Abschnitt 1

Die Sage vom Feuerreiter


Bei fast allen uns bekannten primitiven Völkern spielt das Feuer in Religion und Mythus eine merkwürdig starke Rolle. Schon die „Herabkunft des Feuers“, das meist als eine dem Himmel entnommene Gabe dargestellt wird, beschäftigt die Phantasie des Volkes und führt zu den schönsten Sagen, die ihre bekannteste Ausbildung in den Erzählungen von Prometheus gefunden haben. Kein Wunder daher, daß das Feuer vielfach als heilig verehrt wurde. Opfer wurden ihm dargebracht; unter geheimnisvollen Zeremonien wurde ein neues reines Feuer jährlich entzündet; ein ewiges Feuer wurde auf dem Staatsherde unterhalten, wie z. B. das von den Vestalinnen geschirmte heilige Feuer in Rom nie ausgehen durfte. Auch die Israeliten unterhielten ein ewiges Feuer, wie aus der Stelle III. Mose 6, V. 12, 13 hervorgeht: „Das Feuer auf dem Altar soll brennen und nimmer verlöschen; der Priester soll alle Morgen Holz darauf anzünden . . . Ewig soll das Feuer auf dem Altar brennen und nimmer verlöschen.“ In gewisser Parallele dazu steht die ewige Lampe in den katholischen Kirchen. Bekannt ist, daß die alten Parsen ein ewiges Feuer unterhielten, wie heute noch die Perser. Ewig loderte die Flamme auf dem Altar der Athene Polias in Athen, im Tempel des Pan in Arcadien. „Berühmte Orakel bewahrten immer brennende Feuer wie das zu Delphi . . . Die Kolonien brachten ihr heiliges Feuer mit aus der Mutterstadt; erlosch es zufällig, so durfte es nur dort wieder angesteckt werden“.


Auch bei unsern Vorfahren, den alten Germanen, finden wir reichliche Spuren einer Verehrung des Feuers. „In dem Glauben an die dämonenvertreibende Kraft des Feuers wurzelt der altheidnische Brauch, das Gebiet, von dem man Besitz ergriffen hat, mit Feuer zu umgehen und dadurch zu heiligen . . . Im Hause galt das Herdfeuer als besonders heilig, denn es schützte vor den bösen Geistern. Daher werden noch heute gewisse Rechtshandlungen an dem Herdfeuer vorgenommen, neue Mitglieder des Hauses feierlichst dreimal um dasselbe geführt, bei jeder besonderen Gelegenheit Speisen oder andere Dinge hineingeworfen.

Und eine ganze Reihe anderer Volksgebräuche, die zum Teil heute noch geübt werden, deuten auf einen ausgedehnten Feuerkult der Germanen hin. In feierlichster Weise wurde das „Notfeuer“ entzündet, und zwar nach uralter Sitte durch Reibung von Holzstücken, in Zeiten, wo man schon längst es verstand, aus dem Steine Funken herauszulocken und aufzufangen. Das Osterfeuer, das Johannisfeuer wurde wohl überall in Deutschland gebrannt, und an vielen Stellen lodern ja jetzt noch in der Johannisnacht Feuer zum nächtlichen Himmel empor. Alte Erzählungen und Gebräuche deuten darauf hin, daß man dem Feuer auch Opfer darbrachte: das Hineinwerfen von Lebensmitteln, das Hineingießen von Getränk geben uns sichere Anhaltspunkte dafür. Und zwar „galten diese Opfer ursprünglich nur dem Element, nicht einer Gottheit, erst später und örtlich verschieden sind sie mit Götteropfern in Zusammenhang gebracht worden“.

Hier liegt wohl schon ein Gedanke zugrunde, der uns fernerhin noch mehr beschäftigen wird: das Feuer soll günstig gestimmt werden, man will einem ungezügelten Ausbrechen der Wut des Elementes vorbeugen.

Erklärlich genug, daß gerade diese Besänftigung des Feuers in alten Zeiten für die Menschen von wesentlicher Bedeutung war. Es fehlten wohl alle Möglichkeiten, ein ausgebrochenes Feuer zu dämpfen, man mußte es austoben lassen, und es ist deshalb als sicher anzunehmen, daß der germanische Bauer durch Feuersbrünste außerordentlich zu leiden hatte. Bei Stürmen konnten leicht vom offenen Herdfeuer Funken in das Strohdach fliegen, der Blitzstrahl fand überall im Hause Nahrung. Haus und Hof brannte nieder, denn mit eigener Kraft vermochte man eben nichts gegen das entfesselte Element zu unternehmen. Und da ist es denn ganz erklärlich, daß man mit Zaubermitteln, mit abergläubischen Gebräuchen Rettung zu bringen suchte. Derartige Mittel weiß das Volk heute noch viele, ihre Kenntnis ist uns in den Sammlungen der Volksgebräuche und des Volksaberglaubens zum Glück erhalten.

Ich möchte hier eine Gruppe davon zusammenfassen, wo der Brand dadurch gelöscht wird, daß der sogenannte Feuerreiter in Wirksamkeit tritt. Die Verbreitung dieser Sage ist ungemein groß, wir finden sie z. B. in Ostpreußen, in der Mark, in Mecklenburg, in Sachsen, im Voigtlande, in den wendischen Gebieten des Ostens, aber auch in Süddeutschland in Bayern und Schwaben. Hier hat sie ja bekanntlich durch Mörike dichterische Behandlung erfahren.

Der Grundtyp , auf den sich die Sage zurückführen läßt, ist etwa folgender: Ein Feuer ist ausgebrochen, da erscheint ein Reiter, spricht einen Feuersegen und jagt dabei „zu Pferde dreimal im sausenden Galopp um das brennende Gebäude und darauf in ein nahes Gewässer, die Flamme fahrt ihm als ein langer Feuerstrahl ins Wasser nach und ist damit erloschen“.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Sage vom Feuerreiter