Abschnitt 1

Zehntes Capitel


Etwas von dem jungen Frauenzimmer. Sie entwischt.


Wir haben den Förster, in Gesellschaft des Pastors Ehren Schottenii, mit dem jungen Frauenzimmer eben so eilig aus Peina fortgeschafft, wie jetzt die beyden Herrn, welche ihnen nachreisen, ohne es zu Erläuterungen unter allen diesen Leuten kommen zu lassen. Damit nun unsre Geschichtschreiber-Schulden sich nicht gar zu sehr häufen und wir, wenn endlich alles sich zum Ziele neigt, nicht gar zu viel aus ältern Zeiten nachzuholen haben mögen, was der Leser noch nicht weiß, wollen wir, während diese fünf Personen auf der Reise sind, der Herr Amtmann aber und sein Erbe, im süßen Schlafe, der müden Natur balsamischen Labsale, sich erquicken, eine kleine Skizze von dem kurzen Lebenslaufe der Jungfer Margaretha Dornbusch entwerfen.

Sobald der Förster in Biesterberg das ihm von seinem Bruder anvertrauete kostbare Unterpfand in Besitz genommen hatte, beschloß er, das kleine Mädchen wie seine eigne Tochter zu behandeln. Er selbst hatte mit seiner ehrlichen Hausfrau keine Kinder erzeugt, aber ein ansehnliches Vermögen erheyrathet, so daß er an Margarethens Erziehung, wenn er und sie auch nicht mit den nöthigen pädagogischen Gaben ausgerüstet waren, doch genug verwenden konnten, um das Kind durch Andre zu einem feinen Frauenzimmer bilden zu lassen.

Der Förster war ein biedrer, aber freylich gänzlich uncultivirter Mann. Sein Handwerk verstand er aus dem Grunde, in der politischen, literarischen und galanten Welt hingegen war er ein Fremdling. Außer einigen Andachtsbüchern, in denen er Morgens und Abends seine bestimmte Seitenzahl gewissenhaft las, wie man das an den braunen Flecken unten auf dem Rande, wo der geleckte Finger beym Umwenden seinen Stempel hingedrückt hatte, sehn konnte, sodann außer einer alten Chronic, an welcher die vordersten Blätter fehlten und den Zeitungen, die ihm der Herr Amtmann mittheilte, hatte er sich nie mit Lesen abgegeben, und seit dem Frieden, da er seine jetzige Bedienung antrat, war er des Herumschweifens müde, liebte die Ruhe, kam nur äußerst selten in die benachbarten Städte, und war daher auf alle Weise in einer gewissen Art von Cultur sehr zurückgeblieben. Dagegen hatte er einige andre kleine, unbedeutende Tugenden, die in dieser Welt wenig gelten, und wobey auch in der That nichts herauskommt. So hielt er zum Beyspiel immer strenge und redlich Wort, theilte gern seinen Bissen mit dem Nothleidenden, ohne nur einmal zu ahnden, daß dies etwas anders, als gemeine Christenpflicht wäre und nahm sich jedes Gedrückten und Verlassenen an, wenn er dazu im Stande war, wie wir denn gesehn haben, daß er sich zu seinem großen Schaden, in die bayerischen Händel mischte, als Agnese Bernauer sich im Gedränge befand.

Die kleine Grete wuchs unter der mütterlichen Sorgfalt der Frau Försterinn auf, versprach einst ein hübsches, reizendes Frauenzimmer zu werden, und war der Augapfel ihrer Pflegeeltern; Ehren Schottenius aber machte sich’s zum Geschäfte, ihren Geist zu bilden, jedoch ohne die Bestimmung ihres Geschlechts und ihres künftigen Standes – denn zu einer braven Landfrau schien sie ihm einst ausersehn – aus den Augen zu verliehren. Neben dem Unterrichte in den Wahrheiten der christlichen Religion, in der Form des lutherischen Kirchen-Systems, lehrte er sie eine leserliche Hand und einen wohlgesetzten Brief schreiben, erklärte ihr ein wenig die Landcharte und das Firmamentswesen, die vier Species der Rechenkunst und die Bilderchen aus Raffs Naturgeschichte. So erreichte sie das vierzehnte Jahr, da sie dann, in einem neuen schwarzen seidenen Kleide, mit rothen Schleufen und einem großen Blumenstrauße, mit den übrigen Kindern aus dem Dorfe confirmirt wurde, wobey sämtliche Eltern Thränen vergossen.

In dieser Zeit erweckte der Erzvater der neumodischen Aufklärung, Satanas, der die ganze Welt verführt, den Geist eines pädagogischen Ehepaars, das sich kürzlich in Goßlar niedergelassen hatte, und nun durch die Posaune verschiedner Zeitungsschreiber allen Völkern verkündigen ließ:

Es haben Herr und Madam Deckelschall aus der Schweiz gebürthig, sich entschlossen, sowohl zum Besten der Menschheit überhaupt, als insbesondere zur Gemächlichkeit derjenigen Eltern, welche auf dem Lande wohnten und folglich nicht Gelegenheit hatten, ihren Kindern zu Hause denjenigen Grad der Bildung zu geben, welchen man jetzt in der feinern Welt fordert, in der Reichsstadt Goßlar am Harze eine Pensions-Anstalt für junge Frauenzimmer zu errichten. Daselbst geben sie für den sehr mäßigen Preis von *** jährlich, ihren Zöglingen Kost, Wohnung und Unterricht im Französischen und Italienischen, in der Music und allen andern, dem weiblichen Geschlechte nöthigen Wissenschaften, Kenntnissen, Künsten, Hand-Arbeiten, in feiner Lebensart und der Gabe, die besten classischen Schriftsteller mit Geschmack, Gefühl und Nutzen zu lesen.

Dem guten Förster Dornbusch gieng plötzlich ein Licht auf, als er diesen Artikel in der Zeitung las. Es hatte seine Richtigkeit, daß Gretchen von den hier verzeichneten schönen Sachen noch wenig oder gar nichts verstand; Da nun diese Kenntnisse, wie es doch offenbar gedruckt da zu lesen war, einem wohl erzognen Frauenzimmer unentbehrlich waren, Gretchen aber, es koste was es wolle, ein wohl erzognes Frauenzimmer werden sollte, entschloß er sich kurz und gut, seine Nichte nach Goßlar zu bringen; Ehren Schottenius äußerte einige Zweifel, meinete, man müsse sich wohl zuvor genauer nach diesen Leuten erkundigen; allein bey Menschen von des ehrlichen Dornbusch’ Cultur hat das, was gedruckt ist, ein großes Gewicht; Sein ganzer Glaube an erhabnere Wahrheiten beruhete auf keinem viel dauerhaftern Grunde; also blieb es bey dem Vorsatze und die Nichte wurde nach Goßlar gefahren.

Jetzt muß ich die Leser ein wenig genauer mit dem Herrn Deckelschall und seiner Frau Gemahlinn bekanntmachen. Er war auf Universitäten gewesen, mithin ein Gelehrter; Nur auf solche langweiligen Dinge, die man Brod-Wissenschaften nennt, hatte er nicht Lust gehabt sich zu legen, und da man ohne diese in der bürgerlichen Gesellschaft nicht fortkömmt; war er auf alle Einrichtungen in der jetzigen Welt und auf alle Staats-Verfassungen nicht wohl zu sprechen. Nach manchen vereitelten Versuchen, dennoch irgend ein Ämtchen zu erwischen (welches ihn denn ohne Zweifel mit den Regierungen versöhnt haben würde), beschloß er endlich, Hofmeister junger Herrn zu werden. Er brachte ein Paar Grafen-Söhne, die man ihm anvertrauete, so weit, daß der Eine, dem er, wie er es für Pflicht hielt, seinen Ekel gegen allen bürgerlichen Zwang und alle wissenschaftliche Pedanterey mitgetheilt hatte, durchaus keinem Fürsten dienen wollte, sondern, zum größten Kummer seines nicht so aufgeklärten Vaters, in seinem zwanzigsten Jahre als Musen-Almanachs-Dichter und Music-Liebhaber privatisirte; Der Andre aber, den er, um ihm den Adelstolz aus dem Kopfe zu bringen, überzeugt hatte, daß aller Unterschied der Stände eine Grille wäre, aus seiner Eltern Hause nebst dem Garderoben-Mädchen davonlief und auf einem großen transportablen National-Theater in den Rollen des Licentiaten Frank und des goldonischen Lügners den Schneidern und Schustern in Speyer, Worms und den benachbarten Städten ungemein gefiel.

In einem von diesen Häusern wurde Herr Deckelschall mit seiner jetzigen Ehefrau bekannt. – Sie war Gesellschafterinn und Vorleserinn der Frau Gräfinn. Ihre Herzen sympathisirten; Herr Deckelschall spielte ein wenig Clavier; sie sang ein wenig. – Was bedarf es mehr, um vereint mit einander glücklich zu leben? An baarem Vermögen fehlte es freylich Beyden; sie besaß jedoch fünfhundert Reichsthaler an Schaustücken und Harz-Gulden; Es ist himmelschreyend, daß man in dieser Welt durchaus Geld haben oder irgend eine nützliche Arbeit verstehn muß, um auszukommen. Indeß verläßt der Himmel zwey liebende Seelen nicht, die mit einander Duetten singen können, und in dieser Hofnung heyratheten sich unsre guten Leute. Nach der Hochzeit überlegte man dann, wovon man leben wollte und, da man sich sogleich auf nichts besinnen konnte, zog man vorerst zu gastfreyen Verwandten, nach Goßlar.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Reise nach Braunschweig