Abschnitt 1

Dreyzehntes Capitel


Jungfer Margaretha Dornbusch begiebt sich in den Schutz einer alten christlichen Dame und setzt sich neuen Gefährlichkeiten aus.


Ja! nicht etwa auf ofner, freyer Heerstraße nur, nein! was noch ärger ist, in einem hohlen Wege haben wir unser Frauenzimmer gelassen. Wie mancherley Gefahren konnte nicht das wehrlose, schwache Geschöpf hier ausgesetzt seyn; Uns treten die Thränen in die Augen, wenn wir alles erwägen, was dem armen Mädchen da hätte begegnen können. „O!“ würde hier ein Schriftsteller ausrufen, dem es um die moralische Besserung seiner Leserinnen zu thun wäre. – Darauf aber haben wir, im Vorbeygehn zu sagen, es gar nicht angelegt, sondern nur auf Belustigung und Honorarium. – „O!“ würde er sagen, „Ihr leichtsinnigen Kinderchen! wohin kann nicht eine einzige Übereilung führen! Da spiegelt euch nun an dem Beyspiele der Jungfer Margaretha Dornbusch, die Ihr jetzt wie eine Landläuferinn an Hecken und Büschen und in hohlen Wegen herumirren sehet, und lasset mir das vermaledeyete Roman-Lesen unterwegens, wodurch Ihr Euch nur Thorheiten in den Kopf setzt!“

Doch wir wollen uns bey den Ausrufungen nicht aufhalten, sondern schlecht weg erzählen, was unsrer Schönen begegnete. Sie mogte ungefehr ein Paar hundert Schritte in besagtem hohlen Wege ängstlich eilig fortgerennt seyn, als sie auf eine andere Straße stieß, welche dies Defilé durchkreuzte, zugleich auf derselben eine Kutsche erblickte, die, von drey Pferden gezogen, langsam daher wackelte, und ihr schon ziemlich nahe war. Der Kasten dieses Fuhrwerks sahe für sein Alter noch ganz reputirlich aus, war ein wenig groß und der Untertheil bauchartig ausgeschweift. Mit gelben Nägeln sahe man an den beyden Thüren die Buchstaben v.B. angebracht; Ein kleiner, mit Seehundfell überzogener Koffer war hinten aufgebunden und ein Bettler, der gern mit Gelegenheit reisen wollte, hatte sich diesen zum Sitze gewählt. Außerdem befanden sich noch zwey Körbe und eine Schachtel an dem Bock mit Stricken befestigt; der Fuhrmann aber, in einem so genannten Futterhemde, mit einer kleinen Tabacs-Pfeife im Munde, gieng neben den drey Gäulen her, die der Autor als ein wenig zu mager schildern müßte, wenn er nicht aus gewissen Ursachen, die Parthey magerer Geschöpfe nähme. Der Zug gieng langsam und bedächtlich und unsre Demoiselle hatte volle Muße, sich auf den Schritt vorzubereiten, den sie zu thun Willens war, ehe die Kutsche den Platz erreichte, wo die Straße den hohlen Weg durchschnitt.

Ein nicht ganz lieblicher und nicht sehr harmonischer, zweystimmiger weiblicher Gesang, von einem grämlichen Alt und einem durchdringenden Nasen-Sopran in Octaven vorgetragen, schallte aus der Kutsche heraus, deren disseitiges Fenster geöfnet war. Der Fuhrmann brummte, so oft er die Pfeife aus dem Munde nahm, um auszuspucken, im Basse die letzte Note nach; übrigens war es die Melodie des Abendliedes: Nun sich der Tag geendet hat.

„Ich bitte Sie um Gotteswillen, meine werthesten Frauenzimmer!“ rief Margaretha und unterbrach dadurch das andächtige Lallen, „Ich bitte Sie, gönnen Sie mir einen Sitz in Ihrer Kutsche! Wo Sie auch hinreisen; Ich verlange nichts als Ihren Schutz bis zur nächsten Stadt. Ich will Ihnen auf keine Weise beschwerlich seyn. Nur einen sichern Platz gönnen Sie mir bis dahin!“ – „Halt still, Nicolaus!“ sprach bedächtlich, doch laut, eine alte Dame, indem sie ihre Brille von der Nase nahm, ein Probe-Flickchen von braunem Camelot als ein Zeichen in das Gesangbuch legte, welches sie zuschlug, dann das kupfrigte Gesicht zum Schlage hinausstreckte und ziemlich unfreundlich fragte: „Was will Sie, Jungfer?“ Meta wiederholte ihre Bitte und erzählte ihre Geschichte. – Allein man merke wohl, ihre Geschichte war es; doch nicht die, welche ihr begegnet war, sondern die sie erfunden hatte; Es war ein Mixtum compositum von Wahrheit und Nothlüge. Von grausamen Verwandten und einer verhaßten Heyrath, wozu man sie arme Wayse zwingen wollte, kam etwas darinn vor; nur der Officier, von welchem sie Rettung erwartete, sobald sie an ihn schreiben würde, wurde aus einem Liebhaber, in einen würdigen Vetter umgeschaffen. Ich hoffe, diese geringe Abweichung von der Wahrheit soll unser junges Frauenzimmer in den Augen der Leser nicht herabsetzen; wenigstens werde ich die Leserinnen, die jüngern nämlich, auf meiner Seite haben.

Die alte Dame schüttelte während dieser Erzählung bedächtlich ihr Köpfchen und sagte dann: „Nun! Sie darf einsteigen. Ich reise, so Gott will, nach Braunschweig. Dahin mag Sie mitfahren. Aber dort muß Sie sehn, wie Sie unterkommt, denn ich kann mich nicht mit fremden Leuten behängen.“ Der Wagen wurde geöfnet und Meta übersah jetzt die ganze Gesellschaft, in welche sie eingeführt werden sollte; denn der untere Theil der Kutsche verbarg noch, gleich dem Bauche des trojanischen Pferdes, mehr lebendige Wesen, als von Außen sichtbar waren. Der alten Dame gegenüber saß ein junges, schwarzäugichtes Cammermädchen, mit einer Hauben-Schachtel auf dem Schoße; An der Seite ihrer Gebietherinn hatte ein garstiger grauer Kater Platz genommen; Ein bejahrter, engebrüstiger Mops lag zu den Füßen und neben ihm ein kleiner weiß und braun gefleckter so genannter Spion-Hund; unter dem Himmel der Kutsche aber war, zwischen einigen in Tüchern aufgehängten Hauben, auch ein kleines Vogelbauer befestigt, in welchem ein Canarien-Männlein sein Wesen trieb. Es fand sich grade neben dem Cammermädchen noch Platz genug für Margaretha Dornbusch, um, wenn sie keinen großen Anspruch auf Raum für ihre Beine machte, ziemlich bequem zu sitzen.

Jetzt halte ich es für meine Pflicht, die Leser genauer mit den Personen bekannt zu machen, unter welche wir die Jungfer Dornbusch geführt haben, und dann soll uns nichts abhalten, sie ihre Reise fortsetzen zu lassen. Das Fräulein von Brumbei 1) war Stiftsdame in***. Da die Natur, bey Entwerfung des Plans zu ihrer sterblichen Hülle, sich ein wenig verzeichnet und ihre gnädigen Eltern kein baares Vermögen hinterlassen hatten; so ergriff sie die Parthey, die Lüste dieser Welt und die zeitlichen Güter zu verachten und sich nach den himlischen zu sehnen, auf welche sie sich durch fleißiges Beten und Singen ein Recht zu erwerben trachtete. Je älter sie wurde, desto wärmer eiferte sie für Keuschheit und Tugend und Margaretha hatte den Schutz, den sie ihr angedeyen ließ, größtentheils der Versicherung zu danken, daß sie dem Ehestande aus dem Wege gelaufen wäre. Weil aber der Geist des schwachen Menschen nur gar zu oft vom Fleische niedergedrückt wird; hatte sich das Fräulein nach und nach gewöhnt, jenem durch den Genuß eines reinen abgezogenen Kirschwassers einen höhern Schwung zu geben und würklich duftete unsrer Meta, als sie zu ihr in den Wagen stieg, der süße Geruch dieser Panacäe entgegen. Nun aber hatte es sich begeben, daß Beelzebub, welcher den Frommen immerdar auflaurt, einst den Augenblick genützt, als das Fräulein von Brumbei von der besagten Kirsch-Essenz fast viel genossen und dadurch das Fleisch so getödtet hatte, daß alle Achtsamkeit auf den Gebrauch ihrer irdischen Gliedmaßen dahin war. – Es hatte sich begeben, sage ich, daß in einer solchen Stunde Beelzebub sie verleitete, die kleine Treppe in ihren Keller hinabzusteigen; ihr Fuß war ausgeglitten, sie war hinabgestürzt und hatte sich die linke Hüfte verrenkt. Der Stifts-Chirurgus wendete alle Kräfte seiner Kunst an, den Schaden zu heilen, nachdem die warmen Umschläge, welche das schwarzäugichte Cammermädchen ohne Unterlaß auflegen mußte, nicht helfen wollten – alles vergebens! Dann nahm sie ihre Zuflucht zu dem Scharfrichter in Goßlar, aber mit keinem glücklichern Erfolge. Sie hatte auch einen ganzen Sommer hindurch das Bad bey Verden gebraucht, ohne Besserung zu spüren; worauf sie sich endlich entschloß, nach Braunschweig zu reisen und sich einem Wundarzte anzuvertraun, von dessen Geschicklichkeit bey allerley Vorfällen ihr ein junger Cavallerie-Officier viel Gutes gesagt hatte. – Auf dieser Reise war sie jetzt begriffen.

Sobald Margaretha Platz im Wagen genommen hatte und der Fuhrmann die Pferde antrieb, weiter zu schleichen, fieng zuerst das alte Fräulein an, mit ihren Augen das junge Frauenzimmer zu mustern, wobey sie aus einer kleinen silbernen Tabacs-Dose eine Prise nahm. Dann ließ sie ihrer Neugier den Zügel schießen und setzte Meta durch eine Menge Fragen in einige Verlegenheit; doch half sich Diese mit aller weiblichen Kunst heraus. Hierauf kam die Reyhe an die nützliche Moral, welche sich aus solchen Begebenheiten ziehn läßt und da hatte sie nun ein weites Feld, gegen die Falschheit der Männer, gegen den Leichtsinn der heutigen Jugend und zum Lobe der Sittsamkeit und Keuschheit zu eifern. – Der Canarien-Vogel oben im Bauer pfiff zwischendurch sein Liedchen und machte ein wahres Melodrama aus dieser Declamation. – Endlich fieng sie an, über Magenschmerzen zu klagen und holte aus der Kutschen-Tasche ein Fläschgen voll Kirschengeist hervor; und als sie sich damit gelabt hatte, wurden die Gesangbücher wieder aufgeschlagen und Meta mußte sich’s gefallen lassen, die noch übrigen Strophen des Abendliedes mitzusingen.

Der Tag neigte sich nun würklich zum Ende – es war, wie wir wissen, der Sonntag, an welchem Blanchard in Braunschweig aufstieg. Diese Stadt zu erreichen war heute nicht möglich; Es hatte aber das Fräulein von Brumbei, in einem seitwärts von der Straße gelegenen Dorfe, einen alten Bekannten, den Pastor Reimers, bey welchem sie sich ein Nachtlager erbeten hatte und der sie nebst ihrem Gefolge gastfreundschaftlich aufnahm. Da Dieser nur zwey Betten liefern konnte, mußte Meta das eine derselben mit der Cammerjungfer theilen. Susanna war ein muntres Mädchen; Sie hatte vormals in Braunschweig gedient und dort allerley kleine Liebes-Abentheuer bestanden. Die böse Welt pflegt solche unschuldige Verirrungen zuweilen lieblos zu beurtheilen; das war auch Susannen begegnet; arge Lästerzungen hatten ihren Ruf zweydeutig zu machen gesucht; sie war von der Dame, bey welcher sie gedient hatte, nicht auf die ehrenvollste Weise verabschiedet worden und hierauf aus Verzweiflung auf’s Land gegangen, da sie dann endlich Gelegenheit gefunden hatte, durch den vorhin erwähnten Cavallerie-Officier dem alten Fräulein empfohlen zu werden. Ihr Verlangen, das liebe Braunschweig wiederzusehn, gab ihr kräftige Gründe ein, ihre Herrschaft in dem Vorsatze, nach dieser Stadt zu reisen, zu bestärken, und niemand war froher wie sie, als diese Reise zu Stande kam.




1) Wir wissen nicht, ob der für die reine Lehre so eifrige Prediger Brumbei, welcher sich kürzlich bey der Inquisition gegen den Ketzer Schulz in ganz Teutschland so berühmt gemacht hat, ein Sprößling jener adelichen Familie ist.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Reise nach Braunschweig