Die Ritter-, Räuber- und Schauerromantik
Zur Geschichte der deutschen Unterhaltungs-Literatur
Autor: Appell, Johann Wilhelm (1829-1896) deutscher Schriftsteller und Literaturhistoriker, Erscheinungsjahr: 1859
Themenbereiche
Historischer Roman Mittelalter Thematisch Gemischtes Biographie Politik, Gesellschaft, Wirtschaft Kunst & Kultur
Enthaltene Themen: Literaturgeschichte, deutsche Unterhaltungsliteratur, Ritterromane, Räuberromane, Schauerromane, Geisterromane, Romantik, Gespenstergeschichten
Und wenn nun eure Kinder dichten,
Bewahre sie ein gut Geschick
Vor Ritter-, Räuber - und Gespenstergeschichten,
Goethe
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Bewahre sie ein gut Geschick
Vor Ritter-, Räuber - und Gespenstergeschichten,
Goethe
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Inhaltsverzeichnis
Allgemeine Andeutungen
Karl Gottlob Cramer
Cramers Hasper a Spada
Christian Heinrich Spieß
Christian August Vulpius und sein Rinaldo Rinaldini
Friedrich Christian Schlenkert, Johann Friedrich Ernst Albrecht und andere Romanschreiber (Gottlob Heinrich Heinse; Karl Grosse; Karl August Gottlieb Seidel; Friedrich Eberhard Rambach; Johann Jakob Brückner; Johann Ernst Daniel Bornschein; Ignatz Ferdinand Arnold; Johann Ernst Friedrich Wilhelm Müller; Heinrich Zschokke). — Gelegentliche Bemerkungen
Verlauf der Schauerromantik. — Eugène Sue. — Herr A. Bäuerle
Anmerkungen
Mit kühnen, treuen, frommen Rittern
Verdarb sich der Geschmack von unsern guten Müttern;
Mit feinerm Witz, empfindungsvollen Scherzen
Verdirbt man unsrer Töchter Herzen,
Diese Verslein schrieb der alte Abraham Gotthelf Kästner in Zieglers schwulst- und fabelreiche, von „honetten Gemütern“ einst begierig gelesene „Asiatische Banise, oder blutiges, doch mutiges Pegu“ (1688); sie beziehen sich, wie man sieht, auf die Moderomane, die in den sechziger und siebziger Jahren das Empfindsamkeitsfieber bei uns verschleppten, und sicherlich ist der Stoßseufzer des Epigrammatisten ein durchaus gerechter. Dazumal waren aber in der Tat noch unschuldige und magere Zeiten im Vergleich zu Dem, was später kommen sollte. Denn erst in den achtziger Jahren wucherte in den deutschen Gauen, gleich dem geilen Unkraut, eine Literatur empor, deren Ausbreitung und weite Verzweigung bald ins Entsetzliche ging. Das ist jene gemeinschädliche und geistestötende „schöne Literatur“, die blindlings dem groben Unterhaltungsgelüst des ungebildeten Haufens frönte; das sind die Träber, die das Volk verschlang, während unsere beiden großen Dichter, hoch über der dumpfen Menge stehend, den edlen Feuerwein ihrer Poesie darbrachten ...
Wir Deutschen dürfen von uns rühmen, dass wir niemals so frevelhafte, stark unzüchtige Bücher ans Tageslicht gefördert haben, als die Nachbarn überm Rhein, welche in dieser Art ohne Zweifel die umfangreichste und die scheußlichste Literatur besitzen. Die in Berlin, München, sowie anderwärts gedruckten schlüpfrigen Romane wurden meist nach dem Französischen bearbeitet, oder verhalten sich doch, sofern sie wirklich Originale sind, zu denjenigen aus dem „neuen Babylon“, wie simpler Fusel zu Aqua Toffana. Man denke nur an: Justine, ou les malheur de la vertu und: Juliette, ou le bonheur du vice, von dem wahnwitzigen Marquis de Sade, der auch im Bicêtre starb; an die Phantasiegeburten anderer französischen Herren aus der vorrevolutionären moschusduftenden „guten Gesellschaft“. Wie schwach erscheinen neben ihnen alle deutschen lasziven Geschichten! Das gallische Raffinement des Lasters ist dem weniger verfeinerten Deutschen Gottlob fremd geblieben, wenn auch freilich unsere ehemaligen Großen, die in der Pariser Schule gebildet wurden, seinen Gifthauch einsogen.
Dagegen müssen wir mit einiger Beschämung auf die Flut unserer gemeinen Unterhaltungsliteratur sehen. Welches andere Land, fragen wir, hat je eine solche Pfefferdütenliteratur gehabt, wie unsere Tagesbelletristik im letzten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts und in den ersten Dezennien des neunzehnten? An Masse wie an Rohheit und Erbärmlichkeit fanden diese schlechten deutschen Romane und Komödien nie und nirgends ihres Gleichen. Wir nennen uns so gern selbst das gebildetste Volk in Europa; wer uns jedoch nach der damaligen Lieblingsleserei des großen Publikums beurteilen wollte, der müsste die „Nation von Denkern und Dichtern“ beinahe für die geschmackloseste und zugleich schwachmütigste unter allen Nationen ansehen. Voll Unmut äußerte sich auch schon 1776, also vor dem Eintreten der großen Überschwemmung, der scharfsichtige Johann Heinrich Merck in Wielands Teutschem Merkur (Septemberheft S. 261): „Es ist wohl kein Land wie Teutschland, wo sich so elende Köpfe zum Beruf aufwerfen, das Publikum zu unterhalten.“ Gleicherweise schrieb Wieland im Jahre 1782 an Gleim, Raynal und Villoison wären in Weimar gewesen und hätten viel Aufhebens von dem blühenden Zustande der deutschen Literatur gemacht: „während dass es nie elender um uns ausgesehen hat, während unsere meisten Autoren nicht einmal ohne Sprachfehler zu schreiben wissen, unsere meisten Versemacher keine Idee von Versifikation haben, unsere schreibselige Jugend lauter Monstra ausheckt, und die Zeit vor der Tür ist, wo jedes kleine Provinzchen, Städtchen und Dörfchen in Deutschland seine eigene Sprache, Grammatik, Rechtschreibung, Prosodie, seinen eigenen Parnaß und seinen eigenen ausschließlichen Geschmack haben, im Ganzen aber kaum noch eine Spur von wahrer Literatur übrig sein wird.“ (Ausgewählte Briefe von Wieland an verschiedene Freunde x. III, 340 ff.) In Bezug auf das Publikum aber sagte A. W. Schlegel in der Jenaischen Literatur-Zeitung von 1797: „Der bloß sinnliche Romanenhunger muss gestillt werden, sei es durch welche Nahrung es wolle. Mit unüberwindlichem Abscheu gegen die zweite Lesung auch des geistreichsten Buches verbindet sich eine Genügsamkeit, die sich selbst das Platte, Abgeschmackte und Abenteuerliche gefallen lässt, wenn es nur neu scheint, und bei der es bloß armseliger Umkleidungen bedarf, um dem Verbrauchtesten das Lob der Neuheit zu gewinnen.“ (Sämtliche Werke XI, 26.)
Verdarb sich der Geschmack von unsern guten Müttern;
Mit feinerm Witz, empfindungsvollen Scherzen
Verdirbt man unsrer Töchter Herzen,
Diese Verslein schrieb der alte Abraham Gotthelf Kästner in Zieglers schwulst- und fabelreiche, von „honetten Gemütern“ einst begierig gelesene „Asiatische Banise, oder blutiges, doch mutiges Pegu“ (1688); sie beziehen sich, wie man sieht, auf die Moderomane, die in den sechziger und siebziger Jahren das Empfindsamkeitsfieber bei uns verschleppten, und sicherlich ist der Stoßseufzer des Epigrammatisten ein durchaus gerechter. Dazumal waren aber in der Tat noch unschuldige und magere Zeiten im Vergleich zu Dem, was später kommen sollte. Denn erst in den achtziger Jahren wucherte in den deutschen Gauen, gleich dem geilen Unkraut, eine Literatur empor, deren Ausbreitung und weite Verzweigung bald ins Entsetzliche ging. Das ist jene gemeinschädliche und geistestötende „schöne Literatur“, die blindlings dem groben Unterhaltungsgelüst des ungebildeten Haufens frönte; das sind die Träber, die das Volk verschlang, während unsere beiden großen Dichter, hoch über der dumpfen Menge stehend, den edlen Feuerwein ihrer Poesie darbrachten ...
Wir Deutschen dürfen von uns rühmen, dass wir niemals so frevelhafte, stark unzüchtige Bücher ans Tageslicht gefördert haben, als die Nachbarn überm Rhein, welche in dieser Art ohne Zweifel die umfangreichste und die scheußlichste Literatur besitzen. Die in Berlin, München, sowie anderwärts gedruckten schlüpfrigen Romane wurden meist nach dem Französischen bearbeitet, oder verhalten sich doch, sofern sie wirklich Originale sind, zu denjenigen aus dem „neuen Babylon“, wie simpler Fusel zu Aqua Toffana. Man denke nur an: Justine, ou les malheur de la vertu und: Juliette, ou le bonheur du vice, von dem wahnwitzigen Marquis de Sade, der auch im Bicêtre starb; an die Phantasiegeburten anderer französischen Herren aus der vorrevolutionären moschusduftenden „guten Gesellschaft“. Wie schwach erscheinen neben ihnen alle deutschen lasziven Geschichten! Das gallische Raffinement des Lasters ist dem weniger verfeinerten Deutschen Gottlob fremd geblieben, wenn auch freilich unsere ehemaligen Großen, die in der Pariser Schule gebildet wurden, seinen Gifthauch einsogen.
Dagegen müssen wir mit einiger Beschämung auf die Flut unserer gemeinen Unterhaltungsliteratur sehen. Welches andere Land, fragen wir, hat je eine solche Pfefferdütenliteratur gehabt, wie unsere Tagesbelletristik im letzten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts und in den ersten Dezennien des neunzehnten? An Masse wie an Rohheit und Erbärmlichkeit fanden diese schlechten deutschen Romane und Komödien nie und nirgends ihres Gleichen. Wir nennen uns so gern selbst das gebildetste Volk in Europa; wer uns jedoch nach der damaligen Lieblingsleserei des großen Publikums beurteilen wollte, der müsste die „Nation von Denkern und Dichtern“ beinahe für die geschmackloseste und zugleich schwachmütigste unter allen Nationen ansehen. Voll Unmut äußerte sich auch schon 1776, also vor dem Eintreten der großen Überschwemmung, der scharfsichtige Johann Heinrich Merck in Wielands Teutschem Merkur (Septemberheft S. 261): „Es ist wohl kein Land wie Teutschland, wo sich so elende Köpfe zum Beruf aufwerfen, das Publikum zu unterhalten.“ Gleicherweise schrieb Wieland im Jahre 1782 an Gleim, Raynal und Villoison wären in Weimar gewesen und hätten viel Aufhebens von dem blühenden Zustande der deutschen Literatur gemacht: „während dass es nie elender um uns ausgesehen hat, während unsere meisten Autoren nicht einmal ohne Sprachfehler zu schreiben wissen, unsere meisten Versemacher keine Idee von Versifikation haben, unsere schreibselige Jugend lauter Monstra ausheckt, und die Zeit vor der Tür ist, wo jedes kleine Provinzchen, Städtchen und Dörfchen in Deutschland seine eigene Sprache, Grammatik, Rechtschreibung, Prosodie, seinen eigenen Parnaß und seinen eigenen ausschließlichen Geschmack haben, im Ganzen aber kaum noch eine Spur von wahrer Literatur übrig sein wird.“ (Ausgewählte Briefe von Wieland an verschiedene Freunde x. III, 340 ff.) In Bezug auf das Publikum aber sagte A. W. Schlegel in der Jenaischen Literatur-Zeitung von 1797: „Der bloß sinnliche Romanenhunger muss gestillt werden, sei es durch welche Nahrung es wolle. Mit unüberwindlichem Abscheu gegen die zweite Lesung auch des geistreichsten Buches verbindet sich eine Genügsamkeit, die sich selbst das Platte, Abgeschmackte und Abenteuerliche gefallen lässt, wenn es nur neu scheint, und bei der es bloß armseliger Umkleidungen bedarf, um dem Verbrauchtesten das Lob der Neuheit zu gewinnen.“ (Sämtliche Werke XI, 26.)