Abschnitt 2

Neuntes Capitel


Sobald ich ihm meine Geschichte erzählt hatte, war auch sein Plan gemacht. „Den Jungen nehme ich mit mir“, sprach er, „das ist ein feiner Knabe, den wir schon durch die Welt bringen wollen. Mein Freund, der Obrist von*** in **schen Diensten, schlägt mir’s nicht ab, wenn ich ihn bitte, daß er ihn als Fahnenjunker bey seinem Regimente ansetze. Das er unter guter Aufsicht sey, dafür soll gesorgt werden, und wenn er einmal Officier wird, wollen wir auch schon zu der Equipage und dem Zuschusse Rath schaffen. Ihnen aber, mein Freund! kann ich grade jetzt zu einer Stelle auf einem Schiffe, daß nach dem Cap und von da nach Indien geht, verhelfen. Die Stelle wird Anfangs klein seyn, aber ich gebe Ihnen gute Addressen mit, und Sie können, wenn Sie, wie ich nicht zweifle, der Instruction folgen, die ich Ihnen aufschreiben werde, es dort bald zu etwas Höherm bringen.“


Mich von Dir zu trennen, mein Lieber! das kam mir freylich hart an; allein, wenn ich dann wieder überlegte, wie wenig ich für Dich thun konnte, der ich arm und verlassen war, wie viel Du bey dem Tausche gewannst, und welchen sichern Händen ich Dich anvertrauete, so tröstete mich das, und was meine Person betraf, so war mir jeder Winkel des Erdbodens, wo ich Brod fände, gleich willkommen.

Ich legte nun die mir von Deiner Mutter anvertraueten Schriften versiegelt in die Hände unsers großmüthigen Wohlthäters nieder, da ich noch kein Mittel vor mir sah, Gebrauch davon zu machen. Der redliche Consul reiste mit Dir ab, und ich, nachdem ich meine geringen Habseligkeiten verkauft hatte, blieb grade nur noch so lange, bis er mir meine Empfehlungsschreiben und einen Vorschuß von Reisegeld geschickt hatte, da ich dann nach Holland abgieng.

Der Gedanke, daß ich meine einzige Tochter nun vielleicht nie wiedersehn sollte, machte mir den Abschied von meinem Vaterlande schwerer, als ich bey dem ersten Vorschlage meines Freundes geglaubt hatte; Wenigstens wollte ich aber dem Kinde in der Folge die Unannehmlichkeit, für das Schicksal seines Vaters besorgt zu seyn, und den Schmerz über eine so weite Entfernung von ihm, ersparen. Desfalls bat ich meinen Bruder, als ich ihm meinen Entschluß, nach Indien zu gehn, meldete, er mögte niemand hiervon etwas entdecken, sondern jedermann und selbst meiner kleinen Margaretha sagen, ich sey gestorben. „Wenn mich“, sprach ich zu mir selber, „die Vorsehung einst glücklich wieder aus jenem Welttheile zurückführt; wird die freudige Überraschung meiner Tochter, Den wieder zu sehn, der ihr das Leben gegeben hat, um desto größer seyn.“ Und diesen frohen Augenblick hoffe ich nun bald zu erleben.

Meine Reise nach Holland und von da nach Indien gieng so glücklich als möglich von Statten, und die Empfehlungen meines redlichen Beschützers waren dort von solchem Gewichte, daß ich sogleich, als Aufseher über zwey Waaren-Lager, in Thätigkeit gesetzt und versorgt wurde. Meine Lage war also über Erwartung angenehm; das Clima hatte den wohlthätigsten Einfluß auf meine Gesundheit; die Nachrichten, die ich durch den Consul von Deinem Schicksale erhielt, obgleich nur in allgemeinen Ausdrücken abgefaßt, waren sehr erfreulich; auch mein Bruder meldete mir, daß die kleine Margaretha ein gesundes, hübsches und gutes Mädchen sey – und so war ich dann zufrieden, heiter, und dankte dem gütigen Schöpfer in meinem Herzen.

Auf diese Weise verfloß mir eine lange Reyhe von Jahren, ohne die geringste Wiederwärtigkeit. Unter den Kaufleuten, deren Geschäfte ich zu besorgen hatte, war vorzüglich Einer mir sehr gewogen, und vertrauete mir die wichtigsten Dinge an, nachdem ich mir bald eine Fertigkeit in dem Mechanischen dieser Arbeiten und die nöthigen Sprach-Kenntnisse erworben hatte. Endlich, als dieser gute Mann anfieng schwächlich zu werden, rief er mich einmal zu sich, und sagte mir ungefehr folgendes: „Sie haben mir bis jetzt so redlich und eifrig gedient, daß ich nicht ruhig würde sterben können, wenn ich nicht vorher Ihre Treue auf eine Weise belohnt hätte, die dem großen Vermögen angemessen ist, das mir Gott gegeben und das er unter Ihren Händen hat gedeyen lassen. Nun könnte ich Ihnen hier wohl zu einer reichen Frau verhelfen, oder Sie sonst ansässig machen; allein ich meine bemerkt zu haben, daß Sie nicht geneigt sind, Sich wieder zu verheyrathen, und daß Sie Sich überhaupt nach Ihrem Vaterlande zurücksehnen. Diesen Wunsch zu befriedigen, dazu fordern mich Dankbarkeit und Freundschaft auf. Ungern trenne ich mich von Ihnen – Doch, meine irdische Laufbahn wird nun wohl bald vollendet seyn. Und wäre das auch nicht, so würde ich mir’s doch zum Verbrechen machen, wenn mir mein Privat-Vortheil näher am Herzen läge, als Ihre Glückseligkeit. Nehmen Sie daher diese Summe als ein freundschaftliches Geschenk an! Ich kann sie entbehren; sie ist mir eine Kleinigkeit, und Sie können in Teutschland damit viel ausrichten. Reisen Sie sobald dahin ab, als Sie es gut finden, nehmen meine besten Wünsche mit, und gedenken zuweilen eines Mannes, dem Sie, außer den öconomischen Dienstleistungen, auch noch durch ihre Bekanntschaft den Vortheil gewährt haben, daß er nun eine bessere Meinung von dem Menschengeschlechte mit aus dieser Welt nimt, wie die war, welche ihm bis jetzt so manche traurige Erfahrungen eingeflößt hatten.“

Ich erstarrte fast vor Überraschung, als ich die Papiere auseinanderschlug, die er mir eingehändigt hatte, und nun fand, daß es Banco-Noten, zwanzigtausend Ducaten an Werth, waren. Meine Empfindungen der Dankbarkeit konnte ich nur unvollkommen ausdrücken; Der edle Greis verstand aber auch meine stumme Sprache, und fühlte sich vielleicht so glücklich, wie ich mich.

Vor zwey Jahren nun ließ ich mich nach Holland einschiffen. Mit dem Briefe, den ich Dir damals schrieb, und in welchem ich Dir die Freude, Dich wieder zu sehn, zu erkennen gab, ließ ich zugleich einen andern an unsern Consul, den ersten Schöpfer meines Glücks, abgehn. Ich gab ihm von allem Nachricht und bat ihn, mir sogleich das Paquet, welches Deine Forderungen in Frankreich betraf, nach Amsterdam zu schicken. Nur meinem Bruder meldete ich weder die Veränderung meiner Umstände, noch meine Rückkehr nach Europa; Ich wollte ihn auf angenehme Weise überraschen, und das ist auch noch mein Vorsatz.

Sobald ich in Amsterdam in dem Besitze Deiner Documente war, las ich alles sorgfältig durch, was Dein Vater aufgezeichnet hatte, und besann mich dann nicht lange, sondern reiste sogleich nach Paris. Ich will Dich nicht mit dem weitläuftigen Berichte von den Schwierigkeiten aufhalten, die ich dort fand, Deine gegründete Forderung in’s Reine zu bringen; aus den Acten selbst wirst Du das sehn. – Genug! daß mich der Himmel das Glück hat erleben lassen, Dir ein Vermögen von wenigstens fünfzehntausend Livres jährlicher Renten in Sicherheit zu bringen. Jetzt habe ich weiter keinen Wunsch mehr in dieser Welt, als den, an meiner Tochter so viel Freude zu erleben, wie mir die vortheilhaften Zeugnisse meines Bruders von ihr zu versprechen scheinen, und sie dann glücklich verheyrathet zu sehn. Ich eile nach Biesterberg, um dort diese mir so theuren Menschen zu umarmen.–

Wie? nach Biesterberg? Herr Autor? Ey! nun ja, mein hochgeehrtester Leser! stellen Sie Sich doch nicht so überrascht, gleich als hätten Sie es nicht längst gemerkt, daß der Bruder, welchen unser Fremder sucht, kein andrer, als der Herr Förster Dornbusch, und daß die jetzt von ihrem Herrn Oncle wieder nach Goßlar geführte Jungfer Margaretha das oft erwähnte Töchterlein ist! Dies Zusammentreffen hat übrigens, so viel ich es einsehe, nichts Unwahrscheinliches, und ich bitte Sie, mir einen teutschen oder andern Roman zu nennen, in welchem nicht viel unglaublichere Begebenheiten vorkämen. Übrigens muß ich zur Erläuterung dieser ganzen Geschichte nur noch einige Worte hinzufügen.

Der österreichsche Officier wußte freylich, daß seine Geliebte Margaretha Dornbusch hieß; daß sein Pflegevater denselben Familien-Namen führte, war ihm auch nicht unbekannt; allein da das Frauenzimmer gar nicht ahnden konnte, daß ihr Vater in Ostindien lebte, sondern vielmehr oft erzählt hatte, es sey derselbe längst in Teutschland gestorben, Monsieur de Previllier aber (denn so hieß der Officier) sich’s aus den Zeiten seiner Kindheit nicht mehr erinnerte, daß sein Pflegevater zuweilen eines Bruders Erwähnung gethan hatte, ja! da ihm das Andenken an die jüngere Gefährtinn seiner ersten Jugend beynahe gänzlich aus dem Gedächtnisse gekommen war, konnte er unmöglich wissen, daß seine ehemalige Gespielinn und die jetzige Dame seines Herzens eine und dieselbe Person wäre. Jetzt aber (denn der Ostindier theilte ihm wenigstens den Haupt-Inhalt der Geschichte, welche dieser Aufsatz enthielt, mündlich mit) machte er eine Entdeckung, die ihn mit der lebhaftesten Freude erfüllte. Er nahm sich aber vor, den alten Herrn Dornbusch damit zu überraschen. Sobald sich’s daher schicklicherweise thun ließ, bat er ihn, mit ihm nach dem Posthause zu gehn, wo er ihm in der Person seines Reisegefährten zu einer sehr interessanten Bekanntschaft zu verhelfen versprach; Sie giengen hin, sobald der Alte sein Mittags-Essen verzehrt hatte.

„Um Gotteswillen!“ rief der Hauptmann Previllier und stürzte in das Zimmer, in welchem er den Ostindier ein Weilchen allein gelassen hatte, um indeß die bewußte Person zu holen. „Was fange ich an? Sie ist fort, Sie ist fort!“ – „Wer ist fort?“ – „Wie können Sie fragen? Ihre Tochter, meine Geliebte, meine Braut ist fort. Der Förster Dornbusch hat sie mit Gewalt in den Wagen gehoben und ist mit ihr wieder nach Goßlar gefahren.“ – „Du bist von Sinnen, Louis! Wie soll meine Tochter, wie soll mein Bruder hierherkommen?“ – „O! verliehren wir keine Zeit mit Erzählungen! ich beschwöre Sie. Lassen Sie uns nacheilen! Unterwegens sollen Sie alles erfahren; jetzt nur geschwind angespannt!“ – „Aber mein Wagen, meine Päckereyen, mein Bedienter; alles ist draußen im Wirthshause.“ – „Ich will hinschicken; Morgen können wir wieder hier seyn; Nur geschwind, daß wir sie noch einholen!“

Der alte Herr sah wohl, das hier nichts zu thun wäre, als dem ungestümen Menschen zu folgen. Sobald daher des Officiers kleine Callesche angespannt war, setzte er sich mit ihm hinein, und fort gieng die Reise nach Goßlar.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Reise nach Braunschweig