Turgeniews Nachahmer

Karl Detlef — Sacher-Masoch.

Turgeniew hat, wie es bei seinen großen Erfolgen und seiner brillanten, scheinbar leicht zu kopierenden „Manier", nicht zu verwundern ist, verschiedene Nachahmer gefunden. Besonders sind es zwei jüngere Autoren, Karl Detlef und Sacher-Masoch, die in solcher Nachahmung und Anlehnung bereits von sich sprechen zu machen verstanden haben. Beide sind Ausländer, schreiben aber in deutscher Sprache.


Karl Detlef ist ein Pseudonym, hinter welchem sich eine Frau, eine Deutsch Russin verbergen soll. Sehr glaublich! Denn die Schreibart und Darstellungsweise Karl Detlefs hat, der weiblichen, Natur und dem Wesen der schriftstellernden Frau entsprechend, viel Pompöses und Theatralisches, Überschwängliches und Unvermitteltes; die Vorgänge und Situationen Verstößen nicht selten gegen Wahrscheinlichkeit und Konvenienz, über welche der Verfasser mit naiver Sorglosigkeit hinwegsetzt.

Seine erste größere Erzählung betitelt sich „Unlösliche Bande", und ist eine direkte Nachahmung der Turgeniew'schen Novelle „Faust"; eine merkwürdiger Weise, ganz offene Nachahmung, die geradeswegs zur Vergleichung herausfordert. Wie „Faust" sind auch Unlösliche Bande" in Briefen geschrieben; auch hier erzählt der Freund die Geschichte seiner Liebe dem freunde. Auch hier heißt die Heldin Wera, und sie ist gleichfalls verheiratet, lebt aber von ihrem Manne getrennt, und ist in Folge ihrer abenteuerlich geschlossenen Ehe noch Jungfrau. Der Liebhaber, Herr von Saburow, ist selber Schriftsteller; sie kennt ihn bereits aus seinen Büchern, und sie schätzt und verehrt seine Dichtungen. Auch hier gesteht Wera ihre Liebe zuerst: „Maxim, warum sagen Sie mir nicht, dass Sie mich lieben? Ich weiß es doch längst". Sie hat ihn geliebt, seitdem sie ihn zum ersten Mal gesehen; vielleicht, wie es fast scheinen will, noch weit früher, wenn auch nur unbewusst. Auch hier ist die lächerliche Figur einem Deutschen zugeteilt. Der Landarzt, ein geborener Kurländer, den seine Gattin arg bepantoffelt, wird so eingeführt: „Selbst diese plumpe und eckige Persönlichkeit konnte sich nicht dem Zauber entziehen, den ihre (Weras) vornehme Schönheit auf Alle übt". Auch hier fällt Wera ihrer Liebe zum Opfer; aber der Liebhaber gleichfalls, nachdem er ihren plötzlich heimkehrenden Gemahl meuchlings über den Haufen geschossen hat.

Die Vorgeschichte Weras ist, wie schon angedeutet, eine abenteuerliche. Als junges Mädchen gerät sie — es bleibt dunkel, ob durch Hinterlist oder bloßen Zufall — in die Wohnung eines jungen schönen Wüstlings, des Grafen Urussow, der ihr einen Fuß zu geben versucht, wofür sie ihn mit einem kleinen Dolche zeichnet, und den sie dann zwingt, sie gehen zu lassen. Sie hält ihre Ehre für befleckt und wendet sich an ihren Bruder, den Oberst Subow. Es wird nun erzählt, wie dieser mitten in der Nacht zum Kaiser eilt, die Majestät aus dem Schlafe wecken lässt, und von ihr „Gerechtigkeit für seine Schwester" fordert. Der Schuldige ist, wie Wera vermutet, ein Gardeleutnant. Binnen zwei Stunden — es ist erst 4 Uhr Morgens, und dazu im Winter — versammeln sich auf Befehl des Kaisers „sämtliche Offiziere der Garde, vom Kommandeur bis zum Junker herab" im goldenen Saal des Winterpalastes. Der Kaiser lässt sie einzeln, Einen nach dem Anderen in sein Kabinett treten, damit sie vor der neben ihm sitzenden Wera die Revue passieren. Bei jedem Eintretenden blickt der Czar das junge Mädchen fragend an, und jedesmal schüttelt sie verneinend den Kopf, bis — was natürlich lange genug dauert — endlich der Attentäter sich meldet. Auf Befehl des Kaisers wird er ihr durch den schon wartenden Metropoliten sofort angetraut; dann aber wird ihm der Degen zerbrochen, die Achselschnur abgerissen, und er selber als gemeiner Soldat nach dem Kaukasus verbannt. Die neue Gräfin erhält die Hälfte der Güter nicht nur ihres Gemahls, sondern auch die seiner Mitschuldigen; und es kann ihr gerade nicht zum Vorteil gereichen, dass, wiewohl sie nicht ohne eigenes Vermögen ist, und obgleich sie den Gatten tödlich hasst, sie diese gewaltsame Schenkung doch sich gefallen lässt und sie ohne Bedenken antritt.

Der Fabel soll eine wahre Begebenheit oder doch wenigstens eine vielverbreitete Anekdote zu Grunde liegen: allein gleichviel, ob die Geschichte bloß erfunden oder wirklich geschehen ist — sie erregt in dieser Verarbeitung mancherlei Zweifel und Bedenken.

Im Übrigen ist das schriftstellerische Talent des Verfassers kein gewöhnliches. Er erzählt in fließender schöner Sprache; er schildert in anziehender lebhafter Weise; und wenn die eingestreuten Reflexionen, Sentenzen und Naturmalereien auch nicht an Turgeniew hinanreichen, so lassen sie doch erkennen, dass Karl Detlef sein Vorbild mit Nutzen studiert hat.

In völlig anderer Weise gibt sich Sacher-Masoch. Er ist angeblich ein ostgalizischer Kleinrusse und will erst hinterher die deutsche Sprache erlernt haben, schreibt und modelt sie aber trotz Heine und Genossen. Er lässt sich in die deutsche Literatur von seinem Freunde Ferdinand Kürnberger einführen, der wie er sagt, sich bei diesem Geschäft wie irgend ein Müller oder Jäger vorkommt, den ein Napoleon als zeitweiligen "Wegweiser aufgegriffen hat. Die deutsche Literatur, meint Kürnberger, sei alt und altersschwach, sie sei längst mehr geistig als sinnlich, ihre Hauptfiguren seien fast ausnahmslos — Gesinnungen und Reden, sie spreche keine konkrete sondern nur noch eine abstrakte Sprache; seit Goethe fehle ihr die produktive Sinnlichkeit, denn Heine und Uhland hätten schon bloß noch reproduktive Sinnlichkeit. Da gelte es nun nach dem Osten zu schauen, von wannen seit jeher die verjüngenden Blutströme in den greisen Körper des Abendlandes dringen ; auf die slawischen Dichter, deren Poesie eben der neue Napoleon sei, und vor der die deutsche Literatur gewissermaßen „mit Herzklopfen und verlegenem Rot auf den Wangen" stehe. Die slawischen Dichter, so namentlich der Großrusse Turgeniew wie der Kleinrusse Sacher-Masoch, machten nicht Bücher aus Büchern, sondern Bücher aus der Natur. Ihre Quellen wären nicht dumpfe Stadtbibliotheken, sondern die wirklichen Quellen in Feld und Wald, in Natur und Leben; und sie selber besäßen als das Neue und Eigentümliche, was der Osten dem Westen zu bieten habe, was der Westen nur empfangen, nicht aus eigener Kraft erzeugen könne — den Natur- und Menschensinn; die reine instinktive Empfindung und Anschauung der Natur, und das humane Gemeingefühl, wonach ein Mensch nicht über den andern, sondern in dem andern empfinde.

So ungefähr lautet die Vorrede Kürnbergers zu einer Novelle von Sacher Masoch, die sich „Don Juan von Kolomea" betitelt. Kürnberger sagt, sie sei so naiv erzählt, dass wie wohl sie das Thema der Ehe behandle und in einer echten Idee wurzele, sie doch bei Leibe keine Tendenznovelle sei, sondern nichts Geringeres als „ein Stück — Naturgeschichte des Menschen".

Sacher-Masoch hat zwar diesen Ausspruch sich unbedingt angeeignet und zitiert ihn voll Genugtuung, hat aber selber alles Mögliche getan, um die völlige Grundlosigkeit und schreiende Unwahrheit jener Behauptungen ins hellste Licht zu stellen. Er hat zu seinen Dichtungen umständliche Vorreden, fremde wie eigene, zuweilen mehre hintereinander nötig; er schickt seinen Novellen Prologe, Einleitungen und allerhand Zuschriften vorauf; und spricht darin die Befürchtung aus, nicht verstanden oder doch missverstanden zu werden, auf starke Zweifel und völligen Unglauben zu stoßen. So wird die Novelle „Mondnacht" in zwei Briefen bevorwortet. In dem ersten, gerichtet an die Herausgeber des „Salon", woselbst die Erzählung zuerst erschien, klagt er, dass Bücher wie der Faust, der Werther, die Wahlverwandtschaften, „in der deutschen Literatur so entsetzlich vereinsamt dastehen"; und gibt nicht undeutlich zu erkennen, dass er, um diesem Mangel in etwas abzuhelfen, die „Mondnacht" gedichtet habe. In dem andern Briefe ruft er seinen Freund, den Grafen Stadion, als Zeugen dafür auf, dass jeder Zug der Mondnacht „wahr und erlebt" sei; äußert aber trotzdem gleichzeitig selber: „Du bist vielleicht der Einzige, der meine Geschichte ganz verstehen, ganz glauben wird". — Er hat diese und andere Novellen unter dem Gesamttitel „Das Vermächtnis Kains" zu einem Zyklus vereinigt. In dem vorangeschickten „Prolog" lässt er von dem „Wanderer" sich dahin belehren: „Diese sechs: die Liebe, das Eigentum, der Staat, der Krieg, die Arbeit und der Tod sind das Vermächtnis Kains"; und demzufolge setzt sich unser Autor hin und schreibt: Das Vermächtnis Kains. Novellen von Sacher-Masoch. Erster Teil. Die Liebe. Erster und zweiter Band. Der erste Teil erörtert in zwei Bänden und sechs Novellen die Liebe; und wir haben nun noch fünf Teile oder zehn Bände und wahrscheinlich dreißig Novellen zu erwarten, die nacheinander das „Eigentum", den „Staat", den „Krieg", die „Arbeit" und den „Tod" abhandeln werden: denn dieser angeblich ganz naturwüchsige und nicht entfernt von der Blässe des Gedankens angekränkelte Dichter geht tatsächlich so doktrinär und systematisch vor wie der unerbittlichste Hegelianer. Er führt fortwährend Turgeniew und andere Dichter, des Ostens wie des Westens, im Munde, die er bewusst und unbewusst nachahmt und variiert oder zu überbieten sucht. Er ist ein Anhänger Schopenhauers, und dessen Philosophie bildet zumeist den geistigen Gehalt seiner Dichtungen, die Tendenzen und Pointen derselben. In seinen Novellen wimmelt es von Reminiszenzen aller Art, von Anspielungen auf die Literatur und Wissenschaft des Westens; und er selber ist, wie er irgendwo berichtet, ein nicht zu Stande gekommener Privatdozent.

Sacher-Masoch ist ein offenbarer Nachahmer und Nachtreter Turgeniews; nur dass er nicht entfernt dessen Geschick und Talent, noch weniger dessen Geist, Bildung und Charakter besitzt. Wie Turgeniew als „Jäger" durch Feld und Wald streift, und seine ungesuchten Erlebnisse mitteilt; so fährt und spaziert Sacher-Masoch im Lande umher, um sich Geschichten erzählen zu lassen. Die Leute, auf die er stößt, sind mit Geschichten, mit langen wohldurchgeführten Geschichten förmlich geladen, und sobald Sacher Masoch anlangt, schießen sie los, oder sie halten doch für ihn Manuskripte bereit; denn Sacher-Masoch ist der erwählte Beichtvater des ganzen Kreises Kolomea. Während Turgeniew die Leute belauscht, sich selber möglichst im Hintergrunde hält, steckt Sacher-Masoch beständig seinen Kopf vor, führt er sich nicht selten persönlich ein. — „Mein lieber Sacher-Masoch", beginnt eine Dame ihre Erzählung; und in der Novelle „Marzella oder das Märchen vom Glück" heißt es: — „Und wer ist dieser Herr?" — „„Mein Freund, Herr Sacher-Masoch!"" antwortet der Graf dem Bauern. (Sobald es sich um Freunde oder Bekanntschaften handelt, tut unser Autor es nicht leicht unter einem Grafen.) In der „Mondnacht" steigt die mondsüchtige Edelfrau durch das Fenster in die Schlafkammer Sacher-Masochs, den sie heute Abend zum ersten Mal gesehen hat; sie kniet zu Füßen seines Bettes nieder und beichtet ihm. „Denn die Olga (wie sie sich selber nennt) muss dem Leopold (dies ist der Vorname des Dichters) Alles erzählen, damit der Leopold nicht schlecht von ihr denke". Und nun erzählt sie , wie sie unter den Augen ihres braven , sie leidenschaftlich liebenden Gatten Ehebruch getrieben, mit einem Manne, den sie dazu systematisch verlockt und ebendeswegen in den Tod gestoßen hat; was Alles ihr in den Augen des Leopold nicht den geringsten Abbruch tut, vielmehr den Leopold begeistert, die Olga zur Heldin einer Novelle, der „Mondnacht", zu machen.

Und wenn Sacher-Masoch eine Geschichte niedergeschrieben hat, so wird diese in der nächstfolgenden Erzählung von den neu auftretenden Personen schon erwähnt und besprochen. Die mondkranke Edelfrau gedenkt bereits des „Kapitulanten", dessen verratene Liebe in der vorangegangenen Novelle erzählt worden ist; und im „Märchen vom Glück" tritt Herr Severin, der „Sklave" der „Venus im Pelz" noch einmal auf, um sich von der schönen Gräfin Marzella, dem ehemaligen Bauermädchen, eine Vorlesung über das wahre Wesen der Liebe und des Glückes halten zu lassen.

Alle Personen, die der Dichter vorführt, gleichviel ob Mann oder Weib, ob Hoch oder Niedrig, sie sprechen alle die Sprache Sacher-Masochs, sie überbieten sich in tiefsinnigen und spitzfindigen Betrachtungen; und alle Helden und Heldinnen der sechs Novellen vereinigen sich in der Behauptung, die Sacher-Masoch zuerst den „Wanderer" aussprechen lässt: „Die Liebe ist der Krieg der Geschlechter, wo sie darum ringen, eins das andre zu unterwerfen, zu seinem Sklaven, zu seinem Lasttier zu machen; denn Mann und Weib sind von Natur Feinde". — Wie man sieht, eine neue Entdeckung, das schnurgerade Gegenteil der alten trivialen Ansicht, dass die Liebe die Vereinigung der Geschlechter sei, die sich von Natur suchen, um einander zu unterstützen und zu ergänzen. Aber in solchem die Dinge umkehren und auf den Kopf stellen, einer schließlich doch gerade nicht schwierigen Methode — beruht nicht nur die Originalität und Geistreichigkeit Sacher-Masochs, sondern auch noch die manches andern modernen Autors.

Sacher-Masochs „produktive Sinnlichkeit" ist fleischliche Lüsternheit; geile ekle Wollust, wie in der „Venus im Pelz"; oder gar natur- und geschlechtswidrige Gelüste, wie in der „Liebe des Plato". Seine Leibfarbe ist Rot, Blut- und Feuerrot, in die er Erde und Himmel, Natur und Menschen taucht. Die Natur ist bei ihm wie betrunken; und die Liebe lässt er Orgien feiern, ja wahre Bordell-Szenen aufführen. Man höre z. B. was die mondsüchtige Olga von sich selber erzählt: „Ihre Pupillen erweiterten sich, ihre Nasenflügel zitterten, und wie sie sich sanft an ihn schmiegte, und ihn zu küssen begann, fletschte sie die Zähne, ein graziöses Raubtier in seiner vollen entfesselten Grausamkeit. — „Und sie küsste ihn wieder mit nassen brennenden Lippen, die ihn wahnsinnig machten, bis er sie an sich riss und unbewusst mit beiden Händen in ihrem aufgelösten feuchten Haare wühlte": Und selbst dieses Pröbchen ist noch keusch und züchtig zu nennen gegen zahlreiche Szenen in der „Venus im Pelz".

Die Novellen haben einen ungleichen Wert. Die erste „Don Juan von Kolomea" ist auch die frischeste und beste, jede folgende wird schwächer und matter; die des zweiten Bandes fallen gegen die früheren ungemein ab. Und bei näherem Zusehen leiden alle an einer zwiefachen Monotonie: in jeder wird ja nur der famose Ausspruch variiert „Mann und Weib sind von Natur Feinde"; und alle Weiber tragen die pelzbesetzte und pelzgefütterte wollustatmende Kazabaika, und sind darin lauter Bacchantinnen und Mänaden. (Ausgenommen nur Marzella im „Märchen vom Glück", wo sich der Dichter schließlich zu einer gewissen Wohlanständigkeit zu bekehren versucht, was sich aber sehr gewaltsam anlässt und ihm wunderlich genug steht.) Sacher-Masoch kann sich nicht mehr überbieten, er kann uns nichts Neues mehr sagen, denn er hat angefangen mit dem Ende.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Russische Literatur und Iwan Turgeniew,