Erste Fortsetzung

Kaum war Peter selbstherrschend geworden, so ging er daran, sein Reich umzugestalten, Asien in Europa, die Barbarei in Zivilisation zu verwandeln.

Vor seiner stürmischen Neuerungssucht sollte alles Alte jählings zusammenbrechen; nichts mehr sollte an die Vorzeiten und Vorfahren erinnern, selbst das Allergeringste, das Allerunwichtigste nach ausländischem Muster neugemodelt werden — ob es nun so gut war oder nicht.


Und er leistete Ungewöhnliches.

Er führte gewaltige Kriege, er schuf eine vortreffliche Armee, er gründete die russische Flotte, er belebte Handel und Wandel und versuchte es wenigstens, auch der Korruption zu steuern und Bildung und Wissenschaft ins Land zu ziehen.

Doch da er selbst im Herzen roh und barbarisch geblieben, fand er für die rechten Ziele nicht die rechten Mittel. Bildung und Gesittung kamen unter dem Schutz der Knute nach Russland — sie wurden deshalb nur aus Furcht eingelassen, nicht aus Liebe willkommen geheißen, und wo man sich ihnen entwinden konnte, da tat man es.

Es blieb alles ziemlich äußerlich, eitler Firlefanz.

Das Land errang durch Peter Größe, Macht, Ansehen; das Volk aber gewann durch ihn verhältnismäßig wenig; es wurde mit einer Bildung und einer Gesittung begnadet, denen eine ehrliche Barbarei fast vorzuziehen ist.

Entgegen der Meinung, dass nicht das Kleid den Wert der Menschen ausmacht, glaubte Peter, dass ein Barbar nur ein europäisches Kleid sich umzuwerfen braucht, um sofort zu einem gesitteten Menschen zu werden. Das erklärt, weshalb Peter vor allen anderen Dingen der alten nationalen Kleidung an den Kragen ging

Eines Tages erschien ein kaiserlicher Befehl, dass jeder, der von der Regierung besoldet werde oder Zugang zum Hofe haben wolle, in ausländischer Tracht erscheinen müsse. Ferner wurden Muster einer solchen Kleidung über alle Stadttore von Moskau, Petersburg und allen größeren Orten gehängt, und wollte Jemand, der nicht etwa ein Geistlicher, ein Bauer, Kosak, Kalmück oder Tatar war — denn diese blieben noch ausgenommen — mit einem langen Kleide nach alter Art durch die Tore gehen, so hatte er entweder einen Geldzoll von zwei Griewen oder 20 Kopeken zu bezahlen, oder musste unter dem Tore niederknien und dulden, dass ihm der Rock soweit, als er beim Knien auf der Erde schleppte, abgeschnitten wurde.

Mit den neuen Kleidern war das Tragen eines langen Bartes unvereinbar. Wie den Orientalen der Bart als Sitz der guten Geister erscheint, so glaubten die Russen, dass er ein Attribut — des Christentums sei, dass durch sein Beschneiden das Ebenbild Gottes entstellt werde. Wie wert den Russen ihr Bart war, geht aus einer Verordnung des Jaroslowachen Gesetzbuchs hervor, welche eine 14 mal größere Geldbuße auf ausgerauften Bart als auf abgehauene Finger setzte. Peter aber kehrte sich nicht daran; die Ausländer trugen glattes Kinn — also mussten es auch die Russen tun. Er befahl, dass man sich die Bärte rasieren ließe, und führte diesen Befehl, ob auch das Volk ihn als heidnisch erklärte, mit tyrannischen Maßregeln durch. Er gestattete den Bart nur den Geistlichen, den Landbauern und solchen, die eine Steuer von 100 Rubel jährlich bezahlten. Ja, auch jeder Bauer, der mit einem Barte in die Stadt kam, musste unter dem Tore einen Kopeken bezahlen.

Diese Maßregeln führten die neue Sitte in den Hauptstädten schnell ein; schwieriger aber ward die Verbreitung derselben in den entfernteren Teilen des Reiches, und da geschah es oft, dass übereifrige Beamte dem zarischen Befehl mit einer drakonischen Gewaltanwendung Gehorsam zu schaffen suchten, wie einmal in Woronesch. Die Mitglieder des Magistrats dieser Stadt waren nicht zu bewegen, sich rasieren zu lassen. Zu Ostern sollte der Zar Woronesch besuchen, und Mentschikow wollte seinem Herrn eine freudige Überraschung damit bereiten, dass die Magistratsherren zu seinem Empfange mit rasiertem Kinn erschienen. Er hatte für sie vollständige deutsche Kleider machen lassen und berief sie am Abend vor Ostern zu sich.

„Ich habe", so sprach er dann zu ihnen, „den strengsten Befehl vom Zaren, dass ihr diese Kleider anzieht und euch den Bart scheren lasset. Wollt ihr? Nein? Dann macht euch zur Reise nach Sibirien fertig, die Kibitken sind bereit euch aufzunehmen."

Die Bedrohten weinten, flehten, fielen auf die Knie und versicherten, dass sie lieber ihre Köpfe als ihre Bärte verlieren wollten.

Mentschikow winkte einigen Soldaten, dass sie die Jammernden zu den Kibitken schleppten. Da beschloss der Jüngste der Herren, welcher erst kurz verheiratet war und dem das Scheiden von der jungen Gattin doch schwerer fiel als die Trennung von seinem Barte, den letzteren zu opfern, und er rief:

„Ich bleibe — es geschehe der Wille des Himmels."

Wieder winkte Mentschikoff, und es erschien ein Friseur, und der stattliche Bart des Abtrünnigen fiel.

Aber das böse Beispiel wirkte, einer nach dem anderen der Herren folgte, ein Bart nach dem anderen zerfloss unter dem Seifenschaum und dem Rasiermesser . . .

Dies eine Beispiel mag für viele genügen. Lange noch war das Rasieren unpopulär, und gar viele fromme Russen ließen sich den unfreiwillig abgeschnittenen Bart mit in den Sarg geben, um im Jenseits dem Schutzpatron des Reiches, dem heiligen Nikolay, dieses Glaubenszeichen vorweisen zu können.

Gar nicht zu bewegen, sich dem neuen Gesetz zu fügen, blieben nur die Raskolniky oder Altgläubigen. Peter traute sich aber nicht, dieser mächtigsten aller religiösen Sekten allzu stark zu begegnen, und liefe ihnen den Bart gegen Entrichtung einer regelmäßigen Bartsteuer. Als Quittung und als Dokument ihres Bart-Privilegiums ward ihnen jährlich nach bezahlter Steuer eine Münze gegeben, welche Borodowaja, Bartmünze, hieß. Auf derselben war auf der einen Seite eine Nase mit Schnurrbart und Bart; auf der andern die Aufschrift: dan platschena, bezahlte Steuer, samt der Jahreszahl.

Um seinen Leuten den Fortschritt von Einst und Jetzt recht klar vor Augen zu führen, veranstaltete Peter einmal bei Gelegenheit der Hochzeit eines Hofnarren ein Fest nach altväterlicher Bitte.

Zu demselben musste Alles in Kleidern erscheinen, die man vor Jahrhunderten getragen. Auf sonderbar geschirrten Pferden kamen die Bojaren in unförmlichen Kostümen mit ungewöhnlich hohen Mützen heran geritten. Einige hielten statt der Zügel silberne Ketten, deren Glieder anderthalb Daumen breit waren. Mit kleinen Silberplatten waren auch die Brust und Schweifriemen der Rosse geziert, und wenn dieselben gingen, so tönte es wie Glockenklang.

Die Frauen fuhren dicht verschleiert in unbequemen zweirädrigen Tataren wagen, welche über jeden Stein stolperten und Helen, so dass die Insassinnen sich in einem ewigen Kreischen und Jammern befanden. Bire Kleidungen waren ebenfalls nach langst verstorbenen Moden geschnitten. Dicht gekräuselte Hemdärmel reichten bis über die Hände herunter, und fünf Daumen hohe Absätze machten die Schuhe beinahe Zu Stelzen, auf denen die Schönen hin und her balancieren muteten und nur mit Mühe das Gleichgewicht erhalten konnten.

Das Fest fand, wie alle damaligen Feste, in dem Prachtpalasst des Fürsten Mentschikow statt. Auf einem drei Stufen hohen Thron saßen der After-Zar und der After-Patriarch und empfingen die Huldigungen der Menge. Jeder Gast wurde bei seinem Eintreten mit seinem und seines Vaters Namen angerufen, trat dann zum Zaren und zum Patriarchen, küsste beiden ehrerbietig die Hände und empfing als Willkommgruß eine Schale Schnaps.

Nun ward an einfachen hölzernen Tischen gespeist. Allein die Speisen, nach der alten Kochkunst bereitet, ekelten die durch neuere Rezepte verwöhnten Mägen der Gäste an. Noch schlimmer war das aus Met und Branntwein gemischte Gebräu, welches den Lieblingstrank der alten Russen gebildet. Hatten die Gäste alles gleichmütig ertragen — das ward unerträglich . . .

Nach der Tafel wurde getanzt. Doch was waren das für komische Tänze? Die Männer und Weiber glaubten ihren Augen kaum. Statt der graziösen französischen und deutschen Tänze, welche sie in ihren Sälen gewohnt waren, sahen sie hier Sprünge und Stampfereien, die keiner von ihnen mitmachen mochte. Dazu diese Musik, diese schreckliche Musik des Kuhhorns, der Balalayka, des Gudoks und der Dudelsackpfeife .

Endlich wurde das neuvermählte Paar in die Brautkammer geführt. Da aber war es schauerlich. Obgleich man vor Kälte klapperte, hatte man nach alter Sitte die Stube ungeheizt gelassen, und ein schmales Bett aus ungehobelten Brettern winkte dem jungen Ehepaare.

Da verwünschten alle die gute alte Zeit. —

Besonderes Vergnügen hatte Peter an Zwergen, welche seine Hofnarren abgeben mussten, und er nahm alle Gelegenheiten wahr, mit diesen verkrüppelten Geschöpfen seinen Spaß zu treiben.

Gelegentlich der Vermählung des Herzogs Friedrich Wilhelm von Kurland mit der zarischen Prinzessin Anna, welche am 10des Wintermonats 1710 stattfand, ließ Peter eine Hochzeit zweier Zwerge mit aller möglichen Pracht, die bei der Vermählung eines regierenden Fürsten beobachtet wird, veranstalten. Bei dieser Hochzeit muteten alle Beamte und Bediente von eben derselben kleinen Menschengattung sein, wie das Brautpaar, zu welchem Zwecke ans den entferntesten Teilen des Reiches 72 der verkrüppeltesten Männlein und Weiblein zusammengebracht wurden.

Am Tage vor der Hochzeit fuhren die zwei kleinsten dieser kleinen Menschen in einem dreirädrigen Miniaturwagen von Haus zu Haus, die Hochzeitsgäste einzuladen, während vor dem Wagen zwei andere Zwerge auf Zwergen-Pferden voranritten.

Am Tage der Trauung führte den Hochzeitszug als Marschall ein Zwerg an; ihm folgte das kleine, aufs zierlichste herausgeputzte Brautpaar, begleitet von dem Kaiser und seinen Räten, den Bojaren und Knjäsen. Hierauf kamen die übrigen Zwerge, Paar auf Paar, und an diese schloss sich die neugierige Menge.

Bei der Trauung hielt Peter selbst nach dem Gebrauch der griechischen Kirche den Kranz über dem Kopfe der Braut. Das Hochzeitsmahl war im Palaste des Fürsten Mentschikow, in demselben Saale, wo vor zwei Tagen der Zar an dem Vermählungsfeste der Prinzessin Anna die Gäste bewirtet hatte. Die Zwerge speisten an niedrigen Tafeln; die Brautleute saßen an zwei verschiedenen Tischen unter seidenen Thronhimmeln; der Marschall und seine acht Untermarschälle — sämtlich Zwerge — rannten geschäftig hin und her; der Zar und die übrigen hohen Herren mit ihren Damen saßen als Zuschauer auf einer Bank an der Seite des Saales.

Während der Tafel spielten sich viele köstliche Szenen ab. Der kleine Vorschneider, welcher zwischen den beiden Brautjungfern saß, wurde von diesen mit einem schönen Bande beschenkt, wofür er einer jeden zur Erkenntlichkeit einen Kuss gab. Der kleine Marschall brachte die Gesundheit aus, indem er ein großes Glas auf einen Zug leerte, was sich sehr possierlich machte. Nach aufgehobener Tafel tanzten die Zwerge einen russischen Nationaltanz, welcher durch die absonderlichen Gestalten der Tanzenden ergötzlich genug war. Einige hatten einen hohen Buckel und kurze Beine; andere waren mit einem ungeheuer dicken Bauch begabt; einige watschelten auf Füßen gleich einem O, andere auf Füßen gleich einem X; bei vielen konnte man vor dem erschrecklich dicken Kopfe kaum noch etwas Anderes vom Körper sehen; manche hatten schiefe Mäuler oder auffallend große Ohren, andere endlich ganz kleine Augen und dicke Backen . . . Die Lustigkeit wurde rechtschaffen bis gegen Mitternacht getrieben, worauf das junge Ehepaar nach dem Zarenpalast gebracht ward, wo es Wohnung erhielt.

Wie die Hochzeit eines Zwerges, so wurde auch das Begräbnis eines solchen mit dem feierlichsten Pomp begangen. Vier Priester im Kirchenornate, zwei Marschälle des Kaisers und ein Chor von 30 Sängern gingen vor der Leiche her. Der mit schwarzem Samt bedeckte Sarg lag auf einem, von sechs sehr kleinen Rappen gezogenen Schlitten, auf welchem sich auch der Unterbliebene Bruder des Verstorbenen, ein 50jähriger Zwerg, befand. Gleich hinter der Leiche kamen die anderen Leidtragenden: 12 Paar Zwerge in schwarzen Trachten, mit langen Mänteln und Flören, und 12 Paar der Größe nach sich folgende Zwerginnen. Den Zug beschlossen der Zar, die Minister, Generale und Beamten. —

Die meisten dieser Neuerungen trugen dem Zaren keine Sympathie ein. Er geriet bald in den Ruf eines Abtrünnigen, und es fehlte auch nicht an Stimmen, die ihn sogar als Satan bezeichneten, namentlich als er die Rechte der Geistlichkeit anzutasten, die Patriarchenwürde abzuschaffen wagte und statt derselben eine ganz vom Zaren abhängige Behörde, den Heiligen Synod, errichtete.

Ja, schließlich ließ er die Geistlichen auch nicht mehr in die Kirche, und es kam vor, dass er an Sonntagen selbst als „Summus pontifex" auftrat und mit lauter Stimme die Gebete und allerlei Predigten vortrug, so dass ein Zeitgenosse*) von ihm sagte: „Er ist ein recht gottesfürchtiger und streitbarer Josua, welcher nicht nur die Hände aufhebt zum Beten, sondern dieselben auch zur Regierung und Verteidigung seines Volkes braucht, durch sein fleißiges Kirchengehen aber mit seinem Exempel bezeiget, mit was für Ehrerbietigkeit er Gott und die Wohlfahrt des Landes wolle anrufen und sein heiliges Wort zum Segen der Untertanen in aller Herzen verehren lassen."

*) Des großen Herrn Czaars und Großfürsten von Moskau Petri Alexowicz Leben und Taten. Frankfurt 1710.

Den Geistlichen war das natürlich ein Gräuel, und sie erhoben ein großes Gejammer über den „Satan-Zaren". Da griff Peter zu einem Mittel, um den Klerus zu verderben — er wollte ihn lächerlich machen. Er stellte Maskeraden an, in welchen die Geistlichen persifliert wurden; er ernannte seinen Jugendlehrer Sotow, einen 84jährigen, halb blödsinnigen Mann zum Papste, der in dieser Würde einer hübschen jungen Witwe angetraut ward. Zur Feier dieser sonderbaren Hochzeit wurde ein großes Fest bereitet. 400 Personen, Männer und Frauen, Bojaren, Offiziere, Kaufleute und fremde Gesandte mit ihren Familien fanden sich dazu ein.

Die vier Personen, welche nach russischer Sitte einige Tage vor der Hochzeit zu derselben einluden, waren die größten Stammler, die man im ganzen Zarenreiche hatte finden können. Zu Marschällen, Brautführern und Arrangeuren wählte der Zar steinalte, zu Läufern dickbeleibte podagrische Personen. Ein Bojar stellte für diesen Tag den Zaren von Moskau vor und zwar in der Maske des Königs David, aber statt der Harfe hielt er eine mit einer Löwenhaut überzogene Leier, die er immerfort drehte.

Der Zug bewegte sich durch die vornehmsten Straßen von ganz Petersburg. Der After-Zar saß in einem großen Schlitten auf einem hohen Gerüste, an dessen vier Enden ungeheure Bären sich befanden; dieselben wurden von Zeit zu Zeit durch scharfe Stacheln zu fürchterlichstem Brummen gereizt. Peter selbst war als friesischer Bauer gekleidet; er und noch drei andere gleich ihm gekleidete Generale schlugen die Trommel. Die übrigen Gäste gingen je vier in verschiedenen Trachten und mit verschiedenen Instrumenten. So kam unter Läuten aller Glocken der Hauptstadt der Zug in die Hauptkirche, wo das ungleiche Brautpaar vor den Altar gebracht und von einem hundertjährigen Priester getraut wurde, dem schon Gehör, Gesicht und Gedächtnis fehlten. Man hielt ihm zwei Lichter vor die bebrillte Nase und schrie ihm in die Ohren, was er dem Brautpaare vorbeten sollte. Aus der Kirche ging es in den Palast des Zaren, wo die Lustbarkeiten in ausschweifende Trinkgelage ausarteten.

Der After-Papst war eines Tages tot, und unter den feierlichsten Zeremonien wurde an die Wahl eines neuen geschritten.

Im Hause des verstorbenen Papstes sollte die Wahl stattfinden. In demselben waren aus diesem Anlasse zwei große bleierne, zwei große hölzerne und 64 steinerne Glocken, mit Klöppeln versehen, aufgehängt, und alle wurden in wildem Gewirr durcheinander geläutet.

In dem „Wahlzimmer", dessen Wände statt mit Tapeten mit Strohmatten bekleidet waren, stand ein mit roter Leinwand bedeckter, 6 Stufen hoher Thron; mitten auf ihm lag eine halb blau, halb rot bemalte Schnapstonne, auf welcher ein lebendiger Bacchus saß, nämlich ein Mensch, den man durch 8 Tage nicht hatte nüchtern werden lassen. Zur rechten Seite des Throne war ein Stuhl für den After-Zaren und auf der linken Seite einer für den zu erwählenden Papst. An der Wand standen 18 durchlöcherte Stühle für die „Kardinäle".

In einem Nebenzimmer, dem „Conclavezimmer" , waren für den Papst und die Kardinäle 14, durch Strohmatten von einander getrennte Logen errichtet. In jeder hing ein Schuh von Bast statt eines Leuchters. In der Mitte dieses Zimmers standen ein Bär und ein Affe aus Ton, daneben Schnapstonnen.

Nachmittags begannen alle Glocken der Residenzkirchen zu läuten, und durch die Straßen bewegte sich ein seltsamer Zug.

Voran schritt ein Marschall in gewöhnlicher Kleidung mit einem roten Stab. Ihm folgten zwölf Chorpfeifer als Pagen des Papstes; sie trugen Löffel mit Schellen.

Dann kamen die hervorragendsten Zivilbeamten und Staatsdiener, Minister, Generale, Gesandte, Geistliche, wirkliche und falsche, der Kaiser, ein Zwerg als päpstlicher Sekretär, sechs Stammler als päpstliche Herolde.

Auf einer Schnapstonne, welche sechzehn, aus den Schänken gerade zusammengelesene besoffene Bauern trugen, saß ein besoffener Kerl als Bacchus.

Vor dieser sehr schwankenden Tonne ging ein alter sehwacher wankender Greis, welcher brennende Tannenzweige hin und her schwenkte, um den Weihrauch zu symbolisieren.

Eine andere Schnapstonne mit einem zweiten Bacchus wurde von zwölf Kahlköpfen, die mit Luft gefüllte Schweinsblasen in den Händen hatten, transportiert.

Den Zug beschlossen die Kardinäle; sie hielten, an das Herz gedrückt, Bücher, welche Gebetbüchern ähnlich waren, aber bloß Lieder zu Ehren des Bacchus enthielten.

Als die Prozession in den Vorhof des Wahlhauses gekommen, empfing man sie mit lautem Willkommen und schlug mit hölzernen Hämmern auf leere Tonnen. Während sich die übrige Gesellschaft in verschiedenen Zimmern trinkend und johlend unterhielt, wurden die „Kardinäle" in das Conclavezimmer eingesperrt und mussten in demselben über Nacht bleiben. Abgesehen von dem, was sie sonst zu trinken beliebten, war jeder von ihnen gezwungen, alle Viertelstunden einen riesigen Löffel voll Branntwein hinunterzuschlucken. Am nächsten Morgen wurden dann die besoffenen Kardinäle herausgelassen, um die Wahl vorzunehmen, konnten sich aber nur schwer einigen; jeder hätte gern das lächerliche Amt übernehmen mögen, denn es war mit demselben eine jährliche Besoldung von 2.000 Rubeln verbunden; ferner wurde dem sogenannten Papst ein Haus in Petersburg und eins in Moskau geschenkt und ihm zugestanden, aus dem zarischen Keller soviel Wein, Schnaps und Bier zu verlangen, als er für sein Haus nur immer brauchen konnte; schließlich mussten ihm auch alle, ob hoch, ob niedrig, hohe Ehre beweisen, als wenn er wirklich Summus Pontifex wäre, und wer dessen sich weigerte, unterlag einer schweren Geldstrafe.

So ist es begreiflich, dass die Kardinäle sich nicht bald einigen konnten. Endlich aber entschied der Machtspruch des Kaisers, und der Proviantkommissär Strogost wurde gewählt.

Man trug ihn auf den Thron, und alle nahten sich ihm und küssten seine Pantoffel, er aber, der in seiner chimärischen Herrlichkeit aufgeblähte Papst reichte jedem einen Löffel Schnaps. Hierauf setzte man den Papst bis zur Brust in eine schnapsgefüllte Tonne, aus welcher er dann den Hinzutretenden zu trinken gab.

Endlich ging es zur Tafel; die wirkliche Äbtissin Galitzyn und drei Nonnen servierten die Speisen, welche aus gut zubereiteten Katzen, Mäusen, Füchsen, Bären, Wölfen und ähnlichen artigen Tieren bestanden. Dabei wurde recht wacker bis in die späte Nacht getrunken.

Man trennte sich unter allerlei Scherzen und versprach sich, bei nächster Gelegenheit den After-Papst auch zu krönen. Die nächste Gelegenheit aber, zu welcher diese Herren alle zusammenkamen, war — die Leichenfeier Peters des Großen. —

Mehr Verständnis und Folgsamkeit als bei den Männern fand Peter der Große bei den russischen Frauen.

Ihre Eitelkeit liefe sie die russische Tracht gern gegen die ausländische vertauschen ; Frauen lieben den Wechsel der Mode. Dazu kam, dass mit Annahme der fremden Kleidung für die Frauen ganz besondere Vorzüge verbunden waren.

Die Frauen wurden früher sehr eingeschlossen gehalten, und sie dürften selten anderswohin als ins Bad, in die Kirchen und Klöster und zu ihren Anverwandten, und dann auch nur völlig verhüllt oder im wohlzugemachten Wagen oder Schlitten. Selbst bei den Mahlzeiten im eigenen Hause durften sie, falls Fremde anwesend waren, nicht erscheinen. Nur in seltenen Fällen, wenn der Hausherr einem Gaste besondere Ehre erweisen wollte, rief er vor der Tafel seine Gattin oder seine Töchter, damit sie dem Fremden einen Kuss und ein Schälchen Schnaps schenkten; dann aber mussten sie sofort wieder ihren Poklon oder Abschied nehmen und sich zurückziehen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Romanows