Zweite Fortsetzung

Die Öde und Langeweile vertrieben sich diejenigen, denen es die Mittel ihrer strengen Eheherren gestatteten, indem sie sich Zwerge hielten, welche durch allerlei Späße ihre Herrinnen erheitern, welche ihnen Märchen erzählen, ihnen den Kopf kraulen und die Fußsohlen kitzeln mussten, um ihre Sinnlichkeit zu erregen.

Die ärmeren Weiber aber ergaben sich der Trunksucht und Trägheit. In allen Stuben konnte man auf den flachen Öfen immerfort Weiber liegen sehen, welche sich hier durch Wochen befanden, hier aßen, tranken, schliefen . . .


Plötzlich änderte sich das alles. Kaum hatte Peter der Große die Alleinherrschaft übernommen, so zerriss er die druckenden Fesseln, welche auf dem weiblichen Geschlecht lasteten. Er befahl, dass die rassischen Frauen zunächst äußerlich den ausländischen gleichgestellt wurden und ließ für sie deutsche, französische, englische und holländische Kleider kommen. Die Modefragen erhielten damals eine großartige weltgeschichtliche Bedeutung. Die neumodisch Gekleideten waren frei, die Altmodischen blieben Sklaven. Die Neumodischen wurden mit Ehren und Privilegien überschüttet und galten als Vornehme und große Menschen, die Altmodischen wurden überall zurückgesetzt. Dass die Frauen sich nicht lange bitten ließen, neue Moden anzunehmen, versteht sich — um so mehr, als diejenigen, welche nach neuen Moden gekleidet waren, Zutritt zu allen Hofgesellschaften haben sollten. Neue Wege eröffneten sich für die, welche bloße Sklavinnen gewesen, und freudig folgten die meisten den Wünschen des Zaren. Die Männer waren allerdings nicht immer damit einverstanden. Es kam vor, dass manche Frau aus Furcht vor dem Zorn des altgläubigen Ehemannes nicht ihrem Herzen zu folgen wagte, und Peter musste dann die betreffenden Frauen mit Polizei zum Balle begleiten lassen.

Eine andere sittengeschichtlich interessante Neuerung des Zaren betraf die Aufhebung des Ehezwanges. Die Eltern allein hatten bisher Uber das Schicksal ihrer Kinder zu entscheiden gehabt.

War eine Tochter erwachsen, so kamen die Eltern derselben zu einem Junggesellen und boten ihm — oder wenn er mit dem Jawort nicht gleich herausrücken wollte — seinen Eltern das Mädchen an und machten nach Art der Marktschreier eine vorteilhafte Beschreibung des Brautschatzes. Waren nun die Eltern miteinander eins geworden, so wurde die Hochzeit gewöhnlich sofort vollzogen, ohne dass sich das Brautpaar vorher gesehen hatte.

Der Bräutigam und dessen Freunde begaben sich mit dem Popen in Prozession zur Braut, welche ihren „Auser wählten" in Gesellschaft ihrer Gespielinnen mit einem Kufs und einer Schale Schnaps, als Zeichen ihrer Einwilligung, empfing. Dann verschleierte sie sich und blieb bis nach der Trauung verhüllt

Nachdem die Eltern der beiden die Trauringe miteinander gewechselt, fuhr zunächst der Bräutigam in die Kirche. Hierauf folgte die Braut in einem verdeckten Wagen oder Schlitten, welchen ein mit Fuchsschwänzen über und über bedecktes Pferd zog.

Nach vollzogener Trauung brachte der Priester dem jungen Paare ein geräumiges Glas mit Schnaps dar, welches er, nachdem die Neuvermählten ihm aus demselben dreimal ordentlichen Bescheid getan, auf die Erde warf, worauf es von der Braut zertreten wurde mit dem Wunsche: „Allen wünsche ich gleiche Zerschmetterung, welche unter Mann und Frau Feindschaft und Widerwillen hervorzurufen sich unterstehen werden."

Nunmehr trat der Vater der Braut zu der letzteren und zeigte ihr eine Birkenrute, gab ihr damit einige Streiche und sagte:

„Siehe, meine liebe Tochter, das sind die letzten Schläge, die du von meiner Hand bekommst. Ich entlasse dich aus der väterlichen Gewalt und übergebe dich der deines Gatten. Erweisest du ihm jemals nicht den gebührenden Gehorsam, so möge er dich an meiner Statt durch diese Rute an deine Schuldigkeit erinnern.

Mit diesen Worten übergab der Vater der Tochter das Zweiglein, welches bei den allrussischen Frauen gleiches Ansehen genoss wie der Trauring.

Nach dieser schönen Einleitung der Ehe wurde die Braut in des Bräutigams Haus gebracht. Hier war das Brautbett aus vierzig Roggengarben geschichtet, und um dasselbe standen etliche Fässer mit Weizen, Gerste und Hafer. Ein bejahrtes Weib, recht nach dem alten Stempel, musste vor der Kammertür eine ehrwürdige Schildwache und Segensprecherin abgeben, damit das noch nicht berührte Bett ja nicht bezaubert werden möchte.

Die Zeremonie schloss, indem — nach dem Ausdruck eines älteren Historikers — „das übrige mit Vergnügen vollzogen ward". —

Wie konnten so geschlossene Bündnisse gut gedeihen? Nicht genug, dass keine Liebe zwischen den Ehegatten platzgreifen konnte, war das Weib auch dem Manne so untertan, dass es den Herrn hassen musste. Für die schlechte Behandlung rächte es sich, wo es konnte, mit ehelicher Untreue. Dafür wieder strafte der Mann mit schweren Misshandlungen, ja mit dem Tode.

Peter wollte das Elend der Frauen mildern und betrachtete die Aufhebung des Ehezwanges als großen Schritt dazu. Er befahl, dass keine Ehe ohne freie Bestimmung des jungen Paares geschlossen werde und dass die Verlobten sich wenigstens sechs Wochen vor der Hochzeit sollten sehen dürfen,

Die russischen Frauen jener Zeit waren nach dem einstimmigen Urteil aller zeitgenössischen Reisenden ganz hübsche Geschöpfe. Nur hielten sie sich nicht für schön, wenn sie nicht ziemlich rot im Gesichte waren. Wenn die Russen damals eine schöne Frau beschreiben wollten, sagten sie: sie hat eine lebhafte Röte — was das höchste Lob für die russischen Frauenzimmer war. Und wenn die Natur sie nicht mit solcher Zier versehen hatte, so unterließen sie es nicht, sich diese Zier durch die Kunst zu verschaffen; denn sie schminkten sich unerträglich. Die Bauerndirnen auf der Landstraße, die Bettlerinnen in der Stadt bettelten nicht um Brot, sondern um ein paar Kopeken zur Schminke . . . Auch Dicke des Leibes galt als grober beneidenswerter Vorzug. Stark in Mode waren schwarze Zähne und Schönheitspflaster in allerhand Figuren: als Blumen, Bäume, Wagen, Pferde oder andere Tiere.

Die Jungfern flochten ihr Haar zumeist in zwei auf den Rücken herunterhängende Zöpfe, an denen am Ende große bunte Quasten befestigt waren. Die verheirateten Frauen aber trugen ihr Haar unter einer Haube.

Die Frauen von Stande kleideten sich auf Peters Befehl nach ausländischer Mode. Doch kam es vor, dass manche sich nicht darein zu finden verstanden, und man begegnete oft einer vornehmen russischen Dame, die nach deutscher oder französischer Sitte aufs prächtigste in Seide und Atlas gekleidet und mit Tressen, Spitzen und Bändern geschmückt war und dabei — bloßfüßig ging und ihre Pantoffeln verlegen in der Hand trug, weil sie mit ihnen nichts anzufangen wusste*).

*) Nicht so stark wie die Städtebewohnerinnen fühlten die Weiber auf dem Lande; die eingetretene Veränderung. Sie kamen selten aus der Stube, blieben zumeist bei ihren alten Sitten und Unsitten, gingen nach wie vor barfüßig oder zogen plumpe Schuhe wie die der Männer an. Auf dem Leibe litten sie im Sommer nur einen Jungen, dünnen Kittel von blauem Linnen ohne Ärmel, welchen sie mit einem Gürtel befestigten und nur selten auszogen; des Winters aber trugen sie über dem Kittel einen Schafpelz. Den Hals zierten sie mit einer Schnur Glasperlen, die Ohren mit großen dreifach untereinander herabhängenden Ohrgehängen. Auf der Brust hatten sie schließlich ein kleines bleiernes Kreuz, welches sie niemals ablegten, außer wenn sie eine Ausschweifung begehen wollten. Solches Kreuzlein trugen auch die Männer am Halse. Man hielt dasselbe für so heilig und für einen Russen notwendig, dass man keinen begrub, den man ohne dies Kreuz auf der Brust fand.

Um die Geselligkeit unter den Beamten seines Hofes und den Bürgern der Residenz und um den zwanglosen Verkehr zwischen Männern und Frauen zu befördern, führte Peter Vergnügungsgesellschaften ein, denen er den Namen Assemblern gab. Und der vielbeschäftigte Zar fand Zeit genug, die Grundregeln dieser Assembléen selbst auszudenken und als Verordnung niederzuschreiben:

Verordnung wie die Assembléen in Petersburg zu halten sind.

1. Assemblée ist ein französisches Wort, welches in der russischen Sprache nicht gut wiedergegeben werden kann. Es bedeutet eine Anzahl Menschen, welche zum Zeitvertreib oder um sich über ernstere Dinge zu unterhalten zusammenkommen. Ein Freund kann daselbst den andern sehen, man kann sich sprechen, erfahren, wie es jedem ergeht und sich auch über die Zeitereignisse informieren.

2. Die Ordnung, Assemblern zu geben, trifft jeden Vornehmen des Hofes ungefähr einmal im Winter, und der Polizeimeister kündigt es demjenigen an, bei welchem jeweilen nach des Zaren Gutdünken eine Assemblée stattfinden soll.

3. Derjenige, bei welchem die Assemblée stattfindet, hat schon früher vor seinem Hause eine Schrift auszuhängen und jedem, sowohl männlichen als weiblichen Geschlechts, davon Nachricht zu geben.

4. Die Assemblée soll nicht vor 4 oder 5 Uhr nachmittags anfangen und nicht über 10 Uhr abends hinausgedehnt werden.

5. Der Wirt ist nicht gehalten, die Gäste zu empfangen, zu begleiten oder zum Essen und Trinken zu nötigen. Wohl gehalten ist er dagegen, Stühle, Lichter, Getränke und allerlei Spiele anzuschaffen und den Gästen frei zur Verfügung zu stellen.

6. Niemand ist an eine gewisse Stunde zu kommen und zu gehen gebunden, genug ist es schon, wenn er sich auf der Assemblée sehen lässt.

7. Ein jeder hat Freiheit, in der Assemblée nach Gefallen zu sitzen, zu spazieren oder zu spielen*), ohne dass ihm das jemand — bei Strafe des großen Adlers, d. h. des Ausleerens des großen Branntweinpokals — vorwerfen darf.

*) Ein nationales Lieblingsspiel war, dass zwei liebe Russen sich zusammentaten, auf der Bank oder dem Tisch einen Kreis zeichneten und in den Mittelpunkt desselben je eine — Laus setzten. Wessen Tierchen zuerst die Kreislinie erreichte, der hatte gewonnen . . . Solche Insekten zu besitzen, galt als keine Schande, selbst die vornehmsten Damen hatten sie in Hülle und Fülle, und auch von Peter dem Ersten erzählen glaubwürdige Personen, dass er, wenn er an diesen schönen Wettrennen teilnahm, nicht gerade um ein Rösslein aus eigenem Gestüt verlegen war.

8. Jeder, der die Assemblée besucht, braucht nur beim Eintreten und beim Weggehen zu grüßen.

9. Es darf niemandem mehr Wein oder Branntwein zu trinken gegeben werden, als er verlangt.

10. Wenn aber jemand gegen die Gesetze der Assembléen oder gegen den Anstand sündigt, so soll er durch starke Trinkportionen gestraft werden.

11. Personen vom Range, als Edelleute und Ober-Offiziere, auch bekannte Kaufleute und Schiffbaumeister, Kanzlei Bediente, nebst den Frauen und Kindern der Betreffenden, können den Assembléen ohne weiteres beiwohnen.

12. Den Lakaien, außer denen vom Hause des Wirtes, soll ein besonderer Platz eingeräumt werden, damit in den Zimmern der Assemblée genügsamer Raum bleiben möge.

Dass es da sehr lustig zuging, ist klar. Besonders getrunken wurde ungeheuer, Trunkenheit war zur Zeit Peters in Russland so allgemein, dass man es kaum mehr für ein Laster hielt. Ja, einige Reisende versichern ernstlich, dass die damaligen Russen die Besoffenheit beinahe als einen Teil der — Religion ansahen und glaubten, sie hätten einen Festtag nicht nach Gebühr heilig genug gefeiert, wenn sie nicht die Nacht vorher berauscht gewesen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Romanows