Das Hofleben unter Paul

Die Regierung Pauls legte auf Alexanders Charakter eine neue Schicht, welche die normale Entwicklung seiner besten Eigenschaften noch mehr hemmte. Einerseits mutete Alexander sich noch mehr in sich selbst zurückziehen, seine Gedanken verbergen und sich verstellen, andererseits begannen die Zusammenstöße mit dem Leben. Die neue Regierung veränderte den ganzen Gang des höfischen und städtischen Lebens: Überall bürgerte sich der militärische Zuschnitt von Gacina ein. Man begann mit allem zu brechen, was von Katharina geschaffen wurde; die Entfernung der einflussreichen Leute des früheren Hofes, das Erscheinen von neuen fand statt u. s. w.; eine Zeitlang hatte das Palais ein Aussehen, als ob es von Fremdlingen erobert wäre, erzählt ein Zeitgenosse: In solchem Maße unterschieden sich die Schildwachen jetzt in Ton und Tracht von den vorigen." Dasselbe war teilweise auch im gesellschaftlichen Leben der Fall. Die strengen und kleinlichen militärischen Formalitäten wurden zur Regel, der vor allen Alexander sich unterwerfen musste. Dies war eine neue Schule, welche er nach den Studien mit Laharpe und den Schwärmereien mit Czartoryski durchmachen musste. Seine Freunde entfernten sich selbst oder wurden aus Petersburg entfernt: Diese Zeit verlebte Novosiljcov in London; Czartoryski wurde zum Gesandten beim sardinischen König ernannt, welcher kein Königreich besaß, und in Italien lebte. Alexander erhielt einige militärische Funktionen zugeteilt, wo er einerseits als Petersburger militärischer Generalgouverneur seinen Dienst mit Archarov, in seinen anderen Funktionen ihn mit Arakceev teilen musste, Personen, die, wie man weil's, wenig zu Empfindlichkeiten neigten. Die Lage der Dinge war eine höchst schwierige: Alexander bekam das Leben in einer sehr sonderbaren und entstellten Gestalt zu sehen, die Macht — in ihren abstoßendsten Formen; er musste in sich jede freie Äußerung unterdrücken und zusehen, wie solche bei Anderen unterdrückt wurden. Paul wollte ihn mit den Regierungsgeschäften vertraut machen, und daher musste Alexander neben seinen bereits erwähnten militärischen Funktionen sieh auch an den Sitzungen des Rats und Senats beteiligen; aber die Erfahrenheit in der Regierung, die er dabei gewinnen konnte, mochte nur eine negative sein. Schließlich musste Alexander sich selbst unsicher fühlen. Unter diesen Umständen hatte er noch weniger als früher die Möglichkeit, ruhig die Lage und die Bedürfnisse der Gesellschaft wie des Volkes kennen zu lernen, — er sah nur den belustigenden Druck der Regierung, aber er fand keinen Hinweis darauf, wie man außer der Entfernung der gröbsten Übel des Despotismus in regelrechter Weise die gesellschaftlichen Anforderungen befriedigen konnte. Wie früher musste er sich mit seinen einsamen Träumereien begnügen; Paul hasste alles, was sich nur irgendwie auf das „Jakobinertum" bezog; er liebte Laharpe nicht, den er zu denselben Jakobinern rechnete, und für Alexander wäre es nicht gefahrlos gewesen, auf irgendwelche Weise seine Gedanken zu äußern; Pauls eigene Gedanken und Lehren waren manchmal derartige, wie sie Alexander wahrscheinlich noch nie früher vernommen haben mochte. Es ist selbstverständlich, dass bei dieser Notwendigkeit, seine Lieblingsgedanken zu verbergen, und bei dem Mangel an realen Kenntnissen die liberale Stimmung Alexanders noch mehr jenen Charakter der unbestimmten, verworrenen Sentimentalität annehmen musste, welche für immer ein Fehler in seinen politischen Meinungen blieb. Alexander war dieser Lage höchst überdrüssig. In einem Briefe an Laharpe beklagt er sich über das Leben in Petersburg, wo, nach seinen Worten, „ein Korporal einem gebildeteren und nützlichen Menschen vorgezogen werde *). Bis wohin diese Ordnung am Ende von Pauls Regierung gelangte, ist aus verschiedenen zeitgenössischen Memoiren bekannt, u. a. aus den in den letzten Jahren veröffentlichten Bruchstücken der Memoiren Sablukovs.

*) N. Tourgueneff, La Russie et les Russes, Paris 1847, I p. 433.