Abschnitt 2

Zehntes Capitel


Hätte Herr Deckelschall nicht eine so sehr unleserliche Hand geschrieben, so würde er gewiß sich am liebsten als Copist fortgeholfen haben, weil er gehört hatte, daß Hans Rousseau mit Notenschreiben seinen Unterhalt erworben hätte; allein seine Buchstaben waren von der Art, daß man sie eben so wohl für arabisch, als für teutsch ansehn konnte. Da es nun mit dem Abschreiben nicht gehn wollte, beschloß er, Autor zu werden. Er schrieb einen Roman, und nachher eine Schmähschrift gegen einen Rezensenten, der diesen Roman ein elendes Product genannt hatte. Beyde Bücher fanden keinen Abgang, und er konnte keinen Verleger mehr finden. Madam besaß würklich einige nützliche Talente; sie verstand die Kunst, allerley seidene Zeuge zu färben und russische Talchlichter zu gießen; Aber das schien ihnen Beyden eine kleinliche, elende Art von Erwerb, und so entschlossen sie sich dann, ein Erziehungs-Institut anzulegen. Ein Menschenfreund, der, wie die mehrsten Menschenfreunde, kein guter Wirth war, lieh ihnen eine Summe Geldes; Dafür wurden Hausrath und Bücher angeschafft, in welchen das stand, was sie zu lehren versprachen; und damit gieng’s los – sie hatten in Monats Frist sechs junge Mädchen bey einander.


Die Operation hatte treflichen Fortgang; den Eltern wurden vierteljährlich angenehme Berichte eingeschickt, und die Eltern schickten vierteljährlich angenehme Louisd’ors – was wollte man mehr? Herr Deckelschall errichtete nebenher eine Lese-Gesellschaft und einen gelehrten Clubb, welchen alle Honoratiores in Goßlar besuchten, um dort eine Pfeife Tabac zu rauchen.

Margaretha Dornbusch kam als ein unerfahrnes, aber an Häuslichkeit, Fleiß und Sittsamkeit gewöhntes, hübsches, junges Mädchen in dies Haus. Dabey war ihr natürlich guter Verstand durch den Pastor Schottenius, wie wir gehört haben, ein bischen ausstaffirt worden, wenigstens in so weit, daß sie einigen Geschmack an Büchern und wissenschaftlichen Dingen fand; ja! wir dürfen nicht verschweigen, daß der Herr Pastor ihr Gellerts Schriften zu lesen gegeben, daß er dabey die Unvorsichtigkeit begangen hatte, ihr auch den Theil derselben zu schicken, in welchem die Geschichte der schwedischen Gräfinn stand, und daß dadurch in ihr die erste Lust zur Roman-Lectüre war erregt worden. Diese Lust nahm in Goßlar ansehnlich zu. Unter viel andern pädagogischen Gaben, welche dem Erzieher-Paare in Goßlar – fehlten, war auch die, ihre jungen Frauenzimmer in beständiger nützlicher Thätigkeit und einer heitern, ruhigen Gemüths-Stimmung zu erhalten. – Sie haben Recht Madam! ja, ich weiß es, das ist grade das einzige Haupt-Geheimniß in der weiblichen Erziehung. – Nun denn! dies einzige Haupt-Geheimniß besaßen sie nicht. Wir haben aber gehört, daß Herr Deckelschall sich eine Lese-Bibliothek angeschafft hatte – und was für eine Bibliothek? Romanen und Schauspiele, wie des Sandes am Meere, besonders Ritter-Geschichten und dergleichen. Dieser ganze Schatz von Literatur nun war den jungen Frauenzimmern preisgegeben und eben aus diesem Magazine sollten sie die in der Ankündigung versprochne Gabe, die besten classischen Schriften mit Geschmack, Gefühl und Nutzen zu lesen schöpfen.

Jungfer Margarethe gieng mit Riesenschritten auf dieser Bahn der Cultur fort, und schon begann ihr, die nur in der Ideenwelt sich herumtummelte, die Alltagswelt niedrig und ekelhaft zu werden, als ein Gegenstand in derselben sie wieder mit dem würklich lebenden Menschengeschlechte aussöhnte. Welcher Gegenstand das war, ist leicht zu errathen; es war kein andrer, als unser Freund, der Hauptmann Previllier. Dieser gute Mann stand als österreichschen Officier in Goßlar auf Werbung und war Mitglied des von dem Herrn Deckelschall gestifteten Gelehrten-Clubbs. Dies literarische Institut gab ihm zugleich Gelegenheit, genauere Bekanntschaft mit dem Pädagogen zu machen, welche sich denn bald auch auf die weiblichen Zöglinge ausdehnte. Er brachte manche Abend-Stunde in diesem Cirkel zu.

Der Capitain war kein solcher süßer Geck, der sich selbst und allen hübschen Mädchen weiß macht, er sey verliebt in sie; auch war er kein ausschweifender Jüngling, der, wie ein Wolf um die friedlichen Heerden herum geschlichen wäre, ein Schäfchen zu fangen, das sich sorglos von dem Haufen getrennt hätte; aber er war ein gefühlvoller, junger Mann; Margaretha Dornbusch gefiel ihm und wir verdenken es ihm gar nicht.

Indessen hatte der Herr Förster seit langer Zeit den Plan in seinem Kopfe herumgedreht, seine Nichte an den einzigen Erben des wohlhabenden Herrn Amtmanns Waumann zu verheyrathen. Sein Gretchen glücklich an den Mann gebracht zu sehn, das war Tag und Nacht sein einziger Wunsch. Die Haupt-Erfordernisse des Ehestandes waren bey ihm: eine gute Versorgung und ein gesunder Leib; Beydes hatte Musjö Valentin aufzuweisen. Von der nöthigen Seelen-Sympathie, die, wenigstens in den ersten vier Wochen, so viel Seligkeit in den Ehestand bringt, und von dem Einfluße des Mondenscheins auf dies Wonnegefühl, ließ der arme Mann sich gar nichts träumen. „Dat hab’ ich mir so ausgedacht“, sprach er zum Herrn Amtmann. „Meine Grete kriegt auch mal einen hübschen Thaler Geld, wenn ich und meine Frau sterben. Wenn aber der Herr Amtmann was anders mit Musche Valentin vorhaben, so soll mein Vorschlag niks gelten, und wir bleiben doch mans gute Freunde.“ Allein der Herr Amtmann fand den Vorschlag sehr annehmlich, und der Handel war unter den Eltern bald geschlossen.

Während dieser Verabredungen kam im Oster-Feste das junge Frauenzimmer zum Besuche nach Biesterberg. Jedermann fand sie verändert; Leib und Seele waren anders aufgestutzt; allein sie blieb noch immer das gute, unschuldige Mädchen; weiter als bis auf die Oberfläche hatte sich die Reform nicht erstreckt. Der Name Margaretha klang ihr zu grob; sie hatte sich Meta getauft – der Förster schüttelte den Kopf. Sie beklagte in Elegien alle Hühner und Tauben, die geschlachtet wurden, obgleich sie tapfer davon mitspeiste, wenn sie auf den Tisch kamen. Doch diese und ähnliche kleine Thorheiten abgerechnet, war sie, wie gesagt, gottlob! noch unverderbt, und Ehren Schottenius, dessen Gutmüthigkeit und christliche Liebe größer wie seine practische Menschenkenntniß waren, fand sogar: sie habe in Goßlar so etwas in ihrem Thun und Lassen angenommen, welches der angenehmen Gesichtsbildung, so der liebe Gott ihr gegeben, neue Annehmlichkeit verleyhe, wofür man dem Schöpfer nicht genug danken könne. An dem Herrn Deckelschall und seiner Gattin lag es indessen nicht, daß es mit Kopf und Herz nicht ärger aussah.

Während ihrer Abwesenheit von Goßlar erhielt der Hauptmann einen Brief von seinem ehemaligen Pflegevater aus Paris und darinn, doch nur mit kurzen Worten, die Nachricht, daß er so glücklich gewesen wäre, ihm zu dem Besitze eines ansehnlichen Vermögens zu verhelfen, und daß er ihn bald persönlich zu umarmen hoffte. Jetzt erst konnte Previllier ernstlich daran denken, sich eine Gehülfinn zu wählen; und er nahm sich vor, gleich nach Margarethens Zurückkunft, seinen förmlichen Antrag zu thun. Dies geschahe; das junge Mädchen fühlte in dem, was die Frauenzimmer ihr Herz zu nennen pflegen, und über dessen eigentlichen Sitz bey diesem Geschlechte die Weltweisen noch nicht ganz einig sind, Empfindungen, die dem wackern Officier das Wort redeten; und so sank sie denn schmachtend und schamhaft in seine Arme. – Auch diese Scene müßte sich, in Kupfer gestochen, vortreflich ausnehmen; Es ist unbegreiflich, daß mein Herr Verleger in der Verstocktheit seines Herzens dafür keinen Sinn hat; aber wir werden ihm kein Manuskript wieder geben, wenn er sich weigert, Bilderchen dazu verfertigen zu lassen. Und doch riskirt der Mann nichts bey unsern Schriften; Sie gehen reißend ab, weil sie lustig zu lesen sind, nicht viel Kopfbrechens kosten und nicht übermäßig lehrreich sind. – Er ist ein ruinirter Mann, wenn wir ihm unsre Protection entziehen.

Der Hauptmann erbat sich nun von seiner Schönen die Erlaubniß, auch bey dem Herrn Förster schriftlich die Bewerbung um ihre Hand anbringen zu dürfen, und sie wiedersetzte sich diesem Vorhaben um so weniger, da der Oheim ihr nie etwas von dem Plane, sie an den jungen Waumann zu verheyrathen, eröfnet hatte. Allein der Erfolg fiel ganz anders aus, als man erwartete; Der alte Dornbusch konnte sich mit dem Gedanken nicht gemein machen, seine schöne Hofnung auf die Verwandschaft mit dem Hause des Herrn Amtmanns aufzugeben, seine Nichte so weit von sich zu lassen und sie noch obendrein einem Kriegsmanne zu geben, der vielleicht heute oder morgen nach Croatien in Garnison, oder gar in’s Feld ziehn müßte. Es erfolgten daher auf wiederholte Bittschreiben, wiederholte abschlägige Antworten; bald nachher das Verboth, den Werbe-Officier gar nicht mehr zu sehn, und endlich der Befehl, sich bereit zu halten, in wenigen Tagen nach Biesterberg abgeholt zu werden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Reise nach Braunschweig