Abschnitt 1

Viertes Capitel


Begebenheiten in Peina; Tisch-Gespräche; Kuchen, in des Pastors Unsterblichkeit gehüllt; Die Gesellschaft trennt sich.


Wir sehen es denen Damen und Herrn an, welche dieses unser, wie wir uns schmeicheln, sehr unterhaltende Werk lesen, daß sie, bey der Überschrift dieses Capitels, über die Tisch-Gespräche die Köpfe schütteln. Sie mögten die Reisenden nun gern sogleich weiter fortgeschafft wissen, in der Hofnung, daß es da wieder allerley lustige Abentheuer absetzen würde; die Gespräche hingegen werden ihnen, wie sie fürchten, Langeweile machen. Allein Sie irren Sich gewaltig, wenn Sie glauben, daß wir, der Autor, uns darum bekümmern werden. Das müßte doch wahrlich mit andern Dingen zugehn, wenn man uns vorschreiben dürfte, auf welche Weise wir unsre Geschichte erzählen sollten, und wenn es uns verwehrt seyn dürfte, auch einmal unsre Personen mit einander über Gegenstände raisonniren zu lassen, über welche wir unsre Meinung zu sagen einen Trieb fühlen. Ist doch das die einzige schickliche Gelegenheit, die wir in diesem Buche finden können, unsre philosophischen und andern wissenschaftlichen Kenntnisse, die, ohne uns zu rühmen, nicht zu verachten sind, auszukramen!

Diesmal aber ist der Autor sehr unschuldig daran, daß seine Reisende sich so lange in Peina aufhalten. Der Zufluß von Fremden, die aus allen Gegenden zu der blanchardschen Hannswursterey nach Braunschweig reisten, war so unbeschreiblich groß, daß nicht jedermann sogleich Postpferde erhalten konnte. Unsre Freunde aus Biesterberg waren unter der Anzahl Derer, die sich mußten vertrösten lassen, bis ein Paar Gespanne zurückgekommen seyn würden – Bey solchen Gelegenheiten pflegen denn auch vornehme Herrschaften schneller bedient zu werden, obgleich sie gewöhnlich nicht besser bezahlen, wie Andre – Sie konnten noch von Glücke sagen; Ein Holländer, der viel Meilen Weges deswegen gereist war, mußte sich gefallen lassen, statt des Herrn Blanchards Bekanntschaft, mit der des Herrn Postmeisters in Peina vorlieb zu nehmen; ihnen hingegen versprach man doch, sie zur rechten Zeit nach Braunschweig zu liefern. Und da sie nun einmal ein Paar Stunden in Peina aushalten müssen und sie da in einer großen Gesellschaft von andern Reisenden an der Mittags-Tafel sitzen, muß ich doch entweder erzählen, was sie gegessen, oder was sie gesprochen haben. Das Erste würde sehr kurz zusammen zu fassen seyn, wie Jeder weiß, der einmal im Posthause in Peina getafelt hat; folglich, es hilft nichts davor, werde ich nicht umhinkönnen, mit den Tisch-Gesprächen aufzuwarten.

Des Herrn Amtmanns respectabler Bauch und sein mit Gold eingefaßter blauer Rock hatten ihm, vermöge einer stillschweigenden Convention, den obersten Platz am Tische verschafft; Musjö Valentin ließ sich gleich neben ihm nieder, band die Serviette um den Hals und grinzte freundlich in die Suppen-Schale. Dem Vater zur andern Seite saß, in sehr zierlicher Reise-Kleidung, ein Mann mit einer Protections-Mine, den unsre Freunde so obenhin für einen Regierungs-, Hof- oder Cammerrath hielten. Hier neben nahm der Förster Platz; dann der Pastor. Mit cavaliersmäßigem, leichten Anstande warf sich dann ein junger Herr auf den nächsten Stuhl, trillerte, mezza voce, das Fragment eines kleinen Liedes, und rümpfte die Nase über die, wie es schien, ihm zu gemeine Kost. Der Rest der Gesellschaft bestand aus unbedeutenden Personen, die kein Wort redeten, als wenn sie Wein forderten und sich durch nichts, als ihren vortreflichen Apetit bemerklich machten.

Der Amtmann: „Nach Ihnen, mein hochgeehrtester Herr!“

Der wichtige Mann: „Ohne Umstände! Ich bin nicht für Complimente. Apropos! wie fällt in ihren Gegenden die Erndte aus? Sie haben wohl selbst Landhaushalt?“

Der Amtmann: „Ich habe die Ehre als Amtmann in Seiner **** Diensten zu stehn und habe eine große Pachtung. Ey nun! mit der diesjährigen Erndte ist es–“

Der wichtige Mann: „Große Pachtung? Das höre ich immer ungern. Freylich werdet Ihr Herren reich dabey – lauter kleine Fürsten! Aber das Land, das Land!“

Der junge Herr: (zu dem Pastor) „Wie heißt der beste, große Gasthof in Braunschweig?“

Pastor: „Excusiren Sie! Ich kann nicht dienen. Es ist das erstemal, daß ich mit den–“

Förster: „Ich logiere mant immer im goldnen Engel; Da ist gute Wartung für Menschen und Vieh.“

Einer von den Andern: „Meine Herrn! ich nehme mir die Ehre, auf gutes Wohlseyn!“

Alle: „Danke ergebenst! Obligirt! Gleichfalls!“

Der wichtige Mann: „Bey unserm Collegio sind wir jetzt darüber aus, die Ämter zu vereinzeln und die Ländereyen an Bauern auszuthun. Wir sehen den Nutzen davon ein; Wir wollen den Profit mehrern Familien gönnen; Wir haben darüber jetzt gewisse Grundsätze angenommen, wobey unser Land besser fahren wird.“

Der junge Herr: „Mich soll wundern, wie man mich in Braunschweig behandeln wird; Ich finde viel Bekannte da – Und ob ich den Herzog verändert finde – Der Kaiser wird es kaum glauben, wenn ich ihm bey meiner Rückkunft sage, wie weit man noch in Hannover zurück ist. (Unsere Freunde machten große Augen) Sind Sie ein Liebhaber von Music, Herr Pastor?“

Pastor: „Ich habe ehemals ein wenig Harfe gespielt und gesungen; aber die Amtsgeschäfte lassen mir jetzt wenig Muße zum bloßen Zeitvertreibe übrig.“

Der junge Herr: „Zeitvertreib? Ich bitte Sie! Kann etwas edler seyn, als die Tonkunst? Was würkt mehr auf Herz und Empfindungen? Kann ein Mensch ein gutes Gemüth haben und kein Freund von Music, und kann ein großer Musiker wohl je ein Bösewicht seyn? An dem Vortrage eines einzigen Adagio will ich hören, ob ein Virtuose edler Gefühle fähig ist oder nicht.“

Pastor: „Erlauben Sie, mein Herr! Ich habe das ehemals auch wohl gedacht, habe mich aber nachher überzeugt, daß das alles nur ein Werk mechanischer Übung ist. Weich macht die Music, das ist gewiß; aber nicht jede sanfte, wollüstige Empfindung ist darum Empfindung edler Art. Die Music hat keine bestimmte Sprache; sie regt luxuriöse Gefühle auf, ohne ihnen eine geordnete Richtung zu geben. Das Herz wird dadurch empfänglich, hier zum Wohlwollen, zur Freundschaft, dort zur Sinnlichkeit und zu grober Wollust. Die Menschen sind sehr geneigt, verschiedne Begriffe zu verwechseln, die man mit denselben Worten ausdrückt. Wir sagen von einem sanguinischen Weichlinge, der über Roman-Helden Thränen vergießt: er habe Gefühl, und dasselbe sagen wir von dem Manne, dessen Herz sich für große Gegenstände warm und thätig interessirt; allein vergessen wir nicht, daß jener darum doch ein Erz-Schurke seyn könne; der wahrhaftig tugendhafte, zu erhabnen Thaten und großmüthigen Aufopferungen fähige Mann hingegen sich durch die Gewalt seiner Vernunft über die Leidenschaften auszeichnen müsse. Kurz! die Tugend besteht nicht in dunkeln Gefühlen, wie ich dies in einer Predigt, die bald im Drucke erscheinen wird, weitläuftig auseinander gesetzt habe. Was ich eben behauptete, wird ja auch durch die Erfahrung bestättigt. Findet man nicht die verworrensten, schlechtesten Leute und die kaum Menschensinn haben unter den geschicktesten Virtuosen?“

(Hier stand der junge Herr einen Augenblick auf und gieng hinaus)

Der Amtmann: (zu dem wichtigen Manne) „Um Vergebung! kennen Dieselben den Herrn, der da von Music sprach und der, wie es scheint, mit fürstlichen Personen in genauen Verhältnissen stehn muß?“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Reise nach Braunschweig