Vierzehntes Capitel

Auf der Mascarade in Braunschweig führt der Himmel die Seinigen wunderlich zusammen.


Wir haben die Gesellschaft in Steinbrüggen in dem Augenblicke verlassen, als der alte Dornbusch seinen Bruder, den Förster, nach einer so langjährigen Entfernung, wieder umarmte, die Freude der beyden Brüder aber sowohl, als die des Pastors Schottenius und des Hauptmanns Previllier durch die Flucht des lieben jungen Frauenzimmers sehr gemindert wurde. Ich habe mich bey Schilderung dieser Zusammenkunft nicht lange verweilt; in allen Romanen und Schauspielen können Sie dergleichen Wiederfindungs-Scenen beschrieben finden. Zudem konnte man sich nicht dabey aufhalten; es war keine Zeit zu verliehren, um, wo möglich, Margarethen wiederaufzufinden. Die offenstehende Hinterthür des Gartens, in welchem sie spatzieren gegangen war, ließ keinen Zweifel übrig, daß sie da hinaus entflohen wäre; unsre vier Reisenden liefen desfalls von dort aus nach verschiedenen Richtungen in das weite Feld hinein, blickten um sich her, so weit sie konnten, und fragten jeden Bauer, der ihnen auf diesen Wegen aufstieß, ob ihm kein Frauenzimmer begegnet wäre! Der Förster, als ein guter Waidmann, nahm noch andre Merkzeichen zu Hülfe; Er bemühete sich nämlich, die Fährte von den hohen weiblichen Absätzen aufzuspüren und dies gelang ihm. Sobald er auf der Spur war, pfiff er auf der Hand und versammelte dadurch seine Gesellschafter wieder um sich. Nun giengen Alle den Fußtritten nach und kamen dann an den vorhin beschriebenen Kreutzweg – aber fort war hier die Spur.


Indessen werden die Leser sich noch eines sichern Bettlers erinnern, der auf dem Reise-Koffer des Fräuleins von Brumbei Platz genommen. Er hatte sich die Erlaubniß dazu von dem Fuhrmanne durch Bitten und einem kleinen Rest Rauchtabac erkauft, zu welchem er, ich weiß nicht wie? gekommen war. Als aber durch Margaretha Dornbusch die Gesellschaft im Wagen und folglich die Last der drey magern Pferde vermehrt wurde, der Tabac auch schon längst verbraucht war, fühlte unser Kutscher nicht länger Beruf, den fremden Gast bey der Bagage zu dulden, sondern zwang ihn, abzusteigen. Der Bettler fand sich christlich in sein Schicksal; bevor er aber seinen Weg zu Fuß fortsetzte, lagerte er sich in das Gras hin, zog ein Stück schwarzes Brod und einen Käse aus seinem Sacke und hielt ofne Tafel, unter Gottes freyem Himmel. Vornehme Leute pflegen schnell zu essen, ohne Zweifel, weil sie mit ihren, dem Besten der Menschheit gewidmeten Stunden sparsam umgehen; – (Wir selbst, der Autor, haben uns gewöhnt, sehr geschwind zu speisen; vermuthlich aus Begierde, vornehm zu thun, welche Begierde uns der berühmte Professor Tölpelius Hoffmann kürzlich abgelauert hat; Man lese das dritte Stück seiner wohl geschriebnen Zeitschrift.) – Gemeine Menschen hingegen nehmen sich gewöhnlich alle Muße zu diesem Geschäfte – das ist ja auch der einzige Genuß, bey welchem es ihnen vergönnt ist, die schweren Mühseligkeiten ihres Lebens zu vergessen. Der Bettler speiste noch, als die vier Fremden an diesen Platz kamen; Sie fragten also auch ihn, ob er kein weibliches Geschöpf hier wahrgenommen hätte und erfuhren, daß Margaretha zu der alten Dame in die Kutsche gestiegen und mit ihr auf dem Wege nach Braunschweig fortgefahren wäre. Jetzt wurde Anstalt zum Nachsetzen gemacht; allein durch die Langsamkeit der Postknechte vergieng noch so viel Zeit, daß das Frauenzimmer-Fuhrwerk nun einen Vorsprung von wenigstens einer Stunde gewonnen hatte. Da es jedoch mit den drey Pferden gar nicht schnell gieng; so würden die vier Herren sie gewiß eingehohlt haben, hätte nicht, wie im vorigen Capitel ist erzählt worden, das alte Fräulein, von der Straße ab, den Weg nach dem Dorfe zu genommen, wo sie bey dem Pastor Reimers das Nachtlager bestellt hatte. Des Sonntags trifft man wenig Leute im Felde an; unsre Freunde konnten daher niemand finden, der ihnen über diesen Punct Aufklärung gegeben hätte; und als sie nun immer weiter fuhren und endlich ein Dorf erreichten, zeigte sich’s, daß niemand eine solche Stifts-Damen-Kutsche wollte gesehn haben.

Verschwunden konnte sie indessen nicht seyn; unsre Gesellschaft wußte, daß die Dame nach Braunschweig hatte reisen wollen: folglich schien es ihnen am zweckmäßigsten, diesen Weg zu verfolgen.

Ich erzähle den Lesern nichts von den Gesprächen, welche die Herrn unterwegens führten. Der alte Dornbusch war ein zu verständiger Mann, um, wenn eine Sache nicht mehr zu ändern war, hintennach lange darüber zu moralisiren; er machte also seinem Bruder um so weniger Vorwürfe über sein Betragen gegen Margarethen, da er die gute Absicht desselben, dem Mädchen einen reichen Mann zu geben, nicht miskennen konnte. Der Förster, von seiner Seite, war sehr zufrieden von der persönlichen Bekanntschaft des Hauptmanns, der Pastor aber konnte nicht ganz seine Neugier unterdrücken, etwas von den Familien-Umständen desselben zu erfahren, da denn der alte Dornbusch sich bewogen fand, die Haupt-Umstände aus den Papieren, welche ihm bey Führung des Processes in Paris zum Leitfaden gedient hatten, zu erzählen wie folget. –

Nein, meine hochgeehrtesten Leser! wir wollen es dabey bewenden lassen, die Episoden nehmen sonst kein Ende. Was kann Ihnen damit gedient seyn, genauere Nachricht von dem Geschlechte der Previlliers zu erhalten? Sind doch die Leute sämtlich tod, deren Schicksale wir da erzählen müßten – bleiben wir bey den Lebendigen! Die einbrechende Nacht bewog die Reisenden, in einem einzeln gelegenen Wirthshause zu übernachten; am andern Tage kamen sie in Braunschweig an.

Das erste Geschäft des Hauptmanns wurde nun, zu erforschen, ob die Frauenzimmer gestern oder heute in das Thor einpassirt wären; allein wie konnte, bey der Menge von Equipagen, die jetzt ein- und ausfuhren, der wachthabende Officier davon Rechenschaft geben? Es wurde also in allen Wirthshäusern Nachfrage angestellt; allein auch da war kein Trost zu holen. – Der Abend kam heran, ohne daß man etwas von Margarethen erfuhr.

Jetzt erst fiel es der Gesellschaft ein, daß der Amtmann Waumann nebst seinem Sohne vermuthlich noch in Braunschweig seyn müßte. Man wußte, daß er im goldnen Engel abgetreten war, gieng dahin, erfuhr, daß er im Prinzen Eugen gespeist hatte, suchte ihn auch da auf und erhielt die Nachricht: er sey zur Mascarade gegangen. Sprechen mußte man den Amtmann doch, um ihm von der veränderten Lage der Sache Nachricht zu geben; Es war zu vermuthen, daß er vielleicht erst gegen Morgen zu Hause kommen und dann gleich fortreisen würde; ein guter Genius gab daher dem Hauptmanne den Gedanken ein, einen Tabareau zu miethen, einen Augenblick auf den Ball zu gehn und Waumann, Vater und Sohn, dort aufzusuchen. – Der alte Dornbusch begleitete seinen Pflegesohn.

Hier war es nun, wo auf einmal, sehr unerwartet, Previllier seine Geliebte antraf und mit der Ausrufung: „Bey Gott! sie ist es“ in seine Arme schloß.

Eine Mascarade ist nicht der Ort zu zärtlichen Scenen von feinerer Art; Ohne daher sich die Zeit zu weitläuftigen Erläuterungen zu nehmen, ja! ohne einmal Margarethen zu sagen, daß der Mann, welchen sie an der Seite ihres Freundes erblickte, ihr Vater wäre, bat Previllier sie nur, sogleich mit ihm das Getümmel zu verlassen. Jungfer Susanna hatte sich weislich im Gedränge verlohren, sobald der Capitain seine Meta erkannt hatte; und schon war man im Begriff, aus dem Saale zu gehn, als, zur größten Verwundrung, unsrer Freunde, von einer Menge Stimmen laut die Worte erschallten: „Guten Abend, Herr Amtmann Waumann! Guten Abend!“ Wie dies zugieng, soll jetzt erzählt werden; ich bilde mir etwas darauf ein, daß keiner meiner hochgeehrtesten Leser es errathen kann.

Die beyden jungen schönen Geister, welche die Gesellschaft aus dem Prinzen Eugen verleitet hatten, die Mascarade zu besuchen, hofften christlich, diese Menschen sollten durch ihre alberne Verkleidung so viel Aufsehn erregen, daß sie preisgemacht würden; allein es fiel anders aus, – niemand bekümmerte sich um die geschmacklosen Masken. Um nun ihres Zwecks nicht zu verfehlen, nahmen sie zu andern losen Streichen ihre Zuflucht. Der Licentiat Bocksleder war so enge in seine Beelzebubs-Haut eingezwängt, daß er, bey dem Gedränge der großen Menge Leute, beynahe ohnmächtig wurde, ehe die Gesellschaft zweymal den Saal auf- und abspatziert war. Der Student schlug ihm daher vor, in ein Nebenzimmer zu gehn, wo Punsch geschenkt wurde; Er that es, seine Familie gieng mit ihm; der Student hatte sich mit einem Manna-Tränklein versehn, welches er ihm auf listige Weise mit dem Punsch eingab; Wir hoffen, es soll ihm nicht übel bekommen, finden aber für gut, ihn zu verlassen, ehe die Arzeney anfängt zu würken. Vermuthlich wird er, nicht mit den angenehmsten Empfindungen, nach Hause geschlichen und am folgenden Tage nach Schöppenstädt zurückgereist seyn. Musjö Valentin war bald des verabredeten Schleppträger-Amts müde; Er fieng also an, auf seine eigne Hand im Saale umherzuwandeln; Nun hatte denn der Dichter Klingelzieher den Herrn Amtmann allein an seiner Seite und um sich für die Langeweile bezahlt zu machen, welche ihm diese Gesellschaft verursachte, führte er ein Schelmenstück aus, worauf er sich vorbereitet hatte. Er heftete nämlich ein Blatt Papier an den Rücken seines Gefährten, worauf mit großen Buchstaben geschrieben stand: „Guten Abend, Herr Amtmann Waumann!“ Es war natürlich, daß Die, welche unmittelbar hinter ihnen standen und giengen, diese Worte laut herlasen. Anfangs nun, als der gute Amtmann seinen Namen nennen hörte, wunderte es ihn zwar, woher es käme, daß man ihn hier erkannte; doch glaubte er den guten Abend erwiedern zu müssen. Allein kaum drehte er sich um „einen schönen guten Abend!“ zurückzugeben; so erschallte nun von der andern Seite das: „Guten Abend, Herr Amtmann!“ Bald war ein großer Cirkel von Kindern und Spaßvögeln um ihn versammelt; Herr Klingelzieher hatte sich unsichtbar gemacht und in dem Augenblicke der größten Verlegenheit, worinn der Amtmann fortgetrieben von einem Haufen guten Abend wünschender Leute sich befand, kam er an den Platz, wo Margaretha, der Hauptmann Previllier und der alte Dornbusch standen. Sobald Diese sahen, worauf es ankam, näherten sie sich ihm, rissen ihm den Zettel ab, gaben sich zu erkennen und baten ihn, mit ihnen nach Hause zu fahren. Der junge Herr wurde aufgesucht; man verließ die Mascarade und begab sich in den hôtel d’Angleterre, wo sie den Pastor und den Förster antrafen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Reise nach Braunschweig