Abschnitt 2

Achtes Capitel


Der Erwerb war kümmerlich, den uns dort unser treuer Fleiß verschaffte. Wer nicht die Gabe hat, durch Schleichwege und Unverschämtheit sich hervorzudrängen, der bedarf, um nicht zu verhungern, aller Orten, besonders aber in Reichsstädten, mächtiger Vorsprecher, wenn er fortkommen will, und mich kannte niemand in Worms. Die Häuser der Reichen waren uns verschlossen; nur in den niedern Classen fanden wir Eltern, die uns ihre Kinder anvertraueten, nicht aus Zuversicht zu unsrer Geschicklichkeit, sondern weil wir nicht so viel Geld bezahlt nahmen, wie Andre. Unser Umgang aber schränkte sich auf ein Paar Nachbar-Häuser ein, in welchen nicht weniger Armuth wie bey uns herrschte. Ich erinnere mich unter andern, daß uns zuweilen an Sonntagen eine Frau besuchte, deren Mann aus Verzweiflung sich dem Trunk ergeben hatte. Wenn nun das arme Weib zu uns kam, pflegte sie das Wenige, was sie noch an silbernen Löffeln und dergleichen übrig hatte, in die Tasche zu stecken, aus Furcht, daß ihr Mann es unterdessen versetzen, und das Geld im Wirthshause verzehren mögte.


Drey Jahre hindurch hielten wir es in Worms aus; dann hatte ich das Glück, durch einen sehr rechtschaffnen Kaufmann, einen gewissen Herrn Schuler, Empfehlung an den Grafen *** in *** zu erhalten, der eines Privat-Secretairs bedurfte. Mein Gesuch fand einige Schwierigkeit, weil er lieber einen unverheyratheten Mann angenommen hätte; doch erhielt ich die Stelle und erwarb mir bald das Zutraun meines guten Herrn.

Der Graf *** war in der That ein sehr edler Mann. Wenn es irgend einen Menschen auf der Welt giebt, der fähig ist, ohne allen Egoismus, ohne Eigennutz und ohne Eitelkeit, das Gute, bloß aus reiner Liebe zum Guten selbst, zu thun, so war er es gewiß. Man hielt ihn für hartherzig, rauh und geizig; aber wie wenig kannte man sein Herz! Seine jetzige Gemahlinn selbst (Er war zum zweytenmal verheyrathet) suchte ihn in den Ruf zu bringen, als wenn gar nicht mit ihm auszukommen wäre, als wenn er auch die unschuldigsten Freuden den Personen seiner Familie nicht gönnte, und über die geringsten Kleinigkeiten in Zorn geriethe und tobte. Die Wahrheit war, daß sie durch diese Vorwürfe ihn zwingen wollte, zu Schritten zu schweigen, zu welchen kein ehrliebender Mann schweigen darf; daß Alle, die ihn umgaben, seine beyspiellose Milde auf die unverantwortlichste Art mit Füßen traten; und wenn sie ihm lange genug das Maaß des Verdrusses voll gegeben hatten, ohne daß er murrte, sondern sich nur innerlich grämte, endlich aber, wenn sie noch ein Quentlein in das Gefäß warfen, die Wagschale seiner Geduld in die Höhe schnellte; dann schrie das Weib, dann hieß es: „mein Gott! über eine solche Kleinigkeit fährt der Mann auf; Man kann es ihm nie recht machen.“ Und wenn alle seine Hausgenossen seine Nachsicht und die uneingeschränkte Freyheit, die er ihnen ließ, misbrauchten, und er sich dann betrogen, seine Ehre und seinen guten Namen auf dem Spiele stehn sah; dann gab er wohl etwas strengere Policey-Gesetze in seinem Hause, aber dann entstand auch allgemeines Murren über seine Härte; dann hieß es: eine solche Behandlung reize erst recht zu verbothnen Handlungen.

Eben so ungerecht wie die Beschuldigung der Härte war die des Geizes, welche man dem Grafen machte. Er hatte aber die Grille, durchaus nicht gestatten zu wollen, daß die Welt seine wohlthätigen Handlungen erführe und ihn desfalls lobte. Ich aber, der das Glück hatte, sein Vertraun zu gewinnen, bin Zeuge gewesen von so edeln, großmüthigen Thaten, die gewiß damals Keiner ahndete, die erst nach seinem Tode, durch seine hinterlassenen Briefe offenbar wurden; von schweren Aufopferungen die ihn manchen herben Kampf kosteten, den er aber in der Stille kämpfte. Ich habe gesehn, mit welcher Verleugnung er es zuweilen ertrug, wenn er gerade da am bittersten getadelt wurde, wo er am größten gehandelt hatte; wie er heimlich an der Wohlfarth Derer arbeitete, die ihn mehr als einmal bübisch geneckt, verfolgt und mit dem schwärzesten Undanke belohnt hatten; wie er nagenden, unverschuldeten Kummer und Leiden aller Art mit Geduld ertrug und nie auf Andre wälzte, immer in sich selbst Trost und Hülfe suchte. Wer ihn um Vorsprache oder Hülfe ansprach, den wies er mehrentheils und zuweilen mit Rauhigkeit zurück; mir aber und zwey andern Vertraueten trug er auf, Hülfsbedürftige aufzusuchen; und wenn er dann, durch Geld oder unermüdete Thätigkeit, das Gute gewürkt und den Unglücklichen gerettet hatte, dann wußte er das Verdienst der Handlung auf einen Dritten zu schieben, Diesen Dank und Ehre einerndten zu lassen. Glaubte ein Geholfner auf die Spur seines unbekannten Wohlthäters gekommen zu seyn, kam zu ihm und stammelte Dank; so fuhr ihm der Graf mit solchem Ungestüm an, daß er sich geirrt zu haben glaubte und das gute Wort bereuete, daß er an diesem unfreundlichen Manne verschwendet hatte.

Eine große Eigenschaft fehlte indessen dem Grafen, eine Eigenschaft, die allen seinen Tugenden hätte die Crone aufsetzen können, nämlich männliche Entschlossenheit und Festigkeit gegen Andre – ich sage: gegen Andre, denn wie strenge er gegen sich selber war, habe ich vorhin erwähnt. Er, den sein unwürdiges Weib als einen Starrkopf und Tyrannen abschilderte, war das Spielwerk eben dieses Weibes, ließ sich von ihr auf alle Weise hintergehn und bey der Nase führen. Machte sie mit ihrem Anhange es ihm gar zu bunt, so tobte er wohl nach seiner Art ein wenig; allein wenn dann die Heuchlerinn die unschuldige Gekränkte, von Gram Niedergebeugte spielte, glaubte er, sich übereilt zu haben und that und litt alles, sein vermeintliches Unrecht wieder gut zu machen. Der verstellten Reue wiederstand seine Weichherzigkeit nun vollends gar nicht; Derselbe Schelm konnte ihn zehnmal anführen und eine einzige anscheinend herzliche Bitte konnte ihn in den wichtigsten, überdachtesten Vorsätzen wanken machen.

Ich sah bald mit Wehmuth und Abscheu, welchen schändlichen Misbrauch die Gräfinn von dieser zu sanften Gemüthsart ihres Gemahls machte. Die ganze Stadt wußte, daß sie auf seinen Namen Schulden machte, und daß sie ein Liebes-Verständniß mit einem elenden Comödianten unterhielt – die ganze Stadt wußte das, sah das mit Verachtung; nur der Graf sah nichts, erfuhr nichts. Oft war ich in Versuchung, ihm die Augen zu öfnen; auch erwartete die Gräfinn, die wohl fühlte, welche Empfindungen mir ihre Aufführung einflößte, nichts anders von mir. Indessen, wenn ich bedachte, wie diese Entdeckung meinem armen Herrn das Herz brechen würde, so verschob ich’s von einer Zeit zur andern; Die Vorsehung aber, die nie zugiebt, daß Schandthaten unentdeckt bleiben und die Bosheit triumphiere, brachte diese Händel, ohne meine Mitwürkung an’s Licht. Der Graf kam einst unerwartet zu Hause, ertappte seine Gemahlinn an der Seite ihres niederträchtigen Buhlen und nun offenbarte sich das ganze Gewebe ihrer Abscheulichkeiten. – Aber ach! dieser Schlag war zu hart für meinen guten, gefühlvollen Herrn. Der Kummer warf ihn auf das Krankenbette; er litt nicht lange und verschied in meinen Armen.

Für mich war der Verlust dieses einzigen Wohlthäters eine erschreckliche Begebenheit. Die Gräfinn haßte mich, und wäre das auch nicht der Fall gewesen, so hätte sie mir doch kein Brod geben können. Sie selbst hatte die öconomischen Umstände ihres Gemahls in die größte Verwirrung gebracht. Ihre Schulden überstiegen das baare Vermögen, welches sie erben konnte; die Güter aber waren Lehn und fielen, da der Graf keine Kinder hinterließ, an den Landesherrn zurück. – Die äußerste Armuth war nun ihr Erbtheil, und in diesem Zustande, den sie sich selbst bereitet hat, schmachtet sie noch, von niemand bedauert und, um so mehr, da sie jetzt häßlich ist, von jedermann verlassen.

Ich war also ohne Brod, denn bereichert hatte ich mich nicht, obgleich es mir nicht an Gelegenheit gefehlt hätte, etwas zu gewinnen, wenn ich weniger gewissenhaft gewesen wäre. Es war im Winter, am Ende des Jahres 1769 und meine Frau, die in sieben Jahren keine Kinder gehabt hatte, war eben von einem gesunden kleinen Mädchen entbunden worden. – Die Aussichten waren trübe; aber Gott half. Meines verstorbenen Herrn Freunde, in denen das Zutraun, welches er mir bezeugt hatte, eine gute Meinung von mir erweckte, verschafften mir eine kleine Stelle bey der fürstlichen Canzelley. – Voll Hofnung und Zuversicht und mit heiterm Gemüthe arbeitete ich nun in meinem neuen Berufe, wurde nicht von drückenden Nahrungssorgen gepeinigt, genoß häusliche Freuden und war noch glücklich genug, auch gegen Andre wohlthätig handeln zu können, wie Du jetzt hören wirst.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Reise nach Braunschweig