Dritte Fortsetzung
Eine eigentümliche Sitte war es selbst in den feinsten Kreisen, dass man bei Gesellschaften die Gäste mit Gewalt zum Saufen zwang, indem man die Türen schloss und Wachen davor stellte, welche niemand hinauslassen durften, der nicht seine volle Ladung hatte.
Einmal gab Peter einem deutschen Gesandten zu Ehren eine Gesellschaft auf dem Schlosse Peterhof. Bei der Mittagtafel wurde den Gästen mit Tokayerwein so scharf zugesetzt, dass endlich keiner derselben mehr auf den Füßen stehen konnte, und dennoch musste jeder hernach noch ein Quartier Branntwein von der zarten Hand der Zarin zu sich nehmen, wodurch alle ihren Rest bekamen. Nur der Zar hatte die Klugheit gebraucht, selbst nicht so viel mitzutrinken, und er hatte nun seine Lust daran, seine Gäste ohne Verstand zu sehen. In diesem Zustand ließ er sie wegtragen und zwar den einen in den Garten, den andern in den Wald, die übrigen in verschiedene Zimmer. Um vier Uhr nachmittags wurden die Besoffenen zusammengelesen und in einen jungen Wald geschleppt, wo der Zar ihnen befahl, eine Reihe Bäume umzuhauen, indem er ihnen selbst vorarbeitete; in mehrstündiger Arbeit schwitzten sie die Weindünste aus. Beim Abendessen empfingen sie zur Belohnung abermals eine starke Ladung, dass sie ohne Vernunft zu Bette kamen; aber kaum hatten sie anderthalb Stunden geruht, als ein Favorite des Zaren sie aus den Federn holte und zu einem neuen Gelage versammelte, das bis früh dauerte. Um 8 Uhr morgens wurden sie alsdann zum Kaffee gebeten, der in einer guten Schale Branntwein bestand. Hierauf mussten sie auf elenden Bauernmähren ohne Sattel und Steigbügel einen hohen Berg hinan und eine Weile im Walde herumreiten. Dann wurden sie bei der Mittagstafel mit dem vierten Rausche bewillkommnet und mussten sogleich denselben Nachmittag mit dem Zaren zu Schiff nach Kronschlott fahren und bei einem heftigen Sturm sieben Stunden in Lebensgefahr herumschweben. —
Neben den geschilderten Assembléen gingen theatralische Vorstellungen. Peters Schwester, die Prinzessin Natalja, schrieb für dieselben viele Schauspiele in russischer Sprache, wozu sie die Stoffe teils der Bibel, teils weltlichen Chroniken entnahm. Schauspieler (und Musiker) waren Russen. Der Komiker, ein Offizier, mischte gewöhnlich seine eigenen Späße, die mit dem Stück in gar keinem Zusammenhange standen, hinein. Zum Schluss trat ein Redner auf, der die Moral der Geschichte erzählte und den Zuhörern gute Lehren gab.
Der durch Peters Neuerungen jäh erfolgte Umschlag hatte bald auch üble Wirkungen im Gefolge, und der plötzliche ungeahnt enge Verkehr zwischen Männern und Frauen, der dazu hätte dienen sollen, die Rohheit und Trunkenheit der Männer zu mäßigen, erweckte häufig die größte Unsittlichkeit, die keine Grenzen kannte . . .
Die Frauen wussten gar nicht ihre Freiheit zu fassen. Sie glaubten, dass Unsitte und rohes Betragen Zeichen derselben seien. Je schamloser man war, für je höher, emanzipierter hielt man sich. Ein Reisender jener Zeit jammert bei einer Schilderung der russischen Frauen immerfort über deren Sittenlosigkeit und stößt dann folgenden Seufzer aus: „Die Frauenspersonen sind sehr unverschämt und ausgelassen. Es ist in Russland nichts Seltenes, dass junge Weiber, wenn sie baden wollen, sich unter freiem Himmel ausziehen und aus dem Bade nackt wieder herauslaufen. Vierzig, fünfzig und mehr Frauen und Mädchen tanzen und springen ohne Scham und Ehrbarkeit, so wie sie Gott erschaffen hat, herum und scheuen sich auch nicht vor den Fremden, die vorübergehen."
Peter selbst ging in der Unsittlichkeit seinem Volke mit dem ärgsten Beispiel voran. Seine eigene Unsittlichkeit aber war für ihn Grund genug, Unsittlichkeit anderer Personen streng zu strafen. Namentlich beim Militär. Und er stellte in seinem Kriegsreglement einige dahin bezügliche interessante Paragraphen auf:
Kap. III, welches von Unzucht handelt
Art. 1. Eine öffentliche Dirne soll weder bei der Miliz, noch in der Garnison, weder auf Märschen noch in Feldlagern geduldet, sondern angegeben und sofort durch die Profosse hinweggejagt werden.
Art 2. Weil unzüchtige Reden eine große Veranlassung zur Unzucht geben, sollen dieselben, wie auch schandbare Lieder, bei großer Strafe verboten sein.
Art 3. Der Ehebruch soll nach den Rechten einer jeden Nation, von welcher der Beschuldigte ist, gestraft werden.
Art. 4. Die Notzüchtigung zieht unvermeidlich die Todesstrafe, nach sich.
Art. 5. Unnatürliche Unzucht mit einem Vieh, Unzucht zwischen Männern und Männern und Knabenschändung soll man mit Feuertod richten. —
Dass es dem Zaren aber auch nicht an Humor in der ernsten Sache fehlte, zeigt ein Vorfall, der im Jahre 1724 in Moskau viel Heiterkeit erregte.
Eines betagten vornehmen Russen junge und schöne Ehegattin lebte mit einem anderen in ungeziemender Vertraulichkeit. Diese aber wurde einst durch des Gatten unerwartete Dazwischenkunft so plötzlich zerstört, dass der Buhle in der Bestürzung statt seiner eigenen Beinkleider, in welchen sich eine goldene Repertieruhr, eine schwere Goldbörse und andere Kostbarkeiten befanden, die Hosen des Geprellten ergriff. Dieser fand die Beute, fasste aber die vernünftige Entschließung, der kostbaren Hose zu Liebe seinen Verdruss und Schimpf stillschweigend zu verbeißen. Nicht so zufrieden mit dem Tausch war der verliebte Flüchtling; ihm fiel der Verlust seiner Hose so empfindlich, dass er kurz darauf den Alten, da dieser aus der Kirche trat, in eine Ecke führte, ihm Hände und Füße küsste und ihn sowohl um Vergebung des Vergehens als um die Auslieferung der im Stiche gelassenen Hose ersuchte. Der weise Alte aber schalt den Bittenden einen Unsinnigen, der nicht wüsste, was er redete, rühmte die junge Frau, seine Gattin, als ein Muster der Tugend und ehelichen Treue, und liefe den Jüngling stehen. Dieser warf sich darauf zu des Kaisers Füßen, beichtete alles offenherzig und bat um gnädige Hilfe. Allein der Zar sprach dieses Urteil: „Einem Ehemanne gehört alles, was er auf seinem Ehebett findet".
Einmal gab Peter einem deutschen Gesandten zu Ehren eine Gesellschaft auf dem Schlosse Peterhof. Bei der Mittagtafel wurde den Gästen mit Tokayerwein so scharf zugesetzt, dass endlich keiner derselben mehr auf den Füßen stehen konnte, und dennoch musste jeder hernach noch ein Quartier Branntwein von der zarten Hand der Zarin zu sich nehmen, wodurch alle ihren Rest bekamen. Nur der Zar hatte die Klugheit gebraucht, selbst nicht so viel mitzutrinken, und er hatte nun seine Lust daran, seine Gäste ohne Verstand zu sehen. In diesem Zustand ließ er sie wegtragen und zwar den einen in den Garten, den andern in den Wald, die übrigen in verschiedene Zimmer. Um vier Uhr nachmittags wurden die Besoffenen zusammengelesen und in einen jungen Wald geschleppt, wo der Zar ihnen befahl, eine Reihe Bäume umzuhauen, indem er ihnen selbst vorarbeitete; in mehrstündiger Arbeit schwitzten sie die Weindünste aus. Beim Abendessen empfingen sie zur Belohnung abermals eine starke Ladung, dass sie ohne Vernunft zu Bette kamen; aber kaum hatten sie anderthalb Stunden geruht, als ein Favorite des Zaren sie aus den Federn holte und zu einem neuen Gelage versammelte, das bis früh dauerte. Um 8 Uhr morgens wurden sie alsdann zum Kaffee gebeten, der in einer guten Schale Branntwein bestand. Hierauf mussten sie auf elenden Bauernmähren ohne Sattel und Steigbügel einen hohen Berg hinan und eine Weile im Walde herumreiten. Dann wurden sie bei der Mittagstafel mit dem vierten Rausche bewillkommnet und mussten sogleich denselben Nachmittag mit dem Zaren zu Schiff nach Kronschlott fahren und bei einem heftigen Sturm sieben Stunden in Lebensgefahr herumschweben. —
Neben den geschilderten Assembléen gingen theatralische Vorstellungen. Peters Schwester, die Prinzessin Natalja, schrieb für dieselben viele Schauspiele in russischer Sprache, wozu sie die Stoffe teils der Bibel, teils weltlichen Chroniken entnahm. Schauspieler (und Musiker) waren Russen. Der Komiker, ein Offizier, mischte gewöhnlich seine eigenen Späße, die mit dem Stück in gar keinem Zusammenhange standen, hinein. Zum Schluss trat ein Redner auf, der die Moral der Geschichte erzählte und den Zuhörern gute Lehren gab.
Der durch Peters Neuerungen jäh erfolgte Umschlag hatte bald auch üble Wirkungen im Gefolge, und der plötzliche ungeahnt enge Verkehr zwischen Männern und Frauen, der dazu hätte dienen sollen, die Rohheit und Trunkenheit der Männer zu mäßigen, erweckte häufig die größte Unsittlichkeit, die keine Grenzen kannte . . .
Die Frauen wussten gar nicht ihre Freiheit zu fassen. Sie glaubten, dass Unsitte und rohes Betragen Zeichen derselben seien. Je schamloser man war, für je höher, emanzipierter hielt man sich. Ein Reisender jener Zeit jammert bei einer Schilderung der russischen Frauen immerfort über deren Sittenlosigkeit und stößt dann folgenden Seufzer aus: „Die Frauenspersonen sind sehr unverschämt und ausgelassen. Es ist in Russland nichts Seltenes, dass junge Weiber, wenn sie baden wollen, sich unter freiem Himmel ausziehen und aus dem Bade nackt wieder herauslaufen. Vierzig, fünfzig und mehr Frauen und Mädchen tanzen und springen ohne Scham und Ehrbarkeit, so wie sie Gott erschaffen hat, herum und scheuen sich auch nicht vor den Fremden, die vorübergehen."
Peter selbst ging in der Unsittlichkeit seinem Volke mit dem ärgsten Beispiel voran. Seine eigene Unsittlichkeit aber war für ihn Grund genug, Unsittlichkeit anderer Personen streng zu strafen. Namentlich beim Militär. Und er stellte in seinem Kriegsreglement einige dahin bezügliche interessante Paragraphen auf:
Kap. III, welches von Unzucht handelt
Art. 1. Eine öffentliche Dirne soll weder bei der Miliz, noch in der Garnison, weder auf Märschen noch in Feldlagern geduldet, sondern angegeben und sofort durch die Profosse hinweggejagt werden.
Art 2. Weil unzüchtige Reden eine große Veranlassung zur Unzucht geben, sollen dieselben, wie auch schandbare Lieder, bei großer Strafe verboten sein.
Art 3. Der Ehebruch soll nach den Rechten einer jeden Nation, von welcher der Beschuldigte ist, gestraft werden.
Art. 4. Die Notzüchtigung zieht unvermeidlich die Todesstrafe, nach sich.
Art. 5. Unnatürliche Unzucht mit einem Vieh, Unzucht zwischen Männern und Männern und Knabenschändung soll man mit Feuertod richten. —
Dass es dem Zaren aber auch nicht an Humor in der ernsten Sache fehlte, zeigt ein Vorfall, der im Jahre 1724 in Moskau viel Heiterkeit erregte.
Eines betagten vornehmen Russen junge und schöne Ehegattin lebte mit einem anderen in ungeziemender Vertraulichkeit. Diese aber wurde einst durch des Gatten unerwartete Dazwischenkunft so plötzlich zerstört, dass der Buhle in der Bestürzung statt seiner eigenen Beinkleider, in welchen sich eine goldene Repertieruhr, eine schwere Goldbörse und andere Kostbarkeiten befanden, die Hosen des Geprellten ergriff. Dieser fand die Beute, fasste aber die vernünftige Entschließung, der kostbaren Hose zu Liebe seinen Verdruss und Schimpf stillschweigend zu verbeißen. Nicht so zufrieden mit dem Tausch war der verliebte Flüchtling; ihm fiel der Verlust seiner Hose so empfindlich, dass er kurz darauf den Alten, da dieser aus der Kirche trat, in eine Ecke führte, ihm Hände und Füße küsste und ihn sowohl um Vergebung des Vergehens als um die Auslieferung der im Stiche gelassenen Hose ersuchte. Der weise Alte aber schalt den Bittenden einen Unsinnigen, der nicht wüsste, was er redete, rühmte die junge Frau, seine Gattin, als ein Muster der Tugend und ehelichen Treue, und liefe den Jüngling stehen. Dieser warf sich darauf zu des Kaisers Füßen, beichtete alles offenherzig und bat um gnädige Hilfe. Allein der Zar sprach dieses Urteil: „Einem Ehemanne gehört alles, was er auf seinem Ehebett findet".
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Romanows