern geringgeschätzt werden. In Galizien ist die weibliche Ehre für kleine Kupfermünze feil. Tirol hat -Beispiele von sittlicher Strenge unter den Frauen — aber nur im Hochgebirge nahe an der Region des ewigen Eises. Im Zillertal und in Südtirol ist das Fleisch schwach. Aber in allen Teilen des Kaiserstaates besonders in Ungarn, Polen und Österreich — befindet sich das Weib der Regel nach in einem Zustande von Herabwürdigung, welche freilich diejenigen nicht begreifen und leugnen werden, die den sittlichen Zustand eines Volkes und der Gesellschaft im Allgemeinen nach einem halben Dutzend ausgewählter Familien ihrer Bekanntschaft beurteilen und die großen Massen für nichts rechnen.

Freilich wohl wenige zivilisierte Nationen haben bessere Zustände aufzuweisen, doch darum können wir die hiesigen nicht gut heißen oder auch nur als etwas Unvermeidliches gelten lassen. Es hat zu allen Zeiten sittenlose herabgewürdigte Weiber gegeben, aber niemals in früheren Zeiten ist die Herabwürdigung Regel gewesen. Wenn wir jedoch Vergleiche anstellen, welche anderen Nationen zu Gunsten ausfallen, so ist doch immer nur von einem kleinen plus oder minus die Rede: nicht in Österreich allein, in ganz Europa ist das Weib tief herabgewürdigt. Im protestantischen Deutschland ist, es nur wenig mehr geachtet wie in dem katholischen, jungfräuliche Ehre ist im nördlichen Deutschland besser bewacht wie im südlichen in Österreich und Illyrien, aber, so widersprechend dies scheinen mag, die käufliche Prostitution, die handwerksmäßig ist in Norddeutschland — besonders in Berlin und Breslau — heimischer als im Süden.

Alle diese Unterscheidungen sind sehr zart, großen Modifikationen und Ausnahmen unterworfen. So dürfte es unglaublich scheinen und doch ist es eine Tatsache, daß das Weib in Österreich tiefer herabgewürdigt ist als in Frankreich, weil der Franzose an dem Weibe nicht bloß das Geschlecht ehrt, weil der Franzose mild zu denken gewöhnt worden gegen weibliche Schwachheit und weil er — zur Schmach unseres deutschen Vaterlandes muss es gesagt werden — der einzige ist, welcher selbst in den prostituierten Frauen noch die menschliche Würde achtet. Aber der Deutsche wie der Österreicher sieht in einem prostituierten Weibe — in einer Unglücklichen, die durch seine eigenen Laster zu diesem Schicksale verdammt ist ? ein Tier, das nur zu seiner Lustbarkeit da ist. Kein menschliches Gefühl regt sich in ihm für dasselbe — nur tierische Geilheit. Es fällt den Deutschen in Paris regelmäßig auf, wenn die Pariser eine öffentliche Dirne gegen die Brutalität irgend eines Engländers oder Deutschen in Schutz nehmen, wenn sie nicht dulden, dass man auf ihre kleinen Zudringlichkeiten mit Grobheiten und Schmähungen antwortet, ja man stellt salbungsvolle Betrachtungen darüber an und in mehr als einem gelehrten Reisebuch wird die Humanität des Franzosen in dieser Hinsicht als ein Wahrzeichen seiner unsittlichen Denkungsart hingestellt. Während sich in Frankreich die besten Schriftsteller, Eugen Sue, Balzac, Feval, Mery u. A. dieser Klasse annehmen und mit edlem Mitgefühle sie der Sorgfalt des Staates empfehlen, wagten es in Deutschland nur wenige Schriftsteller anonym die unmaßgebliche Meinung zu äußern, dass diese Unglücklichen möglicherweise doch noch Anspruch auf Mitleid haben dürften!

Die deutsche Pedanterie trägt daher allein die Schuld, dass die Herabwürdigung des weiblichen Geschlechts so überhand genommen, dass man sagen kann, sie sei nirgends größer als in unserm Vaterlande. Es ist hohe Zeit das Beispiel eines Kaiser Joseph nachzuahmen, der die Verbesserung des Schicksals des weiblichen Geschlechts zu einem Hauptgeschäfte der Regierung gemacht. Es ist Zeit das Beispiel des Zartgefühls und Mitleids nachzuahmen, welches Franz I. beim Besuch eines Besserungshauses gegeben hatte. Als man ihm eine Büßerin wies, welche in Wien durch ihre Schönheit und ihren Lebenswandel Aufsehen machte und mit prächtigen Kleidern ins Zuchthaus gebracht worden, verbot er den Beamten, mit Fingern auf sie zu weisen, um sie nicht zu kränken! Die Herabwürdigung des Geschlechts, sein Elend, seine Not hat nicht bloß einen kleinen Teil der weiblichen Gesellschaft betroffen, sondern das ganze Geschlecht. Wir müssen also die ganze soziale Stellung des Weibes ins Auge fassen, wenn wir die Quellen des Übels finden wollen.

Zunächst aber wollen wir einen vorurteilslosen Blick auf die freiwillige oder handwerksmäßige Prostitution werfen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Schicksale der Frauen und die Prostitution
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