2. Die galanten Frauen

Diese Klasse ist ziemlich zahlreich, doch sehr verborgen. In der öffentlichen Meinung wird sie häufig verwechselt mit der Klasse der unsittlichen Frauen aus Liebhaberei, wovon sie sehr zu unterscheiden ist, da ihr Zweck nicht das Vergnügen, sondern der Erwerb ist, obgleich sie sich in den Augen ihrer Beschützer den Anstrich leidenschaftlicher Zuneigung zu geben wissen. Es sind zum großen Teil Frauen von bevorzugter Stellung in der Gesellschaft, sie stehen wohl meist im Rufe der Galanterie, doch nicht in jenem der Prostitution; ihre Beschützer und Liebhaber sind meist Personen von Rang und Vermögen, welche aber ein Interesse haben, strenge sittliche Grundsätze — wohl gar Bigotterie zu zeigen. Die galanten Frauen verschmähen meistens andere Belohnungen ihrer Zärtlichkeit als Protektion ihrer Gatten, Brüder und Söhne in oder außer dem Staatsdienst, im Militär. Ihre Gatten sind Philosophen, welche sich fröhlich in ihr Schicksal ergeben und sich durch Freudenmädchen schadlos halten lassen. Diese demoralisierten Familien haben im Staate viel Unheil angerichtet; ein großer Teil jener unfähigen und bestechlichen Beamten, deren Zahl leider so groß ist, kommt aus Rechnung der Industrie der galanten Frauen, deren eine einzige gewiß mehr als ein Dutzend schlechter Subjekte in den Staatsdienst bringt, worunter sich gewöhnlich auch solche befinden, welche die galanten Frauen für die abgewelkte Liebe eines greisen Protektors entschädigen.

Die galanten Frauen sind in allen Kategorien der Gesellschaft zu finden; man findet deren, welche sich Hofrätinnen nennen und deren Söhne in der Ritterakademie erzogen werden, so gut wie unter den niedrigsten Polizeidienersgattinnen, welche mit geringeren Chargen und Präbenden {kirchliche Pfründe} für die Ihrigen zufrieden sind. Es gibt Schauspielerinnen unter ihnen, deren Gatten zu nichts zu gebrauchen sind, als dem Talente den Platz zu verstellen; es gibt welche, die so bescheiden sind, bloß Lehrstühle an der Universität zu besetzen, und Andere, welche für ihre Klienten nach Orden und Titeln geizen. Die Eine setzt ihren Stolz darein, aus ihrem Gatten, Bruder oder Sohn durch den Einfluß eines großen Herrn einen berühmten Dichter, Kompositeur oder Gelehrten zu machen — denn in Österreich wird man Alles durch Protektion, wie durch pikante Beispiele illustriert werden könnte — der Andern liegt nichts am Ruhm und Alles an einer kleinen Sinekure, welche große Erträgnisse abwirft. Wer die Geheimnisse dieses Lebens völlig durchschauen oder enthüllen dürfte! Welchen seltsamen Ursprung würde man oft in der Karriere eines hochverdienten Staatsdieners, eines großen Mannes finden! Am mächtigsten sind die galanten Frauen in der Eigenschaft als Kammerdienerfrauen, als Haushofmeisterfrauen und einfachen Hausmeisterfrauen (Portierinnen). In der letzten Eigenschaft ist es schon mancher Portierin gelungen, die Erbin des Hauses zu werden, deren Türen sie Abends für ein Billiges öffnen musste, oder aus ihrer Tochter eine berühmte Künstlerin beim Hofoperntheater zu machen. Man zählt in der Chronique scandaleuse mehrere Hausmeistertöchter, welche durch ihre Mütter große Celebritäten [Berühmtheiten]geworden sind.


Es gibt nichts Hochmütigeres — kein stolzeres Tier in der ganzen Schöpfung — als eine galante Frau, welche einen großen Herrn zum Cicisbeo hat. Sie empfängt Suppliken [Bittgesuche], wie eine Monarchin, sie nimmt sich besonders menschenfreundlich junger Studierender und der Hofmeister ihrer Kinder an. Ich weiß nicht, ob die galanten Frauen daran schuld sind, dass so viele Beamtenstellen in den Händen ehemaliger Instruktoren sind; aber gewiß half jeder Zeit die Fürsprache einer solchen mehr, als die glänzendsten Atteste. Die galanten Frauen in den höheren Kategorien sind meist sehr fromme Damen. Sie dulden es niemals, dass ihre Dienstleute nicht zur Beichte und Messe gehen, sie halten täglich einige Male Andachtsübungen, haben einen Betschemel mit kleinem Hausaltar in ihrer Schlafstube, und die frommen Bilder des katholischen Bildervereins zieren alle Wände ihrer Zimmer. Kommt der Freund des Hauses, der zuweilen ein sehr frommer Mann ist, so tritt er rechts und links grüßend mit gesenktem Blick herein. Madame tritt ihm mit seufzender Ehrfurcht entgegen, und Niemand wagt es von den Hausgenossen, die frommen Hebungen der gnädigen Frau mit dem ehrwürdigen Manne zu unterbrechen. Er hat alle Taschen voll Gebetbücher und kleiner Heiligenbilder, womit er unter liebreichen Ermahnungen die Domestiken beschenkt. Der gewöhnliche Ausgang einer galanten Frau ist daher, dass sie eine deklarierte Betschwester wird und in ihren alten Tagen den Umgang mit Priestern jedem anderen vorzieht. Stirbt dann eine solche Heuchlerin, welche, so lange sie lebte, alle Gebote Gottes mit Füßen getreten hat, so erbt gewöhnlich ein Kloster ihr ganzes Vermögen, eine selbst gestiftete große Glocke läutet bei ihrem Begräbnisse und der ganze Klerus folgt im Ornate der tugendsamsten und frommsten aller Frauen bis zum Grabe, wo eine feierliche Leichenrede sie der besonderen Huld des Himmels empfiehlt!

Diese Klasse der Prostitution ist die raffinierteste, die gefräßigste, die despotischste. Das Merkwürdigste an ihr ist, dass sie gegen ihr eigenes Fleisch und Blut wütet, indem sie die Unkeuschheit, die schlechten Sitten, die Prostitution mit giftiger Erbitterung verfolgt. Eine galante Frau duldet keine Magd, welche einen Liebhaber hat; sie läßt solche von der Polizei einsperren und züchtigen, welche auf einem Fehltritt ertappt werden, und diejenigen als Diebinnen verfolgen, welche etwa einen Blick auf den frommen Freund des Hauses geworfen haben. Sie läßt, um solche Nebenbuhlerinnen zu strafen, silberne Löffel, Hemden oder Hausrat in den Koffern der Unglücklichen finden, und wenn Alles das nichts hilft, wenn sie die Elende nicht anders verderben kann, so schließt sie sich unter frommen Zählen über die verderbte Welt in ihr Kämmerlein und ruft den Himmel zu Hilfe zu ihrem Satanswerke. Es gibt nichts so Furchtbares auf Erden, als ein solches Weib, welches mit der inquisitorischen Strenge eines Mitglieds der spanischen Hermandad die Verruchtheit und die bösen Lüste einer Messaline verbindet. Diese Klasse der Prostitution ist gewiß Österreich ganz eigentümlich.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Schicksale der Frauen und die Prostitution