Abschnitt 9

Die Sage vom Feuerreiter


Der Dichter selbst hat uns über die Veranlassung zu seiner Romanze in seinem Roman „Maler Nolten“ eine kleine Einführung gegeben. Hier erzählt [in der Bearbeitung von 1832] ein hübscher junger Bursche folgendes: „In der Lohgasse, wo noch zwei Reihen der urältesten Gebäude unserer Stadt stehen, sieht man ein kleines Haus, schmal und spitz und neuerdings ganz baufällig; es ist die Werkstatt eines Schlossers. Im obersten Teil desselben soll aber ehemals ein junger Mann, nur allein, gewohnt haben, dessen Lebensweise niemanden näher bekannt gewesen, der sich auch niemals blicken lassen, außer jedesmal vor dem Ausbruche einer Feuersbrunst. Da sah man ihn in einer scharlachroten, netzartigen Mütze, welche ihm gar wundersam zu seinem todbleichen Gesichte stand, unruhig am kleinen Fenster auf und ab schreiten, zum sichersten Vorzeichen, daß das Unglück nahe bevorstehe. Eh’ noch der erste Feuerlärm entstand, eh’ ein Mensch wußte, daß es wo brenne, kam er auf seinem mageren Klepper unten aus dem Stalle hervorgesprengt und wie der Satan davongejagt, unfehlbar nach dem Orte des Brandes hin, als hätt’ er’s im Geiste gefühlt. Nun geschah’s -“ Der Erzähler wird unterbrochen, und es folgt der Vortrag des Liedes. Der „junge Mann“, der hier der Held der Erzählung ist, befriedigte den Dichter aber auf die Dauer doch nicht. Mörike hatte bei all seiner Hinneigung zur Romantik einen stark ausgeprägten Sinn für das Konkrete, das Bestimmte. Bei der sorgsamen Umarbeitung, der er den ersten Teil seines Romans noch unterziehen konnte, wird deshalb diese Perfon schärfer gefaßt. Es wird da bei einem Maskenball „eine hübsche Volkssage aus der hiesigen Altstadt“ erzählt: „Wenn Sie etwa über den Kornmarkt gehen, wird Ihnen ein altes, weitläufiges Wirtshaus auffallen, wo gewöhnlich die Frachtfuhrleute herbergen. Es lehnt sich an einen runden Turm, der zu dem Haus gehört und wohnbar ist. Darin saß in den Zeiten des Dreißigjährigen. Krieges ein sonderbarer Kauz zur Miete; man nannte ihn den tollen Kapitän. Er soll in einem kaiserlichen Regiment Hauptmann gewesen sein und seine Heimatrechte durch irgend ein Verbrechen verwirkt haben. Sein Schicksal machte ihn menschenscheu, mit niemand trat er in näheren Verkehr, ließ sich das ganze Jahr auch niemals auf der Straße blicken, außer wenn in der Stadt oder in der Umgebung Feuer ausbrach. Er witterte das jedesmal. Man sah ihn dann an seinem kleinen Fenster in einer roten Mütze totenblaß unruhig hin und wieder gehen. Gleich mit dem ersten Feuerlärm, nicht selten auch wohl schon zuvor, und eh’ man nur recht wußte, wo es brenne, kam er auf einem mageren Klepper unten aus dem Stall hervorgesprengt und jagte spornstreichs unfehlbar der Unglücksstätte zu.“ Hier bricht die Erzählung wieder ab, es folgt der Vortrag des Liedes, und zwar in der erweiterten Form, mit der in der ersten Bearbeitung fehlenden wichtigen dritten Strophe. Wie also hier der Inhalt des Liedes deutlicher geworden ist, hat auch jener junge Mann“ mehr Fleisch und Blut bekommen. Wir erfahren etwas von seinem Lebensschicksal und hören vor allem, daß er durch irgend ein Verbrechen aus der Welt fortgetrieben ist. Das gibt eine Bestätigung zu der oben ausgesprochenen Vermutung, daß der Hauptmann eben doch nicht recht geeignet gewesen sei zu seinem unheiligen Rettungswerk: der Teufel hatte schon durch jenes Verbrechen einen Anteil an ihm gewonnen und holte sich nach Ablauf einer gewissen Frist den ihm verfallenen Sünder.


Wie nun aber die Beschwörung wirklich verlaufen ist, welche genauere Bewandtnis es mit dem Reiter und seinem unheimlichen Klepper gehabt hat, wie er in die brennende Mühle, tief unten in den Keller gekommen ist, - das alles sind Fragen, auf die wir doch keine voll befriedigende Antwort geben können. Wir können das mystische Halbdunkel, in dem Mörike mit Absicht die Szene gehalten hat, nicht völlig erhellen.

Damit hätten wir wohl so ziemlich alles zusammengebracht, was über die aufgezeichneten und dichterisch behandelten Formen unserer Sage vom Feuerreiter zu finden wäre. Fast alle Gegenden Deutschlands steuerten einige Züge zu dem Gesamtbilde bei, ein Beweis, wie stark gerade diese Sage das Gemüt des Volkes ergriffen haben muß.

Und nun erhebt sich die Aufgabe zu untersuchen, ob sich die Sage nicht irgendwie deuten ließe. Man hat wohl gemeint das in rein äußerlicher Weise tun zu können: zur Feuersbrunst eilt der Oberherr des betreffenden Gebietes, um die Löscharbeiten zu beaufsichtigen. Dabei sieht man ihn bald auf dieser, bald auf jener Seite des brennenden Gebäudes, - so ware der Gedanke des Umreitens entstanden. Seine planvolle Leitung verhindert ein weiteres Ausbreiten der Feuersbrunst - daher der Gedanke, er habe sie erstickt, und zwar setzte das Volk hinzu, durch einen Segen. Diese Deutung müssen wir natürlich ohne weiteres ablehnen. Wir trafen auf so viele alte Beziehungen, daß wir eine mythologische Wurzel der Sage annehmen müssen. Es handelt sich wohl sicher um einen alten Göttermythus, dessen Gedanke im Volke lebendig geblieben ist. Man hat denn auch in der Tat dies schon mehrfach untersucht, und dem wollen wir hier noch kurz nachgehen. Zunächst wurde die Meinung vertreten, daß wir es mit einem slavischen Gott zu tun haben. Swantewit, dessen Name als: der heilige Sieger oder: der heilige Seher gedeutet wird, soll der oberste Gott der Wenden gewesen sein. Auf weißem Rosse durcheilte er sein Gebiet.

Nun kamen aus Westfalen, vom Kloster Korvey, christliche Ansiedler nach Mecklenburg, Rügen und Vorpommern, die der Verehrung des Swantewit dadurch am besten entgegentreten zu können meinten, daß sie für jenen ihren Klosterheiligen St. Vit einsetzten. Dieser Vitus wurde unter Diokletian zum Feuertode verurteilt, - die Flamme brannte ihn aber nicht; auch ein Löwe ließ ihn unversehrt, deshalb wurde er schließlich durch Folterqualen getötet. „Im Volksglauben verbanden sich nun die Vorstellungen von Sankt Vit und Swantewit, wie z. B. daß Swantewit auf einem weißen Rosse reitet, und daß den St. Vitus die Flamme nicht verletzt: - dieser Glaube schimmert noch durch in dem Gebrauche, das Feuer zu umreiten.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Sage vom Feuerreiter