Abschnitt 2

Siebentes Capitel


Gelehrter: „O ja! so eine italienische Oper ist, wenn man die gesunde Menschen-Vernunft nur zu Hause läßt, gar unterhaltend zu sehn. Wenn da die Capaunen auf Triumphwägen von Papp sitzen, in Reifröcken und seidenen Strümpfen aus der Schlacht kommen, mit ihren Stimmen durch die Nase, im schneidensten Discant Reden voll Heldenmuth an die verkleideten Mousquetiers absingen, welche das römische oder griechische Heer vorstellen; Wenn die Opferpriester in Stiefeletten und Kleb-Locken Processionen anstellen, wobey sie Tritt halten wie auf der Parade, Mützen von Silberpapier auf den Köpfen und mit Goldschaum beschmierte hölzerne Opfer-Gefäße in den Händen tragen; Wenn Schlachten geliefert werden, in welchen jeder nur auf sein eigenes Schild hauet und Mauern niedergerissen, die von Papier gemacht sind; Wenn der Drachen-Wagen, in dem Medea fährt, mit schwarzen Stricken am Himmel festgebunden ist und Apollo, wenn er auf dem bretternen Parnasse sitzt, mit seiner Flachs-Perücke den Staub von den gemalten Wolken abfegt – Ja! es ist wahr; das ist groß, herrlich, rührend. – Pfui! schämen sollten wir uns, daß wir ein ernsthaftes Volk an den Anblick solcher kindischen Vorstellungen gewöhnen!“


Amtmann: „Ey, ey! man kann doch aber nicht auf dem Theater alles so –“

Gelehrter: „Was man nicht mit einiger Täuschung darstellen kann, das muß man lieber gar nicht, als auf so alberne Weise, darstellen. In einem Fingerhute kann man nicht baden und auf unsern armseligen kleinen Theatern kann man keine Schlachten liefern. Sie haben vermuthlich meine neue Abhandlung über die ernsthafte Oper gelesen?“

Amtmann: „Um Vergebung! darf ich fragen, mit wem ich die Ehre habe –“

Gelehrter: „Ich bin der Dichter Klingelzieher; Nun werden Sie schon wissen, wo Sie zu Hause sind. Nicht wahr, das dachten Sie nicht, daß der Mann jetzt an Ihrer Seite säße, der Ihnen vielleicht zuweilen mit seinen Liedern eine genußvolle Stunde gemacht hat? Es weiß auch noch niemand in Braunschweig, daß ich hier bin; ich bin eigentlich gekommen, um einmal mit den hiesigen Gelehrten eine Zusammenkunft zu halten.“

Amtmann: – „Ich bin in der That sehr erfreuet, die Ehre zu haben – obgleich ich gestehn muß, daß ich bis jetzt noch nichts von dem, was aus Dero Feder geflossen –“

Gelehrter: (verächtlich) „Der Herr Amtmann lesen wohl nicht viel?“

Amtmann: „O! zu dienen, ja. Freylich im Fache der Belletters, da ist es nun so etwas. Köhlers Gedichte habe ich indessen noch kürzlich wieder gelesen und neulich fiel mir auch ein kleiner Tractat in die Hände, betitelt: Die Leiden des jungen Herrn Werther.“

Licentiat: „Bruder Amtmann! die Scharteke kenne ich; das ist nichts für uns. Aber apropos! Ich muß Dir doch meines ältesten Sohns dissertationem inauguralem, de feudis oblatis schicken. Sie ist sehr gründlich abgefaßt. Er hat darinn hauptsächlich –“

Student: – „o weh!“

Landchirurgus: „Es ist in der That erstaunlich, was für eine Menge von neuen Entdeckungen jetzt in allen Theilen der Wissenschaften gemacht werden, besonders aber in der Natur-Geschichte, Chemie, Wundarzneykunst und überhaupt im medicinischen Fache. So hat man zum Beyspiel jetzt gefunden, daß zwar die gewöhnliche China-Rinde in periodischen Gesichtsschmerzen, Durchfällen, Fiebern, Brand, Lungensucht und so ferner, herrliche Dienste leistet, daß aber die rothe Rinde der röhrichten weit vorzuziehn ist und noch überdies sichrer und ohne Leibschmerzen würkt. Die Hirnwuth hielt man für unheilbar; Ich selbst habe an einem gewissen unglücklichen Professor Hoffmann in Wien vergebens alle Mittel angewendet; es schlug nichts bey ihm an. Nur kürzlich erst hat man –“

So weit war der Landchirurgus in seiner medicinischen Abhandlung gekommen, als plötzlich von allen Seiten her ein Geschrey erscholl: „Se heft en wedder! – Sie haben ihn wieder! Sie haben ihn wieder!“ Die ganze Gesellschaft stürzte nun aus dem Hinterzimmer heraus – „Wen haben sie wieder“, fragte jeder, „Wen?“ – „I! den Musche Blanchard; Se heft en wedder.“

O! daß ich berufen bin, in diesem Büchlein, das nur guten Humor erwecken und die Gemüther der Leser erheitern sollte, hier das Bild getäuschter Hofnungen aufzustellen! Aber das Schicksal, das sich gegen die Helden meiner Geschichte verschworen zu haben scheint, – (Im Vorbeygehen zu sagen! dies Werk hat das ganz Eigne, daß nicht etwa nur eine einzelne Person der Gegenstand ist, auf den sich das Interesse zusammendrängt, sondern daß die Schicksale der ganzen Gesellschaft aus Biesterberg, wie wir sie im ersten Capitel auftreten ließen, das Thema sind, welches wir in demselben durchführen. – Ein Plan, dessen, wie wir hoffen, auch diejenigen Kunstrichter, welchen wir die Rezension nicht selbst einschicken, mit gebührendem Lobe gedenken werden) – das Schicksal will es also und ich muß meinen Beruf erfüllen.

So manche Meile war der Amtmann mit seinen Gefährten gereist, um den berühmten Blanchard aufsteigen zu sehen; So manche Wiederwärtigkeit hatte er von dem Augenblick an, da er auf dem Amtshofe einstieg, bis zu dem Momente, wo er nun die Nachricht erwartete, daß der Luftball gefüllt wäre, überwunden; Seinen hofnungsvollen Erben glaubte er der besten Aufsicht übergeben zu haben, glaubte, er stünde jetzt mit ofnem Munde unter dem Haufen der Gaffenden; und ach! er saß in diesem Augenblick – eingekerkert – und wo? Das ahndete sein treues Vaterherz nicht. Noch ruhiger war er über sein eignes Schicksal. Voll Erwartung stürzte er zum Hause hinaus und hoffte nun den Luftwagen über seinen Scheitel daherfahren zu sehn, und – Herr Blanchard war schon vor einer Stunde aufgestiegen; Sie hatten ihn wieder; er hatte sich fern von der Stadt niedergelassen. Die Nachricht, die unsern Freunden der dicke lackirte Mann gegeben hatte, war falsch gewesen. Schon als sie in das Hinterzimmer traten, war der Franzose mit seiner Füllung fertig gewesen und fuhr ab. – Unbegreiflich, daß der Herr Amtmann den Lerm des Volks und die Canonenschüsse nicht gehört hatte! Aber da machte er bey seinem Eintritte der Gesellschaft so viele Kratzfüße; darüber war der Moment vergangen. Nachher herrschte eine große Stille, denn jedermann verfolgte den Ball mit seinen Augen. Viele liefen der Gegend zu, wo sie glaubten, daß er sich niederlassen würde, bis endlich, als die Nachricht erscholl, daß er nun würklich gelandet sey, ein neuer Lerm und der Ausruf: „Se heft en wedder!“ unsern Beamten aus seiner Ruhe weckte – aber da war’s zu spät.

Vergebens würde ich es versuchen, die verschiednen Ausbrüche des Mismuths und der Verzweiflung zu schildern, denen einige Personen, welche in dem unglücklichen Hinterzimmer das schönste aller Schauspiele versäumt hatten, sich überließen. Andre zogen sich den Unfall weniger zu Herzen. Der Dichter Klingelzieher lachte aus vollem Halse – er hatte nun Stoff zu einem neuen Epigramme. Die Licentiatinn schimpfte auf ihren Mann los (die einzige Art, wie sie sich über jeden Unfall des Lebens zu trösten pflegte!) „Nun es hat nicht seyn sollen“, sprach der Amtmann mit trauriger Mine, „Mir ist es nur lieb, daß mein Valentin und die andern Beyden, die doch auch indeß von Peina werden angekommen seyn, diese Merkwürdigkeit in Augenschein genommen haben, um davon zu Hause erzählen zu können.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Reise nach Braunschweig