Abschnitt 7

Die Sage vom Feuerreiter


Wir sehen, hier finden sich fast genau dieselben Worte wieder, die wir oben bei der Anführung der einzelnen Segen brachten. Auch diese waren ja meist in Reime gekleidet. Charakteristisch ist, daß auch hier wieder ein Zigeuner, und zwar der König des Haufens, es ist, der die Kunst übt: er löscht die Flamme, die wahrscheinlich durch seine Kraft auch entzündet war 32). Es fehlt das Herumreiten, statt dessen heißt es, daß der Zigeuner durch die Flammen fortgegangen sei; damit hat er vielleicht, wie wir annehmen können, das Feuer mit fortgezogen. Die Rettung der Stadt wird dadurch herbeigeführt, daß der Wind sich dreht und so die noch unversehrten Gebäude nicht mehr ergriffen werden können. Das ist ein Gedanke, der sich auch sonst mehrfach findet in Sagen, bei denen es sich um das Löschen eines Feuers handelt: es kommt alles darauf an, daß eine Änderung der Windrichtung herbeigeführt wird; eine Rettung des schon brennenden Hauses wird also gar nicht beabsichtigt, nur Schutz gegen eine weitere Ausdehnung.


Und nun wollen wir uns zu der Behandlung der Sage wenden, durch die sie heute wieder überall bekannt geworden ist: zu Mörikes Gedicht: Der Feuerreiter. Es erschien eingestreut in den Roman „Maler Nolten“, wo es in der ursprünglichen Fassung also lautete:

1. Sehet ihr am Fensterlein
Dort die rote Mütze wieder?
Muß nicht ganz geheuer sein,
Denn er geht schon auf und nieder.
Und was für ein toll Gewühle
Plötzlich aus den Gassen schwillt -
Horch! Das Jammerglöcklein grillt:
Hinterm Berg, hinterm Berg
Brennt’s in einer Mühle!

2. Schaut, da sprengt er, wütend schier,
Durch das Tor, der Feuerreiter,
Auf dem rippendürren Tier,
Als auf einer Feuerleiter;
Durch den Qualm und durch die Schwüle
Rennt er schon wie Windesbraut,
Aus der Stadt da ruft es laut:
Hinterm Berg, hinterm Berg Brennt’s in einer Mühle!

3. Keine Stunde hielt es an,
Bis die Mühle borst in Trümmer,
Und den wilden Reitersmann
Sah man von der Stunde nimmer;
Darauf stille das Gewühle
Kehret wiederum nach Haus,
Auch das Glöcklein klinget aus:
Hinterm Berg, hinterm Berg
Brennt’s -

4. Nach der Zeit ein Müller fand
Ein Gerippe samt der Mützen,
Ruhig an der Kellerwand
Auf der beinern Mähre sitzen.
Feuerreiter, wie so kühle
Reitest du in deinem Grab!
Husch! da fällt’s in Asche ab -
Ruhe wohl, ruhe wohl,
Drunten in der Mühle!

Das Gedicht entstand im Jahre 1824 „auf einem schönen Rasenplätzchen beim Philosophenbrunnen in Tübingen“. Mörike nahm mehrfach eine Umarbeitung vor, die endgültige entstand im Jahre 1841 und gibt die jetzt geläufige Form, die auch durch die Vertonung Hugo Wolfs allgemein bekannt geworden ist. Die wichtigste Änderung gegen jene alte Fassung liegt darin, daß hinter dem zweiten ein neuer Vers eingeschoben wurde:

Der so oft den roten Hahn
Meilenweit von fern gerochen,
Mit des heilgen Kreuzes Span
Freventlich die Glut besprochen -
Weh! Dir grinst vom Dachgestühle
Dort der Feind im Höllenschein.
Gnade Gott der Seele dein!
Hinterm Berg, hinterm Berg
Rast er in der Mühle.




32) Auch Herzog Karl von Württemberg hatte seinen Feuersegen und die Kunst, das Feuer zu umreiten, von einem Zigeuner gelernt. Siehe die Darstellung in dem Roman von H. Kurz: Schillers Heimatjahre.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Sage vom Feuerreiter