Abschnitt 2

Dreyzehntes Capitel


Nichts ist leichter gestiftet und leichter getrennt, als die Freundschaft und Vertraulichkeit unter jungen Mädchen. Kaum war Susanna mit der Jungfer Dornbusch allein in ihrem Cämmerlein (die alte Dame pflegte sich, mit schwerem Haupte, früh zu Bette zu legen) als sie zuerst begann, ihrem Spotte über das fromme Fräulein freyen Lauf zu lassen; dann entlockte sie Margarethen das Geheimnis ihrer Herzens-Angelegenheit und gewann bald, durch die Theilnahme, welche sie ihr bezeugte, ihr ganzes Zutraun. Wir haben einmal in einem hübschen Buche gelesen, daß junge Frauenzimmer vor allen Andern Ursache haben in der Wahl ihrer Vertraueten vorsichtig zu seyn; daß so Manche bloß dadurch fallen, daß sie sich solchen Personen in die Hände liefern und Denen tausend gute Eigenschaften zutrauen, welche ihren Leidenschaften schmeicheln. Der Autor jenes Werks hatte dies gar artig auseinandergesetzt; ich kann aber das Buch jetzt nicht wieder auffinden, sonst schriebe ich die Stelle ganz ab; Doch vielleicht nehmen die Leserinnen Gelegenheit, aus der Geschichte unserer Freundinn selbst, sich die nöthigen Lehren herauszuziehn; wir fahren also in unsrer Erzählung fort.


Am Montage gieng die Reise weiter und unsre Damen erreichten vor Mittag noch die Stadt Braunschweig. Susanna hatte indeß beym Ankleiden ihrer Herrschaft Gelegenheit gefunden, derselben die neue Freundinn so warm zu empfehlen, daß jetzt schon nicht mehr die Rede davor war, sich eher von Margarethen zu trennen, bis diese von ihrem vorgeblichen Vetter würde abgeholt werden.

Das Fräulein von Brumbei hatte sich, auf Empfehlung ihrer Zofe, die ihr ganzes Zutraun besaß, ein Paar kleine Zimmer in dem Hause des Schusters Wöllner, unfern dem Opernhause, für die Zeit ihres Aufenthalts in Braunschweig gemiethet. Dieser Schuster war ein andächtiger Heuchler, der sehr viel von der reinen Lehre und dem innern Lichte redete, seines Amtsbruders Jacob Böhms Schriften las, Betstunden für Personen beyderley Geschlechts in seinem Hause hielt, übrigens aber ein Erz-Schurke war und auf Pfänder liehe. – Ich bitte die geneigten Leserinnen nun nochmals zu überlegen, welche schreckliche Folgen die erste Übereilung der Jungfer Dornbusch für sie hätte haben können, da wir sie jetzt von solchen Menschen umgeben sehn müssen.

Sobald die Gesellschaft Besitz von ihrer Wohnung genommen hatte, setzte sich Meta hin und schrieb dem Freunde ihrer Seele einen zärtlichen Brief. Sie urtheilte nicht ohne Wahrscheinlichkeit, es werde der Hauptmann, sobald er in Peina im Posthause erfahren hätte, wohin der Förster mit ihr gereist sey, auch seinen Weg nach Goßlar genommen haben, wohin er, als Werbe-Officier, ohnehin in wenig Tagen zurückkehren mußte. In jedem Falle also schien es ihr am sichersten, dahin ihren Brief mit der Post zu schicken. Hätte sie das früher überlegt; so hätte sie in der That nicht nöthig gehabt, zu entlaufen, denn sie konnte sich doch leicht einbilden, daß Previllier nicht lange säumen würde, ihr nachzureisen und dann war, an der Seite dieses braven Kriegsmannes, von der Gewalt des Oheims nicht viel zu fürchten. Allein die Idee der Flucht war romanhafter, und folglich wurde sie vorgezogen.

Der Brief war nun fort, und da sie, bis Antwort oder der Liebhaber selbst kommen würde, sicher und unentdeckt in Braunschweig bleiben konnte; fieng sie an sich zu erheitern und an dem ungewohnten Anblicke der Volks-Menge, die zur Meßzeit die Straßen von Braunschweig anfüllt, ihre Augen zu weiden. Susanne aber nützte diese muntre Stimmung, stand neben ihr am Fenster und machte ihr reizende Schilderungen von den Annehmlichkeiten dieser großen Stadt.

So kam der Abend herbey – ein schöner, heitrer Sommer-Abend. Die alte Dame hatte, aus Freude über ihre glückliche Ankunft, ihrer gewöhnlichen Portion Herzstärkung ein Paar Gläser Ratafia hinzugefügt; Das pflegt denn den Schlaf zu befördern; und so war sie schon um acht Uhr zu Bette gegangen. „Es wäre Sünde“, sagte Susanne zu ihrer neuen Freundinn, „wenn man sich bey dem herrlichen Wetter im Zimmer einsperren wollte. Wenigstens sollten wir doch vor der Hausthür ein wenig auf- und abgehn.“ Margaretha Dornbusch ließ sich den Vorschlag gefallen; sie schlenderten Arm in Arm längst dem Opernhause und auf dem benachbarten Kirchhofe hin und her. Nun wurde, wie die Leser wissen, an diesem Montage Mascarade im Opernhause gegeben; Susanne wußte das, denn sie hatte schon, während unsre Freundinn schrieb, allerley Besuche gehabt, Leute verschickt und Verabredungen genommen.

Jetzt fieng sie an, Margarethen, die dergleichen Festen nie beygewohnt hatte, eine reizende Schilderung von dem Vergnügen zu machen, das man auf einem solchen Balle schmeckte. „Ich habe einen guten Einfall, meine Liebe!“ setzte sie hinzu, „Wir könnten uns leicht, als Fledermäuse maskirt, auf eine Stunde hinschleichen. Niemand kennt uns; Wir gehn da miteinander durch das Gewühl von verkleideten Menschen umher, Arm in Arm, wie wir hier gehen. Es wird Sie aufheitern, da Sie doch noch nie keine Mascarade gesehn haben; meine Alte erfährt nichts davon; unsre Wirthsleute sind gute Menschen, und ehe es Bettgehn-Zeit ist, sind wir wieder zu Hause.“

Margarethen wollte Anfangs dieser Plan nicht gefallen; er kam ihr zu kühn vor; allein die Sache schien ja so unschuldig; sie war in einer so ruhigen Stimmung, worauf die angenehme Abend-Luft, das Gefühl einer nie genossenen Freyheit, der Anblick der schönen, lebhaften Straßen und die Hofnung, vielleicht morgen schon den Freund ihres Herzens in ihre Arme eilen zu sehn, vortheilhaft würkten; ihre Neugier, ein ihr so fremdes Schauspiel kennen zu lernen, wurde immer auf’s Neue gereitzt, so oft sie, in Kutschen, Porte-Chaisen und zu Fuße einen frischen Transport von verkleideten Personen beyderley Geschlechts in das nahgelegene Opernhaus eintreten sah – und kurz! sie gab dem Vorschlage Gehör und entschloß sich, den Spaß in der Nähe anzusehn.

Hier mein Herr! liegen zwei Louisd’or; nehmen Sie dies Geld und lassen mir dafür mit dem Postwagen einen Philosophen kommen, der mir auf bescheidnere Art diesen und ähnliche Wiedersprüche im weiblichen Character erkläre! Ein züchtiges, junges Mädchen, das noch vor vier und zwanzig Stunden voll Verzweiflung war, über die gewaltsame Trennung von dem einzigen geliebten Gegenstande, da sie nun unter fremden Leuten herumirren muß, fern von allem, was ihr theuer und werth ist, rennt jetzt leichtsinnig mit einer zweydeutigen Unbekannten in das Getümmel vermummter Freuden-Kinder; Ein Frauenzimmer, das so viel Bücher über Menschenkenntniß gelesen und aus Romanen gelernt hat, sich entführen zu lassen, ahndet nicht, daß sie einer verdächtigen Rathgeberinn in die Hände gefallen ist, da sie doch gewiß zwanzigmal in ihren Büchern die traurigen Folgen ähnlicher leichtsinniger Schritte geschildert gefunden? Sollen wir hier lauter gegen die schädlichen Würkungen einer übel gewählten Lectüre, oder gegen die Inconsequenzen des schönen Geschlechts declamiren? Es giebt strenge Moralisten, welche behaupten, die Ursache, warum auch die feinste Menschenkunde oft bey Beobachtung des weiblichen Characters scheitre, liege darinn, daß die Frauenzimmer eigentlich gar keinen Character hätten, sondern unaufhörlich von unzusammenhängenden Launen und Grillen regiert würden. Es sey eben so wenig möglich, vorauszusagen, auf welche Weise ein Weib sich in der folgenden Viertelstunde bey diesem oder jenem Vorfalle betragen mögte, wie es, selbst dem geschicktesten Tanzmeister möglich sei, zu bestimmen, was für Schritte ein herumspringender wilder Indianer machen würde. – Wir halten das für baare Verläumdung und glauben vielmehr, es liege die Schuld nur daran, daß theils dies Geschlecht die feinern Übergänge ihrer Leidenschaften, wodurch ihre Handlungen motivirt werden, sorgfältiger verborgen hielte, theils das Spiel dieser Übergänge in ihnen schneller als in uns vorgienge. Aber wo gerathen wir hin? Bleiben wir bey der Klinge!

Die beyden Frauenzimmer vermummten sich also, en Chauve-fouris, schlichen nach dem Opernsaale hin und mischten sich unter den Haufen der Masken. Sie hatten sich kaum einmal von dem Eingange bis zum Ende des Theaters gedrängt, als ein männlicher Domino sogleich die schwarzäugichte Cammerjungfer erkannte, auf sie zueilte, ihr die Hand drückte und ausrief: „Ey, Susannchen! wie kömmst Du hierher?“ „Um Gotteswillen!“ sagte Margaretha, „wer ist das?“ – Es war ein Vetter. Aber bald kamen der Vettern so Viele und unter Diesen Manche, die nicht die bescheidenste Sprache führten. „Wie führt dich der Teufel wieder nach Braunschweig, Du Wettermädchen?“ sprach der Eine. „Bey meiner Seele! da ist unsre kleine runde Hexe“, sprach der Andre und lachte laut auf. „Und wen hast Du denn da bey Dir?“ erschallte die dritte Stimme. „Das ist gewiß neue Waare vom Lande!“

Nun erst fieng unsre arme Meta an, zu argwöhnen, daß sie einen übereilten Schritt gethan hätte, daß sie nicht in die beste Gesellschaft gerathen wäre und nun wurde ihr Herzchen schwer und traurig. Indeß hatte sich der Cirkel der alten Bekannten um Susannen und ihre Begleiterinn vermehrt; man fieng an, sich allerley freye Reden gegen sie zu erlauben und zwey junge Herrn drangen mit Ungestüm darauf, daß sie mit ihnen in eine von den Logen gehn sollten.

Margaretha gerieth in die äußerste Verlegenheit und war im Begriff laut zu schreyen, als ein Mann in einem schwarzen Tabareau, der schon eine Zeitlang beyde Mädchen beobachtet und hauptsächlich seine Aufmerksamkeit auf Margarethens Schuhschnallen (oder waren es Bandschleufen?) geheftet hatte, die ihm bekannt vorkamen, begleitet von einer andern Person, sich mit Gewalt durch den Haufen drängte – „Bey Gott! sie ist es“, rief er aus und schloß Meta in seine Arme. – Rathen Sie nicht länger, hochgeehrteste Leser! Es war kein Andrer, wie der Hauptmann Previllier; und wie der hierherkam, das sollen Sie bald erfahren. Lassen Sie mich nur erst Othem schöpfen!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Reise nach Braunschweig