Aus der magischen Schöpfung des beseitigten Liebesobjektes

Aus der magischen Schöpfung des beseitigten Liebesobjektes ergeben sich nun mehrere Folgeerscheinungen; die geschaffene Imago unterhält gewisse Beziehungen einerseits zu den Triebenergien, andrerseits zum wirklichen Objekte, dessen Abbild sie ist. Handlungen, die nur in Abwesenheit eines Menschen begangen werden können, weil sie von ihm verhindert oder wenigstens missbilligt würden, und weil der Täter einen Liebesverlust oder eine Bestrafung zu erwarten hätte, kommen für unser Es einer Beseitigung gleich. Es gibt verschiedene Grade derartiger Beseitigungsakte, die individuell verschieden bewertet werden. „Wie bereits gesagt, wirkt jede Ersetzung eines Menschen durch einen andern, namentlich wenn es sich um besonders intime Beziehungen handelt, im Unbewussten als Beseitigung, also als Destruktion, und jede Äußerung der Destruktion weckt kompensierende Liebe. Ein Mensch gilt natürlich, wie eingangs erwähnt, auch als beseitigt, wenn man sich selbst an seine Stelle setzt. Abgesehen von dem Schuldgefühl, das bei vielen Patienten infolge der Übertragung auf den Analytiker (Ersetzung des Vaters durch ihn) geweckt wird, beobachten wir noch gegen Ende der psychoanalytischen Behandlung, daß so mancher Patient es nicht wagt, sich erwachsen zu fühlen und Sexualverkehr auszuüben, weil er sonst wie der Vater wäre. Selbst erwachsen sein, hieße, der Vater sein, also: diesen beiseite geschoben, ihn getötet haben. Daraus ersieht man wieder, wie die Identifizierung ambivalenten Gefühlen Ausdruck verleiht.

Die magische Schöpfung eines Liebesobjektes verträgt sich nicht mit den gegen dasselbe gerichteten Aggressionstendenzen. Deshalb werden die negativen Regungen, die in der ambivalenten Einstellung zum wirklichen Objekte bestanden haben, im Es vom Vorstellungsintrojekt ferngehalten, so daß die Persönlichkeit als Liebesobjekt respektiert wird; sie könnte sonst nicht erscheinen — ihr Erscheinen mit Gewissensfunktion wird demnach vom Eros erzeugt. Dadurch, daß man jemandem gegenüber schuldig wird, wird entweder nach dem eben geschilderten Mechanismus eine Triebentmischung hervorgerufen oder es wird wenigstens eine schlummernde simultane Ambivalenz automatisch zur alternierenden. Von großer Bedeutung ist dabei die Tatsache, daß die ambivalenten Regungen nun nicht nur dem wirklichen Objekte gelten können, sondern auch seiner Imago, d. h. der Vorstellung von ihm. Doch darüber werden wir später ausführlicher sprechen. Es sei hier nur noch erwähnt, daß die simultane Ambivalenz sich nur in einer Hemmung äußert, die alternierende hingegen Symptome erzeugt.


Dadurch, daß man nach begangener Missetat das provoziert, was geschehen wäre, wäre das Liebesobjekt anwesend gewesen, wird seine Existenz bejaht und nicht geleugnet. Wenn der eingangs erwähnte Patient in Gegenwart seines Vaters gestohlen und die daraus sich ergebenden Konsequenzen auf sich genommen hätte, so hätte er durch ein solches Benehmen die Existenz des Vaters bejaht und nicht ihn ignoriert. Jeder Versuch aber, diese Konsequenzen zu vermeiden und trotzdem zu stehlen, musste unbewusst die Bedeutung haben, den Vater zu beseitigen. Dieser Beseitigung folgt die magische Wiederbelebung des Vaters aus starker Sehnsucht nach ihm; diese wieder muss (und dies ist gerade das maßgebende Moment) automatisch eine andere Verwendung jener Destruktionskräfte nach sich ziehen, welche vorher in der Beseitigung des Vaters ihre Befriedigung gefunden haben. Die vorgestellte oder halluzinierte Imago, die magisch getötet wurde, kann nur dann wieder lebendig gemacht werden, wenn man die Strafe auf sich nimmt, die sie verhängt hätte. Hier liegt der Weg zur Ablenkung der Aggressivität vom Objekte gegen die eigene Person. Der Eros darf in seiner Funktion, den Getöteten wieder zu schaffen, vom Destruktionstrieb nicht gestört werden. Dies aber ist der viel erörterte Mechanismus des Strafbedürfnisses; es entstammt der Sehnsucht nach dem Objekte oder besser der Unfähigkeit, darauf zu verzichten. Die Selbstbestrafung erweist sich so ebenfalls als ein Akt, der das mit der Tat beseitigte Liebesobjekt wieder „ins Leben ruft“. Wir verstehen, daß die magisch-halluzinatorische Schaffung einer Persönlichkeit eine besondere, dazu geeignete Änderung der Gesamtstruktur der Psyche erfordert.

Als einem Kinde gedroht wurde, sein Vater werde es verlassen, antwortete es: „Nein, der Vater soll lieber mit mir böse sein, aber hier bleiben.“ Da man das Liebesobjekt so wieder schaffen will, wie es wirklich war, muss es auch in der Vorstellung genau so reagieren, wie es in Wirklichkeit reagiert hätte, hätte es von der begangenen Schuld erfahren. Wenn man sich ein Bild eines lieben, verstorbenen Angehörigen anfertigen lässt, nimmt man nicht vorlieb mit einem Bilde, das ihm nur ungefähr ähnlich ist, auch dann nicht, wenn es schöner ist als das wirkliche Objekt; man will es haben, wie es wirklich war.

Ein anderes Moment, das berücksichtigt werden muss, ist die Einstellung zu der realen Person, der gegenüber man sich schuldig fühlt. Unserem eingangs erwähnten Patienten war es äußerst peinlich, vom wirklichen Vater, der nichts vom Diebstahl wusste, noch geliebt und geschätzt zu werden, während die Vater imago,* die alles wusste, ihm die Liebe entzogen hatte. Es besteht also in uns die Neigung, das wirkliche Objekt mit seinem psychischen Abbild in uns zur Deckung zu bringen. Wie erklären wir uns diese Neigung? Unserem Es wird das magisch von ihm geschaffene Abbild durch ein abweichendes Verhalten des wirklichen Objektes gestört. Der Schuldige hat die Tendenz, sich dem wirklichen Objekte gegenüber so zu benehmen, als ob es von seiner Schuld wüsste; die Realitätsprüfung jedoch, über die das Ich verfügt, widerspricht dem. Sie kämpft gegen das Gefühl der Identität von Introjekt (Imago) und Real-Objekt, das sich entgegen aller Vernunft aufdrängen will. Wenn das Kräfteverhältnis ungünstig ist, kann die Realitätsprüfung unterliegen. Sonst aber weiß das einsichtige Ich sehr wohl, daß das Objekt nichts von dem weiß, was hinter seinem Rücken begangen worden ist; das Gefühl, es wisse es doch, stammt von einer verdrängten Ichstufe. Mich der Ausdrucksweise Federns bedienend möchte ich sagen, daß das Objekt, weil außerhalb einer früheren Ichgrenze, von der Vorstellung des Objektes nicht auseinandergehalten wird. Die Allmacht der Gedanken muss in ein archaisches Ich mit dieser früheren Ichgrenze verlegt werden. Aus der Spannung zwischen dem oben beschriebenen Vorgange der magischen Schöpfung, der sich innerhalb der alten Ichgrenze abspielt (wovon das höhere Ich sich nicht Rechenschaft ablegt), und der Realitätsprüfung des rationell urteilenden höheren Ichs entsteht jenes Gefühl, das man meint, wenn man sagt, man fühle „sich einem Menschen gegenüber schuldig“. Man ist dann seinen Liebesäußerungen gegenüber gehemmt, als ob sie nicht vom Herzen kämen; man hat andrerseits die Erwartung, von ihm abgewiesen zu werden. Es ist ja bekannt, daß so mancher gewissenhafte Ehemann nach einem Seitensprunge eine Zeitlang gegenüber seiner eigenen Frau als Schuldgefühl an sexueller Potenz Einbuße erleidet, als ob er von ihr abgewiesen würde.

Aus dem Verlangen nach Übereinstimmung des Vorstellungsintrojekts mit dem Real-Objekt ergibt sich die Versöhnungsmöglichkeit des „Sünders“ mit dem Liebesobjekte. Versteht und vergibt das Liebesobjekt, so hört auch die vom Introjekt (Imago) ausgehende Spannung auf. Das ist, meiner Ansicht nach, die Begründung des Geständniszwanges. Ändert das Liebesobjekt seine Ansprüche, erlaubt es, was es früher verboten hatte, so werden dadurch dem Individuum Triebbefriedigungen freigegeben; Handlungen, deren Ausführung früher die Beseitigung des betreffenden Liebesobjektes bedeuteten, haben nun diesen Sinn verloren, eben weil sie von ihm erlaubt worden sind.**

*) Ich gebrauche das Wort „Imago“ im selben Sinne wie „Introjekt“

**) Eine Erfahrung aus der Tierpsychologie verdient unsere volle Beachtung. Es kommt zuweilen vor, daß ein Hund, der in Abwesenheit seines Herrn etwas angestellt hat, bei dessen Wiederkehr vor ihm davonläuft oder sich duckt, als ob er von ihm verprügelt werden sollte. Auf diese Weise verraten sich Hunde sehr häufig. Wir treffen also bei ihnen eine Art Schuldgefühl an. Der Hund benimmt sich so, als ob sein wirklicher Herr um seine Missetat wüsste. Es fehlt ihm die unterscheidende Urteilsfunktion. Wenn die Grundlage unseres Schuldgefühls überhaupt in unserer geschichtlichen Entwicklung liegt, in dem begangenen Vatermorde usw., wie kommt es dann, daß beim Hunde ein Schuldgefühl aufkommen kann? Dazu können wir folgendes sagen: Dass die Abnahme der Aggressivität des Hundes seinem Herrn oder im allgemeinen dem Menschen gegenüber mit einem Introversionsvorgange der Destruktionsenergie, folglich mit so etwas wie einer Über-Ich-Bildung zu tun hat, könnten wir wohl annehmen. Wir dürfen ferner nicht vergessen, daß der Hund seit vielen Jahrtausenden, seit der Steinzeit, vom Menschen gehalten wird. Aus der Wildheit und Aggressivität seines nächsten Verwandten, des Wolfes, müssen wir schließen, daß ursprünglich die Ahnen des heutigen Hundes ihre Herren zerrissen haben und später im Verlaufe der Domestikation doch eine heftige Liebe zu ihnen empfinden konnten. Der Hund ist ja im hohen Maße liebesfähig. Es sind Fälle bekannt, wo ein treuer Hund den Tod seines Herrn nicht ertragen konnte und auf seinem Grabe verendete. Es liegt also auch in der Entwicklungsgeschichte des Hundes etwas Besonderes, das zu einer Art Über-Ich-Bildung führte.


Ich habe eingangs erwähnt, daß ich von der Analyse spezieller Schuldgefühle bestimmten Menschen gegenüber ausgehe, ohne vorläufig das gesamte Über-Ich zu berücksichtigen. Nur erinnere ich daran, daß man im Über-Ich jeweils ein anderes Introjekt wirksam sieht, je nach dem Liebesobjekte, das man gerade symbolisch (im geschilderten Sinne) getötet hat: einmal das magisch geschaffene Abbild des Vaters oder der Mutter, ein anderes Mal das des Ehepartners, ein drittes Mal das eines Freundes usw. Trotzdem gibt es nur ein Über-Ich. Ich bin nicht mit Schilder einverstanden, der von vielen Über-Ichen spricht. „Was bisher dargelegt wurde, bezieht sich nur auf den psychologischen Mechanismus, nach welchem ein Schuldgefühl irgend einem Menschen gegenüber entsteht, indem man ein Abbild von ihm in sich aufrichtet, das die Handlungen kontrolliert.

Die beschriebene Vorgangsfolge Tötung — Reue — Wiederbelebung, die sich jedesmal beim Zustandekommen eines Schuldgefühls einem bestimmten Menschen gegenüber abspielt, ist aber ein „Wiederholungsvorgang nach einem alten, in der Menschenseele tief eingewurzelten Muster. Erst dieser Urvorgang in der menschlichen Entwicklungsgeschichte, der sich ontogenetisch beim Individuum in der ersten Kindheit erneuert, führt zur Bildung des eigentlichen Über-Ichs, dieser gewaltigen seelischen Instanz. Wie bekannt, nimmt Freud die Ereignisse in der Urhorde als das phylogenetische Vorbild des Ödipuskomplexes und damit der Über-Ich-Bildung an: den erbitterten Beseitigungswunsch gegen den Urvater, die Konflikte, die sich aus der gleichzeitigen Angst vor ihm und Liebe zu ihm ergeben, die reale Abhängigkeit von ihm in der großen Not des Lebens, die schließliche Tat, durch die er getötet und verzehrt wurde, die Reue nach der Tat und schließlich seine magische Wiederbelebung und die sogenannte Projektion seines vergrößerten und vervollkommneten Abbildes in den Kosmos in der Gestalt der Gottheit, deren Auge alles sieht. Ich werde später zeigen können, worin diese Projektion eigentlich besteht. Bei der Wiederholung dieser allerwichtigsten Momente der Menschheitsgeschichte heftet sich die kindliche Psyche an jene Personen und jene persönlichen Erlebnisse, die sich dazu am meisten eignen, wie es aus den Analysen des Ödipuskomplexes der Neurotiker hervorgeht. Aber sowohl der Hergang der Über-Ich-Bildung wie das Über-Ich selbst bleiben unbewusst und das Unbewusste unterliegt dem psychischen Primärvorgange, was besondere Wirkungen und Zustände zeitigt, die in einem andern Zusammenhange besprochen werden müssen.

Anna Freud hat auf dem X. Int. Psychoanalytischen Kongress (Innsbruck) erklärt, daß beim Kinde „das Über-Ich noch kein starres Gebilde geworden, sondern allen Einflüssen der Außenwelt noch zugänglich ist“.* Das Kind kann die Bedingungen des Auftretens von Schuldgefühl noch leicht ändern, wenn eine autoritative Person der Außenwelt die bisher gültigen Gebote ändert, verboten gewesene Triebbefriedigungen wieder freigibt. Das Kind ist in seiner Triebregulierung noch weit mehr von der Rücksicht auf Real-Objekte geleitet als von einem eigentlichen Über-Ich. Soweit ein solches schon vorhanden ist, passt es sich dem Verhalten der Objekte leicht an. Es scheint mir nun, daß bei dem bewussten Schuldgefühl des Erwachsenen einem bestimmten Menschen gegenüber die Verhältnisse noch sehr ähnlich liegen wie beim Kind: Vergibt oder erlaubt dieser bestimmte Mensch, so schwindet das Schuldgefühl ihm gegenüber. Komplizierter werden die Probleme des Über-Ichs des Erwachsenen erst, wo es sich um ein nicht speziell persönliches Schuldverhältnis handelt. Dann kann erst eine gründliche Analyse das Schuldgefühl zum Schwinden bringen durch Aufgrabung jener tiefen Schichten, wo es entstanden ist.

Wir haben verstanden, daß die Vorstellung eines Menschen als Gewissensinstanz erscheint, wenn man ihn beseitigt hat (oder etwas Äquivalentes getan hat), ihn aber dennoch liebt und deswegen wieder herbeiwünscht. Der zweite Teil des; Satzes bedarf eines Kommentars. Die „Liebe“ zu ihm kann mannigfaltiger Art oder Herkunft sein, wobei die aus der Identifizierung stammende, weil sozial sehr wichtig, besonders berücksichtigt werden muss. In der sozialen Gemeinschaft herrscht, wie uns Freud gelehrt hat, eine Identifizierung der einzelnen Mitglieder miteinander. Diese Identifizierung verleiht den sozialen Konventionen, den festgesetzen Rechten der Menschen, eine besondere Kraft; auf dieser beruht das Verständnis des fremden Ichs (Duheit). Ohne diese Identifizierung könnten menschliche Beziehungen, wie sie tatsächlich bestehen, eine Unzahl von Gefühlen und Einstellungen wie z. B. das Mitleid** nicht zustande kommen. Während Adler mit einem fertigen Gemeinschaftsgefühl rechnet, wissen wir Freud-Schüler, daß das sogenannte „Gemeinschaftsgefühl“ aus mehreren Faktoren besteht und einer Analyse zugänglich ist. Hier interessiert uns die Liebe aus Identifizierung, jene Liebe, die uns vom anderen Menschen als von unserem Nächsten sprechen lässt. Sie hat das in der Menschenseele tief wurzelnde Gesetz vom Talion geschaffen. Dieses wurde wahrscheinlich in der sozialen Entwicklungsepoche des Brüderclans gekräftigt. (Vgl. die diesbezüglichen Arbeiten Freuds „Totem und Tabu“ und „Massenpsychologie und Ich-Analyse“.)

*) S. Autoreferat in Internat. Ztschr. f. PsA., XIII (1927), S. 477.

**) Vgl. Jekels : Zur Psychologie des Mitleids. Imago XVI, 1930.

Ein sehr lehrreiches Beispiel von Schuldgefühl nach dem Morde eines Nebenmenschen, den man nicht im gewöhnlichen Sinne liebt, sondern nur mit der erwähnten „Identifizierungsliebe“, dem man also solche Libido zuwendet, die in der Einstellung enthalten ist, kraft welcher er als „gleichberechtigte Duheit“ empfunden wird, finden wir in Zolas „Thérèse Raquin“.* Ich werde in wenigen Worten die Episode, die uns angeht, wiedergeben:

Laurent und Therese ertränken den kränklichen Camille, Thereses Mann, und heiraten. Der Autor macht uns schon frühzeitig mit dem Wesen Laurents bekannt: Es ist ein junger Mann, der mit Freuden auf den Tod seines Vaters wartet, weil dieser ihm kein Geld schicken will. Laurent versucht, Heiligenbilder zu malen, um sich ein paar Groschen zu verdienen, aber dies bildet für den sehr mittelmäßigen Maler eine sehr spärliche Verdienstquelle. Nach Camilles Ermordung erlischt die leidenschaftliche Liebe Thereses und Laurents, zu deren Befriedigung sie ihn umgebracht hatten. Sie entfremden sich immer mehr, meiden sich und werden von der Vorstellung, ja von der Halluzination des Ermordeten furchtbar gequält. Mit Camille haben sie auch ihre leidenschaftliche Liebe getötet.


Wir sehen ein, daß die magische Schöpfung des Getöteten mit der Befriedigung jener Liebe, die er im Leben verhindert hätte, unverträglich war (nachträglicher Gehorsam). Zur Schaffung eines Objektes muss man mit der Gesamteinstellung mithelfen, sonst gelingt diese Schaffung nicht und die Imago kommt nicht zustande.

Laurent mietet hierauf ein bescheidenes Atelier und versucht zu malen. Ein Freund, der ihn besucht, ein Kunstkenner, entdeckt zu seinem Erstaunen, daß die von Laurent gemalten zwei Frauen- und drei Männerköpfe Meisterwerke sind; er kann es kaum glauben, daß Laurent ihr Autor sei. Der Freund macht ihn aber darauf aufmerksam, daß alle fünf Bilder einander ähnlich sind. Tatsächlich: alle sind dem getöteten Camille ähnlich. Laurent versteht, daß er zu lange den ertrunkenen Camille in der Morgue betrachte t hatte, dieser Eindruck ist zu stark in seinem Geiste eingeprägt geblieben. Er vernichtet die Bilder und will Köpfe von Greisen und Mädchen malen, alle gleichen aber dem Camille. Er nimmt sich vor, Engel und Jungfrauen mit Strahlenkronen zu malen, Karikaturen mit verzerrten Gesichtszügen, römische Krieger mit dem Helme auf dem Kopfe — alles umsonst; er ist nicht Herr seiner künstlerischen Hand, diese produziert in tausend Formen immer wieder nur Camilles Gesichtszüge. Therese und Laurent enden schließlich durch Selbstmord. Dazu hat sie die Imago Camilles getrieben.

*) Dieser psychologisch wertvolle Roman wurde im Jahre 1867 von dem damals 27jährigen Autor verfasst. G. Dalma, dem ich mündlich den Sinn der künstlerischen Produktionen Laurents, die gegen seinen Willen sich ihm aufdrängen, mitteilte, behandelte die Episode ausführlich vom psychoanalytischen Standpunkte im „Archivio Generale di Neurologia, Psichiatria e Psicoanalisi“ vom Prof. Levi Bianchini, vol VIII f. 4, 1927. Der Mord wird von Dalma als eine Wiederholung der Tötung des Urvaters aufgezeigt, ein Vorgang, der von jedem Menschen in der ödipussituation psychisch wiedererlebt wird.

Die Erscheinung, daß die lebhafte Vorstellung oder Halluzination des Ermordeten den Moraer oft peinigt, finden wir als Motiv auch vielfach in der dramatischen Darstellung vor. Dieses Motiv erweist sich sehr dankbar für den Schauspieler und wirkt stark auf den Zuschauer. Man denkt beispielsweise an die Schauder erregende, blutende Leiche Banquos, die Macbeth erscheint, welcher ihn töten ließ.


Wie erwähnt, dürfte man den Ausdruck „Magie“ streng genommen nur dort gebrauchen, wo es sich tatsächlich um eine Beeinflussung der Realität handelt. Das Individuum kann aber auch bewogen werden, der psychischen Imago einen materiellen Ausdruck zu geben, wie es uns Zola hier vorgeführt hat. So erhält das, was ich als „magische Schöpfung“ anspreche, in der „künstlerischen Schöpfung“, die so etwas wie eine Zauberkraft bewahrt hat, ihre natürliche Fortsetzung.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Regression und Projektion im Über-Ich