Die Raubstaaten

Aus: Der Müller von Wostevitz. Band 1
Autor: Carl Schmeling (unbekannt), Erscheinungsjahr: 1863
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Kriminalroman, Rügen, Schwedenzeit, Strandräuber, Mühle, Müller, Strickreiter, Bergen, Postmeister, Postkutsche, Gasthaus, Poststation, Kutscher, Postillon, Norddeutschland, Dreißigjähriger Krieg, Pommern, Gustav Adolf von Schweden, Frieden,
Südlich von der Stadt Bergen und vielleicht nur eine halbe Meile davon entfernt, liegt zwischen den fruchtbaren Feldern verschiedener Ortschaften eine Wüste, die zwar nicht ganz so groß wie die afrikanische Sahara ist, aber doch immerhin einige Ähnlichkeit mit derselben hat.

Diese besteht zuerst in dem Sande der Hochebene, welcher genau so viel Früchte trägt und bei trockenem Winde den Wanderer ebenso sorgsam freundschaftlich einhüllt, wie der Sand der Sahara.

gibt es in jener wie in dieser dieselbe Klasse von Menschen, Beduinen genannt, obgleich die Beduinen unserer Wüste trotz ihrer langen Finger nicht von Hagais Sohn Ismael abstammen, sondern nach den Ansichten des gelehrten Dr. Grümbke, weil sie dünne Waden haben, wendischer Abkunft sein sollen.
Endlich liegen am Nordrande unserer Wüste ebenfalls drei Ortschaften, denen der Volkswitz die Namen Algier, Tunis und Tripolis beigelegt hat, obgleich sie in Wahrheit anders benannt sind.
Wann diese zweideutigen Namen jenen Orten beigelegt worden, dürfte sich wohl aus keiner noch so alten Chronik mit Sicherheit erkennen lassen; desto verständlicher reden jene jedoch hinsichtlich der Bedeutung oder Ursache solcher Benennungen, und wie immer hat der Volkswitz auch hier das richtige getroffen.

In dem größeren dieser Orte — Algier — eigentlich Tilso genannt, wohnte zu der Eingangs dieser Erzählung angegebenen Zeit ein Mensch Namens Robbe, aus dem Niemand, am allerwenigsten jedoch die scharfsinnige schwedische Polizei, recht klug werden konnte.

Robbe war seiner Profession nach ein Dachdecker; das heißt, ein Mensch, der Häuser und Scheunen mit Strohdächern versah und allenfalls auch ausbesserte —, wenn er nämlich Lust zu solchen Verrichtungen hatte.

Diese Lust hatte er aber selten oder nie, wohl aber eine so gewaltige Arbeitsscheu, dass man ihn füglich faul nennen konnte; dies waren Tatsachen, die unzweifelhaft feststanden.

Das Gerücht sagte, Robbe habe sich diese Faulheit während seines langen Soldatenstandes angewöhnt, und sie sei bei ihm vollständig inkurabel geworden.

Ein langer gerader Kerl war Robbe allerdings und seine Haltung hatte wirklich etwas Militärisches. Sein dürrer Körper war dabei muskulös und fast wie von Eisen und Stahl, und seine Glieder, wenn er nicht arbeiten musste, so gelenkig und elastisch, wie die des Rehs.

Auch seine Körperstärke ward gerühmt; doch trotz alledem und trotzdem er verheiratet war und Familie hatte, arbeitete er nicht, sondern lebte mit derselben in einer Not und Dürftigkeit, wie unsre modernsten Proletarier.

Plötzlich jedoch änderte sich dieser Zustand; in den Töpfen Robbes ward das Fleisch nicht alle; seine Flasche war stets mit einem guten Kornbranntwein gefüllt, und endlich suchte er gar die Erlaubnis nach, in seinem Tilso-Algier ein Wirtshaus zu, eröffnen, die ihm denn auch erteilt ward.

Man munkelte damals viel von der Veranlassung zu dieser günstigen Wendung der Verhältnisse Robbes; es hieß bald, er habe einen Topf mit alten Münzen gefunden — auf Rügen eben keine Seltenheit; — dann sollte er wieder eine Erbschaft gemacht haben, oder es hatten ihn Verwandte unterstützt, oder er hatte — doch davon sprach man nicht gerne.

Robbe kehrte sich an diese Reden so wenig, wie an die früheren über seine Faulheit; von dieser aber war gar nichts mehr an ihm zu bemerken; er war die Tätigkeit selbst, seit er Schankwirt geworden. Jedenfalls ein neuer Beweis, dass der Mensch stets brauchbar ist, wenn er nur in das rechte Gleis gebracht wird.

Zuerst mochte freilich die Eröffnung seines Wirtshauses in dem gänzlich armen, nur von Tagelöhnern und Bettlern bewohnten Orte etwas lächerlich erscheinen; doch merkwürdig, mit seinem Wohlstande hob sich auch der des ganzen Dorfes, und er hatte nicht allein Gäste, sondern auch solche, die tüchtig darauf gehen ließen und bar bezahlten.

Auch Tunis und Tripolis hoben sich in dieser Hinsicht auf unerklärliche Weise, und obwohl die Raubstaaten weit ab von jeder größeren Straße lagen, drang doch das Gerücht davon wirklich über die Grenzen der Wüste hinaus. Man wunderte sich, die unvermeidliche Polizei steckte ihre Nase in die Wüste, um zu beobachten; entdeckte jedoch nichts weiter, als dass sich die Raubstaater nicht mehr — mit kleinem Diebstahl beschäftigten, sondern sehr fleißig für Geld in andern umliegenden Orten arbeiteten. —

Robbe gewann dabei sichtlich immer mehr an Autorität in den erwähnten Ortschaften; jeder fragte ihn um Rat; jeder folgte seinen Weisungen, und endlich wendete sich sogar auch die Obrigkeit ausschließlich an ihn, wenn sie wegen Abgaben oder andern Sachen mit den Ortschaften zu verhandeln hatte.

Man sieht, aus Robbe war statt eines nichtsnutzigen, faulen Tagediebs sehr schnell eine Respektsperson geworden, und dies lediglich, weil er in Besitz von Geld gekommen; woher es gekommen, darnach fragte man endlich nicht weiter.

Diese Respektsperson nun legte am Abende vor dem Morgen, an dem diese Erzählung begonnen, eine eigentümliche Unruhe an den Tag; seine Stube war voller Gäste; aber er achtete nicht sonderlich auf ihre Bedienung, sondern mehr auf den Weg draußen, und schüttelte jedes Mal den Kopf, wenn er denselben aufs Neue resultatlos rekognosziert hatte.

Der finstere Abend machte endlich, jedoch sichtlich zu seinem Verdrusse, seinem Spähen ein Ende, und er sah sich genötigt, mehr im Zimmer zu bleiben. Das scharfe Auge in seinem eulenartigen Gesicht begann jetzt wieder seine Gäste zu überwachen, die gerade, in Folge des vielfachen Branntweingenusses, etwas laut wurden.

„Ihr könnt mir's glauben!“ überschrie unter anderen ein vierschrötiger Kerl den Lärm, „es ist wie ich sage, und wenn Ihr bei Nachtzeit einen Gang in den Hof oder Garten versuchen wollt, so könnt Ihr das Vergnügen haben, von den Bestien verspeist zu werden!“

„Was ist— was gibt's?“ rief man von allen Seiten; „was will der Hackeschulze?“ fragte auch Robbe.

„Ja, nu“, meinte Jemand, „der alte Tranpeter will uns was weiß machen; er sagt, der Oberst drüben in Krakau habe sich zwei Bären angeschafft, die er Nachts loslasse, um uns zu empfangen, wenn wir ihm etwa unsern Besuch abstatten sollten!“

„Wahre Dein Maul, Utz!“ rief Robbe mit Donnerstimme und einem Wutblick, „was ist es mit den Bären, Hackeschulze?“

„Na!“ antwortete der Mann, „der Utz hat's gesagt und ich habe die Biester gesehen; sie liegen zu beiden Seiten der Haustür an Ketten!“

Robbe ging hinter seine Schenke und starrte nachdenklich vor sich hin, während seine Gäste den Gegenstand weiter bearbeiteten; in ihre Unterhaltung mischte er sich jedoch erst wieder, als bereits der größere Teil, besonders die von den Nachbarorten die Schenke verlassen hatten.

Die Unterhaltung ward überdem jetzt leiser, aber auch ungenierter geführt, da alle noch Gebliebenen Vertrauenspersonen zu sein schienen. Man sprach hauptsächlich von Diebstählen, ohne jedoch die eigene Teilnahme daran direkt anzudeuten. —

„Er kommt am Ende heute gar nicht!“ sagte gegen Mitternacht Robbe, indem er aufstand, „und doch könnten wir sobald kein günstigeres Wetter haben als diese Nächte!“

„Wird schon kommen!“ entgegnete ein kleiner untersetzter Mann. „Der Weg ist weit, und wo man sonst drei Stunden braucht, müssen es heute deren sechs sein; vielleicht hat er auch noch anderswo zu tun, der gute Munter; er ist doch sonst pünktlich wie ein Uhrwerk!“

„Meinst Du, Braatz?“ murmelte der Wirt; doch er schien sich dabei zu begnügen, und wiederum wartete man mehrere Stunden; es schlug zwei Uhr.

„Nein, das wird mir zu viel!“ meinte jetzt einer der Gäste. „Gehabt Euch wohl, Jungen, wer mich braucht, weiß mich zu finden!“

Damit verließ der Mann das Zimmer und das Haus. Die Übrigen folgten ihm, so lange er noch im erstem war, schweigend und gähnend mit den Blicken. Sein Beispiel war übrigens ansteckend; einer nach dem andern verließ das Haus; Robbe schaute verdrießlich drein; bei ihm blieben nur Braatz und Hackeschulze.

Die alte Wanduhr verkündete die dritte Morgenstunde.
„So wollte ich doch—!“ begann Robbe ärgerlich; doch ehe er noch seinen Fluch ausstoßen konnte, ließ sich durch das seit einiger Zeit bereits allein hörbare Brausen des Sturmes der Huftritt eines Pferdes und dessen Gewieher vernehmen.

„Na, endlich!“ stieß er hervor und eilte hinaus.

Es dauerte nur so lange als nötig war, das Pferd des späten oder vielmehr frühen Gastes unterzubringen, bis er wieder, von einem Mann begleitet, in das Zimmer trat.

Dieser Mann war kurz, dick und in allen seinen Bewegungen auffallend langsam. Er trug einen langen dicken Kalmuckrock, eine Pelzmütze und lange Stiefeln, jedoch keine Sporen; statt dessen hielt er eine derbe Karbatsche in seiner Rechten. In seinem breiten Munde steckte eine Kalkpfeife, seine kleinen halb geschlossenen Augen und die groben gemeinen Züge seines Gesichts hatten einen durchaus schläfrigen, nichtssagenden Ausdruck. Nichtsdestoweniger hieß der Mann Munter.

„Morgen!“ grinste er die beiden späten Gäste am Tische gewahrend, „glaube es ist Hundewetter, glaubt Ihr nicht?“

„Na, Munter,“ erwiderte Braatz, „das Wetter wollen wir gut sein lassen, es hat uns schon manchen Dienst geleistet; aber Du kommst verdammt spät, so früh es noch heute ist!“

„Komm zur rechten Zeit!“ brummte Munter, seine nasse Kappe ausschwenkend, „nichts zu trinken, Robbe?“

,,Gleich, Munterchen!“ rief der außerordentlich beweglich gewordene Robbe, „wirf Dich nur einstweilen an den Tisch, die Suppe ist schon ein Paar Mal kalt geworden!“

Munter entsprach der Einladung, indem er auf seinen krummen Beinen und einwärts gedrehten Füßen wie eine Gans watschelnd, sich dem Tische näherte und zu den beiden Andern setzte.

Er glotzte diese nacheinander mit etwas weiter als bisher geöffneten Augen an; erst dann reichte er ihnen die Hand und begann hiernach seinen Rock aufzuknöpfen, zog zwei Pistolen und ein Messer hervor, legte diese vor sich hin und sich selbst gähnend gegen die Rücklehne des Stuhles.

„Auch schlechter Weg!“ brummte er, seine Augen wieder schließend.

„Das ist nicht zu leugnen!“ erwiderte Hackeschulz, „kommst Du direkt von Jasmund?“

„Wie man's nehmen will!“ murrte jener, „bin von Jasmund ausgeritten, habe aber ein Paar Haken geschlagen! — was Neues hier?“

„Nichts von Belang!“ erwiderte Braatz, „nur dass der alte Krakauer sich ein Paar Bären —!“

„Alte Geschichten!^ unterbrach ihn Munter mit einer verächtlichen Handbewegung, „aber da kommt Robbe mit der Brühe — recht so, mein Junge!“

Augen und Gesicht des phlegmatischen Kerls ermunterten sich wirklich auf einen Moment, als Robbe einen dampfenden Grognapf vor ihn hinsetzte; doch schon im nächsten Augenblicke verfiel er wieder in die frühere Schlaffheit, gähnte und schlürfte das Getränk aus dem gefüllten Glas, völlig gleichgültig, ein.

„Schmeckt!“ brummte er indessen. „Ja schmeckt — mittrinken?“

„Ja wohl, Mann!“ lachte Robbe, „ich glaube, Gott straf mich, Du wärst im Stande, den Kübel voll allein zu Dir zu nehmen!“

„Nicht gefährlich, mein Bursch!“ murrte Munter, „schon eher da gewesen!“

„Das glaube ich schon!“ lachte Braatz, „aber wie steht's, gibt's Arbeit?“

„Erst Geld!“ knurrte der Gefragte.

„Das lass ich gelten!“ rief Robbe, während sein Gesicht erglänzte. „Hoffentlich viel, he?“

Munter begnügte sich eine Bewegung mit dem Kopfe zu machen, von der man jedoch nicht erraten konnte, ob sie bejahend oder verneinend sein sollte. Alsdann zog er langsam einen ziemlich ansehnlichen Beutel mit Geld hervor und legte ihn auf den Tisch; hielt ihn aber einstweilen noch fest.

„Raubstaaten teilen?“ brummte er dazu, „aber mein Botenlohn? he!“

Die drei Genossen des würdigen Munter warfen sich sprechende Blicke zu und lachten.

„Bestimme Dir ihn selbst, mein Junge!“ rief Robbe.

„Gut!“ sagte Munter mit dem Kopfe nickend, „sind zwar nur drei Meilen, habe mich aber ihrer sechs damit schleppen müssen, — müssen bezahlt werden!“

Hiernach griff er mit seiner breiten Pfote in den Sack, nahm aber nicht sechs, sondern sieben Thaler heraus.

„Dass Dich der Teufel, Kerl!“ rief Braatz lachend, während die Andern einstimmtest, „Du bist ein verzweifelter Zahlmeister!“

Munter antwortete nicht, sondern schob gleichmütig den Beutel von sich, seinen selbst berechneten und selbst ausgezahlten Botenlohn in die Tasche und steckte die Nase in sein Glas.

Der Beutel ward sofort von Robbe in Beschlag genommen, der jedem der Genossen und sich selbst einige Thaler davon zahlte, den Beutel selbst aber in einen Schrank schloss.

„Nun die Arbeit, Munter!“ sagte der zurückkehrende Wirt; „denn zu tun gibt es doch?“

„Gibt!“ entgegnete Munter, und richtete sich mit einer gewissen Wichtigkeit auf, „soll Dir sagen, Robbe, dass Du etwas Lärm machst. Der Alte hat da irgendwo einen Handstreich vor; soll aber auch noch sonst etwas von Bedeutung geschehen!“

Munter erfrischte nach dieser bedeutenden Rede seine Lunge durch den Rest, der sich noch in seinem Glase befand. Sein Auditorium war sichtlich gespannt.

„Soll Dir sagen!“ fuhr Munter fort, „Du kannst entweder die Pfaffen in Gingst besuchen oder das Kloster in Bergen, oder dem alten Lilienström die Falle von seinen Bären stehlen, die er als Schlosswächter angestellt; aber soll viel Spektakel dabei und spätestens bis morgen früh geschehen sein; verstanden?“

„Ich habe!“ antwortete Robbe, dessen Ansehen einen Anstrich von dem eines Generals im Kriegsrate gewann, „Gingst — Bergen — Krakau, und mir bleibt, bis auf die Zeit, die Wahl?“

„Magst wählen, ja!“ murrte Munter.

„Aber woher wisst Ihr schon von den Bären?“ fragte Robbe, „ich selbst habe erst durch Hackeschulz davon gehört, der es sicher auch erst kurz zuvor erfahren!“

„Hm — was wissen wir nicht?“ meinte Munter, sich spreizend.

„Das ist freilich wahr!“ entgegnete Robbe, „und nicht meine Sache. Indessen mit dem Kloster in Bergen ist es nichts, es bleibt nur Gingst und Krakau, — wozu habt Ihr Lust — Jungen?“

„Krakau ist am nächsten!“ rief Braatz.
„Mag nichts mit Bären zu tun haben!“ meinte dagegen Hackeschulz.

„Wir wollen losen!“ schlug Robbe vor, „Schrift oder Bild — Bild auf Gingst!“

Der Wirt nahm einen der vor ihm liegenden Thaler und warf ihn wirbelnd empor; das Geldstück zeigte, sobald es fest auf dem Tische lag, das Bild.

„Also Gingst!“ meinte Robbe, „passt mir nicht recht; die Bärengeschichte dürfte mehr Aufsehen machen; Du sagtest doch, dass der Spektakel die Hauptsache ist?“

„Wohl!“ antwortete Munter, „könnt auch allenfalls in Gingst ein Wenig räuchern, der Alte hat noch seinen Groll auf das Nest!“

„Das kann geschehen!“ meinte Robbe nachdenklich, „aber wie wär's, wenn wir Gingst und die Bären vornähmen; es gäbe einen doppelten Lärm!“

„Ich habe nichts dawider!“ antwortete Braatz.

„Ich auch nicht!“ meinte Hackeschulze, „vorausgesetzt, dass ich nach Gingst gehe; besten Falls hat eine Bärenhaut nicht eben großen Wert!“

„Gut also!“ sagte Robbe, indem er sich aufrichtete und sein Wesen befehlshaberisch wurde, „Du wirst morgen Krakau sondieren, Braatz, und zu erfahren suchen, wann die Bestien losgelassen werden. Du rekognoszierst in Gingst, Schulze, und erwartest uns im Malswitzer Kruge; um Mitternacht sind wir da; — aber jetzt, Kinder, dächte ich, wär's Zeit, es ist vier Uhr!“

„Geschäfte noch nicht zu Ende!“ knurrte Munter; die Andern horchten auf.

„Der Krause ist wieder da!“ fügte er hinzu.

„Alle Wetter — Teufel!“ riefen die drei, „sie haben ihn ja in Lübeck gefangen!“

„Ist dem Henker aus der Schleife gesprungen!“ sagte jener.

„Ein Mordkerl!“ rief Robbe.

„Ist er, ja!“ brummte Munter, „sollt Euch aber nicht mit ihm einlassen, sondern ihn unschädlich machen, sobald es geht!“

Die drei machten lange Gesichter; denn es widerstrebte offenbar ihren Gefühlen, einen in der Gaunerwelt ungesehenen Genossen nicht allein nicht wieder in ihre Gemeinschaft aufzunehmen, sondern demselben auch noch feindlich zu begegnen.

„Aber warum?“ fragte endlich Robbe, als er sich von seiner Überraschung erholte.

„Darum!“ lautete die Antwort, „kennst unsre Gesetze!“

„Freilich!“ entgegnete Robbe kleinlaut.

„Werdet also darnach handeln!“

„Ja, ja!“ riefen alle drei fast ängstlich.

Munter hatte bei diesem letzten Gespräche einen merkwürdig energischen Ausdruck in seinen Gesichtszügen bekommen und sein weit geöffnetes Auge zeigte sich in einem unheimlich dämonischen Glanze. Aber bald verschwanden auch diesmal die Zeichen regeren Lebens wieder.

„Noch eins!“ murrte er so schläfrig wie vorhin, „ist ein neuer Strickreiter in Bergen angelangt — feiner Spürhund — mutiger Fänger, sollt Euch in Acht nehmen; ist übrigens ausgeschlossen von der Regel, dürft ihn—!“

Munter deutete mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand auf seine Waffen; die Andern nickten zum Zeichen, dass sie verstanden, mit dem Kopfe.

„Bin zu Ende jetzt!“ sagte jener sich erhebend, „bleibe bis heute Mittag hier; werde die Zeit verschlafen. Gute Nacht!“

Die beiden nicht in das Haus gehörenden Leute erwiderten den Wunsch Munters und erhoben sich ebenfalls. Robbe beeilte sich, seinen Gast in das für ihn bereit gehaltene Zimmer zu geleiten. Die andern beiden verließen das Haus.

Nach einiger Zeit kam Robbe wieder in die Schenkstube herab; einige Minuten weidete er sich an dem Anblick des Geldes, dann jedoch trat er sinnend an das Fenster.
„Also Krause!“ murmelte er, „Krause — Krause — das will überlegt sein. Kamerad, Freund und Genosse —! Der Mensch, dem ich viel verdanke — hm! ihn verraten oder retten? Das ist die Frage. — Nun wir werden sehen!“ schloss er, „erst komme natürlich ich, aber dann — kommt Krause, wenn etwas sein muss, und sollte ich selbst dem Witthans eine Kugel durch den Kopf jagen —; damit basta — wüsste er nur, wie ich über ihn denke, doch er wird sich, wenn er mich braucht, schon meiner erinnern!“

Robbe wollte eben das Zimmer verlassen, als leise gegen die Scheiben desselben gepocht wurde und ein Gesicht flüchtig an denselben erschien.

„Krause!“ stieß der Wirt, trotz seines eben gefassten Entschlusses, ganz entsetzt hervor, fügte aber beruhigt hinzu: „wer hätte das gedacht?“

040. Reitergefecht von Carl August Großmann, Zeichner und Kupferstecher zu Augsburg (1741-1798).

040. Reitergefecht von Carl August Großmann, Zeichner und Kupferstecher zu Augsburg (1741-1798).