Abschnitt 2

Viertes Capitel


Der wichtige Mann: „Ob ich den Schuft kenne? Wie wollte ich nicht! Das ist ein reisender Flötenspieler; Ein lüderlicher Hund, der, als ich in herrschaftlichen Angelegenheiten in Wetzlar war, dort ein ehrliches Bürgers-Mädchen verführte und mit ihr durchgieng. Hernach ist er einmal Comödiant gewesen; jetzt steht er in Wien bey der Capelle eines Fürsten. Sie haben Recht gehabt, daß Sie ihm die Wahrheit gesagt haben, Herr Pastor! aber das muß man gestehn, der Kerl spielt, wie ein Engel. Solche Pfeifer und Geiger glauben, daß sie die wichtigsten Leute im Staate sind, und daß sie uns eine Gnade erzeigen, wenn sie uns die Thaler aus dem Beutel dudeln. Aber auf unser voriges Gespräch zurück zu kommen, Herr Amtmann! Sie schüttelten den Kopf, als ich von Vertheilung der Amts-Ländereyen sprach.–“


Der Amtmann: „Ich bekenne, daß ich nicht davor bin. Sie werden vielleicht glauben, mein hochgeehrtester Herr!, daß ich aus Eigennutz rede; aber das ist gewiß nicht der Fall. Sie belieben zu sagen, die Beamten würden reich bey den großen Pachtungen; allein das hängt davon ab, wie der Contract gemacht ist. Und wäre das auch! Was würde aus unsern Staaten werden, wenn es keine reiche Leute darinn gäbe? Wer sollte in Zeiten der Theurung und des Mangels den Armen Brod und Arbeit geben, ihnen Vorschüsse thun? Der Bauer sammelt nicht; Kommen nun Misjahre, so ist die Noth allgemein. Der wohlhabende Beamte hingegen ist in solchen Calamitäten der allgemeine Cassirer. Sie sagen, wenn die Ländereyen vertheilt würden, lebten mehrere Familien davon. Allein ziehen denn nicht von dem reichen Manne eben so viel Familien ihren Unterhalt? Dem Wucher der Capitalisten und der übermäßigen Bereicherung aber kann ja die Landes-Regierung Einhalt thun.“

Unser Herr Amtmann wollte seine cameralistische Abhandlung eben fortsetzen, als dem wichtigen Manne gemeldet wurde, daß der Wagen, in welchem er mit zwey von den stummen Personen abreisen sollte, fertig vor der Thür stünde. Er gieng also von dannen; und kaum hatte er die Thür hinter sich zugezogen, als der Virtuose in ein lautes Gelächter ausbrach: „Nun bey meiner Seele!“ rief er, „das nenn’ ich einen Windbeutel! Thut der Kerl nicht so dick, als wenn er ein Minister wäre! Aber wir kennen uns; Ich habe ihn gesehn, als er in Wetzlar, zur Zeit der Visitation, Bedienter bey den ***schen Gesandten war. Er hat mir und dem Cammerrichter manches Glas Wein eingeschenkt, wenn wir bey dem Gesandten speisten. Jetzt ist er Scribent bey der Cammer in ***.“

Den Herrn Amtmann reuete nun seine übergroße Höflichkeit und seine ländlichen Gefährten machten in der Stille ihre Bemerkungen über die Wahrheit des Satzes, daß in der großen Welt, in welcher sie so fremd waren, der Schein gewaltig betröge. Indessen war ein Gespann Pferde zurück gekommen; Man konnte also die Hälfte unsrer Freunde nach Braunschweig spediren. Es war nicht rathsam, länger zu warten, weil jeden Augenblick neue Fremde ankamen, welche die Pferde wegnahmen. „So will ich denn“, sprach Herr Waumann, „mit Valentin vorausfahren. Sobald ein anders Gespann kömmt, folgen Sie nach, und im goldnen Engel finden wir uns wieder.“

„Ich sehe“, sagte der Virtuose, „daß der Herr Amtmann einen Platz leer haben. Wollen Sie so gütig seyn, mich mitzunehmen; so gewinne ich Zeit; meine Equipage kann nachkommen. Ich wollte gern heute noch, ehe der Lerm losgeht, den Prinzen *** sprechen, der mich erwartet.“–

So etwas abzuschlagen, dazu hatte der Herr Amtmann keinen Muth; also nahm er den musicalischen Reisenden mit. „Mein Vetter, der Förster da oben bezahlt für mich“, sagte der Virtuose dem Küfer leise in das Ohr, als er hinunter kam, und damit stieg er schnell ein, und sie fuhren ab.

„Wir wollen“, sprach der Pastor, „dies Stück Kuchen mitnehmen; Es muß doch bezahlt werden. Aufwärter! hat er nicht ein Stück Papier?“ Der Aufwärter gieng hinaus, kam bald wieder und brachte einen halben Bogen, klein beschrieben. „Ach! was ist das?“, rief Ehren Schottenius, „das ist ja meine Hand. Wo hat Er das Papier gefunden? Ach, Du meine Güte! das ist meine schönste Predigt. Wie ist Er an dies Blatt gekommen?“

O Ihr unsichtbaren Mächte! Schutzgeister, Engel und Teufel, Heilige und Verdammte, Genien, Dämonen! oder wie Ihr heißen möget, die Ihr Eure Nasen in das Gewebe unsrer Schicksale steckt; sprechet, was haben die armen Reisenden aus Biesterberg verbrochen, daß Ihr ihnen so übel mitspielet? War es Euch nicht genug, daß der dienstfertige Förster Dornbusch für seine gute Absicht, Agnes Bernauer aus den groben Händen des Hausknechts zu erlösen, mancherley Streiche leiden mußte, daß der unschuldige Valentin Waumann, als ein Ehebrecher angeklagt, mit Todes-Gefahr bedroht wurde, und daß sein würdiger Erzeuger sich gezwungen sah, aus seinem Seckel seinen einzigen Leibes-Erben von dem zwiefachen Schimpfe loszukaufen. Muß nun noch die Unsterblichkeit, die sich Ehren Schottenius in der Schulbuchhandlung in Braunschweig schwarz auf weiß wollte geben lassen, ein Spiel loser Buben werden? Denn daß Du es nur wissest, geneigter Leser! folgendermaßen war es mit der unglücklichen Predigt zugegangen: Die schönen Beschreibungen und Kupferstiche, welche des berühmten Herrn Blanchards Wind-Reise vorstellten und wodurch die curiosen Liebhaber brodloser Künste herbeygelockt werden sollten, hatten die muntre Jugend in Peina bewogen, die Nachahmung der Luftbälle seit einiger Zeit zum Haupt-Gegenstande ihrer unschuldigen Spiele zu machen. Drey lustige Knaben, die ihr Wesen in dem Hofe des Herrn Postmeisters trieben, wiegten sich eine Zeitlang in der leer stehenden halben Kutsche des Pastors Ehren Schottenius. Ihre Neugier trieb sie endlich auch, in den Bock- und in den Sitzkasten hinein zu blicken. Da fanden sie dann in letzterm unglücklicherweise das Manuscript unsers armen Pastors; und weil sie keinen Begriff von der Wichtigkeit dieser Papiere hatten, erklärten sie das ganze Bündel für eine res nullius, nahmen einige Hefte davon, holten Scheere, Nadeln und Zwirn herbey, begannen, von den Wahrheiten des Christenthums wegzuschneiden, was nicht zu der Form eines Luftballs paßte, wie der Doctor Bahrdt von den Kirchensystemen wegschneidet, was ihm nicht rund genug ist, und fiengen dann an, die Stücke zusammen zu nähen, um die Nachahmung einer aerostatischen Maschine zu Stande zu bringen. Der Aufwärter, welcher Papier suchte, nahm den Knaben eines von den Blättern weg, brachte es dem Pastor, wie wir gehört haben, und in welche Klagelieder dann der ehrwürdige Herr bey dem Anblicke dieses Fragments ausbrach, das wollen wir aus Schonung gegen den geneigten Leser verschweigen. Unsre Erzählungen werden je zuweilen rührend seyn; aber erschüttern wollen wir nicht. Auch können wir Ihnen zum Troste sagen, daß der geistliche Herr noch früh genug in den Hof kam, um den größten Theil des Manuscripts zu retten. Es war eigentlich nur Eine Predigt ganz, und von einer andern die Nutz-Anwendung verlohren gegangen. – Ein erträglicher Schaden! Geht doch so manche Predigt ganz, und von den mehrsten die Anwendung verlohren! Da das zweyte Gespann Pferde noch immer nicht zurückgekommen war und Ehren Schottenius die beyden Seiten der Schluß-Vermahnung noch im Kopfe hatte; ließ er sich geschwind einen Bogen reines Papier geben, schrieb sie wieder auf, und hatte doch nun sechs und funfzig Predigten vollständig. – Was in der sieben und funfzigsten gestanden hatte, war freylich im eigentlichsten Sinne, in den Wind geredet.

Wir lassen den geistlichen Herrn schreiben und begleiten unsern Amtmann auf seiner Reise nach Braunschweig.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Reise nach Braunschweig