4. Die Grisetten

Diese Klasse der Prostitution, welche in Paris durch die neuere Zivilisation entstanden ist, vermag in Wien nicht zu prosperieren. Grisetten sinken gar halb zu gemeinen Freudenmädchen herab, da sie in den österreichischen Hauptstädten von der öffentlichen Meinung nicht wie in Frankreich souteniert werden. Die Pariser Grisetten sind ein Hilfsmittel der Zivilisation gegen das tiefere Elend der Prostitution. Obwohl geringgeschätzt, genießen sie doch noch einen Rest bürgerlicher Achtung daselbst und entschädigen die Mittelklasse für die Ehelosigkeit. Es gibt zwar in Wien eine große Anzahl von Putzmacherinnen und Näherinnen, welche sich Männern anschließen, die ihnen gefallen; aber sie wissen nicht auf dieser Höhe zu balancieren, sie wissen nicht der öffentlichen Meinung Widerstand zu leisten, Gesetze und religiöse Vorurteile werfen sie hinab in die Gemeinschaft mit gewöhnlichen Freudenmädchen. Diese Klasse ist daher nur eine Übergangsstation, wo man nur eine kurze Zeit verweilt, um der tiefsten Schmach in die offenen Arme zu fallen. Da sie ebenso verachtet werden, wenn sie nach ihren Neigungen Verhältnisse eingehen, so haben sie kein Interesse, ihren Neigungen, ihrem Selbstgefühle, ihrem Geschlechtsstolz Vorteile zum Opfer zu bringen. Die Pariser Grisette zieht die Armut der Schmach vor, und nur, wenn sie Gelegenheiten findet, den Vorteil mit ihrer relativen Würde zu vereinbaren, gibt das Interesse den Ausschlag. Aber eine Wiener Grisette ist noch mehr verachtet, wenn ihr Freund arm ist und wenn daher die Neigung an ihn sie kettet, als wenn sie sich nur dem Reichtume um hohe Preise verkauft. Sie tritt daher höchstens in die Noblesse der Prostitution.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Schicksale der Frauen und die Prostitution