Abschnitt 11

Die Sage vom Feuerreiter


Und der Gott verstand auch die Kunst, die Flamme zu löschen. In dem Eddalied Havamal werden 18 zauberkräftige Sprüche genannt, die Odhin kennen will. Und da heißt es dann:


„Einen siebenten kenn ich, wenn ich seh’, daß der Hochsaal
über den Bankgenossen brennt:
wie breit er auch lohe, ich berge ihn dennoch,
zu sprechen versteh ich den Spruch.“

Hier rühmt sich also der Gott selber der Zauberkunst, und Snorri Sturluson bestätigt das später.

Wir erfahren aus der Edda aber auch einen solchen Spruch selbst, und zwar aus dem Liede von Grimnir. Leider besitzen wir ja dies Lied nur in einer Form, die durch spätere Skalden arg entstellt ist. Odhin, verkleidet als Grimnir, besucht den König Geirrod. Dieser läßt den Gott foltern, er setzt ihn zwischen zwei Feuer, wo er acht Nächte sitzen muß. „Da war ihm das Feuer so nahe gekommen, daß der Mantel zu brennen anfing. Er sprach:

„Heiß bist du, Lohe! zu hungrig leckst du!
entferne dich, Flamme, von mir!
der Wollstoff sengt, obwohl ich im Wind ihn kühle,
und Feuer fängt der Pelz.“

Da enthüllt also Odhin seine Zaubergewalt, er „löscht“ mit einem Zauberspruche das Feuer, offenbart sich dann in seiner furchtbaren Majestät und spricht über Geirrod den Zauberspruch, der den Peiniger in das eigene Schwert stürzt. Deutlich weist auch die Einleitung auf Odhin als Zauberer hin, den der bissigste Hund nicht anbellen werde“. 47)

Fassen wir diese mythologischen Zeugnisse zusammen, so kommen wir zu folgendem Ergebnis: Wodan=Odhin ist ein gemeingermanischer Gott; er tritt häufig auf als Schimmelreiter mit wehendem Mantel; [vielleicht: seine Raben umkreisen hilfebringend eine Brandstätte]; er ist der Gott des Zaubers und gilt überall als der Herr des Feuers, das er entzündet und mit einem Zauberspruche löscht.

Der Schluß, den wir daraus ziehen, ist allerdings nicht unbedingt sicher, trägt aber bei all diesen passenden Zügen eine große Wahrscheinlichkeit in sich: Die Sage vom zauberkräftigen Feuerreiter ist ein alter Mythus von Wodan=Odhin.




47) Herrmann, Nordische Mythologie S. 323.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Sage vom Feuerreiter