Abschnitt 10

Die Sage vom Feuerreiter


Die hier vorgetragenen Anschauungen sind von der modernen Wissenschaft abgelehnt. Swantevit war nicht der oberste Gott der Slaven, sondern eine Provinzialgottheit, die besonders auf Rügen Verehrung genoß, wo auf Arkona sein Tempel stand. Sein Name bedeutet: der Mächtige. Fälschlich ist also der erste Teil des Namens: svan dem christlichen sanctus gleichgesetzt worden. Den zweiten Teil des Namens: - vit mit Vitus gleichzusetzen, beruht auf bloßem Gleichklang, der trügerisch war. Und nun brachten die Korveyer Benediktiner das Märchen auf, daß sie „im 9. Jahrhundert das Christentum bis Rügen gepredigt hätten, wovon nur die Verehrung des hl. Vitus (ihres Schutzpatrons) die heidnische Reaktion überdauert hätte.“ „Auch von einer Verwilderung des Heiligen und seines Kultus durch Übergang in den slawischen Gott Svantovit haben Frühere zu sprechen gewußt; die Behauptung beruht aber auf einer irrigen Gleichsetzung in Wirklichkeit unabhängiger Gestalten.“


Für diese Swantovitfrage ist noch wertvoll die Abhandlung von Schildgen: „St. Vitus und der slavische Swantovit in ihrer Beziehung zueinander“. [Progr. Münster 1881.] Hier wird die „Unwahrscheinlicheit, um nicht zu sagen Unmöglichkeit“ der Identität der beiden Gestalten nachgewiesen. Die Frage, wie die Korveyer Mönche zu der Gleichsetzung kamen, wird im selben Sinne beantwortet, wie es hier geschehen ist.

Die Wissenschaft hat also nachgewiesen, daß die beiden Gestalten nichts miteinander zu tun haben. Ebensowenig aber können sie mit unserer Sage in Zusammenhang gebracht werden. Wir können nicht die Berechtigung der zugrundeliegenden Schlußfolgerung anerkennen: weil Svantovit auf einem Schimmel ritt, und weil St. Vitus nicht vom Feuer verzehrt wurde, deshalb bildet die Vereinigung der beiden den sagenhaften Feuerreiter. Da fehlen eben alle vermittelnden Schlußglieder. Nicht zu belegen ist das Umreiten der Flamme, die Kraft des Löschens, der Feuersegen usw. Nicht zu verstehen ist ferner, wie hieraus sich eine gemeindeutsche Volkssage entwickelt haben sollte. Und wenn wir dazu nehmen, daß Svantovit und St. Vitus eben gar nicht zusammen gehören, dann ergibt sich ohne weiteres, daß die Behauptung, von der die Verfechter dieser Anschauung ausgingen, völlig in der Luft hängt und wissenschaftlich ganz unhaltbar ist. Zudem fehlt die Sage gerade auf Rügen, dem eigentlichen Heimatlande des Svantovit, wie es scheint völlig. Wir müssen uns also nach einer andern Deutung umsehen.

Wir finden die Vermutung angedeutet, daß wir es hier mit einem alten Mythus von Wodan zu tun haben. Nirgends ist aber diesem Gedanken genauer nachgegangen worden, und das soll hier nun versucht werden. Die Schwierigkeit dabei liegt darin, daß wir aus rein deutschen Quellen so wenig über Wodan wissen, wir müssen die nordische Mythologie zu Hilfe nehmen, wo wir Genaueres finden. Wir müssen dabei allerdings immer im Auge behalten, daß wir keineswegs die Erzählungen von Odhin ohne weiteres auf Wodan übertragen dürfen, im großen und ganzen aber decken sich die charakteristischen Züge des deut=schen mit denen des nordischen Gottes, so daß wir unter jenem Vorbehalt wohl vom Wesen und Mythus des Wodan=Odhin 41) sprechen dürfen.

Zunächst steht nun wohl fest, daß dieser Gott von allen germanischen Stämmen verehrt wurde. Daher ist es dann erklärlich, daß Sagen, die sich an ihn anknüpfen, im germanischen Gebiet allgemein verbreitet sind, wie z. B. die Sage vom wilden Jäger. In dieser Sage tritt Wodan=Odhin, der Anführer der wilden Jagd durch die Wolken, stets als Reiter auf weißem Rosse auf. Und als Schimmelreiter erschien uns auch der Feuerreiter in den meisten Sagen. Wenn von der Kleidung des Gottes gesprochen wird, wird oft der lang wallende dunkle Mantel erwähnt; und auch bei dem Feuerreiter fanden wir diesen Mantel, der ihm bei dem eiligen Ritte nachweht.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch auf eine Sage aufmerksam machen, wobei ich allerdings nicht ganz sicher bin, ob sie hierher gehört. „Einstmals war zu Hartum eine große Feuersbrunst. Alle Höfe um den Kirchhof her standen in Flammen, und die Hitze wurde so groß, daß die Ziegel auf dem Kirchdache sprangen und der Turm einen Riß bekam. Da hat man drei weiße fremde Tauben gesehen, welche immerfort solange der Brand gewährt, in gleichem Fluge die Kirche umkreist haben. Und so ist diese bewahrt und unter allen Gebäuden umher allein stehen, ja unversehrt geblieben.“ Wenn die Sage alt ist, können wir annehmen, daß heidnische Züge in christliche übertragen sind. Dann könnten wir für die Tauben die Raben Wodan=Odhins einsetzen und hätten einen Beleg für unsere Deutung der Sage gefunden, zugleich mit dem charakteristischen Zug des Umkreisens eines Gebäudes, womit ein geweihter Bezirk innerhalb der allgemeinen Feuersbrunst geschaffen wird. Doch möchte ich, wie gesagt, jenes nicht als sicher hinstellen, wenn auch als wahrscheinlich,

Die angeführten Ähnlichkeiten beziehen sich nur auf äußerliche Dinge, es ist aber doch schon bedeutungsvoll, daß wir hier solche Übereinstimmung finden. Diese geht aber noch weiter. Das Löschen des Feuers ist ein Akt der Zauberei, und Wodan war der Gott des Zaubers. „Alle deutschen Stämme scheinen Wodan bereits als Gott des Zaubers verehrt zu haben“, und im Nordischen schreibt der Verfasser der Heimskringla dem Odhin gleichfalls Zauberkunst zu. Unter den Zauberkünsten, die Wodan=Odhin übte, erscheint nun mehrere Male das Löschen des Feuers durch Zauberkunst, er war der Gebieter über die Flammen. Er entfachte das Feuer, wie aus der Runeninschrift auf der bekannten, in Nordendorf bei Augsburg in einem alten Gräberfeld gefundenen Spange hervorgeht. Diese Runeninschrift: „Loga thore Wodan Wigi Thonar“ wird jetzt so gedeutet: „Die Flamme möge Wodan entfachen, Thor weihe sie.“ Es handelt sich wohl um den Brand des Scheiterhaufens, den Wodan selbst entzünden soll.




41) So v. d. Leyen in seinem vorzüglichen Werk: Götter und Göttersagen der Germanen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Sage vom Feuerreiter