Von meinen hier dargestellten Anschauungen ausgehend

Von meinen hier dargestellten Anschauungen ausgehend, konnte ich, wie ich hier vorläufig mitteilen möchte, drei Problemen aus der Psychopathologie der Zwangsneurose, der Melancholie und der Schizophrenie einen neuen Gesichtspunkt abgewinnen.

Was die Zwangsneurose anlangt, glaube ich verstanden zu haben, daß der Aggressionstrieb dem Eros die Mittel, womit er schafft, ablauscht, um sich dann seinerseits derselben Mittel zu bedienen, um die vom Eros geschaffenen Imagines wieder zu vernichten. Ich hoffe, man wird an dieser allegorischen Personifikation der beiden Triebarten keinen Anstand nehmen. Ich glaube zeigen zu können, daß bei der Zwangsneurose die Aggressivität nicht dem wirklichen Objekte, sondern seinem Abbilde gilt (Introversion). Da aber das Abbild durch magische Mittel entstanden ist, so kann ihm nur auf magischem Wege beigekommen werden. Dass die manifesten Symptome sich meist, aber nicht ausschließlich, gegen ein wirkliches Objekt richten, rührt daher, daß eben das wirkliche Objekt von seinem Abbild unbewusst nicht unterschieden wird; es gibt häufig genug Fälle, wo Zwangsvorstellungen und Zwangsbefürchtungen einen Verstorbenen zum Objekt nehmen. Es fiel mir bei einem Zwangsneurotiker auf, daß seine ambivalente Einstellung wirklichen Personen gegenüber, die auf magische Art nicht getötet werden können, keine Zwangssymptome erzeugte, während seine ambivalente Einstellung zu den Imagines, die in magischer Weise entstanden sind, Zwangsimpulse und Zwangsbefürchtungen zur Folge hatte. Er lebte in steter Angst, er könnte seine Angehörigen, gegen deren Imagines seine Aggression gerichtet war, mit Gedanken, Unvorsichtigkeiten jeglicher Art usw. töten. Dieser Patient rief einmal, als er die Zusammenhänge erkannte, aus: „Natürlich töte ich meinen Vater in Gedanken, aber bloß die Vorstellung von ihm, und ich verwechsle ihn selbst mit meiner Vorstellung von ihm!“ Er fügte hinzu, daß dieses Abbild gleichzeitig durch seine Liebe geschützt werde (Schutzengel). Seine unbegrenzte Zweifelsucht, deren Genese uns Freud erklärte, bezog sich auf die Unsicherheit, ob der Eros stark genug sei, die Imago gegen die heftigen Anstürme des Destruktionstriebes zu schaffen und zu erhalten. Eine andere Patientin geriet außer Fassung, als die Photographie ihres verstorbenen Sohnes zu Boden fiel. Es ist mir weiters oft die Tatsache aufgefallen, daß manche Neurotiker Zwangsimpulse und Zwangsgedanken erst bekamen, nachdem sie Handlungen, welche von einem Liebesobjekt nicht geduldet worden wären, zum zweiten Male ausgeführt hatten. Das erste Mal entstand nach dem geschilderten Mechanismus das Abbild des Objektes (es wiederholte sich die Über-Ich-Bildung in der Projektion auf dieses Liebesobjekt), erst das zweite Mal respektierten sie dieses Abbild nicht. Dies wurde unbewusst einer Aggression gleichgesetzt; dies weckte wieder die Liebe und dadurch kam es automatisch zu einer alternierenden Ambivalenz gegenüber dem vorgestellten Liebesobjekt, das im Unbewussten eines ist mit dem Real-Objekt. Damit war der Ausbruch der Zwangsneurose gegeben.


Eine Anwendungsmöglichkeit der neuen Einsichten bei der Melancholie erkannte ich in der Analyse einer schweren Melancholika, die ich durch 2 ½ Jahre mit günstigem Erfolge behandelte. (Ihr Gesundheitszustand dauert noch an, und zwar befindet sie sich in einem viel normaleren Zustande als je vorher in den freien Intervallen.) Meine Patientin schalt sich in ihren melancholischen Selbstvorwürfen eine Prostituierte, eine schlechte, egoistische Mutter, die ihren Pflichten nicht nachkäme, sie könnte sich leicht jedem beliebigen Manne hingeben, sie wäre gefühlslos, leichtsinnig und unfähig, irgendein menschliches Gefühl zu empfinden. Und während sie unter Tränen, jammernd, ratlos und verzweifelt, von Schuldgefühl gedrückt, beteuerte, sie verdiente nur den Tod oder gar die grässlichsten Foltern, klagte sie, sie könnte nicht einmal mehr Schuldgefühl verspüren. Es sei nebenbei bemerkt, daß sie in „Wirklichkeit eine gewissenhafte Gattin und Mutter) war. Es handelte sich um Entfremdungsgefühle ihres Empfindungslebens, sie fühlte beispielsweise ihr Schuldgefühl nicht als ihr eigenes. Die Analyse ergab, daß ihre Selbstanklagen nur zum Teil ursprünglich gegen ein Objekt gerichtete Anklagen waren. Die Selbstanklage, gefühllos zu sein, enthielt die Klage, daß ihr das Organ zum Fühlen, d. h. der Penis, fehle. Die Selbstanklage, sie könnte sich jedem beliebigen Manne hingeben, bedeutete, sie wolle sich einen Penis aneignen. Sie träumte einmal geradezu, daß ihr Mann zu ihr kam, dann irgendwie verschwand, sein Penis aber bei ihr zurückblieb. Ich kann hier nicht auf das ganze Material ihres Kastrationskomplexes eingehen. In der Kindheit hat sie einen starken Eigensinn und einen heftigen Penisneid entwickelt, später schien sie sich an ihre Weiblichkeit angepasst und sich über ihren Männlichkeitskomplex mit Humor hinweggesetzt zu haben; sie war mitunter leicht hypomanisch, bis sie einmal plötzlich, noch in jungen Jahren, traurig wurde und, ohne einen Grund dafür angeben zu können, zu weinen begann. Die einige Jahre später ausgeführte Analyse konnte feststellen, daß sie sich für vom Vater, vom Über-Ich oder vom Schicksal, was dasselbe ist, kastriert hielt, und daß der Sinn ihrer Krankheit war: Ich bin bestraft, der Vater hat mich entmannt und deshalb kann ich nichts fühlen. Daraus, daß ich noch immer ein kastriertes Weib bleibe, entnehme ich, daß mir der Vater noch nicht verzeiht. Ich muss also noch immer schlecht sein. Was ist denn meine Schuld? Ich will dem Mann den Penis rauben und mich nicht in das mir vom Vater bestimmte Los, Weib und Mutter zu sein, fügen; ich bin kein richtiges Weib und keine richtige Mutter.

Hier wollen wir nur einige in diesen Zusammenhang gehörige Nebenprobleme des Falles besprechen. Wir wollen uns zunächst, fragen, wovon es abhängt, daß die Patientin sich zeitweise vom Über-Ich verfolgt, zeitweise aber sich von derselben Instanz getröstet fühlte. Diese Frage kann allgemeiner gefasst werden und lauten, warum sich ein Mensch, der vom Missgeschick getroffen wird, einmal in seinem Strafbedürfnis befriedigt und so erleichtert fühlt, ein anderes Mal aber die vermeintliche Strafe als Warnung ansieht, die ihn veranlasst, den moralischen Regeln gewissenhafter zu entsprechen. Die Lösung dieser Frage setzt die Erforschung der verschiedenen Reaktionsarten der verschiedenen Ichtypen voraus.

Einen ähnlichen Mechanismus fand ich bei einem männlichen Analysanden vor, der schon zwei ernstgemeinte Suizidversuche hinter sich hatte. Er fühlte sich seinem Bruder gegenüber von der Natur benachteiligt und kam im Leben wegen mancher Unzulänglichkeiten, die zum Teil durch Hemmungen bedingt waren, nicht weiter. Auch für ihn waren Schicksal, Vater und Über-Ich eins. Er beteuerte, daß er an seinem Schicksal selbst schuld sei, denn jeder sei seines Glückes Schmied.

Wo die Identität Vater = Über-Ich = Schicksal besonders deutlich hervortritt, haben wir es mit Individuen zu tun, die eine sehr dünne Hülle von Libido an der aktuellen Ichgrenze besitzen, während primitivere Ichstufen reaktiviert sind. Ein Paranoiker, der anfangs das größte Vertrauen zu mir besaß, entthronte mich, als er feststellte, daß ich ihn vor unangenehmen Schicksalsschlägen nicht schützen konnte. Er mußte sehen, daß nicht ich der Repräsentant des allmächtigen Schicksals war. Wie bereits erwähnt, spielen Phantasien von der Allmacht des Analytikers auch bei nicht psychotischen Patienten eine große Rolle. Ein Patient verlangte z. B. in seinen Übertragungsphantasien, daß ich eine unbegrenzte soziale und politische Macht besaß; da das nicht der Fall war, konnte ich, wie er selber sagte, gegen sein Über-Ich nicht aufkommen. Ein anderer Patient, der das Unvernünftige seiner sich ihm aufdrängenden Übertragungseinfälle vollkommen einsah und schwer dazu zu bewegen war, sie trotz ihrer Unsinnigkeit mitzuteilen, fasste sie schließlich mit folgenden Worten zusammen: „Wer sind Sie denn eigentlich; was mischen Sie sich in meine intimen Lebensangelegenheiten ein; Sie sind doch nicht mein Vater. Übrigens ist mein Vater reicher als Sie und er bezahlt Sie.“ Sein aktueller Vater stand eben immer noch seinem Über-Ich näher als ich. — Es entspräche selbstverständlich gar nicht den Absichten der Behandlung, sich vor dem Patienten als mächtiger auszugeben als man wirklich ist. Unsere Aufgabe ist es, die Patienten zur Wirklichkeit zu erziehen.

Das Rivalitätsverhältnis, das Patienten zwischen ihrem angestammten Über-Ich (Vater, Autorität, öffentliche Meinung usw.) und dem Analytiker fühlen, gibt oft Anlass zu einer negativen Übertragung auf den Analytiker. Ein religiöser Patient träumte einmal, daß ein Bischof, zu dem er in stark positiver Übertragung stand, mit einem anderen Manne mit einer Brille sprach, der eine Narrenkappe auf dem Kopfe trug. Dieser andere war ich.

Die Sehnsucht schafft gegen das Wirken des Destruktionstriebes Abbilder des Liebesobjektes. Das Merkwürdige an dieser Erscheinung ist, daß das Abbild eigene Existenz erhält, daß es lebt, daß es uns grollen oder trösten kann. Wir wissen, daß die das Über-Ich konstituierende Imago unbewusst ist. Denkt man in einem konkreten Falle an bestimmte Menschen, so sind ihre Abbilder zunächst natürlich durchaus bewusst bezw. vorbewusst und zeigen alle Eigenschaften dieser Systeme, auch wenn sie nicht in Verbindung mit Wortvorstellungen, d. h. mit dem Namen der betreffenden Menschen, stehen. Wird aber so eine Imago verdrängt, wie es bei der Über-Ich-Bildung der Fall ist, so löst sich von ihr mehr los als bloß die Wortvorstellung; sie kann dann auch als Abbild der Person nicht mehr zum Bewusstsein kommen. Bewusst wird höchstens ihr Verschiebungsersatz, die Vorstellung von Gott, vom personifizierten Schicksal, von der Autorität, der man später in Wirklichkeit begegnet ist. Das Über-Ich untersteht wie alle Inhalte des Unbewussten dem psychischen Primärvorgange; in diesem Zusammenhange ist auch die Tatsache von größtem Interesse, daß das Über-Ich viele durch Verschiebung entstandene Ersatzbefriedigungen der verbotenen Triebregungen ebenso behandelt wie die direkten Triebhandlungen. Wie das zugeht, muss für sich erforscht werden.*

Die Schaffung von Objekten durch die Allmacht der Gedanken ist eine primitive Methode, erhält sich aber mit erstaunlicher Hartnäckigkeit auch in späteren Organisationsstufen des Ichs. Sie spielt bei den Tagträumen noch immer eine ausschlaggebende Rolle. Das künstlerische Schaffen verleiht dem Gedankenprodukt eine auch für andere Menschen wahrnehmbare Form — es entsteht so das wirkliche Bild. Es ist ja eine allgemein bekannte Tatsache, daß die echte malerische und bildende Kunst die Materialisierung von dem Künstler erscheinenden Imagines (bei der Dichtung und Musik außerdem von Gedanken und Gefühlsregungen) ist; wenn sich diese nicht einstellen, ist der Künstler unproduktiv, er muss warten, bis sie ihm erscheinen. Der reine Abzeichner der Außenwelt, der nichts anderes abbildet, als was er vor Augen hat (etwa ein Photograph), hat mit Kunst nichts zu tun. Die Kunst ist die Formgebung für aus dem Unbewussten quellende seelische Schöpfungen. Dass der photographische Apparat wie jedes Werkzeug auch künstlerischen Strebungen dienen kann, braucht bei der immer steigenden Entwicklung der Kunstphotographie kaum erwähnt zu werden. Ein Patient bot mir einst eine sehr günstige Gelegenheit, diese Verhältnisse genauer zu studieren. Es handelte sich um eine einfache Depression ohne melancholische Züge (kein bewusstes Schuldgefühl, keine Selbstanklagen). Der Patient war apathisch, fast abulisch, brachte für nichts Interesse auf, höchstens noch für seine malerischen Produktionen; quälend war ihm mitunter seine Langeweile, er konnte keine Anstrengungen machen, um sich aus seiner Lage herauszuziehen. Deshalb konnte auch die Analyse nicht viel ausrichten. Es war ihm gleichgültig, ob die Analyse fortgesetzt werden würde oder nicht. So manche analytische Stunde verging, ohne daß er den Mund geöffnet hätte. Er war von der Außenwelt, wie er sich selber aus drückte, durch eine undurchdringliche isolierende Schicht getrennt. Sein logisches Denken war ausgezeichnet; er besaß eine prompte, vorzügliche Auffassungsgabe und erfaßte die schwierigsten philosophischen und erkenntnistheoretischen Probleme, er sprach zusammenhängend, kurz, er wies keines der Symptome auf, die für die misslungenen Anknüpfungsversuche der Schizophrenen an die Außenwelt charakteristisch sind. Der Verkehr zwischen Vbw. und Ubw. war frei. „Wir haben es immerhin mit einem Menschen zu tun, der keine oder wenig Libido für die Außenwelt übrig hat; es tauchen ihm keine starkbesetzten Vorstellungen von Objekten auf, es erscheinen ihm nicht deren Imagines. Dagegen erscheint ihm ständig das Bild vom eigenen Selbst, vom trägen, freudlosen, unbeweglichen Selbst. Diesem gibt er, der malerisches Talent hat, eine malerische Form. Wenn er malt, so nimmt er sich nichts vor, er denkt an gar nichts, er malt ehrlich, was er geistig wirklich sieht, ohne über die Details des von ihm Gesehenen zu reflektieren. Und immer wieder ist auf allen Bildern nur direkt oder indirekt die Imago des eigenen Selbst zu sehen.

*) Um einem eventuellen Missverständnisse vorzubeugen, achte man auf folgendes: Bei speziellen Schuldgefühlen bestimmten Personen gegenüber findet eine Art Wiederholung der genuinen, in der Kindheit erfolgten Über-Ich-Bildung statt, auch wenn diese Person mit dem ursprünglichen Realvorbild des genuinen Über-Ichs, z. B. mit dem Vater, identisch ist. Der eingangs erwähnte Patient, der gestohlen hatte und die Entstehung der Vaterimago wahrnahm, hat in dem erwähnten speziellen Fall gegenüber seinem wirklichen, aktuellen Vater eine Schuld begangen; dieser deckt sich aber nicht mehr mit seinem in der Kindheit erworbenen Ober-Ich. Mag auch eine gewisse Beziehung zwischen dem aktuellen Vater und dem Über-Ich bestehen, ganz gewiss deckt sich der aktuelle Vater nicht mit dem Ober-Ich, das verdrängt im unbewussten unverändert bestehen bleibt. Handlungen gegen das Über-Ich ziehen ganz andere Folgen nach sich als Handlungen gegen den Vater.

Bei diesem Patienten handelte es sich um einen sekundären, d. h. reflexiven Narzissmus. Wäre er bis zum primären Narzissmus, den Federn in treffender Weise als „medial“ bezeichnete, regrediert, so wäre ihm auch nicht das Bild des eigenen . Selbst erschienen. Die Schizophrenen regredieren bis auf diese Stufe; ihre Libido zieht sich von den Objektvorstellungen zurück, sie können gar keine Imagines produzieren, weil ihr Es die Objekte nicht herbeiwünscht. Freilich sind uns doch von Schizophrenen gemalte Bilder bekannt, aber insoferne sie schizophrene Leistungen sind, fehlen ihnen die ubw. Besetzungen und sie bestehen bloß in Verdichtungen von Ausdrücken ohne sachlichen, der Realität entsprechenden Inhalt. Wir müssen uns fragen, um was für eine Ausdrucksart es sich hier handelt. Freud hat betont, daß die vbw. Besetzung aus Wortvorstellungen besteht; es ist aber nicht nur die Erforschung der mannigfaltigen schizophrenen Erscheinungen, die uns zeigt, daß außer diesen akustischen auch Erinnerungseindrücke anderer Sinnesgebiete die vbw. Vorstellungen speisen. Wir müssen alle Formen des Ausdruckes dem Vbw. zurechnen, nicht nur die Sprache, sondern auch die Geste, die Mimik, sowie den zeichnerischen, malerischen und bildenden Ausdruck.

Vor mehreren Jahren hatte ich Gelegenheit, den Krankheitsverlauf bei einem schweren Katatoniker mit häufigen schweren Tobsuchtsanfällen zu verfolgen. Ein Jahr nach seiner Einlieferung in die Anstalt schlug das Krankheitsbild in eine ruhige, ausgeprägte Hebephrenie um. Die auffallendsten Erscheinungen betrafen die Respektierung der Pfleger. Der äußerst aufgeregte, verwirrte, unreine Katatoniker wurde nach und nach ruhiger und geordneter und konnte schließlich zu manchen Pavillonsarbeiten als gute, ja verlässliche Hilfe herangezogen werden. Mit eintretender Beruhigung wurde er aber in der Sprache und in den Gebärden äußerst manieriert. Als ich ihn einmal fragte, warum er so läppisch und affektiert sei, antwortete er in der gleichen Art, ein Pfleger hätte ihm nahegelegt, sich anständig aufzuführen, wenn er genesen wolle. Ich hatte den Eindruck, daß er durch die Art seiner Sprache und seiner Miene seine nunmehr „anständige Aufführung“ zum Ausdruck bringen wollte. Er fügte hinzu, er benehme sich nun tatsächlich anständig und verrichte auch dieselben Arbeiten wie die Pfleger. Hier tritt deutlich seine Identifizierung mit den Pflegern hervor, aber auch seine Nachgiebigkeit und sein Gehorsam ihnen gegenüber. Die Antwort des Patienten erfolgte in einer nicht wiederzugebenden, den Psychiatern aber wohl vertrauten Tonart. Diese mutet wie Hohn oder Spott an, es handelt sich aber doch um etwas anderes; man könnte seine Identifizierung mit den Pflegern etwa auch als Karikatur, als ein Nichternstnehmen seiner eigenen Äußerungen hinstellen. Aber auch damit trifft man nicht das Richtige. (Bei dieser Gelegenheit sei bemerkt, daß der Unterschied zwischen Identifizierung und Nachahmung bloß ein topischer ist.)

Dieser Fall scheint etwas Licht auf das Wesen der Manieriertheit zu werfen; sie entsteht aus nicht tief greifenden Identifizierungen und aus dem Nichternstnehmen der Mitmenschen. Diese Identifizierungen sind aber nicht nur oberflächlich, sondern auch ganz eigentümlich; ihr Wesen ist jedoch schwer anzugeben. Wenn wir von oberflächlichen, sonderbaren Identifizierungen sprechen, so denken wir dabei auch an die Echolalie und Echopraxie der Schizophrenen und werden diese Erscheinungen als Ausdruck der unmittelbar auf den Reiz eintretenden, prompten, aber bloß formellen Identifizierung mit Leuten der Umgebung erkennen.

Wenn wir als Kern der schizophrenen Affektion die Abwendung von der Objektwelt erkennen, so werden wir als Motiv der genannten merkwürdigen, läppisch anmutenden Identifizierungen der Schizophrenen den Versuch der Wiederanknüpfung an die Außenwelt vermuten. Dass die Schizophrenen bei solchen nicht gelungenen Wiederanknüpfungsversuchen an die Außenwelt die vbw. Wortvorstellungen besetzen, da der Weg zu den ubw. Sachvorstellungen nicht mehr passierbar ist,* hat uns Freud gezeigt. In derselben Weise besetzen sie auch die anderen vbw. Ausdruckselemente, ohne sie genügend mit den entsprechenden Sachvorstellungen zu verbinden. Die Beobachtung zeigt uns, daß auch bei den übrigen Ausdrucksvorstellungen, die ohne Verbindung mit Sachvorstellungen bleiben, Verschiebungen und Verdichtungen eintreten, daß sie also dem psychischen Primärvorgange anheimfallen, der also nicht nur die eigentümliche Sprechweise der Schizophrenen bewirkt, sondern auch das Merkwürdige ihres Benehmens. Der Patient, der zu den Pflegern in psychische Beziehung zu treten versuchte, konnte sich nur mehr benehmen, als ob er sie nicht ernst nehmen würde, und zeigte geradezu parodistische Identifizierungen mit ihnen.

*) Ganz und gar sind die Sachvorstellungen allerdings niemals verloren gegangen. Denn der Pfleger ist doch mit Libido — wenn auch unzulänglich — besetzt.

Die libidinöse Besetzung der unbewussten Objektvorstellungen ist zwar nur eine Komponente der komplizierten Objektbeziehungen des Menschen, aber eine von allergrößter Wichtigkeit; wir können diese Besetzung auch dann nicht ausschalten, wenn wir, vom Destruktionstrieb verleitet, gegen von uns geliebte Menschen vorgehen. Haben wir dies getan, so erfährt ihre unbewusste Vorstellung wieder eine Belebung, es entstehen aus Sehnsucht zu ihnen jene von mir hier so oft erwähnten Abbilder, die alles, was in uns vorgeht, sehen und beurteilen. Nur der Schizophrene, der die Objektbeziehungen wirklich verliert, verliert damit auch sein Über-Ich, denn die Über-Ich-Bildung setzt eine Objekt(Vater) Sehnsucht voraus. Wenn ein moralisch haltlos gewordener Schizophrener das Gewissen wiederherstellen will, so vermag er nur eine karikierte Moral zu schaffen, die sich aus pseudophilosophischen, widersprechenden und unsinnigen Maximen zusammensetzt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Regression und Projektion im Über-Ich