Abschnitt 8

Die Sage vom Feuerreiter


Im Rahmen dieser Abhandlung müssen wir es uns natürlich versagen, eine ästhetische Würdigung des wundervollen Gedichtes zu geben, so sehr das an sich auch lockte. Hier handelt es sich eben nur um eine Untersuchung der Frage, wie die hier behandelte Sage sich in den Kreis der anderen Feuerreitersagen einfügt. Und da muß gleich von vornherein erklärt werden, daß die Lösung dieser Aufgabe außerordentlich schwer ist. Mörike hat von seiner dichterischen Freiheit hier vollen Gebrauch gemacht. Er hat uns die Sage in gewaltigen, schaurigen Visionen vorgeführt, wir sehen alles in unheimlichem Lichte vor uns aufleuchten, aber wenn wir’s packen wollen, schwindet das Bild, wir können es nicht recht klar fassen; wo der ästhetische Genießer das Schönste findet, da muß der Forscher sich bescheiden, es bleibt ihm mancherlei ungelöst. Denn ob Mörike hier eine bestimmte Sagenform vor Augen hatte, ob überhaupt die Romanze einen wirklichen Grund hat, das läßt sich mit Sicherheit nicht feststellen. Äußere Anregung gab Mörike vielleicht der Brand des Klinikums in Tübingen im Jahre 1824, im selben Jahre also, in dem das Gedicht entstand. Damals aber fand der Dichter, wie gesagt, die dritte Strophe noch nicht, und dadurch wurde der Leser noch viel mehr über den eigentlichen Vorgang im Ungewissen gelassen als in der späteren Bearbeitung. Wir erfahren da nur: ein unheimlicher Mensch reitet wütend zum Brande einer Mühle, er verschwindet dabei, nach einiger Zeit wird sein Gerippe im Keller gefunden. Bei der Anrede zerfällt es in Staub und Asche, und damit ist, wie der Dichter meint, der Unselige erlöst. Diesen letzten Gedanken drückt Mörike besonders schön in der Bearbeitung von 1838 aus, wo der Schluß lautet:


Seele, du
Bist zur Ruh!
Droben rauscht die Mühle.

Nach der endgültigen Bearbeitung stellte sich der Inhalt ungefähr so dar: Ein unheimlicher Mensch in roter Mütze eilt am Fenster seiner Wohnung auf und ab. Er hat die Gabe, schon lange vorher und auf weite Entfernung zu riechen, wenn ein Brand angeht, und jetzt hat ihn wieder seine Ahnung gepackt. Schon sprengt er auch wütend, d. h. von innerem Zwange unwiderstehlich geplagt und getrieben, auf dürrem Klepper durch die Stadt davon, zu der Mühle hinterm Berg, die in Flammen steht. Mit dem Span vom heiligen Kreuze will er die Glut besprechen, wie er schon oft getan. Das ist eine für die Menschen wohltätige Hilfe, und doch „freventlich“, weil er damit Zauber verübt. Diesmal aber glückt’s ihm nicht; als er bei der Mühle ankommt, grinst ihm schon der Teufel aus dem Dachgestühl entgegen, der Reiter ist ihm verfallen; dessen Zauberkraft versagt, er verschwindet von der Welt. Die Mühle brennt völlig nieder, und als nach einiger Zeit der Brandschutt aufgeräumt wird, findet man im verschütteten Keller den Unseligen wieder; als Gerippe, die Zaubermütze auf dem Totenschädel, sitzt er auf dem Gerippe seines unheimlichen Tieres. Bei der Anrede „fällt’s in Asche ab“ - die sündige Seele ist erlöst.

Wie gesagt, läßt sich nicht nachweisen, ob Mörike hier eine bestimmte Sage vor Augen hatte, die er dichterisch bearbeitete. Vermutlich wußte er, was sich das Volk vom alten Herzog Karl von Württemberg erzählte. Man meint auch, daß er folgende schwäbische Sage kannte: „Im Remstal wohnte einst ein Baron, der „für das Feuer konnte“. Er hielt jederzeit ein gesatteltes Pferd bereit und war im Nu an der Brandstätte. Im fliegenden Mantel ritt er dreimal um das brennende Haus und besprach das Feuer. Der Brand hörte auf, er selbst aber mußte sich eiligst aus dem Staube machen.“ Wenn wir aber auch die Kenntnis dieser Sagen voraussetzen, alles in dem Gedicht wird uns damit doch nicht klar. Einige Züge entsprechen den Typen, die wir früher fanden, andere aber sind so neu und fremd, daß deren Darlegung schon ein längeres Verweilen bei dieser Dichtung rechtfertigt. Wir können wohl als sicher annehmen, daß der Mann das Feuer habe umreiten - daher die genaue Schilderung des rippendürren Tieres - und dabei durch Zauberspruch - „freventlich die Glut besprochen“ - löschen wollen. Neu ist dabei der Span vom Kreuz als Zaubermittel. Neu ist die Schilderung des Endes: wir müssen nach dem, was oben ausgeführt ist, eben doch annehmen, daß der Reiter nicht zu den Leuten gehört, die einen göttlichen Beruf dazu haben, das Feuer zu löschen. Sein Vornehmen bleibt doch Teufelswerk, trotz der heiligen Reliquie, und so muß er schließlich einmal bei seiner Zauberei zugrunde gehen. Neu ist auch der innere unwiderstehliche Zwang [so ist wohl nach schwäbischem Sprachgebrauch das Wort „wütend“ der Dichtung zu erklären], unter dem der Reiter handelt. Der drückt sich schon in der unheimlichen Unruhe aus, die ihn vor dem Brande befällt. Man kommt auf den Gedanken, daß es diesem Feuerreiter nur auf das Bekämpfen des Feuers an sich, als Selbstzweck, ankommt, wahrend bei allen andern doch die Absicht Hilfe zu bringen die Hauptsache war. Dieser gewissermaßen hypnotische, über dem eigenen Willen stehende Zwang zum Handeln ist uns aus verschiedenen Werwolfsagen bekannt.

Und neu ist vor allem die Kraft, das Feuer vorauszuwissen. Auch dies ist aber ein Zug, der uns aus anderen Sagen ganz geläufig ist: die vom „Vorgesicht“ geplagten Leute besonders Westfalens, aber auch anderer Gegenden Deutschlands, sehen den Brand eines Hauses oft längere Zeit voraus.

Mörike hat in sein Gedicht also einige Züge aus anderen Sagen, und zwar außerordentlich glücklich hineinverwoben.

Belanglos ist, wie Mörike dazu kam, die Romanze „Feuerreiter“ zu nennen. Vielleicht geht das auf die berittenen Feuermelder Tübingens zurück, die rote Beinkleider trugen; so hießen aber auch die radikalen Tübinger Burschenschafter. Wichtiger ist, daß Mörike zu der Gestalt wohl durch den Anblick Hölderlins gekommen ist. Sein Freund Lohbauer berichtet in einem Briefe an seine Braut, daß Hölderlin zur Zeit seines Wahnsinns mit einer weißen Mütze auf dem Kopfe unruhig in seinen Zimmern auf und ab gelaufen sei, so daß man ihn häufig so an den Fenstern habe vorbeihuschen sehen. Aus der weißen Mütze machte Mörike dem Feuerschein entsprechend eine rote, wozu wir als Parallele stellen können, daß in einer wendischen Sage ein Feuermann eine rote spitze Mütze auf dem Kopfe trug.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Sage vom Feuerreiter