Sehen wir nun zu, inwiefern unsere bisherigen Resultate

Sehen wir nun zu, inwiefern unsere bisherigen Resultate die Kenntnisse über das Über-Ich ergänzen können. Das Über-Ich selbst ist unbewusst, seine Entstehung als Endresultat von nacheinander folgenden psychologischen Momenten spiegelt sich im Auftreten bewusster Schuldgefühle wider und so können wir einstweilen die an Hand solcher Schuldgefühle gewonnenen Einsichten auch auf das Über-Ich ausdehnen. Durch die Äußerungen in der Projektion (Wiederholung) erhalten wir Kenntnisse über den projizierten Vorgang. Allerdings werden wir später das Über-Ich selbst einer besonderen Würdigung unterziehen.

Das erste, was wir von den sogenannten „Introjekten“ aussagen können, ist, daß sie auf dem Wege der unvollendeten magischen Schöpfung, durch die uns schon geläufige „Allmacht der Gedanken“ entstehen. Die Bildung von Introjekten ist nicht der einzige Weg, den eine solche Schöpfung einschlagen kann; der allmächtige Gedanke kann auch einen materiellen Ausdruck annehmen, wie es uns z. B. eben Zola vorführte. Die magische Grundlage verleiht der künstlerischen Schöpfung erst etwas wie eine Zauberkraft: Die Kunst ist die in bezug auf Realitätsanspruch abgeschwächte, als schöpferische Leistung erhöhte Fortsetzung der Magie. Doch gibt es auch andere, im eigentlichen Sinne magische Mittel, um Menschenimagines in die Realität hinauszustellen. Auf diese werden wir bei der Berücksichtigung gewisser schizophrener Erscheinungen (Manieren, Echolalie, Echopraxie) näher eingehen.


Das zweite Moment, das wir besonders hervorheben wollen, ist, daß das geschaffene Abbild, die projizierte Vorstellung eines Menschen, von dem realen Menschen selbst in unserem Unbewussten nicht unterschieden wird. Erst das Real-Ich, welches über Urteilsfunktion und Realitätsprüfung verfügt, unterscheidet das Abbild vom wirklichen Menschen; trotzdem bleibt ihre' Identität aber in gewissem Ausmaß erhalten, insofern die darunter liegende Schicht wirksam bleibt. Ich habe von diesen Verhältnissen eine bildliche Vorstellung: Ich stelle mir vor, daß ein Raum, in dem diese Identität besteht, von einer Hülle umgeben ist; nur diese Hülle kommt mit der Außenwelt in Kontakt. Die Vorgänge in diesem Raum beeinflussen die äußere, geschmeidige Hülle, so wie unsere Haut von den unter dieser liegenden Organen vorgewölbt oder eingezogen wird. „Wird aber die Hülle beschädigt oder gar ganz abgebaut, so wird für das Individuum der Unterschied zwischen Gedanke und Wirklichkeit verwischt oder ganz aufgehoben. Dies ist der Mechanismus der paranoischen Projektion. Das Bild dieser Hülle beschäftigte mich schon seit vielen Jahren, ich habe es zuerst in meiner Arbeit „Über eine noch nicht beschriebene Phase der Entwicklung zur heterosexuellen Liebe“ erwähnt. Ich nannte sie einen „nur für Libido durchlässigen Filter“. Ich ging dort von der Beobachtung aus, daß das männliche Ich, wenn es eine eigene feminin-passive Einstellung aufgibt, dafür in der Außenwelt nach einem Objekte sucht, das dem von ihm aufgegebenen Introjekte entspricht, daß es diesem dann Libido zuwendet, um sich wieder mit ihm zu vereinigen — diesmal real, nicht bloß psychisch. Es wird also normalerweise nur Libido projiziert, und zwar auf Objekte der Außenwelt; diese Objekte müssen aber in Wirklichkeit gefunden werden, also tatsächlich bestehen. Der Inhalt der Vorstellungen und Gedanken wird nicht in die Außenwelt verlegt, sondern zurückgehalten. Daher nahm ich einen Filter an, der die Gedanken und Vorstellungen zurückhält und Libido durchlässt. Ich erblickte ferner in einer Beschädigung dieses rätselhaften Filters, die ihn auch für Gedanken und Vorstellungen durchlässig macht, den spezifischen Mechanismus der Projektion der Psychotiker, d. h. der Wahnbildungen und Halluzinationen. Auf die vage Vorstellung dieses Filters kam ich ferner auch in meiner späteren Arbeit „Der Vergiftungswahn im Lichte der Introjektions- und Projektionsvorgänge“ zu sprechen.

Der Filter hat vielleicht mit der aktuellen, stark libidobesetzten Ichgrenze zu tun. Dieser Zusammenhang erklärt auch den Mechanismus von Halluzination und Wahnbildung, die dadurch zustande kommen, daß sich die libidinöse Besetzung des Ichs auf eine frühere Ichgrenze zurückzieht (Federn).* Durch diese Zurückziehung der Ichgrenze werden frühere Ichstufen, endlich auch die von Federn „egokosmisches Ich“ genannte Stufe wiederhergestellt, wo es noch keinen Unterschied zwischen Objekt und Vorstellung vom Objekt gibt. Alles hat noch „Ichqualität“, etwas, was ein „Nicht-Ich“ sein könnte, existiert noch nicht. (Vgl. auch die Ausführungen Freuds über das „ozeanische Gefühl“ in „Das Unbehagen in der Kultur“.)

Aber auch beim Bestehen der normalen Ichgrenze verspüren wir das Weiterwirken früherer Ichstufen. Es ist ebenfalls das Verdienst Federns, entdeckt zu haben, daß auch Ichstufen verdrängt werden können. Ich kann mich den Ausführungen Federns vollkommen anschließen. Unter der Hülle der starkbesetzen aktuellen Ichgrenze ist immer noch die Sphäre wirksam, in der die Vorstellung vom Objekt mit dem Objekt selbst identisch ist. Dies ermöglicht, wie gesagt, erst die Entstehung des Geständniszwanges aus dem Schuldgefühle, das sonst ein innerlicher, ein introjizierter Vorgang bliebe.

Machen wir uns klar, worin sich das echte Über-Ich von den anderen durch die Allmacht der Gedanken geschaffenen Abbildern unterscheidet. Das Über-Ich ist ein durch psychische Mittel geschaffenes, Abbild der Eltern der persönlichen Vorzeit. Es handelt sich dabei um das Abbild eines allmächtigen, allwissenden Wesens, das uns kontrolliert, belohnt und bestraft (namentlich mit der Kastration), uns gewisse Triebregungen hemmen heißt, und das wir nicht entbehren können.

Das Abbild des allmächtigen Vaters wirkt in unserem Unbewussten, wo kein Unterschied zwischen Original und Abbild besteht. Nach der Psychologie des Unbewussten ist das Über-Ich also mit dem Objekte, dessen Abbild es ist, identisch. Dieses Objekt ist aber verschwunden. Die wirklichen Eltern haben ihre ursprüngliche Bedeutung verloren. Das sich stetig mehr an die Realität anpassende, urteilende Ich hat einsehen gelernt, daß die Eltern ebenso ohnmächtig sind wie es selbst. Ihre ursprüngliche Imago aber ist verdrängt worden und bleibt deswegen unverändert im Unbewussten bestehen. Bei den meisten Menschen kommt sie aber von dort aus dennoch zum Durchbruch, und zwar ganz isoliert von den Gedächtnisbildern der realen Eltern, manchmal erst bei Begebenheiten, wo ein starkes Bedürfnis nach mächtiger äußerer Hilfe entsteht. Kommt sie zum Durchbruche, so wird sie wahrgenommen, denn sie existiert tatsächlich als psychische Realität. Wo bleibt aber das Real-Objekt der Außenwelt, das ihr entsprechen soll? Das Real-Ich, das von der Existenz dieser Imago Kenntnis bekommt, ihre Herkunft aber vollkommen ignoriert, nimmt sie in der Außenwelt nicht mit den Sinnesorganen wahr, es kann sie also bloß in ihren Äußerungen erblicken — das führt eben zum Glauben an Gott. Die Vorstellung Gottes entstammt also dem unbewussten Gebilde, das wir Über-Ich nennen. „Will man von einer vom Über-Ich aufgezwungenen Hemmung befreit werden oder die Vergebung vom Über-Ich erhalten, so kann also nur Gott das Verbot aufheben, respektive vergeben; der Psychoanalytiker ist zu schwach dazu. Alle Ereignisse im individuellen Leben werden der Absicht Gottes zugeschrieben. Als ein eineinhalbjähriges Kind hinfiel, rief es aus: „Du schlimmer Papa!“ Aber auch wenn die verdrängte Imago des Allmächtigen nicht zum Durchbruch kommt, ist für unser Unbewusstes das Schicksal, oft auch die äußere Autorität und die öffentliche Meinung, dasselbe wie das Ober-Ich. Manche Menschen werden moralischer, wenn sie von einem Unglück betroffen wurden. Diese Verhältnisse sind uns durch Ausführungen Freuds wohl vertraut; so heißt es im „Unbehagen in der Kultur“ (S. 104 — 105): „Aber dies erklärt sich bequem aus der ursprünglichen infantilen Stufe des Gewissens, die also nach der Introjektion ins Über-Ich nicht verlassen wird, sondern neben und hinter ihr fortbesteht. Das Schicksal wird als Ersatz der Elterninstanz angesehen; wenn man Unglück hat, bedeutet es, daß man von dieser höchsten Macht nicht mehr geliebt wird, und von diesem Liebesverlust bedroht, beugt man sich von neuem vor der Elternvertretung im Über-Ich, die man im Glück vernachlässigen wollte . . .“ „Wenn wir aber die magische Schöpfung des Über-Ichs berücksichtigen und die Verhältnisse nur vom Standpunkte der Psychologie des Unbewussten beschreiben wollen, so müssen wir uns folgendermaßen ausdrücken.“** Die infantile Stufe des Gewissens besteht fort, aber nicht nur neben und hinter der Introjektion ins Über-Ich, sondern diese ursprüngliche infantile Stufe besteht fort — eben im Über-Ich. Das Schicksal ist nicht nur ein Ersatz der Eltern, sondern im Unbewussten ist eben das Schicksal mit den Eltern identisch. Wir dürfen nicht bloß von einer Elternvertretung im Über-Ich sprechen, sondern das Über-Ich deckt sich vollkommen mit den Eltern. Prägnanter ausgedrückt: Im Unbewussten deckt sich das Schicksal vollkommen mit dem Über-Ich, dieses vollkommen mit den Eltern der Vorzeit. Nur mit dieser Ergänzung kann man den Geständniszwang verstehen.

*) Federn: „Einige Variationen des Ichgefühls“, Int. Ztschr. f. PsA., XII, 1926; „Narzissmus im Ichgefüge“, Int. Ztschr. f. PsA., XIII, 1927; „Das Ich als Subjekt und Objekt im Narzissmus“, Int. Ztschr. f. PsA., XV, 1929.

**) Die Identifizierung (Introjektion) mit einem anderen Menschen ist eine autoplastische Formgebung seiner Imago (der Vorstellung von ihm), so wie die Anfertigung seines wirklichen Bildes eine alloplastische. Die Imago-Bildung geht der Identifizierung voraus.





Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Regression und Projektion im Über-Ich