Abschnitt 1

Eilftes Capitel


Der Herr Amtmann beschließt, noch einen Tag in Braunschweig zu verweilen und besucht nebst seinem Sohne das Schauspiel. Etwas Dramaturgisches.


Der Herr Amtmann Waumann und sein liebenswürdiger Sohn hatten nun im sanften Schlafe ihre müden Glieder erquickt und ihr erlittenes Ungemach vergessen. „Sey gutes Muths, Valentinchen!“ sagte der Amtmann. „Daß wir den Luftschiffer nicht gesehn haben, das ist freylich unangenehm; aber dafür wollen wir heute in die Comödie gehn. Mein kaltes Bad ist mir auch so übel nicht bekommen, und der Diebstahl läßt sich noch verschmerzen. Ich hätte dem Kerl nicht trauen sollen; Alle Musicanten taugen nichts; das lerne Du von mir! Früh oder spät wird man von so einem Vagabonden immer angeführt. Aber wenn mir der Lumpenhund einmal in das Amt Biesterberg kömmt, so soll er seinem Galgen nicht entwischen.“

Aus dieser Erklärung des Herrn Amtmanns erhellt, daß in Biesterberg die peinliche Halsgerichts-Ordnung der Nürnberger eingeführt war, nach welcher man niemand eher hängen lassen darf, als bis man ihn hat. „Aber Papa!“ rief der junge Herr, „Ich kann mich nun nicht sehn lassen; mein grüner Sonntags-Rock ist mit fort.“ „Thut nichts“, erwiederte der Amtmann, „der graue ist gut genug und so bald wir nach Hause kommen, soll Dir der Meister Bügelbock ein anders Kleid machen.“

Vater und Sohn kleideten sich nun an, giengen nach dem Gasthofe zum Prinzen Eugen und fanden dort ihre Freunde schon völlig gerüstet am Fenster stehn, wo sie sich an dem ungewohnten Anblicke der Vorübergehenden und Fahrenden seit sechs Uhr Morgens ergötzt hatten. „Das hätte ich Dir voraussagen wollen, Bruder Amtmann!“ sprach der Licentiat, „daß der Kerl Dich anführen würde.“ „Ich wollte Du hättest mir’s vorausgesagt“, erwiederte Herr Waumann, „Doch, laß uns nicht mehr daran denken, sondern uns jetzt ein wenig in der Stadt umsehn!“ Und damit begaben sie sich auf den Weg, der Amtmann, sein Sohn, Herr Bocksleder, nebst Gattinn und Kind und der Kaufmann Pfeffer aus Schöppenstädt. Der Zug gieng durch die Hauptstraßen der Stadt, nach dem Meßhause zu; Dann besahen sie die Kunstkammer, spatzierten im Schloßgarten umher, sahen die Parade aufziehn und schleppten sich dann ermüdet in den Prinzen Eugen zurück, wo der Licentiat für sie sämtlich das Essen bestellt hatte.

„Aber diesen Abend gehen wir doch Alle, so wie wir hier sind, in die Comödie?“ sprach der Amtmann, als bey dem Braten seine Lebensgeister sich wieder ein wenig gesammelt hatten. „Das versteht sich“, erwiederte der Licentiat. „Seit meinem zwölften Jahre habe ich dergleichen nicht gesehn. Damals spielte ich selbst mit; Es war in Hildesheim, auf der Schule. Wie stellten Jonas im Wallfische vor und die Geschichte von Judith und Holofernes.“

Nun begann Herr Bocksleder die Beschreibung dieser geistlichen Schauspiele, womit ich jedoch dem Leser nicht zur Last fallen will. Eine angenehme Nachricht, die der Aufwärter verkündigte, unterbrach dies Gespräch; Er meldete nämlich, daß heute vor dem Schauspiele noch ein Luftball mit einem lebendigen Hunde aufsteigen und nach der Abend-Tafel Mascarade im Opernhause seyn würde. Das alles nun wollten unsre Freunde genießen und es wurde dazu sogleich Anstalt gemacht. Außer ihnen saßen noch an demselben Tische (denn man speiste in einem allgemeinen Gastzimmer) nebst verschiedenen unbekannten Gästen, der mehrmals erwähnte Student aus Helmstädt und der große Dichter Klingelzieher. Diese beyden jungen Herrn hatten ihre Freude daran, unsre Landleute, ohne daß sie es merkten, zum Gegenstande ihres Witzes zu machen. Als daher von Mascaraden-Kleidern die Rede war, die ein Jude welcher draußen stand, der Gesellschaft zu liefern versprochen hatte, versicherten die Spaßvögel, es sey gar keine Freude dabey, nur im Domino oder Tabareau dort zu erscheinen, sondern je auffallender die Verkleidung sey, um desto weniger werde man merken, daß sie vom Lande und daß ihnen solche Vergnügungen fremd seyen. Nur müßten sie ihre Rollen studieren und sich dem Charakter gemäß betragen, dessen Gewand sie trügen. Der Jude wurde gestimmt, die nöthigen Sachen herbeyzuschaffen und folgendes Costüm verabredet. Die Frau Licentiatinn Bocksleder sollte eine weiße Nonne vorstellen, ihren Sohn, wie Amor gekleidet, an ihre Hand nehmen und von ihrem Gemahle, in Gestalt des leidigen Satanas, mit Hörnern versehn, geführt werden; Der Amtmann Waumann wurde bewogen, Weiber-Kleider anzulegen und zwar als Göttinn der Nacht aufzutreten, in einem schwarzen Gewande, mit Sternen von Gold-Papier benäht, wovon Musjö Valentin, wie Arlekin gekleidet, ihm den Schlepp nachtragen sollte. Herr Klingelzieher begnügte sich mit einem Zauberers-Gewande und der Student wählte eine Matrosen-Maske. Übrigens wurden den leichtgläubigen Leuten ihre Rollen so vorgeschrieben, daß es an den beyden Spaßvögeln nicht lag, wenn die Gesellschaft diesen Abend nicht von Knaben und Pöbel preisgemacht wurde.

Indeß rückte die Zeit heran, wo man den vierfüßigen Luftschiffer auffliegen sehn sollte; Man gieng hin, staunte dies merkwürdige Wunderwerk an und eilte von da in das Schauspiel.

Der junge Herr Waumann, ungewöhnt, anders wie in der Kirche, eine so große Versammlung in einem Hause auf Bänken und Bühnen sitzend zu erblicken, nahm aus Gewohnheit seinen Hut vor’s Gesicht, als wollte er sein Gebet verrichten. Sobald aber nun die edle Musica anhob und der Vorhang in die Höhe gezogen wurde; Potz Fickerment! wie riß er da die Augen auf!

„Aber Papa!“ rief er aus, als er sich ein wenig von seiner ersten Überraschung erholt hatte, „thun denn die Leute nichts als singen und sprechen gar nicht? Und man versteht ja nicht Ein Wort davon.“ „Ja, siehst Du, mein Söhnchen!“ erwiederte der Vater, „das nennt man eine italienische Oper. Ich wollte indessen, wir wären gestern darinn gewesen; da haben sie teutsch gespielt; aber da war der verdammte Vorfall, daß ich im Wasser gelegen hatte.“

Das welsche Singewerk fieng endlich an, unsern Leuten Langeweile zu machen; und da es ohnehin mit den Vorbereitungen zur Mummerey nicht so schnell gehn konnte, beschloß die ganze Gesellschaft, welche sich im Parterre nahe bey einander gehalten hatte, nach dem Wirthshause zurückzukehren.

„Ich glaube“, sagte Herr Klingelzieher, „Sie würden gestern eben so wenig, wie heute, von dem verstanden haben, was auf dem Theater gesprochen wurde; denn, obgleich das, was sie redeten, für teutsch gelten sollte; so waren doch ein Paar Personen darunter, deren oberländischer Provinzial-Dialect immer noch zu rathen übrig ließ, ob man seine Muttersprache, oder eine fremde Mundart hörte. Besonders zeichnet sich bey dieser Gesellschaft Ein Pärchen aus; Die Frau arbeitet sich im Tragischen herum und Er macht den Buffo in den Singespielen, die aus dem Italienischen übersetzt sind; allein er verwandelt diesen Buffo in einen plumpen teutschen Hanswurst, singt einen Baß, den er aus dem Unterleibe hervorholt und setzt vor jeden Lautbuchstaben noch einu, zum Beyspiel: ‚uals uich nuoch uein klueiner Knuabe wuar‘ statt: als ich noch ein kleiner Knabe war. Von der Dame habe ich mir eine Rede gemerkt, die ich Ihnen doch mittheilen will: ‚U ich Unklickliche! Taß mich toch nie tie Sohne peschinnen hätt! Und tu unkeratner Sonn! Kannst tu ketultig zusenn, taß teine Muhter wie eine pißente Sinterinn ta schtehn muß?‘“

Herr Klingelzieher declamirte noch viel über die Unverschämheit solcher Leute, die, aus dem niedrigsten Pöbel entsprungen, ohne Menschen-, Welt- und Sprach-Kenntnisse, ohne Sitten, ohne Gefühl, ohne Grundsätze, es wagten, auf die Bühne zu treten, in dem Character von Personen aufzutreten, mit deren Gleichen sie nie den entferntesten Umgang hätten haben können, und dennoch darauf Anspruch zu machen, auf den Geschmack zu würken, den Ton anzugeben, Moralität zu befördern und für achtungswerthe Männer von Wichtigkeit und Bedeutung im Staate zu gelten. – Solches Lumpengesindel, setzte er hinzu, das sich’s nicht einfallen lassen sollte, dem geringsten Tagelöhner den Rang streitig zu machen!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Reise nach Braunschweig