Die Russen in Zentralasien.

Eine Studie über die neueste Geographie und Geschichte Zentralasiens
Autor: Hellwald, Friedrich von (1842-1892) österreichischer Kulturhistoriker, Erscheinungsjahr: 1873

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Russen, Zentralasien, Kulturwelt, Landmacht, Ssamara, Orenburg, Eisenbahnnetz, Bochâra, Zivilisation, Kultur, Reisen, Handelsinteressen, Landschaften, Riesenreich,
Inhaltsverzeichnis
Vorrede

Interessen der mannichfaltigsten Art haften an den weiten noch wenig bekannten Gebietsstrecken welche man gemeiniglich unter der Benennung „Zentralasien" zusammenfasst. Der Historiker weiß dass hier einst der Tummelplatz zahlreicher mächtiger Völkerhorden gewesen, die verderbenbringend das Herz Europas überfluteten; der Geograph kennt diese Region als eine derjenigen welche auf den Karten noch am mangelhaftesten dargestellt ist, wo Flüsse, Gebirge und Städte nur in unsicheren Umrissen verzeichnet werden können; der Ethnologe erinnert sich der turânischen Völkergruppe und der damit verknüpften schwankenden Begriffe, und der Politiker endlich erwartet hier vielleicht den Zusammenstoß zwischen der größten See- und der größten Landmacht der Erde. Aber dies ist es nicht allein welches unwillkürlich unsere Blicke auf Zentralasien lenkt. In einem Zeitalter wo Meer und Land vom Dampf durchpflügt werden, verschwinden die Entfernungen, und nahe gerückt erscheint was einst unerreichbar weit. Schon hat die Eröffnung des Suez-Canals die Handelswege nach Ostasien gekürzt; früher oder später wird die Euphratbahn eine Wirklichkeit geworden und Indiens Goldland der europäischen Kulturwelt durch Schienenstränge verbunden sein. Von Jahr zu Jahr schreitet der Ausbau des gewaltigen russischen Eisenbahnnetzes vor, und ist einmal die in Angriff genommene Linie von Ssamara nach Orenburg vollendet, so stehen wir auch schon am Beginne der kirgisischen Steppe, durch welche in rascher Frist russische Heerstraßen uns nach den islamitischen Wunderstädten Bochâra und Samarkand, d. h. in das Herz des asiatischen Festlandes, führen werden. Dies ist in keiner Weise etwa das Bild einer aufgeregten Phantasie, vielmehr geht diese Heranziehung des entfernten (Ostens schon teilweise unter unseren Augen vor sich, und was ich so eben angedeutet, wird vielleicht in zwei Dezennien buchstäblich in Erfüllung gegangen sein. Es begreift sich daher dass die Wissenschaft in den letzten Jahren auf jene noch so wenig durchforschten Gebiete ihre Aufmerksamkeit konzentriert hat, und sich bemüht den Schleier zu lüften der seit Marco Polos Zeiten auf denselben ruht.

Die Erforschungen in Zentralasien gehen von den Russen und den Engländern, den beiden Rivalen in der asiatischen Welt, gleichzeitig aus. Erstere drängen unablässig und seit langen Jahren nach Süden und Osten, und haben in der Tat in der jüngsten Vergangenheit ihre Herrschaft über jene Gegenden bedeutend erweitert; die wissenschaftliche Forschung folgt dort, so zu sagen, der militärischen Action auf dem Fuße, und der Geograph kann daher nicht umhin den Gang der Ereignisse selbst mit in Betracht zu ziehen. Gleichwie aber an die russischen Fahnen die Erforschung der Wissenschaft sich heftet, und wir heute die eroberten Landschaften im zentralen Asien — bisher von der Nacht der Jahrhunderte bedeckt — genauer kennen als manche Teile der europäischen Türkei, so folgt auch unausweichlich die Kultur dem Siegeszug des schwarzen Aars. Russland erfüllt, daran kann der Ethnograph nicht zweifeln, eine wahre Kulturmission, indem es auf seine Weise den orientalischen Völkern den europäischen Ideenkreis vermittelt; mit einem Worte: für Asien ist Russland die Kultur, die Zivilisation. Der Unbeteiligte aber muss erkennen dass die Erweiterung der menschlichen Kenntnisse, dieses Aufschließen neuer Kreise für das Kulturleben der zivilisierten Völkerfamilien der beste Gewinn sei den die Menschheit von jeher seit den Zügen des Sesostris und des makedonischen Alexanders aus derartigen Kriegsunternehmungen gezogen hat.

Diesem vor wenigen Jahren so zu sagen noch völlig unbeachteten Vordringen der Russen in das innere Asien widmete ich seinerzeit eine Reihe eingehender Aufsätze, welche in Streffleurs „österreichischer Militärischer Zeitschrift" erschienen und auch in nicht militärischen Kreisen Beachtung fanden. Der ehrenwerte Unterstaatssekretär Sir Grant Duft" hielt im Jahre 18(39 vor seinen Wählern in Elgin eine Rede, die sich mit Indien und den Fortschritten der dortigen Zivilisation befasste. Er nahm dabei die Gelegenheit wahr, die von einem österreichischen Militär-Schriftsteller aufgestellte Ansicht dass Russland in Mittelasien vordringe um europäische Gesittung zu verbreiten, als durchaus verfehlt darzustellen. Da ich die Ehre habe jener von Sir Duff erwähnte Schriftsteller zu sein, so kann ich nicht umhin hier darauf hinzuweisen wie derselbe meine eben damals erschienene Schrift keinesfalls der wünschenswerten genauen Durchsicht gewürdigt haben könne, weil er mir sonst schwerlich eine Meinung unterschoben hätte, die irgendwie auch nur angedeutet zu haben ich mir durchaus nicht bewusst bin. In meiner Arbeit, welche, wie wohl voraussichtlich, die offiziellen Kreise Großbritanniens unangenehm berühren musste, habe ich gesagt dass mit dem Fortschreiten der Russen auch europäische Kultur in das Innere von Asien dringe, keineswegs aber fiel mir bei, die Verbreitung europäischer Gesittung als Motiv oder Zweck der russischen Politik darzustellen. Als solche habe ich ganz andere Dinge bezeichnet. Da dies aber sehr zweierlei ist, so muss ich bedauern dass Sir Grant Duff über meine Anschauungen nicht besser unterrichtet gewesen ist.

THE TARIKH-I-RASHIDI (01)

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Die Reisen des Venetianers Marco Polo

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THE TARIKH-I-RASHIDI (02)

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THE TARIKH-I-RASHIDI (03)

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THE TARIKH-I-RASHIDI (04)

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THE TARIKH-I-RASHIDI (05)

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THE TARIKH-I-RASHIDI (06)

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